Mit gemischten Gefühlen begibt sich der jüdische Wissenschaftler Daniel Mond auf Geheiß seines Doktorvaters 1952 von Cambridge aus nach Göttingen, wo der rätselhafte Nachlass eines deutschen Mathematikers lagert, der Mond bei seiner eigenen Arbeit weiterhelfen soll. Auch die Vertreter einiger Geheimdienste interessieren sich für das Geheimnis hinter den Aufzeichnungen: Ein amerikanischer Historiker mit erstaunlich viel Zeit, ein dubioser ehemaliger Wehrmachtsoffizier, ein diabolischer englischer Füsilier und ein Göttinger Mathematiker, der selbst an der Entschlüsselung der Schrift gescheitert ist - sie alle suchen Monds Nähe. Eigentlich ein erklärter Pazifist, freundet dieser sich aber ausgerechnet mit Soldaten eines Panzerregiments an, die in einem Militärmanöver zwischen Bielefeld und Baden-Baden die Kriegsführung nach einem atomaren Angriff üben. Als Mond kurz vor der Vollendung seiner Arbeit in immer merkwürdigere und bedrohlichere Situationen gerät, bittet er seinen Freund Fielding Gray, den Kommandeur der Panzerschwadron, um einen großen Gefallen. - Im aufkommenden Kalten Krieg wird das beschauliche Göttingen zu einem Ort, an dem zwei britische Traditionsregimenter aus ihrer prunkvollen Vergangenheit ins Atomzeitalter taumeln und an dem antikommunistische Amerikaner ebenso mit alten Nazis anbandeln wie britische Antiamerikaner. "Die Säbelschwadron" ist ein unterhaltsamer Roman über den Besitz von Wissen im Kampf der Mächte - und darüber, wie sich althergebrachte Werte und nostalgisch gepflegte Traditionen in der modernen Zeit bewähren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.12.2020Deutscher Spuk
Und schwere Reizstoffe:
Simon Ravens „Säbelschwadron“
Die „Almosen fürs Vergessen“, der zehnbändige Romanzyklus des britischen Autors Simon Raven (1927 bis 2001), der erst jetzt ins Deutsche übersetzt wird, geht weiter. In England war er von 1964 bis 1976 erschienen, im vergangenen Jahr hatte der Elfenbein Verlag einen ersten Band auf Deutsch vorgelegt (SZ vom 7. Juli 2019). Klugerweise folgt man nicht den Erscheinungsdaten der Romane, die unabhängig voneinander lesbar sind, sondern lässt sich von Chronologie und Schauplätzen der Handlungen leiten.
Nach England 1945 („Fielding Gray“) folgt nun Deutschland 1952. Dort ist in Göttingen in der britischen Besatzungszone, nahe am Grenzgebiet zur DDR, unterhalb des aus Goethes „Faust“ (Walpurgisnacht!) bekannten Harzgebirges die titelgebende Säbelschwadron stationiert. Und dort forscht Daniel Mond, ein junger Mathematiker aus Cambridge, im Nachlass eines deutschen Gelehrten. Mond ist Jude und hat allergrößte Schwierigkeiten mit dem kuriosen Gastland – klug hat Raven eine Beobachterposition konstruiert, die ein ebenso witziges wie tiefenscharfes Bild von Nachkriegswestdeutschland eröffnet. Außerdem, „Faust“ winkt aus der Kulisse, enthält der Nachlass womöglich Berechnungen zum Kern der Materie, die unfassbare Zerstörungsmöglichkeiten eröffnen. Wir sind in der Frühzeit der Atombewaffnung, und darum interessieren sich auch die Geheimdienste brennend für Monds Forschungen. Spukhaftes Post-Nazideutschland, Schattenkampf der Agenten, Militärübungen zum Atomkrieg zwischen Kassel und Baden-Baden, ein schaudernder Blick auf die bewaffnete Grenze des Ostblocks: Die Reizstoffe, die Raven für den nicht langen Roman auffährt, sind beträchtlich, fast als wolle er mit der schweren deutschen Küche wetteifern, die er keineswegs ohne Sympathie schildert.
Der ängstliche und keusche Mond – ist er schwul? – flüchtet sich vor den geheimdienstlichen Nachstellungen in die Männergesellschaft der britischen Panzerfahrer und trifft dort auf Fielding Gray, den glamourösen Helden des zuerst übersetzten Romans. Ein Showdown ist garantiert, der nächste Band des Zyklus ist schon angekündigt, eine deutsche Raven-Gemeinde längst etabliert.
GUSTAV SEIBT
Simon Raven: Die Säbelschwadron. Roman (Almosen fürs Vergessen, Band 3). Aus dem Englischen von Sabine Franke. Elfenbein Verlag, Berlin 2020. 280 Seiten, 22 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Und schwere Reizstoffe:
Simon Ravens „Säbelschwadron“
Die „Almosen fürs Vergessen“, der zehnbändige Romanzyklus des britischen Autors Simon Raven (1927 bis 2001), der erst jetzt ins Deutsche übersetzt wird, geht weiter. In England war er von 1964 bis 1976 erschienen, im vergangenen Jahr hatte der Elfenbein Verlag einen ersten Band auf Deutsch vorgelegt (SZ vom 7. Juli 2019). Klugerweise folgt man nicht den Erscheinungsdaten der Romane, die unabhängig voneinander lesbar sind, sondern lässt sich von Chronologie und Schauplätzen der Handlungen leiten.
Nach England 1945 („Fielding Gray“) folgt nun Deutschland 1952. Dort ist in Göttingen in der britischen Besatzungszone, nahe am Grenzgebiet zur DDR, unterhalb des aus Goethes „Faust“ (Walpurgisnacht!) bekannten Harzgebirges die titelgebende Säbelschwadron stationiert. Und dort forscht Daniel Mond, ein junger Mathematiker aus Cambridge, im Nachlass eines deutschen Gelehrten. Mond ist Jude und hat allergrößte Schwierigkeiten mit dem kuriosen Gastland – klug hat Raven eine Beobachterposition konstruiert, die ein ebenso witziges wie tiefenscharfes Bild von Nachkriegswestdeutschland eröffnet. Außerdem, „Faust“ winkt aus der Kulisse, enthält der Nachlass womöglich Berechnungen zum Kern der Materie, die unfassbare Zerstörungsmöglichkeiten eröffnen. Wir sind in der Frühzeit der Atombewaffnung, und darum interessieren sich auch die Geheimdienste brennend für Monds Forschungen. Spukhaftes Post-Nazideutschland, Schattenkampf der Agenten, Militärübungen zum Atomkrieg zwischen Kassel und Baden-Baden, ein schaudernder Blick auf die bewaffnete Grenze des Ostblocks: Die Reizstoffe, die Raven für den nicht langen Roman auffährt, sind beträchtlich, fast als wolle er mit der schweren deutschen Küche wetteifern, die er keineswegs ohne Sympathie schildert.
Der ängstliche und keusche Mond – ist er schwul? – flüchtet sich vor den geheimdienstlichen Nachstellungen in die Männergesellschaft der britischen Panzerfahrer und trifft dort auf Fielding Gray, den glamourösen Helden des zuerst übersetzten Romans. Ein Showdown ist garantiert, der nächste Band des Zyklus ist schon angekündigt, eine deutsche Raven-Gemeinde längst etabliert.
GUSTAV SEIBT
Simon Raven: Die Säbelschwadron. Roman (Almosen fürs Vergessen, Band 3). Aus dem Englischen von Sabine Franke. Elfenbein Verlag, Berlin 2020. 280 Seiten, 22 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kurz, aber wohlwollend bespricht Rezensent Gustav Seibt diesen Roman, der Teil des zehnbändigen Zyklus "Almosen fürs Vergessen" ist. "Die Säbelschwadron" ist der zweite nun auf Deutsch vorliegende Band und spielt in Göttingen in der frühen Nachkriegszeit. Der Roman ist nicht lang, aber alles kommt vor: Die neue Atombewaffnung die zwiespältigen Gefühle des jüdischen Protagonisten gegenüber Nachkriegsdeutschland, der Kalte Krieg. Seibt scheint sich gut unterhalten zu haben und zählt sich zur "deutschen Raven-Gemeinde", die sich längst etabliert habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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