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Produktdetails
  • Verlag: Schirmer/Mosel
  • ISBN-13: 9783888145544
  • ISBN-10: 3888145546
  • Artikelnr.: 27181211
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2000

Die Ruhe im Ruhrgebiet
Fotografien von Horst Lang

Zwei kleine Mädchen schieben einen Kinderwagen über eine menschenleere Straße. Beine in dicken Wollstrumpfhosen schauen unter den Mänteln hervor, Füße stecken in festen Schuhen, auf Kinderköpfen sitzen kochtopfartige Hüte. Im Vordergrund des Bildes sieht man die Eckkneipe "Louise-Platz", hinter dem Lagerhaus am Ende der Straße ragen zwei Fördertürme in die Höhe. Nichts verrät dem Betrachter, wann die Fotografie entstanden ist. Jahrhundertwende? Zwanziger oder doch eher dreißiger Jahre? Die gedämpfte, fast leblose Atmosphäre des Bildes, die scheinbar still stehenden großen Räder der Fördertürme, die einsame Straße, die verlassen wirkende Eckkneipe. all dies scheint auf die Endphase der Weimarer Republik hinzudeuten: ein Arbeiterviertel in Agonie.

Tatsächlich stammt das Bild, das Horst Lang in der Essener Luisenstraße aufgenommen hat, aus den frühen sechziger Jahren, als im Ruhrgebiet zweihundert Zechen förderten und nahezu Vollbeschäftigung herrschte. Dass diese Welt der Zechen und Malocher zwischen Duisburg, Oberhausen, Gelsenkirchen, Bottrop und Essen zum Untergang bestimmt war und schon dreißig Jahre später fast vollständig verschwunden sein würde, konnte der damalige Polizeifotograf Lang nicht wissen. Dennoch wirken seine Arbeiten, die aufgenommen wurden, als "der Pott noch kochte", wie ein Nachruf zu Lebzeiten: In einer der größten und vitalsten Industrielandschaften der damaligen Welt entstanden Bilder der Melancholie, nüchterne, neu-sachliche Stilleben mit Fördertürmen, Zufallsporträts über Kopfsteinpflaster heimwärts schlendernder Arbeiter.

Lang, 1931 in Essen geboren, ein Einzelgänger, der mit Albert Renger-Patzsch gut bekannt war und von Bernd und Hilla Becher gefördert wird, ist im Ruhrbiet aufgewachsen, sein Blick ist der des Einheimischen, der die Welt dokumentiert, in der er lebt: liebevoll, aber ohne Pathos. Dass von den überwiegend lakonischen Aufnahmen heute etwas anrührend Wehmütiges ausgeht, liegt vor allem daran, dass Lang der Industrielandschaft immer wieder beschauliche Momente abgewinnt und im Schatten der Hochöfen und Fördertürme Reste einer Welt ohne Lärm, Hast und Hetze entdeckt. Auf den heutigen Betrachter wirken nicht wenige dieser beeindruckenden Fotografien wie Bilder aus einem zeitlosen Zwischenreich. Sie zeigen Kulissen eines Stücks, das nicht mehr auf dem Spielplan steht. (Horst Lang: ". . . als der Pott noch kochte". Fotografien aus dem Ruhrgebiet. Mit einem Text von Andreas Rossmann. Schirmer/Mosel Verlag, München 2000. 160 S., 91 Duotone-Tafeln, geb., 49,80 DM.)

HUBERT SPIEGEL

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Brigitte Werneburg zeigt sich äußerst fasziniert von diesem Band des ehemaligen Tatort-Fotografen der Essener Polizei und stellt diesen Band in eine Reihe mit den "großen Ruhrgebietsdokumentationen von August Sander, Albert Renger-Patsch, Chargesheimer und Bernd und Hilla Becher". Die Rezensentin weist darauf hin, dass Langs Schwarzweiss-Aufnahmen in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren entstanden sind und durch ihren "suggestiven, gleichwohl unsentimentalen und stark journalistisch inspirierten" Stil bestechen.

© Perlentaucher Medien GmbH