Allmen, eleganter Lebemann und Feingeist, ist über die Jahre finanziell in die Bredouille geraten. Fünf zauberhafte Jugendstil-Schalen bringen ihn und sein Faktotum Carlos auf eine Geschäftsidee: eine Firma für die Wiederbeschaffung von schönen Dingen. Die Geburt eines ungewöhnlichen Ermittlerduos und der Start einer wunderbaren Krimiserie.
»Martin Suter gilt als Meister einer eleganten Feder, die so fein geschliffen ist, dass man die Stiche oft erst hinterher spürt.« Monika Willer / Westfalenpost Westfalenpost
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2011Ein Flaneur als Ermittler
Serienkrimi: Martin Suters neueste Erfolgsrakete
Sein Name ist Allmen, von Allmen. Mit Betonung auf dem von. Die Vornamen Hans Fritz hat er zu Johann Friedrich veredelt, im Stammcafé verkehrt er wegen seiner exorbitanten Trinkgelder unter dem Ehrentitel "Conte". Tatsächlich hat er ein Millionenerbe durchgebracht; das wenige Geld, über das er verfügt, investiert er in Kreditwürdigkeit anstatt in seinen Lebensunterhalt. Den Nachmittagsschlaf nennt er "Lebenschwänzen". Die väterliche Villa musste er verkaufen, mit seinem guatemaltekischen Butler Carlos logiert er im Gartenhaus. J. F. v. Allmen ist ein weltläufiger Gentleman von Anfang vierzig, der nicht recht weiß, wo er hinsoll mit seinem Leben.
Auf dem Buchmarkt ist seine Bestimmung klar. Von heute an soll er die Bestsellerliste stürmen, denn er ist schließlich der neue Serienheld des Schweizer Schriftstellers Martin Suter. Allein dessen letzter Roman "Der Koch" hat sich nach Angaben des Diogenes Verlags mehr als dreihunderttausend Mal verkauft. Aber im Vergleich zum Vorgänger ist der heute erscheinende Roman "Allmen und die Libellen" nur ein Appetithappen, mit 190 luftig bedruckten Seiten ein Piccolo in Spielfilmlänge. Am Ende hat sich nichts Großartiges ergeben, man hat sich abgelenkt, nicht unangenehm, aber keineswegs so, dass man sich nach der Fortsetzung verzehrte.
Da von Allmen etwas von Antiquitäten versteht, hat er sich auf Diebstahl verlegt; die Hehlerware verkauft er an einen Händler namens Jack Tanner. Dann fällt Allmen der reichen Tochter Joëlle Hirt in die lüsternen Arme. Missbraucht für einen One-Night-Stand, stößt er in der Villa am See auf ein Kabinett mit fünf Libellen-Schalen des legendären Jugendstil-Glaskünstlers Émile Gallé. Ein Millionenfund, den er sich zunutze machen will, um seiner chronischen Unterfinanzierung abzuhelfen. Er schafft es, eine Schale an Tanner zu verhökern, dann findet er den Händler erschossen in seinem Laden. Bald darauf wird er selbst Opfer eines Anschlags - und die Geschichte nimmt endlich die Ausfahrt ins Kriminalistische.
Als "süchtiger Leser" sucht Allmen nach Geheimnissen, also münzt er diese Leidenschaft am Ende, als ihm das gewonnene Gold schon wieder zwischen den Fingern zerronnen ist, in eine Firmengründung um. "Allmen stellte sich eine Visitenkarte vor, Johann Friedrich von Allmen. Zwölf Punkt Times mit Kapitälchen. Darunter, zwei Punkt kleiner: International Inquiries. Sah gut aus."
Die Sprache ist gewohnt schlicht, adjektivarm mit kurzen Sätzen und ebensolchen Dialogen. Selten gestattet sich der Autor Lyrismen von der Sorte: "Die graue Suppe nieselte jetzt als kalter Wasserstaub auf die Stadt." Wie um sich vor Überambition zu schützen, spannt Suter mit einer Demutsgeste den literarischen Schutzschirm auf, unter den er Balzac, William Somerset Maugham und Elmore Leonard einreiht. Jedes seiner Bücher sei eine Hommage an eine andere Gattung, sagt der Autor, dieses Mal eben der Serienkrimi. Denn zwei weitere Bände sind schon fertig, "Allmen und der rosa Diamant" und "Allmen und die Delfinsuite". Schön altmodisch also; so könnte es à la Verlagskollege Simenon endlos weitergehen. Das nennt man nachhaltige Bewirtschaftung einer Autorenmarke.
Martin Suter, Superstar. Ein grundsympathischer Autor, der nach einer Laufbahn als Werbetexter, Kolumnist ("Business Class") und Romancier heute als Zweiundsechzigjähriger mit Wohnsitzen auf Ibiza und in Guatemala ganz oben ist. Unlängst kam die Verfilmung seines ersten Romans "Small World" mit Staraufgebot in die Kinos (F.A.Z. vom 16. Dezember). Dass er nach dem Schicksalsschlag des vorvergangenen Jahres, als er seinen Adoptivsohn durch einen Unfall verlor, nicht aufgegeben hat; dass er ein freundliches, sozial engagiertes Gutmenschen-Image glaubhaft verkörpert, prädestiniert ihn in den Augen mancher Anhänger für die Planstelle "Gewissen der Schweiz".
Suter ist aber offenkundig nicht geneigt, diese Rolle anzunehmen, die seit Adolf Muschgs Rückzug vakant ist. Konnte man bei "Der Koch" noch einen Hauch von Gesellschaftskritik ausmachen - ein tamilischer Einwanderer, der sein Glück in die Hand nimmt -, sind im Falle Allmens davon nur noch eine satirische Schwundstufe und das radikale Bekenntnis zur Unterhaltung geblieben. Martin Suter skizziert die Welt der Zürcher Oberschicht, zeigt Goldküstenexistenzen, die Wein für 1400 Franken die Flasche konsumieren, Gefangene in einer Welt des Reichtums oder eben nur Reichtumsdarsteller. In diesem Milieu kennt der Autor sich aus, diese Welt bewirtschaftet er fiktional seit Jahren erfolgreich. Ein Hochstapler als Stapelware: Auch wenn Suter die Arbeit diesmal allzu leicht von der Hand gegangen ist, an der Ladenkasse wird sich sein Libellenhauch von einem Buch mit Sicherheit als erstes ökonomisches Schwergewicht des Jahres erweisen.
HANNES HINTERMEIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Serienkrimi: Martin Suters neueste Erfolgsrakete
Sein Name ist Allmen, von Allmen. Mit Betonung auf dem von. Die Vornamen Hans Fritz hat er zu Johann Friedrich veredelt, im Stammcafé verkehrt er wegen seiner exorbitanten Trinkgelder unter dem Ehrentitel "Conte". Tatsächlich hat er ein Millionenerbe durchgebracht; das wenige Geld, über das er verfügt, investiert er in Kreditwürdigkeit anstatt in seinen Lebensunterhalt. Den Nachmittagsschlaf nennt er "Lebenschwänzen". Die väterliche Villa musste er verkaufen, mit seinem guatemaltekischen Butler Carlos logiert er im Gartenhaus. J. F. v. Allmen ist ein weltläufiger Gentleman von Anfang vierzig, der nicht recht weiß, wo er hinsoll mit seinem Leben.
Auf dem Buchmarkt ist seine Bestimmung klar. Von heute an soll er die Bestsellerliste stürmen, denn er ist schließlich der neue Serienheld des Schweizer Schriftstellers Martin Suter. Allein dessen letzter Roman "Der Koch" hat sich nach Angaben des Diogenes Verlags mehr als dreihunderttausend Mal verkauft. Aber im Vergleich zum Vorgänger ist der heute erscheinende Roman "Allmen und die Libellen" nur ein Appetithappen, mit 190 luftig bedruckten Seiten ein Piccolo in Spielfilmlänge. Am Ende hat sich nichts Großartiges ergeben, man hat sich abgelenkt, nicht unangenehm, aber keineswegs so, dass man sich nach der Fortsetzung verzehrte.
Da von Allmen etwas von Antiquitäten versteht, hat er sich auf Diebstahl verlegt; die Hehlerware verkauft er an einen Händler namens Jack Tanner. Dann fällt Allmen der reichen Tochter Joëlle Hirt in die lüsternen Arme. Missbraucht für einen One-Night-Stand, stößt er in der Villa am See auf ein Kabinett mit fünf Libellen-Schalen des legendären Jugendstil-Glaskünstlers Émile Gallé. Ein Millionenfund, den er sich zunutze machen will, um seiner chronischen Unterfinanzierung abzuhelfen. Er schafft es, eine Schale an Tanner zu verhökern, dann findet er den Händler erschossen in seinem Laden. Bald darauf wird er selbst Opfer eines Anschlags - und die Geschichte nimmt endlich die Ausfahrt ins Kriminalistische.
Als "süchtiger Leser" sucht Allmen nach Geheimnissen, also münzt er diese Leidenschaft am Ende, als ihm das gewonnene Gold schon wieder zwischen den Fingern zerronnen ist, in eine Firmengründung um. "Allmen stellte sich eine Visitenkarte vor, Johann Friedrich von Allmen. Zwölf Punkt Times mit Kapitälchen. Darunter, zwei Punkt kleiner: International Inquiries. Sah gut aus."
Die Sprache ist gewohnt schlicht, adjektivarm mit kurzen Sätzen und ebensolchen Dialogen. Selten gestattet sich der Autor Lyrismen von der Sorte: "Die graue Suppe nieselte jetzt als kalter Wasserstaub auf die Stadt." Wie um sich vor Überambition zu schützen, spannt Suter mit einer Demutsgeste den literarischen Schutzschirm auf, unter den er Balzac, William Somerset Maugham und Elmore Leonard einreiht. Jedes seiner Bücher sei eine Hommage an eine andere Gattung, sagt der Autor, dieses Mal eben der Serienkrimi. Denn zwei weitere Bände sind schon fertig, "Allmen und der rosa Diamant" und "Allmen und die Delfinsuite". Schön altmodisch also; so könnte es à la Verlagskollege Simenon endlos weitergehen. Das nennt man nachhaltige Bewirtschaftung einer Autorenmarke.
Martin Suter, Superstar. Ein grundsympathischer Autor, der nach einer Laufbahn als Werbetexter, Kolumnist ("Business Class") und Romancier heute als Zweiundsechzigjähriger mit Wohnsitzen auf Ibiza und in Guatemala ganz oben ist. Unlängst kam die Verfilmung seines ersten Romans "Small World" mit Staraufgebot in die Kinos (F.A.Z. vom 16. Dezember). Dass er nach dem Schicksalsschlag des vorvergangenen Jahres, als er seinen Adoptivsohn durch einen Unfall verlor, nicht aufgegeben hat; dass er ein freundliches, sozial engagiertes Gutmenschen-Image glaubhaft verkörpert, prädestiniert ihn in den Augen mancher Anhänger für die Planstelle "Gewissen der Schweiz".
Suter ist aber offenkundig nicht geneigt, diese Rolle anzunehmen, die seit Adolf Muschgs Rückzug vakant ist. Konnte man bei "Der Koch" noch einen Hauch von Gesellschaftskritik ausmachen - ein tamilischer Einwanderer, der sein Glück in die Hand nimmt -, sind im Falle Allmens davon nur noch eine satirische Schwundstufe und das radikale Bekenntnis zur Unterhaltung geblieben. Martin Suter skizziert die Welt der Zürcher Oberschicht, zeigt Goldküstenexistenzen, die Wein für 1400 Franken die Flasche konsumieren, Gefangene in einer Welt des Reichtums oder eben nur Reichtumsdarsteller. In diesem Milieu kennt der Autor sich aus, diese Welt bewirtschaftet er fiktional seit Jahren erfolgreich. Ein Hochstapler als Stapelware: Auch wenn Suter die Arbeit diesmal allzu leicht von der Hand gegangen ist, an der Ladenkasse wird sich sein Libellenhauch von einem Buch mit Sicherheit als erstes ökonomisches Schwergewicht des Jahres erweisen.
HANNES HINTERMEIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.01.2011Vergiss die Handschuhe nicht!
Martin Suter präsentiert seine neue Krimiserie – ihr Held ist ein stilvoller Virtuose des Schuldenmachens
Das Jahr ist noch jung, draußen legt es der Schneematsch darauf an, wieder zu rutschigem Eis zu werden – was gibt es da Schöneres, als auf dem Sofa zu liegen und bei einer Tasse Tee einen entspannenden Kriminalroman zu lesen? Sicher, alle Kriminalromane sind am Ende entspannend, aber dieser, den das neue Jahr mitgebracht hat, ist es nicht nur am Ende.
Wer sagt eigentlich, scheint sich der Autor nämlich gedacht zu haben, dass ein Kriminalroman den Leser fesseln muss? Ist es nicht viel charmanter, wenn er dem Leser eine eher schwebende Aufmerksamkeit zugesteht und auch abschweifende Gedanken nicht übelnimmt, statt ihn zum Luchs zu machen, der überwach auf alle Hinweise lauert, die zur Auflösung des Falles führen könnten?
„Allmen schlief noch, als Carlos ihm den Tee brachte.“ Carlos ist ein virtuoser ehemaliger Schuhputzer aus Guatemala, der keine englische Herkunft braucht, um als geborener Butler durchzugehen. Allmen ist der Held des Romans. Er heißt mit vollem Namen Johann Friedrich von Allmen, aber obwohl ihn Gianfranco, der Kellner des „Viennois“, scherzhaft „Conte“ nennt, hat er – gut schweizerisch – bäuerliche Vorfahren, die noch Hans und Fritz hießen. Sein Vater ist durch Grundstücksspekulationen reich geworden und hat ihm ein Millionenvermögen hinterlassen. Die Millionen sind dem Sohn rasch abhandengekommen, aber der aufwendige Lebensstil, durch den sie ihm abhandengekommen sind, ist ihm geblieben.
So ist er zum Virtuosen in der Kunst des Schuldenmachens geworden, genießt lebenslanges Wohnrecht im Gartenhaus der ehemals eigenen Villa, die nun einer Treuhandfirma gehört, und führt das Leben eines Müßiggängers, der seine Vormittage im „Viennois“ verbringt, sich nachmittags eine halbe Stunde hinzulegen pflegt und abends in der Goldenbar anzutreffen ist. Es sei denn, er ist auf einer Zauberflöten- oder Madame-Butterfly-Premiere. Denn er hat nur das eine seiner beiden ererbten Opernpremierenabonnements lukrativ untervermietet.
Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter hat diesen Privatier, der das köstlichste aller Glücksgefühle im „Lebenschwänzen“ findet, samt seinem spanischsprechenden Butler als Helden einer künftigen Krimiserie erfunden. Hier, bei ihrem ersten Fall, „Allmen und die Libellen“, sind sie noch Novizen, Anfänger, und der Autor wacht mit rührender Umsicht erstens darüber, dass der Fall nicht allzu knifflig ist, und zweitens darüber, dass ihnen bei der Auflösung nicht allzu viel geschieht.
Bei den Libellen handelt sich um fiktive Doppelgänger der in der wirklichen Schweiz am 27. Oktober 2004 bei einem Einbruch im Château Gingins geraubten, bis heute nicht wieder aufgetauchten kostbaren fünf Glasschalen mit Libellenmotiven des bedeutenden Jugendstil-Künstlers Émile Gallé. Martin Suter spielt diese kostbaren und entsprechend hochversicherten Schalen seinem Helden in der väterlichen Villa der platinblonden, sexhungrigen Opernbekanntschaft Jojo in die Hände. Ja, er hetzt ihm die Dame regelrecht auf den Hals. Aber da sie weder den Helden noch den Autor noch den Leser fesselt, kann sie hier außer Betracht bleiben.
Allmen hat immer schon Art déco und Jugendstil gesammelt, aber das hier ist eine Nummer größer als die Sachen, die er bisher angekauft und – wegen der Schulden – verkauft oder – wegen der Schulden – gelegentlich auch entwendet hat. Immerhin sitzt bald ein Antiquitätenhändler erschossen und ohne Gesicht in seinem Laden. Das aber kann dem Helden nicht passieren. Denn sollte jemand den Umstand ausnützen, dass die im ehemaligen Gewächshaus der Villa untergebrachte Bibliothek des passionierten Lesers Allmen aus Glas ist und aus dem Garten heraus auf ihn anlegen, dann wären da immer noch die aus breitem Messing gefertigten Verstellschnallen der vom selben Schneider wie sein Anzug gefertigten Hosenträger, an denen die Kugel unweigerlich abprallen würde.
Während also der Fall gemessenen Schrittes seiner Auflösung entgegengeht, kann sich die freischwebende Aufmerksamkeit des Lesers den Details zuwenden, die für die Überführung des Mörders gänzlich nutzlos sind. Der schönen Fürsorge zum Beispiel, mit der sein Autor sich darum kümmert, dass Allmen, nachdem er den Laden des toten Antiquitätenhändlers verlassen hat, nicht befürchten muss, Spuren hinterlassen zu haben: „Allmen zog die Handschuhe aus. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er die ganze Zeit Handschuhe getragen hatte.“
Oder dem Unbehagen, das Allmen in modernen Autos erfasst. Er krönt seine durchgestylte Retro-Existenz – zur Oper fährt er in einem gemieteten 1978er Fleetwood Cadillac –, indem er lässige Distanz zu allem Elektronischen wahrt. Computer und Internet delegiert er an Butler Carlos. Als professionelle Wiederbeschaffer verlorener schöner kostbarer Dinge wollen die beiden zu Serienfiguren werden. Man kann nur hoffen, dass sie dem technologischen Niveau des aktuellen Kunst- und Antiquitätengeschäfts und seiner dunklen Seiten gewachsen sein werden.
Der Vielleser Allmen liest Honoré de Balzac, Somerset Maugham und Georges Simenon (sie alle erscheinen auch bei Diogenes) und einen Krimi von Elmore Leonard. Da er Stammgast in Antiquariaten ist, wäre auch ein Krimi von John Dunning Allmen sehr zu empfehlen. Dunnings Cliff Janeway gerät als leidenschaftlicher Antiquar in die Fälle hinein, die ihn, den Ex-Cop, zum Ermittler machen. Für Janeway gilt das Gesetz, das Suter seinem Helden vorerst erspart hat: Dass auch ein Liebhaber der schönen alten Dinge es im Kriminalroman nur zu etwas bringt, wenn er in den Clinch mit der Gegenwart geht und dem Leser während der Lektüre der Tee kalt wird.
LOTHAR MÜLLER
MARTIN SUTER: Allmen und die Libellen. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 208 Seiten, 18,90 Euro.
Manchmal ist es sehr nützlich,
Hosenträger aus solide
gefertigtem Messing zu tragen
„Die Rezeption hatte Anweisung, den Direktor zu benachrichtigen, sobald Herr von Allmen eintraf. Er plauderte ein wenig mit dem Direktor und erzählte ihm von den Bauarbeiten in seiner Villa, die ihn zwangen, für ein paar Tage ins Hotel zu ziehen.“ Martin Suter (oben) lässt seinen Helden gern über seine Verhältnisse leben.
Fotos: plainpicture/Fancy (links), dpa (oben)
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Martin Suter präsentiert seine neue Krimiserie – ihr Held ist ein stilvoller Virtuose des Schuldenmachens
Das Jahr ist noch jung, draußen legt es der Schneematsch darauf an, wieder zu rutschigem Eis zu werden – was gibt es da Schöneres, als auf dem Sofa zu liegen und bei einer Tasse Tee einen entspannenden Kriminalroman zu lesen? Sicher, alle Kriminalromane sind am Ende entspannend, aber dieser, den das neue Jahr mitgebracht hat, ist es nicht nur am Ende.
Wer sagt eigentlich, scheint sich der Autor nämlich gedacht zu haben, dass ein Kriminalroman den Leser fesseln muss? Ist es nicht viel charmanter, wenn er dem Leser eine eher schwebende Aufmerksamkeit zugesteht und auch abschweifende Gedanken nicht übelnimmt, statt ihn zum Luchs zu machen, der überwach auf alle Hinweise lauert, die zur Auflösung des Falles führen könnten?
„Allmen schlief noch, als Carlos ihm den Tee brachte.“ Carlos ist ein virtuoser ehemaliger Schuhputzer aus Guatemala, der keine englische Herkunft braucht, um als geborener Butler durchzugehen. Allmen ist der Held des Romans. Er heißt mit vollem Namen Johann Friedrich von Allmen, aber obwohl ihn Gianfranco, der Kellner des „Viennois“, scherzhaft „Conte“ nennt, hat er – gut schweizerisch – bäuerliche Vorfahren, die noch Hans und Fritz hießen. Sein Vater ist durch Grundstücksspekulationen reich geworden und hat ihm ein Millionenvermögen hinterlassen. Die Millionen sind dem Sohn rasch abhandengekommen, aber der aufwendige Lebensstil, durch den sie ihm abhandengekommen sind, ist ihm geblieben.
So ist er zum Virtuosen in der Kunst des Schuldenmachens geworden, genießt lebenslanges Wohnrecht im Gartenhaus der ehemals eigenen Villa, die nun einer Treuhandfirma gehört, und führt das Leben eines Müßiggängers, der seine Vormittage im „Viennois“ verbringt, sich nachmittags eine halbe Stunde hinzulegen pflegt und abends in der Goldenbar anzutreffen ist. Es sei denn, er ist auf einer Zauberflöten- oder Madame-Butterfly-Premiere. Denn er hat nur das eine seiner beiden ererbten Opernpremierenabonnements lukrativ untervermietet.
Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter hat diesen Privatier, der das köstlichste aller Glücksgefühle im „Lebenschwänzen“ findet, samt seinem spanischsprechenden Butler als Helden einer künftigen Krimiserie erfunden. Hier, bei ihrem ersten Fall, „Allmen und die Libellen“, sind sie noch Novizen, Anfänger, und der Autor wacht mit rührender Umsicht erstens darüber, dass der Fall nicht allzu knifflig ist, und zweitens darüber, dass ihnen bei der Auflösung nicht allzu viel geschieht.
Bei den Libellen handelt sich um fiktive Doppelgänger der in der wirklichen Schweiz am 27. Oktober 2004 bei einem Einbruch im Château Gingins geraubten, bis heute nicht wieder aufgetauchten kostbaren fünf Glasschalen mit Libellenmotiven des bedeutenden Jugendstil-Künstlers Émile Gallé. Martin Suter spielt diese kostbaren und entsprechend hochversicherten Schalen seinem Helden in der väterlichen Villa der platinblonden, sexhungrigen Opernbekanntschaft Jojo in die Hände. Ja, er hetzt ihm die Dame regelrecht auf den Hals. Aber da sie weder den Helden noch den Autor noch den Leser fesselt, kann sie hier außer Betracht bleiben.
Allmen hat immer schon Art déco und Jugendstil gesammelt, aber das hier ist eine Nummer größer als die Sachen, die er bisher angekauft und – wegen der Schulden – verkauft oder – wegen der Schulden – gelegentlich auch entwendet hat. Immerhin sitzt bald ein Antiquitätenhändler erschossen und ohne Gesicht in seinem Laden. Das aber kann dem Helden nicht passieren. Denn sollte jemand den Umstand ausnützen, dass die im ehemaligen Gewächshaus der Villa untergebrachte Bibliothek des passionierten Lesers Allmen aus Glas ist und aus dem Garten heraus auf ihn anlegen, dann wären da immer noch die aus breitem Messing gefertigten Verstellschnallen der vom selben Schneider wie sein Anzug gefertigten Hosenträger, an denen die Kugel unweigerlich abprallen würde.
Während also der Fall gemessenen Schrittes seiner Auflösung entgegengeht, kann sich die freischwebende Aufmerksamkeit des Lesers den Details zuwenden, die für die Überführung des Mörders gänzlich nutzlos sind. Der schönen Fürsorge zum Beispiel, mit der sein Autor sich darum kümmert, dass Allmen, nachdem er den Laden des toten Antiquitätenhändlers verlassen hat, nicht befürchten muss, Spuren hinterlassen zu haben: „Allmen zog die Handschuhe aus. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er die ganze Zeit Handschuhe getragen hatte.“
Oder dem Unbehagen, das Allmen in modernen Autos erfasst. Er krönt seine durchgestylte Retro-Existenz – zur Oper fährt er in einem gemieteten 1978er Fleetwood Cadillac –, indem er lässige Distanz zu allem Elektronischen wahrt. Computer und Internet delegiert er an Butler Carlos. Als professionelle Wiederbeschaffer verlorener schöner kostbarer Dinge wollen die beiden zu Serienfiguren werden. Man kann nur hoffen, dass sie dem technologischen Niveau des aktuellen Kunst- und Antiquitätengeschäfts und seiner dunklen Seiten gewachsen sein werden.
Der Vielleser Allmen liest Honoré de Balzac, Somerset Maugham und Georges Simenon (sie alle erscheinen auch bei Diogenes) und einen Krimi von Elmore Leonard. Da er Stammgast in Antiquariaten ist, wäre auch ein Krimi von John Dunning Allmen sehr zu empfehlen. Dunnings Cliff Janeway gerät als leidenschaftlicher Antiquar in die Fälle hinein, die ihn, den Ex-Cop, zum Ermittler machen. Für Janeway gilt das Gesetz, das Suter seinem Helden vorerst erspart hat: Dass auch ein Liebhaber der schönen alten Dinge es im Kriminalroman nur zu etwas bringt, wenn er in den Clinch mit der Gegenwart geht und dem Leser während der Lektüre der Tee kalt wird.
LOTHAR MÜLLER
MARTIN SUTER: Allmen und die Libellen. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 208 Seiten, 18,90 Euro.
Manchmal ist es sehr nützlich,
Hosenträger aus solide
gefertigtem Messing zu tragen
„Die Rezeption hatte Anweisung, den Direktor zu benachrichtigen, sobald Herr von Allmen eintraf. Er plauderte ein wenig mit dem Direktor und erzählte ihm von den Bauarbeiten in seiner Villa, die ihn zwangen, für ein paar Tage ins Hotel zu ziehen.“ Martin Suter (oben) lässt seinen Helden gern über seine Verhältnisse leben.
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