Ein Schriftsteller geht durch eine alte Bibliothek. Er will mehr wissen über die Anfänge des Menschen, über seinen Eintritt in die Welt und die Zeit. Wie war sein Weg von den frühen Höhlenmalereien bis zu den ersten Schriftzeichen? Wann entstanden die ersten Geschichten und aus den Geschichten die Erinnerung und aus der Erinnerung die Vergangenheit? Und wie sahen die ersten Städte aus, wie das fünftausend Jahre alte Uruk, das schon Bibliotheken aus Tontafeln kannte?
Dieter Fortes Buch steht am Ende eines lebenslangen Nachdenkens über den Menschen. Wo kommt er her? Was macht ihn aus? Was kann er wirklich über die Welt wissen? Es ist eine bewegende Beschwörung der Sprache, unserer größten Errungenschaft. Wenn wir sie verlieren, verlieren wir die Welt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Dieter Fortes Buch steht am Ende eines lebenslangen Nachdenkens über den Menschen. Wo kommt er her? Was macht ihn aus? Was kann er wirklich über die Welt wissen? Es ist eine bewegende Beschwörung der Sprache, unserer größten Errungenschaft. Wenn wir sie verlieren, verlieren wir die Welt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Dieter Forte bittet zur Entdeckungsreise.Seiner Sprache, seinem Weg folgt man gern. Augsburger Allgemeine 20190710
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2019Wer befreit die Menschheit von den Göttern?
Die Bibliothek als Sternhimmel: Dieter Forte erzählt vom Urgesetz der Buchhaltung, gewitzt Motive seiner Vorgänger aufgreifend
Äußerlich schmal, inhaltlich überreich, erinnert das letzte Buch des am vergangenen Montag verstorbenen Dieter Forte an überlieferte Schöpfungsmythen; es beschreibt darüber hinaus die Geschichte der Entstehung und der Funktionen der menschlichen Sprache vom bloßen Benennen über das Mitteilen bis hin zum poetischen Erzählen; und es ist schließlich ein hinreißender Hymnus auf die uralte Institution der Bibliothek: Sie "ist der Sternenhimmel des Menschen, sein Universum, so unendlich wie das Weltall".
Und das alles auf knapp 100 Seiten in 24 kurzen Abschnitten, die teils essayistisch, teils erzählerisch einen Besucher bei seiner Erkundung einer fiktiven Bibliothek und im gelehrt unterrichtenden Gespräch mit den Bibliotheksmitarbeitern begleiten. Dieser Besucher will ein Buch über die Menschheitswerdung und Welterschaffung schreiben. "Verehrtester, wie wollen Sie das schreiben, diese Menschheitswerdung, diese Welterschaffung. Als Legende vom Aufstieg der Menschheit? Als glückhafter Moment der Vollendung in der Kunst? Als wiederholter Absturz in die Barbarei? Oder als ein Märchen aus der Rumpelkammer unserer Erinnerungen?", fragt ihn ein Bibliothekar, und der Schriftsteller antwortet, bescheiden und anspruchsvoll zugleich: "Als eine Erzählung, die es wert ist, in ein Buch geschrieben zu werden."
Dieses Buch haben wir mit Fortes Erzählung vor uns, und die hochgebildeten Gesprächspartner, die der Schriftsteller bei seinen Recherchen antrifft, tragen nicht unwesentlich zu seinem Gelingen bei. Sie, vor allem der Bibliothekar, versorgen ihn mit ihren ausgedehnten Kenntnissen, mit Lesetipps und mit entschiedenen Wertungen. So bezeichnet er Hesiod, den Verfasser der "Theogonia", als "Märchenonkel" und "Hochstapler", weil er allzu viele Götter erfunden habe, und preist den Lukrez, weil dieser mit seiner Schrift "De rerum natura" "die Menschen von den Göttern befreite und die Welt mit Vernunft erklärte". Das höchste Lob aber erhält Milton, der mit seinem "Paradise Lost" die "großartigste Erzählung" verfasst habe, "die man in dieser Welt hören kann".
Dieser Bibliothekar, so meinen viele, "sei blind, man merke es nur nicht, weil er alle Bücher im Kopf habe und mit diesem Kompass wie ein Schiff durch den Nebel fahre". Der blinde Bibliothekar - das ist fast schon ein Topos, den Forte bedient. Man soll an den erblindeten Bibliotheksdirektor Jorge Luis Borges denken, von dem Horst Bienek in seinem Nachruf auf Borges gesagt hat: "Der Blinde in der Bibliothek. Das ist mehr als nur eine Metapher. Die ganze Welt war ihm eine Bibliothek. Er las darin auch mit geschlossenen Augen." In Borges' verspielt-raffiniertem Prosaglanzstück "Die Bibliothek von Babel" bekennt der Erzähler: "Jetzt können meine Augen kaum mehr entziffern, was ich schreibe." Und in Anspielung auf Borges hat Umberto Eco seinem greisen blinden Mönch und Bibliothekar, der seine Mitbrüder vor der unmittelbar bevorstehenden Ankunft des Antichrists warnt, in seinem Roman "Der Name der Rose" bekanntlich den Namen Jorge von Burgos gegeben.
Dieter Forte fügt sich souverän, gelehrt und vergnüglich in die Reihe der bedeutenden Bibliothekserzählungen der jüngeren Literatur ein, wobei er Themen und Motive seiner Vorgänger aufgreift, variiert und weiterführt. Das gilt beispielsweise für das Interesse an der Rätselhaftigkeit der kabbalistischen Literatur und an dem vermeintlich vorbildlichen Prinzip der geistigen Ordnung in der Bibliothek, das sich der General Stumm in Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" nur als militärische Ordnung vorstellen kann.
Ebenso gilt es für die hierarchisch gegliederten Baupläne der Bibliothek: Bei Borges ist es die unendliche Anzahl sechseckiger Galerien, bei Forte "eine Art Piranesi-Architektur", die über steile Treppen bis unter das Dach der Bibliothek führt, wo der Mythenschreiber seinen Platz hat. Er "sah aus wie der Büchernarr in Sebastian Brants Narrenschiff". Dort allerdings, bei Sebastian Brant, wird er als Bibliomane gezeigt und beschrieben, der die Bücher hortet und liebt, sie aber nicht liest und nicht versteht, sondern lediglich damit beschäftigt ist, lästige Fliegen von ihnen wegzuwedeln. Dafür hängt ihm, der eine große Brille und eine Schlafmütze trägt, die Narrenkappe im Nacken. Bei Dieter Forte dagegen thront der Mythenschreiber im obersten Geschoss unterm Dach und formuliert unter dem herabhängenden Jakobsstab seine mythische Wahrheit: "Seit es uns gibt, erzählen wir". Mit dieser optimistischen Botschaft, allen Weltuntergangsszenarien zum Trotz, unterscheidet sich Forte gründlich von seinen Vorgängern.
Seine Bibliothek ist der Ort, an dem die "Ordnung der Sprache, die unser Denken bestimmt" , zu Hause ist. In ihr wird bewahrt, was den Menschen zum Herrn der Welt gemacht hat: seine Bemächtigung der Welt durch Sprache. "Die Sprache gab den Menschen Macht. Macht braucht Buchhaltung, das Urgesetz, das allen anderen Gesetzen vorausgeht. Auch heute noch. Jede Regierung stützt sich auf die Buchhaltung", heißt es.
Mit solchen Thesen kommt Dieter Forte auf sein weltweit erfolgreiches Theaterstück "Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung" zurück. Schwarz, Jakob Fuggers Hauptbuchhalter, erklärt darin dem Kaiser Maximilian: "Die Buchhaltung ist die Seele des Kapitals". An die Stelle der Selbstentlarvung des Kapitalismus von einst tritt nun bei Forte die anthropologische Größe einer menschlichen Lebensform des Erzählens. Gesellschaftssysteme mögen vergehen, das Urgesetz der Buchhaltung bleibt bestehen.
WULF SEGEBRECHT
Dieter Forte: "Als der Himmel noch nicht benannt war".
S. Fischer Verlag. Frankfurt 2019. 95 S., geb. 17,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Bibliothek als Sternhimmel: Dieter Forte erzählt vom Urgesetz der Buchhaltung, gewitzt Motive seiner Vorgänger aufgreifend
Äußerlich schmal, inhaltlich überreich, erinnert das letzte Buch des am vergangenen Montag verstorbenen Dieter Forte an überlieferte Schöpfungsmythen; es beschreibt darüber hinaus die Geschichte der Entstehung und der Funktionen der menschlichen Sprache vom bloßen Benennen über das Mitteilen bis hin zum poetischen Erzählen; und es ist schließlich ein hinreißender Hymnus auf die uralte Institution der Bibliothek: Sie "ist der Sternenhimmel des Menschen, sein Universum, so unendlich wie das Weltall".
Und das alles auf knapp 100 Seiten in 24 kurzen Abschnitten, die teils essayistisch, teils erzählerisch einen Besucher bei seiner Erkundung einer fiktiven Bibliothek und im gelehrt unterrichtenden Gespräch mit den Bibliotheksmitarbeitern begleiten. Dieser Besucher will ein Buch über die Menschheitswerdung und Welterschaffung schreiben. "Verehrtester, wie wollen Sie das schreiben, diese Menschheitswerdung, diese Welterschaffung. Als Legende vom Aufstieg der Menschheit? Als glückhafter Moment der Vollendung in der Kunst? Als wiederholter Absturz in die Barbarei? Oder als ein Märchen aus der Rumpelkammer unserer Erinnerungen?", fragt ihn ein Bibliothekar, und der Schriftsteller antwortet, bescheiden und anspruchsvoll zugleich: "Als eine Erzählung, die es wert ist, in ein Buch geschrieben zu werden."
Dieses Buch haben wir mit Fortes Erzählung vor uns, und die hochgebildeten Gesprächspartner, die der Schriftsteller bei seinen Recherchen antrifft, tragen nicht unwesentlich zu seinem Gelingen bei. Sie, vor allem der Bibliothekar, versorgen ihn mit ihren ausgedehnten Kenntnissen, mit Lesetipps und mit entschiedenen Wertungen. So bezeichnet er Hesiod, den Verfasser der "Theogonia", als "Märchenonkel" und "Hochstapler", weil er allzu viele Götter erfunden habe, und preist den Lukrez, weil dieser mit seiner Schrift "De rerum natura" "die Menschen von den Göttern befreite und die Welt mit Vernunft erklärte". Das höchste Lob aber erhält Milton, der mit seinem "Paradise Lost" die "großartigste Erzählung" verfasst habe, "die man in dieser Welt hören kann".
Dieser Bibliothekar, so meinen viele, "sei blind, man merke es nur nicht, weil er alle Bücher im Kopf habe und mit diesem Kompass wie ein Schiff durch den Nebel fahre". Der blinde Bibliothekar - das ist fast schon ein Topos, den Forte bedient. Man soll an den erblindeten Bibliotheksdirektor Jorge Luis Borges denken, von dem Horst Bienek in seinem Nachruf auf Borges gesagt hat: "Der Blinde in der Bibliothek. Das ist mehr als nur eine Metapher. Die ganze Welt war ihm eine Bibliothek. Er las darin auch mit geschlossenen Augen." In Borges' verspielt-raffiniertem Prosaglanzstück "Die Bibliothek von Babel" bekennt der Erzähler: "Jetzt können meine Augen kaum mehr entziffern, was ich schreibe." Und in Anspielung auf Borges hat Umberto Eco seinem greisen blinden Mönch und Bibliothekar, der seine Mitbrüder vor der unmittelbar bevorstehenden Ankunft des Antichrists warnt, in seinem Roman "Der Name der Rose" bekanntlich den Namen Jorge von Burgos gegeben.
Dieter Forte fügt sich souverän, gelehrt und vergnüglich in die Reihe der bedeutenden Bibliothekserzählungen der jüngeren Literatur ein, wobei er Themen und Motive seiner Vorgänger aufgreift, variiert und weiterführt. Das gilt beispielsweise für das Interesse an der Rätselhaftigkeit der kabbalistischen Literatur und an dem vermeintlich vorbildlichen Prinzip der geistigen Ordnung in der Bibliothek, das sich der General Stumm in Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" nur als militärische Ordnung vorstellen kann.
Ebenso gilt es für die hierarchisch gegliederten Baupläne der Bibliothek: Bei Borges ist es die unendliche Anzahl sechseckiger Galerien, bei Forte "eine Art Piranesi-Architektur", die über steile Treppen bis unter das Dach der Bibliothek führt, wo der Mythenschreiber seinen Platz hat. Er "sah aus wie der Büchernarr in Sebastian Brants Narrenschiff". Dort allerdings, bei Sebastian Brant, wird er als Bibliomane gezeigt und beschrieben, der die Bücher hortet und liebt, sie aber nicht liest und nicht versteht, sondern lediglich damit beschäftigt ist, lästige Fliegen von ihnen wegzuwedeln. Dafür hängt ihm, der eine große Brille und eine Schlafmütze trägt, die Narrenkappe im Nacken. Bei Dieter Forte dagegen thront der Mythenschreiber im obersten Geschoss unterm Dach und formuliert unter dem herabhängenden Jakobsstab seine mythische Wahrheit: "Seit es uns gibt, erzählen wir". Mit dieser optimistischen Botschaft, allen Weltuntergangsszenarien zum Trotz, unterscheidet sich Forte gründlich von seinen Vorgängern.
Seine Bibliothek ist der Ort, an dem die "Ordnung der Sprache, die unser Denken bestimmt" , zu Hause ist. In ihr wird bewahrt, was den Menschen zum Herrn der Welt gemacht hat: seine Bemächtigung der Welt durch Sprache. "Die Sprache gab den Menschen Macht. Macht braucht Buchhaltung, das Urgesetz, das allen anderen Gesetzen vorausgeht. Auch heute noch. Jede Regierung stützt sich auf die Buchhaltung", heißt es.
Mit solchen Thesen kommt Dieter Forte auf sein weltweit erfolgreiches Theaterstück "Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung" zurück. Schwarz, Jakob Fuggers Hauptbuchhalter, erklärt darin dem Kaiser Maximilian: "Die Buchhaltung ist die Seele des Kapitals". An die Stelle der Selbstentlarvung des Kapitalismus von einst tritt nun bei Forte die anthropologische Größe einer menschlichen Lebensform des Erzählens. Gesellschaftssysteme mögen vergehen, das Urgesetz der Buchhaltung bleibt bestehen.
WULF SEGEBRECHT
Dieter Forte: "Als der Himmel noch nicht benannt war".
S. Fischer Verlag. Frankfurt 2019. 95 S., geb. 17,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main