Winter isn't coming! Schafsfell statt Umhang, Kuhglocken statt Rüstung - der Kurent war schon ein europäischer Superheld, bevor die Figur des Superhelden erfunden wurde. Ein mythisches Wesen, das mit schauriger Maske und zotteligem Fell in vielen Regionen Europas zur Karnevalszeit auftaucht. Ales Steger erweckt es zum Leben und konfrontiert es mit den Problemen unserer Zeit.Seit jeher vertreibt der Kurent den Winter, damit es Frühling werden kann. Doch dann bleibt auf einmal der Winter aus, und es legt sich Dürre über das Land. Als die Menschen kaum noch wissen, wie es ist, in einer Welt mit Jahreszeiten zu leben und wer der Kurent war, kehrt er zurück, um den Winter zu befreien. Er entdeckt, dass der habgierige Fabrikant Heller mit seiner Eisfabrik für den unaufhörlichen Sommer verantwortlich ist. Ein Buch, das virtuos und spannungsvoll vom Einfluss des Menschen auf die Umwelt und den Folgen der Erderwärmung erzählt.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Michael Schmitt lobt das Fehlen von Alarmismus in Ales Stegers Buch über das Ausbleiben des Winters und damit auch des sagenhaften Kurents, einer wolligen, magischen Gestalt, die dereinst die Kälte vertrieb. Wie Steger sein Thema gleichermaßen mit Realismus und Magie anreichert, mit satirischen Elementen, Action und Humor, das macht das Buch laut Schmitt zur Lektüre für jede Altersklasse. Im Vordergrund steht hier sowieso das Vergnügen, und sei es das an einer gelungenen Erzählung, und kein kämpferischer Aktivismus, stellt Schmitt fest.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.01.2023Held im Schafspelz
In „Als der Winter verschwand“ kehrt eine uralte Sagengestalt zurück und bekämpft den Klimawandel
In der slowenischen Stadt Ptuj wird seit 1960 Jahr für Jahr ein paar Tage vor Aschermittwoch in Gestalt eines lärmenden Karnevalsumzugs der Winter ausgetrieben. Die sagenhafte Gestalt, die dabei für altes Brauchtum und neuen Rummel Pate steht, ist der Kurent, eine wüste Figur, überlebensgroß, die, in Schaffelle gekleidet und ausgestattet mit magischen Kräften, dem Frühling den Weg ebnet. Um diesen Charakter herum hat der slowenische Schriftsteller, Lyriker und Übersetzer Aleš Šteger eine nicht minder wilde Geschichte erfunden, hat eine uralte Überlieferung aufgegriffen und die traditionelle Erzählung spielerisch mit brisanten Themen wie Klimawandel oder Atomenergie aufgeladen und in die Gegenwart fortgeschrieben.
Reduziert man das auf einen Plot, dann erzählt „Als der Winter verschwand“ im Kern die Geschichte eines ökologischen und technischen Desasters mit bekannten Motiven: Als die Winter noch richtige Winter waren und den Menschen hart zusetzten, zog der Kurent als rauer und düsterer Geselle umher, läutete Glocken, die er aus Kuhställen entwendet hatte, und vertrieb so Kälte und Schnee. Als die Winter dann irgendwann ausbleiben, es immer wärmer wird und die Gegend sich in eine Art von Halbwüste verwandelt, verschwindet auch der Kurent – denn die Sagengestalt und die kalte Jahreszeit gehören zusammen, das eine ist ohne das andere nicht vorstellbar.
Für die neue Zeit, die diese Veränderungen mit sich bringt, stehen in Štegers Geschichte zunächst eine gewaltige Fabrik für Speiseeis, deren Besitzer über die Kräfte eines Hexers verfügt und skrupellos seine Umsätze steigern möchte. Zusätzlich, am Ende einer Kette unglücklicher Ereignisse, droht dann auch noch ein Atomreaktor durchzubrennen. Gegen beide Gefahren tritt der Kurent als fast vergessene, fremdgewordene, aber zurückgekehrte Heldengestalt an, nunmehr mit Müll und Elektroschrott gerüstet und nicht mehr mit den Kuhglocken einer längst vergangenen Zeit.
Packend an diesem Buch, das Matthias Göritz aus dem Slowenischen ins Deutsche übertragen hat, ist aber nicht nur der Plot, sondern auch die kunstvolle Art, in der die Erzählweise Štegers und die großformatigen, meist in düsterem Blau angelegten Illustrationen der slowenischen Künstlerin Tina Dobrajc ineinandergreifen. Anekdotisch knapp springt der Roman von Handlungsort zu Handlungsort, führt den Kurent von alten eingeschneiten Hütten bis zu modernen Diskotheken oder mitten unter eine Rockerbande. Die Bilder, die Tina Dobrajc dazu entwirft, nutzen diesen Resonanzraum, den die Sätze öffnen, füllen ihn mal mit Szenen des Schreckens, mal mit Melancholie oder mit einer Einsamkeit, die fast allen Charakteren im Buch eigen ist.
Realismus im Detail, Volksglaube und Magie verschmelzen, der Roman schert sich nicht um einen einheitlichen Duktus, er lässt sich auch kaum einem bestimmten Lesealter zuordnen – zu vielfältig sind die Anlehnungen, von der Sage als Rahmen bis zur Fast-Apokalypse, von Humor und bissiger Satire bis zu Action-Elementen. Altersunabhängige Neugier ist vielleicht der beste Schlüssel zum Vergnügen an diesem Buch, eine Kampfschrift für zeitgenössische Aktivistinnen und Aktivisten ist es jedenfalls nicht, auch wenn es deren Themen mit Sympathie aufgreift und eigenwillig ausgestaltet.
In das übrige Werk von Aleš Šteger fügt sich „Als der Winter verschwand“ damit nahtlos ein, steht etwa neben seinem Projekt „Logbuch der Gegenwart“ für das er immer wieder auf Reisen ist, ohne sich durch Recherchen vorab den Blick für Orte oder Menschen zu verstellen. Oder neben dem skeptisch-satirischen Near-Future-Roman „Neverend“ (2017, dt. 2021) über das aktuelle Slowenien, in dem Erzählkonventionen auch nicht allzu wichtig genommen werden. „Alarmismus hat seine Berechtigung, aber Weltuntergangsnarrative bringen nichts“, – so wurde vor Kurzem in der SZ der Wissenschaftler Olaf Eisen zitiert, der sich mit dem Abschmelzen der Gletscher in der Antarktis beschäftigt. Über „Als der Winter verschwand“ lässt sich vielleicht etwas Ähnliches sagen: Aufmerksamkeit für Verluste und Gefahren ist unerlässlich, aber gelungene Erzählungen können Ängste bannen – mehr kann man von Literatur kaum verlangen.
MICHAEL SCHMITT
Aufmerksamkeit für Gefahren ist
wichtig, aber gelungene
Erzählungen bannen Ängste
Aleš Šteger: Als der Winter verschwand. Illustriert von Tina
Dobrajc. Aus dem
Slowenischen von
Matthias Göritz. Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 2022, 176 Seiten,
18 Euro. Ab 10 Jahren.
Der Kurent ist eine wüste Figur, in Schaffelle gekleidet, mit magischen Kräften.
Bild: Tina Dobrajc/Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In „Als der Winter verschwand“ kehrt eine uralte Sagengestalt zurück und bekämpft den Klimawandel
In der slowenischen Stadt Ptuj wird seit 1960 Jahr für Jahr ein paar Tage vor Aschermittwoch in Gestalt eines lärmenden Karnevalsumzugs der Winter ausgetrieben. Die sagenhafte Gestalt, die dabei für altes Brauchtum und neuen Rummel Pate steht, ist der Kurent, eine wüste Figur, überlebensgroß, die, in Schaffelle gekleidet und ausgestattet mit magischen Kräften, dem Frühling den Weg ebnet. Um diesen Charakter herum hat der slowenische Schriftsteller, Lyriker und Übersetzer Aleš Šteger eine nicht minder wilde Geschichte erfunden, hat eine uralte Überlieferung aufgegriffen und die traditionelle Erzählung spielerisch mit brisanten Themen wie Klimawandel oder Atomenergie aufgeladen und in die Gegenwart fortgeschrieben.
Reduziert man das auf einen Plot, dann erzählt „Als der Winter verschwand“ im Kern die Geschichte eines ökologischen und technischen Desasters mit bekannten Motiven: Als die Winter noch richtige Winter waren und den Menschen hart zusetzten, zog der Kurent als rauer und düsterer Geselle umher, läutete Glocken, die er aus Kuhställen entwendet hatte, und vertrieb so Kälte und Schnee. Als die Winter dann irgendwann ausbleiben, es immer wärmer wird und die Gegend sich in eine Art von Halbwüste verwandelt, verschwindet auch der Kurent – denn die Sagengestalt und die kalte Jahreszeit gehören zusammen, das eine ist ohne das andere nicht vorstellbar.
Für die neue Zeit, die diese Veränderungen mit sich bringt, stehen in Štegers Geschichte zunächst eine gewaltige Fabrik für Speiseeis, deren Besitzer über die Kräfte eines Hexers verfügt und skrupellos seine Umsätze steigern möchte. Zusätzlich, am Ende einer Kette unglücklicher Ereignisse, droht dann auch noch ein Atomreaktor durchzubrennen. Gegen beide Gefahren tritt der Kurent als fast vergessene, fremdgewordene, aber zurückgekehrte Heldengestalt an, nunmehr mit Müll und Elektroschrott gerüstet und nicht mehr mit den Kuhglocken einer längst vergangenen Zeit.
Packend an diesem Buch, das Matthias Göritz aus dem Slowenischen ins Deutsche übertragen hat, ist aber nicht nur der Plot, sondern auch die kunstvolle Art, in der die Erzählweise Štegers und die großformatigen, meist in düsterem Blau angelegten Illustrationen der slowenischen Künstlerin Tina Dobrajc ineinandergreifen. Anekdotisch knapp springt der Roman von Handlungsort zu Handlungsort, führt den Kurent von alten eingeschneiten Hütten bis zu modernen Diskotheken oder mitten unter eine Rockerbande. Die Bilder, die Tina Dobrajc dazu entwirft, nutzen diesen Resonanzraum, den die Sätze öffnen, füllen ihn mal mit Szenen des Schreckens, mal mit Melancholie oder mit einer Einsamkeit, die fast allen Charakteren im Buch eigen ist.
Realismus im Detail, Volksglaube und Magie verschmelzen, der Roman schert sich nicht um einen einheitlichen Duktus, er lässt sich auch kaum einem bestimmten Lesealter zuordnen – zu vielfältig sind die Anlehnungen, von der Sage als Rahmen bis zur Fast-Apokalypse, von Humor und bissiger Satire bis zu Action-Elementen. Altersunabhängige Neugier ist vielleicht der beste Schlüssel zum Vergnügen an diesem Buch, eine Kampfschrift für zeitgenössische Aktivistinnen und Aktivisten ist es jedenfalls nicht, auch wenn es deren Themen mit Sympathie aufgreift und eigenwillig ausgestaltet.
In das übrige Werk von Aleš Šteger fügt sich „Als der Winter verschwand“ damit nahtlos ein, steht etwa neben seinem Projekt „Logbuch der Gegenwart“ für das er immer wieder auf Reisen ist, ohne sich durch Recherchen vorab den Blick für Orte oder Menschen zu verstellen. Oder neben dem skeptisch-satirischen Near-Future-Roman „Neverend“ (2017, dt. 2021) über das aktuelle Slowenien, in dem Erzählkonventionen auch nicht allzu wichtig genommen werden. „Alarmismus hat seine Berechtigung, aber Weltuntergangsnarrative bringen nichts“, – so wurde vor Kurzem in der SZ der Wissenschaftler Olaf Eisen zitiert, der sich mit dem Abschmelzen der Gletscher in der Antarktis beschäftigt. Über „Als der Winter verschwand“ lässt sich vielleicht etwas Ähnliches sagen: Aufmerksamkeit für Verluste und Gefahren ist unerlässlich, aber gelungene Erzählungen können Ängste bannen – mehr kann man von Literatur kaum verlangen.
MICHAEL SCHMITT
Aufmerksamkeit für Gefahren ist
wichtig, aber gelungene
Erzählungen bannen Ängste
Aleš Šteger: Als der Winter verschwand. Illustriert von Tina
Dobrajc. Aus dem
Slowenischen von
Matthias Göritz. Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 2022, 176 Seiten,
18 Euro. Ab 10 Jahren.
Der Kurent ist eine wüste Figur, in Schaffelle gekleidet, mit magischen Kräften.
Bild: Tina Dobrajc/Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de