Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2016Die Wöhe-BWL gerät unter Beschuss
In der betriebswirtschaftlichen Literatur des Herbstes spiegelt sich die Unsicherheit des Faches. Das kommt der Allgemeinen BWL zugute und vielen Praktikerbüchern zu Industrie 4.0 - und einem gut lesbaren Buch über Markenartikel.
Von Georg Giersberg
Man kann ein wenig fremden Glanz auf sich lenken, wenn man an einem Denkmal kratzt. Das hoffte wohl auch der Autor Axel Gloger, als er beschloss, sich in seinem jüngsten Buch "Betriebswirtschaftsleere. Wem nützt BWL noch?" (Frankfurter Allgemeine Buch, Verlag Neue Zürcher Zeitung, Frankfurt, Zürich 2016, 200 Seiten, 19,90 Euro) an "dem Wöhe" abzuarbeiten. Er hat das Glück genutzt, dass in diesem Herbst zeitgleich zu seinem Buch auch der Klassiker des Faches, Günter Wöhe und Ulrich Dörings "Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre" (Verlag Franz Vahlen, 990 Seiten, 32,50 Euro) erscheint, in seiner 26. Auflage. Der Wöhe ist nicht die einzige Einführung, die zum wiederholten Male versucht, einen Überblick über das gesicherte Wissen der BWL zu geben. Allein in diesem Herbst kommen auch die "Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre" (De Gruyter Oldenburg, 1000 Seiten, 29,90 Euro) der Autoren Henner Schierenbeck und Claudia Wöhle in 19. Auflage und die "Einführung in die Betriebswirtschaftslehre" (Kiehl Verlag, 684 Seiten, 28,90 Euro) von Klaus Olfert und Horst-Joachim Rahn in ihrer 11. Auflage heraus sowie eine "Allgemeine Betriebswirtschaftslehre" von Jean-Paul Thommen und Ann-Kristin Achleitner (Springer Gabler, 1000 Seiten, 39,95 Euro) in 8. Auflage. Aber keines dieser Konkurrenzprodukte konnte bisher die führende Stellung des Wöhe ernsthaft in Frage stellen. Der Verlag Vahlen, heute eine Tochtergesellschaft des C.H. Beck Verlags, nimmt für ihn in Anspruch, bei den Einführungen in die Allgemeine BWL einen Marktanteil von mehr als 60 Prozent zu haben. Alle anderen Bücher teilen sich das restliche Drittel.
Der Wöhe erscheint seit 1961 gut alle zwei Jahre in einer neuen, aktualisierten Auflage, und er wird inzwischen von der dritten Wissenschaftlergeneration herausgegeben. Der Altmeister Günter Wöhe (Universität Saarbrücken) ist 2007 gestorben. Nachdem das Werk viele Jahre von seinem Schüler Ulrich Döring (Universität Lüneburg) betreut wurde, geht es jetzt auf Gerrit Brösel von der Fernuniversität Hagen über. Der Wöhe eignet sich aber nicht nur wegen seines Erfolgs - mit einer Gesamtauflage von weit mehr als einer Million Exemplaren - als ideale Projektionsfläche für Kritik am Fach, sondern auch wegen seines Inhalts. Der Wöhe weiß sich von Anfang an der "wirtschaftstheoretisch fundierten Betriebswirtschaftslehre" verpflichtet, die der jüngeren, verhaltenswissenschaftlich orientierten Ausrichtung des Fachs skeptisch gegenübersteht. Effizienz und Gewinn sind ganz zentrale Begriffe des Wöhe-Modells der Betriebswirtschaft.
Genau das macht Axel Gloger den Wöhe-Anhängern zum Vorwurf. Gloger verdammt darüber hinaus die gesamte Betriebswirtschaftslehre, wie sie derzeit gelehrt wird, in Grund und Boden. Die alleinige Gewinnorientierung wirke in der Realität wie ein Brandbeschleuniger der menschlichen Gier, die BWL-isierung des gesamten Managements führe zu unmenschlichen Zuständen. Es werde nur noch Erfolgskennziffern hinterhergelaufen. Die BWL orientiere sich an einigen börsennotierten Großunternehmen, selbständige Unternehmer kämen in der BWL gar nicht vor - im Gegensatz zur Praxis. Die heute an den Hochschulen gelehrte BWL sei eine von Menschen losgelöste abstrakte Wissenschaft, deren Studium sich vor allem im Auswendiglernen von Strichaufzählungen ergehe.
An dieser Kritik ist viel Wahres dran, in ihrer Rigorosität schießt sie aber über das Ziel hinaus und wird auch den Diskussionen in der akademischen Betriebswirtschaftslehre nicht gerecht. Dem Buch von Gloger fehlt über weite Strecken, was der Autor dem Wöhe fälschlicherweise zum Vorwurf macht: Stringenz, klare Gliederung und empirisch belastbare Fakten. Gerade zu Beginn des Buches bleibt vieles im Anekdotischen und damit ohne Beweiskraft. Dass die meisten der mehr als 232 000 BWL-Studenten hierzulande das Fach nicht aus Neigung studieren, sondern nur der Karriere wegen, kann man auch positiv sehen. Das Fach ist offenbar immer noch geeignet, eine Basis für sehr viele Karrieren zu legen, auch wenn "jemand, der BWL studiert hat, noch lange kein geeigneter Unternehmer ist". Aber ein Kunstwissenschaftler ist ja auch nicht zwingend ein guter Künstler. Und auch der Vorwurf, viele gute Unternehmensführer hätten nie Betriebswirtschaftslehre studiert, sagt nur wenig über das Fach und seine Relevanz.
Dass das heutige sechssemestrige Bachelor-Studium weitgehend der moderne Ersatz für eine frühere kaufmännische Lehre ist und vielfach nicht hält, was man sich davon versprach, wird kaum einer bestreiten. Die Kapitel über zweifelhafte Hochschulrankings oder über die privaten Business-Schulen sind gut recherchiert. Die von Gloger bemängelte Aufzählungsmanie des Wöhe ist aber dem Konzept geschuldet. Der Wöhe gibt keinen aktuellen Stand der Diskussion wieder, sondern einen Überblick über gesichertes Wissen - und das in knapper Form.
Das bedeutet, dass er sich oft sehr kurz fasst und dass er Entwicklungen der Realität erst dann aufgreift, wenn sie Eingang in den wissenschaftlichen Prozess gefunden haben. In der neuen Auflage wird das Thema Industrie 4.0 erstmals angesprochen. Das muss in einer folgenden Auflage ausgebaut werden. Das Thema Moral in der Wirtschaft sucht man wirklich im Wöhe leider vergebens. Der kurze Hinweis, das sei ein Thema mehr für Theologen, überzeugt nicht. Die jüngste Tagung des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre hat gezeigt, dass Moral und Ethik angesichts vieler Skandale in der realen Wirtschaft (Deutsche Bank, Volkswagen) an Aktualität und Brisanz für das Fach gewinnen und wohl auch vom Wöhe nicht dauerhaft ausgespart werden können. Auch die Stichworte "agiles Unternehmen", Start-up oder Big Data sollten in einer Neuauflage zwingend vorkommen, wenn der Wöhe seinem Anspruch gerecht werden will, einen Überblick über das gesicherte Wissen des Fachs zu geben.
Dass der Wöhe der verhaltenswissenschaftlichen Ausrichtung des Faches eher skeptisch gegenübersteht, ist richtig, gilt aber keineswegs für alle Repräsentanten des Fachs. Zu den schönen Neuerscheinungen dieses Herbstes gehört das Buch "Identität. Das Rückgrat starker Marken" (Campus Verlag, 310 Seiten, 39,95 Euro) von Franz-Rudolf Esch. Der verhaltenswissenschaftlich ausgebildete Marketingforscher zieht in diesem Buch Bilanz über seine lebenslangen Forschungen zum Thema "Marke". Er räumt ein, dass verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse im BWL-Studium oft unterbelichtet sind - und stellt sie daher in seinem Buch besonders heraus. Esch zeigt, dass man auch im Deutschen wissenschaftlich korrekt und gleichzeitig gut lesbar schreiben kann. Es gibt nur wenige Fachbücher, die auf so leserfreundliche Weise eine solches Füllhorn an Erkenntnissen ausbreiten. Außerdem ist hier der Campus-Verlag zu loben, der zeigt, dass man auch in Schwarzweiß und mit wenigen Abbildungen ein Buch ansprechend gestalten kann.
In abgeschwächter Form gilt das Lob der guten Lesbarkeit und der ansprechenden Gestaltung auch für die Neuerscheinung "d.quarks. Der Weg zum digitalen Unternehmen" (Murmann-Verlag, 200 Seiten, 39,90 Euro) von Carsten Hentrich und Michael Pachmajer. Die digitale Vernetzung unter dem Stichwort "Industrie 4.0" ist kein Thema für Nischen-BWLer, sondern hat Auswirkungen auf alle betriebswirtschaftlichen Bereiche, umfasst Produktion und Personalwirtschaft, aber auch Einkauf, Vertrieb und das gesamte Management. Da ist der gesamtheitliche Blick wieder gefragt - die Allgemeine BWL. Die beiden Unternehmensberater der Beratungsgesellschaft PWC Carsten Hentrich und Michael Pachmajer beschreiben an eigenen Beratungsfällen sehr anschaulich, zu welchen Änderungen es in den Unternehmen derzeit kommt. Vor allem aber beschreiben sie auch die Widerstände gegen notwendige Veränderungen und wie sie selbst diese bei ihren Mandanten überwunden haben. Es gelingt ihnen immer wieder, ihre Erkenntnisse kurz und knapp zusammenzufassen. Vieles ist nicht neu ("Digitale Transformation ist Chefsache", "Das Ideal ist nicht mehr Perfektion, sondern Geschwindigkeit", "Vorsprung durch Technik wird ersetzt durch Vorsprung durch Kundennähe", "Die IT wird von einer zuliefernden Fachabteilung zum strategischen Faktor"), gerät aber dennoch immer wieder leicht in Vergessenheit. Sowohl Hentrich und Pachmajer als auch Esch in seinem Markenbuch betonen die Bedeutung der Unternehmerpersönlichkeit, die in der Allgemeinen BWL ziemlich abstrakt als dispositiver Faktor daherkommt. Ihre interessanten Ausführungen haben die Autoren leider hinter einer etwas sperrigen Einführung versteckt. Immerhin hat der dort beschriebene Besuch des Kernforschungszentrums Cern zum Buchtitel geführt. Die Einführung kann man sich ersparen; nach der Seite 30 wird das Buch interessant und hilfreich.
Dass es sich auch lohnen kann, sich trockenen Grundlagenstoffen noch einmal zu widmen, zeigt Jan Schäfer-Kunz von der Hochschule Esslingen. Sein Buch "Buchführung und Jahresabschluss" (Schäffer-Poeschel, 620 Seiten, 35 Euro) ist in 2. Auflage erschienen und zeigt, dass man auch ein so altes Thema leserfreundlich aufbereiten kann. Das Buch eignet sich für Studenten und Berufseinsteiger.
Leider steht bei vielen anderen Büchern offenbar die Lesefreundlichkeit nicht an oberster Stelle. Hohe Erwartungen weckt das Buch "Industrie 4.0 als unternehmerische Gestaltungsaufgabe. Betriebswirtschaftliche, technische und rechtliche Herausforderungen" (Springer Gabler, 320 Seiten, 50 Euro). Robert Obermaier von der Universität Passau hat hier als Herausgeber Tagungsbeiträge in ein Buch gegossen. Da wechseln sich naturgemäß schöne Praktikerbeiträge von August-Wilhelm Scheer oder Johann Hofmann (Maschinenfabrik Reinhausen) mit etwas trockenen wissenschaftlichen Beiträgen ab. Drei Autoren der Hochschulen Cottbus-Senftenberg und Klagenfurt beschreiben ein Modell der systemweiten Effizienz eines Produktionsbetriebes anhand eines Simulationsmodells. Dass man sich in der Praxis vom Kleinbetrieb bis hin zu den wirtschaftswissenschaftlichen Prognoseinstituten fragt, warum trotz Einführung der digitalen Vernetzung die Produktivität nicht steigt, geht an solchen Spezialisten dann vorbei. Der Einfluss der Industrie 4.0 auf die Produktivität wäre einmal ein interessierender Untersuchungsgegenstand.
Auch die allerorten beklagte Investitionsschwäche steht in offensichtlichem Widerspruch zur beobachteten Realität. Aber auch darüber diskutiert die BWL wenig. Die Betriebswirtschaftslehre muss sich mehr mit den Themen beschäftigen, welche die Praxis umtreiben. Da hat Gloger recht. Dass es längst entschieden ist, dass die BWL in Zukunft mit weniger Glanz und Strahlkraft nur noch ein Nischendasein fristen wird, erscheint ein voreiliges Fazit. Zu Zeiten des Umbruchs wie den gegenwärtigen gehören auch Unsicherheiten und Wissen mit kurzer Halbwertzeit. Wenn nicht alles täuscht, werden gerade in solchen Zeiten wieder Bücher wichtiger, die einen Überblick verschaffen. Denn die digitale Vernetzung betrifft alle Unternehmensbereiche und zerstört auch klassische Ressorteinteilungen. Damit kommt auf die Autoren Allgemeiner Betriebswirtschaftslehren in den kommenden Jahren viel Arbeit zu.
Die Welt ist nicht nur schwarz und weiß, wie Esch in seinem Erfahrungsbuch ausführt. "Menschen wie Marken sind einem ständigen Anpassungsprozess unterworfen", schreibt er. Ob die Hierarchien im Zuge der digitalen Vernetzung ganz zerfallen, ist auch ungewiss. Dass Führung neu gedacht werden muss, wie Hermann Arnold in seinem Buch "Wir sind Chef. Wie eine unsichtbare Revolution Unternehmen verändert" (Haufe Verlag, 335 Seiten, 24,95 Euro) wissen lässt, ist bestimmt richtig. Er möchte Führung nicht allein bei wenigen belassen, sondern in Zeiten der Sharing-Ökonomie auch die Führung unter vielen Menschen teilen. Ein endgültiges Konzept, das die hierarchische Unternehmensstruktur ablösen könnte, ist offenbar noch nicht gefunden. Wissenschaft und Praxis sind im Versuchsstadium. Nach Glogers Ansicht arbeiten sie aber zu wenig Hand in Hand, und die akademische Lehre biete zu wenig Anhaltspunkte zur Lösung aktueller Probleme der Praxis. In der kommenden Woche treffen sich Akademiker und Praktiker zum 70. Deutschen Betriebswirtschafter-Tag. Das Thema: Digitalisierung, Vernetzung und disruptive Geschäftsmodelle. Vielleicht sind Wissenschaft und Praxis doch enger beieinander, als ihre Kritiker glauben.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In der betriebswirtschaftlichen Literatur des Herbstes spiegelt sich die Unsicherheit des Faches. Das kommt der Allgemeinen BWL zugute und vielen Praktikerbüchern zu Industrie 4.0 - und einem gut lesbaren Buch über Markenartikel.
Von Georg Giersberg
Man kann ein wenig fremden Glanz auf sich lenken, wenn man an einem Denkmal kratzt. Das hoffte wohl auch der Autor Axel Gloger, als er beschloss, sich in seinem jüngsten Buch "Betriebswirtschaftsleere. Wem nützt BWL noch?" (Frankfurter Allgemeine Buch, Verlag Neue Zürcher Zeitung, Frankfurt, Zürich 2016, 200 Seiten, 19,90 Euro) an "dem Wöhe" abzuarbeiten. Er hat das Glück genutzt, dass in diesem Herbst zeitgleich zu seinem Buch auch der Klassiker des Faches, Günter Wöhe und Ulrich Dörings "Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre" (Verlag Franz Vahlen, 990 Seiten, 32,50 Euro) erscheint, in seiner 26. Auflage. Der Wöhe ist nicht die einzige Einführung, die zum wiederholten Male versucht, einen Überblick über das gesicherte Wissen der BWL zu geben. Allein in diesem Herbst kommen auch die "Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre" (De Gruyter Oldenburg, 1000 Seiten, 29,90 Euro) der Autoren Henner Schierenbeck und Claudia Wöhle in 19. Auflage und die "Einführung in die Betriebswirtschaftslehre" (Kiehl Verlag, 684 Seiten, 28,90 Euro) von Klaus Olfert und Horst-Joachim Rahn in ihrer 11. Auflage heraus sowie eine "Allgemeine Betriebswirtschaftslehre" von Jean-Paul Thommen und Ann-Kristin Achleitner (Springer Gabler, 1000 Seiten, 39,95 Euro) in 8. Auflage. Aber keines dieser Konkurrenzprodukte konnte bisher die führende Stellung des Wöhe ernsthaft in Frage stellen. Der Verlag Vahlen, heute eine Tochtergesellschaft des C.H. Beck Verlags, nimmt für ihn in Anspruch, bei den Einführungen in die Allgemeine BWL einen Marktanteil von mehr als 60 Prozent zu haben. Alle anderen Bücher teilen sich das restliche Drittel.
Der Wöhe erscheint seit 1961 gut alle zwei Jahre in einer neuen, aktualisierten Auflage, und er wird inzwischen von der dritten Wissenschaftlergeneration herausgegeben. Der Altmeister Günter Wöhe (Universität Saarbrücken) ist 2007 gestorben. Nachdem das Werk viele Jahre von seinem Schüler Ulrich Döring (Universität Lüneburg) betreut wurde, geht es jetzt auf Gerrit Brösel von der Fernuniversität Hagen über. Der Wöhe eignet sich aber nicht nur wegen seines Erfolgs - mit einer Gesamtauflage von weit mehr als einer Million Exemplaren - als ideale Projektionsfläche für Kritik am Fach, sondern auch wegen seines Inhalts. Der Wöhe weiß sich von Anfang an der "wirtschaftstheoretisch fundierten Betriebswirtschaftslehre" verpflichtet, die der jüngeren, verhaltenswissenschaftlich orientierten Ausrichtung des Fachs skeptisch gegenübersteht. Effizienz und Gewinn sind ganz zentrale Begriffe des Wöhe-Modells der Betriebswirtschaft.
Genau das macht Axel Gloger den Wöhe-Anhängern zum Vorwurf. Gloger verdammt darüber hinaus die gesamte Betriebswirtschaftslehre, wie sie derzeit gelehrt wird, in Grund und Boden. Die alleinige Gewinnorientierung wirke in der Realität wie ein Brandbeschleuniger der menschlichen Gier, die BWL-isierung des gesamten Managements führe zu unmenschlichen Zuständen. Es werde nur noch Erfolgskennziffern hinterhergelaufen. Die BWL orientiere sich an einigen börsennotierten Großunternehmen, selbständige Unternehmer kämen in der BWL gar nicht vor - im Gegensatz zur Praxis. Die heute an den Hochschulen gelehrte BWL sei eine von Menschen losgelöste abstrakte Wissenschaft, deren Studium sich vor allem im Auswendiglernen von Strichaufzählungen ergehe.
An dieser Kritik ist viel Wahres dran, in ihrer Rigorosität schießt sie aber über das Ziel hinaus und wird auch den Diskussionen in der akademischen Betriebswirtschaftslehre nicht gerecht. Dem Buch von Gloger fehlt über weite Strecken, was der Autor dem Wöhe fälschlicherweise zum Vorwurf macht: Stringenz, klare Gliederung und empirisch belastbare Fakten. Gerade zu Beginn des Buches bleibt vieles im Anekdotischen und damit ohne Beweiskraft. Dass die meisten der mehr als 232 000 BWL-Studenten hierzulande das Fach nicht aus Neigung studieren, sondern nur der Karriere wegen, kann man auch positiv sehen. Das Fach ist offenbar immer noch geeignet, eine Basis für sehr viele Karrieren zu legen, auch wenn "jemand, der BWL studiert hat, noch lange kein geeigneter Unternehmer ist". Aber ein Kunstwissenschaftler ist ja auch nicht zwingend ein guter Künstler. Und auch der Vorwurf, viele gute Unternehmensführer hätten nie Betriebswirtschaftslehre studiert, sagt nur wenig über das Fach und seine Relevanz.
Dass das heutige sechssemestrige Bachelor-Studium weitgehend der moderne Ersatz für eine frühere kaufmännische Lehre ist und vielfach nicht hält, was man sich davon versprach, wird kaum einer bestreiten. Die Kapitel über zweifelhafte Hochschulrankings oder über die privaten Business-Schulen sind gut recherchiert. Die von Gloger bemängelte Aufzählungsmanie des Wöhe ist aber dem Konzept geschuldet. Der Wöhe gibt keinen aktuellen Stand der Diskussion wieder, sondern einen Überblick über gesichertes Wissen - und das in knapper Form.
Das bedeutet, dass er sich oft sehr kurz fasst und dass er Entwicklungen der Realität erst dann aufgreift, wenn sie Eingang in den wissenschaftlichen Prozess gefunden haben. In der neuen Auflage wird das Thema Industrie 4.0 erstmals angesprochen. Das muss in einer folgenden Auflage ausgebaut werden. Das Thema Moral in der Wirtschaft sucht man wirklich im Wöhe leider vergebens. Der kurze Hinweis, das sei ein Thema mehr für Theologen, überzeugt nicht. Die jüngste Tagung des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre hat gezeigt, dass Moral und Ethik angesichts vieler Skandale in der realen Wirtschaft (Deutsche Bank, Volkswagen) an Aktualität und Brisanz für das Fach gewinnen und wohl auch vom Wöhe nicht dauerhaft ausgespart werden können. Auch die Stichworte "agiles Unternehmen", Start-up oder Big Data sollten in einer Neuauflage zwingend vorkommen, wenn der Wöhe seinem Anspruch gerecht werden will, einen Überblick über das gesicherte Wissen des Fachs zu geben.
Dass der Wöhe der verhaltenswissenschaftlichen Ausrichtung des Faches eher skeptisch gegenübersteht, ist richtig, gilt aber keineswegs für alle Repräsentanten des Fachs. Zu den schönen Neuerscheinungen dieses Herbstes gehört das Buch "Identität. Das Rückgrat starker Marken" (Campus Verlag, 310 Seiten, 39,95 Euro) von Franz-Rudolf Esch. Der verhaltenswissenschaftlich ausgebildete Marketingforscher zieht in diesem Buch Bilanz über seine lebenslangen Forschungen zum Thema "Marke". Er räumt ein, dass verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse im BWL-Studium oft unterbelichtet sind - und stellt sie daher in seinem Buch besonders heraus. Esch zeigt, dass man auch im Deutschen wissenschaftlich korrekt und gleichzeitig gut lesbar schreiben kann. Es gibt nur wenige Fachbücher, die auf so leserfreundliche Weise eine solches Füllhorn an Erkenntnissen ausbreiten. Außerdem ist hier der Campus-Verlag zu loben, der zeigt, dass man auch in Schwarzweiß und mit wenigen Abbildungen ein Buch ansprechend gestalten kann.
In abgeschwächter Form gilt das Lob der guten Lesbarkeit und der ansprechenden Gestaltung auch für die Neuerscheinung "d.quarks. Der Weg zum digitalen Unternehmen" (Murmann-Verlag, 200 Seiten, 39,90 Euro) von Carsten Hentrich und Michael Pachmajer. Die digitale Vernetzung unter dem Stichwort "Industrie 4.0" ist kein Thema für Nischen-BWLer, sondern hat Auswirkungen auf alle betriebswirtschaftlichen Bereiche, umfasst Produktion und Personalwirtschaft, aber auch Einkauf, Vertrieb und das gesamte Management. Da ist der gesamtheitliche Blick wieder gefragt - die Allgemeine BWL. Die beiden Unternehmensberater der Beratungsgesellschaft PWC Carsten Hentrich und Michael Pachmajer beschreiben an eigenen Beratungsfällen sehr anschaulich, zu welchen Änderungen es in den Unternehmen derzeit kommt. Vor allem aber beschreiben sie auch die Widerstände gegen notwendige Veränderungen und wie sie selbst diese bei ihren Mandanten überwunden haben. Es gelingt ihnen immer wieder, ihre Erkenntnisse kurz und knapp zusammenzufassen. Vieles ist nicht neu ("Digitale Transformation ist Chefsache", "Das Ideal ist nicht mehr Perfektion, sondern Geschwindigkeit", "Vorsprung durch Technik wird ersetzt durch Vorsprung durch Kundennähe", "Die IT wird von einer zuliefernden Fachabteilung zum strategischen Faktor"), gerät aber dennoch immer wieder leicht in Vergessenheit. Sowohl Hentrich und Pachmajer als auch Esch in seinem Markenbuch betonen die Bedeutung der Unternehmerpersönlichkeit, die in der Allgemeinen BWL ziemlich abstrakt als dispositiver Faktor daherkommt. Ihre interessanten Ausführungen haben die Autoren leider hinter einer etwas sperrigen Einführung versteckt. Immerhin hat der dort beschriebene Besuch des Kernforschungszentrums Cern zum Buchtitel geführt. Die Einführung kann man sich ersparen; nach der Seite 30 wird das Buch interessant und hilfreich.
Dass es sich auch lohnen kann, sich trockenen Grundlagenstoffen noch einmal zu widmen, zeigt Jan Schäfer-Kunz von der Hochschule Esslingen. Sein Buch "Buchführung und Jahresabschluss" (Schäffer-Poeschel, 620 Seiten, 35 Euro) ist in 2. Auflage erschienen und zeigt, dass man auch ein so altes Thema leserfreundlich aufbereiten kann. Das Buch eignet sich für Studenten und Berufseinsteiger.
Leider steht bei vielen anderen Büchern offenbar die Lesefreundlichkeit nicht an oberster Stelle. Hohe Erwartungen weckt das Buch "Industrie 4.0 als unternehmerische Gestaltungsaufgabe. Betriebswirtschaftliche, technische und rechtliche Herausforderungen" (Springer Gabler, 320 Seiten, 50 Euro). Robert Obermaier von der Universität Passau hat hier als Herausgeber Tagungsbeiträge in ein Buch gegossen. Da wechseln sich naturgemäß schöne Praktikerbeiträge von August-Wilhelm Scheer oder Johann Hofmann (Maschinenfabrik Reinhausen) mit etwas trockenen wissenschaftlichen Beiträgen ab. Drei Autoren der Hochschulen Cottbus-Senftenberg und Klagenfurt beschreiben ein Modell der systemweiten Effizienz eines Produktionsbetriebes anhand eines Simulationsmodells. Dass man sich in der Praxis vom Kleinbetrieb bis hin zu den wirtschaftswissenschaftlichen Prognoseinstituten fragt, warum trotz Einführung der digitalen Vernetzung die Produktivität nicht steigt, geht an solchen Spezialisten dann vorbei. Der Einfluss der Industrie 4.0 auf die Produktivität wäre einmal ein interessierender Untersuchungsgegenstand.
Auch die allerorten beklagte Investitionsschwäche steht in offensichtlichem Widerspruch zur beobachteten Realität. Aber auch darüber diskutiert die BWL wenig. Die Betriebswirtschaftslehre muss sich mehr mit den Themen beschäftigen, welche die Praxis umtreiben. Da hat Gloger recht. Dass es längst entschieden ist, dass die BWL in Zukunft mit weniger Glanz und Strahlkraft nur noch ein Nischendasein fristen wird, erscheint ein voreiliges Fazit. Zu Zeiten des Umbruchs wie den gegenwärtigen gehören auch Unsicherheiten und Wissen mit kurzer Halbwertzeit. Wenn nicht alles täuscht, werden gerade in solchen Zeiten wieder Bücher wichtiger, die einen Überblick verschaffen. Denn die digitale Vernetzung betrifft alle Unternehmensbereiche und zerstört auch klassische Ressorteinteilungen. Damit kommt auf die Autoren Allgemeiner Betriebswirtschaftslehren in den kommenden Jahren viel Arbeit zu.
Die Welt ist nicht nur schwarz und weiß, wie Esch in seinem Erfahrungsbuch ausführt. "Menschen wie Marken sind einem ständigen Anpassungsprozess unterworfen", schreibt er. Ob die Hierarchien im Zuge der digitalen Vernetzung ganz zerfallen, ist auch ungewiss. Dass Führung neu gedacht werden muss, wie Hermann Arnold in seinem Buch "Wir sind Chef. Wie eine unsichtbare Revolution Unternehmen verändert" (Haufe Verlag, 335 Seiten, 24,95 Euro) wissen lässt, ist bestimmt richtig. Er möchte Führung nicht allein bei wenigen belassen, sondern in Zeiten der Sharing-Ökonomie auch die Führung unter vielen Menschen teilen. Ein endgültiges Konzept, das die hierarchische Unternehmensstruktur ablösen könnte, ist offenbar noch nicht gefunden. Wissenschaft und Praxis sind im Versuchsstadium. Nach Glogers Ansicht arbeiten sie aber zu wenig Hand in Hand, und die akademische Lehre biete zu wenig Anhaltspunkte zur Lösung aktueller Probleme der Praxis. In der kommenden Woche treffen sich Akademiker und Praktiker zum 70. Deutschen Betriebswirtschafter-Tag. Das Thema: Digitalisierung, Vernetzung und disruptive Geschäftsmodelle. Vielleicht sind Wissenschaft und Praxis doch enger beieinander, als ihre Kritiker glauben.
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