Die verdrängten Verbrechen am Ende des Krieges
Die Soldaten, die am Ende des Zweiten Weltkriegs Deutschland von der nationalsozialistischen Herrschaft befreiten, brachten für viele Frauen neues Leid. Zahllose Mädchen und Frauen (und auch etliche Männer) wurden Opfer sexueller Gewalt, überall im Land.
Denn entgegen der weit verbreiteten Vorstellung wurden nicht nur »die Russen« zu Tätern, sondern auch Amerikaner, Franzosen und Briten. Auf Basis vieler neuer Quellen umreißt Miriam Gebhardt erstmals historisch fundiert das Ausmaß der Gewalt bei Kriegsende und in der Besatzungszeit. Zugleich beschreibt sie eindrücklich, wie die vergewaltigten Frauen in späteren Jahren immer wieder zu Opfern wurden: von Ärzten, die Abtreibungen willkürlich befürworteten oder ablehnten, von Sozialfürsorgern, die Schwangere in Heime steckten, von Juristen, die Entschädigungen verweigerten. Und nicht zuletzt von einer Gesellschaft, die bis in unsere Tage die massenhaft verübten Verbrechen am liebsten beschweigen und verdrängen würde.
Die Soldaten, die am Ende des Zweiten Weltkriegs Deutschland von der nationalsozialistischen Herrschaft befreiten, brachten für viele Frauen neues Leid. Zahllose Mädchen und Frauen (und auch etliche Männer) wurden Opfer sexueller Gewalt, überall im Land.
Denn entgegen der weit verbreiteten Vorstellung wurden nicht nur »die Russen« zu Tätern, sondern auch Amerikaner, Franzosen und Briten. Auf Basis vieler neuer Quellen umreißt Miriam Gebhardt erstmals historisch fundiert das Ausmaß der Gewalt bei Kriegsende und in der Besatzungszeit. Zugleich beschreibt sie eindrücklich, wie die vergewaltigten Frauen in späteren Jahren immer wieder zu Opfern wurden: von Ärzten, die Abtreibungen willkürlich befürworteten oder ablehnten, von Sozialfürsorgern, die Schwangere in Heime steckten, von Juristen, die Entschädigungen verweigerten. Und nicht zuletzt von einer Gesellschaft, die bis in unsere Tage die massenhaft verübten Verbrechen am liebsten beschweigen und verdrängen würde.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Heide Oestreich hält die Zeit reif für dieses Buch der Historikerin Miriam Gebhardt, nun, da die Gleichzeitigkeit von Täter- und Opferschaft denkbar ist. Wenn die Autorin neue Quellen aus den Westzonen auswertet und das Bild der Vergewaltigungen durch die Besatzungsarmeen nach dem Zweiten Weltkrieg neu zeichnet, verfolgt sie damit laut Rezensentin zweierlei Ziele: die Rehabilitation der Opfer und die Stärkung der Empathiekompetenz der Öffentlichkeit. Darüber hinaus untersucht die Autorin die psychischen und materiellen Nachwirkungen dieser Verbrechen, meint Oestreich, und schreibt gegen ihre Bagatellisierung an.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2015Rechenfehler und Ungereimtheiten
Miriam Gebhardt über deutsche Frauen als Opfer alliierter Soldaten im Jahr 1945
Die Schändung der Frauen im Land des Feindes geht seit biblischer Vorzeit mit Krieg und Besetzung einher. Doch obgleich sexuelle Brutalität lebenslange Wunden schlägt, bleibt den Überlebenden die moralische, politische und finanzielle Anerkennung als Kriegsopfer meist versagt. Eher setzt man der "Trümmerfrau" ein Denkmal als der erniedrigten Beute-Frau. Jeder Versuch, den Ursachen dieser geschlechtlichen Gewaltform und der nachfolgenden, gewöhnlich mit Männerweisheiten, Böswilligkeit und Anstandsformeln imprägnierten Hartherzigkeit gegenüber den Betroffenen auf den Grund zu gehen, ist daher ebenso willkommen wie notwendig - selbst wenn er so fragwürdig ausfällt wie im vorliegenden Fall.
Zurückzuweisen ist vor allem das Bemühen der Autorin Gebhardt, die weibliche Gewalterfahrung in der Endphase des Zweiten Weltkriegs und in den Besatzungsjahren insofern zu nivellieren, als habe es keinen großen Unterschied gemacht, ob der weibliche Teil der Bevölkerung es 1945 mit sowjetischen, amerikanischen, britischen oder französischen Soldaten zu tun bekam. "Denn die westlichen Alliierten", enthüllt der Klappentext, "wurden genauso zu Tätern wie die Soldaten der Roten Armee."
Das Buch belässt es nicht bei dieser seit 70 Jahren geläufigen Erfahrungstatsache, es geht vor allem gegen die in Deutschland über drei, vier Generationen tradierte Überzeugung an, dass Stalins Soldaten nach den entsetzlichen Erfahrungen mit den Mordbrennern der Wehrmacht ungleich viel häufiger sexuell gewalttätig geworden sind als beispielsweise die amerikanischen G.I.s. Nun gehört es zu den Aufgaben der Zeitgeschichtswissenschaft, fragwürdige Gewissheiten aufzubrechen und kollektive Mythen zu zerstören, wenn sie mit den historischen Tatsachen unvereinbar sind, doch hier geht die Autorin auf den falschen Drachen los. Gebhardts Argumentation kommt bereits auf den ersten Seiten ins Rutschen. Die Untersuchung macht (von der Anzahl der 1955 vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden für die damalige Bundesrepublik gezählten "Besatzungskinder" ausgehend) nämlich eine Schätzmethode zum Maßstab, die auf dafür ungeeigneten Quellenbeständen basiert. Eine "Formel" zur Berechnung von Vergewaltigungsfällen, wie sie glaubt, hat sie damit ganz gewiss nicht gefunden. Die Rede ist von "rund 860 000 Vergewaltigungsopfern" zwischen 1944 und 1955, von denen angeblich 190 000 auf das amerikanische, 50 000 auf das französische und 45 000 auf das britische Konto gehen.
Folgte man dieser "Berechnung", die in Wahrheit eine Fehlspekulation ist, dann würde die Statistik der sexuellen Gewalttaten im Einzugsbereich der Westalliierten im Vergleich zur derzeitigen, ebenfalls unsicheren, aber einigermaßen konsolidierten Forschungsmeinung förmlich durch die Decke schießen. Im sowjetischen Besetzungsgebiet würden sich diese Gewalttaten nachträglich dramatisch verringern. Da eine Zeitspanne von zehn Jahren in den Blick genommen wird und zugleich die Annahme zugrunde liegt, zwischen Sommer 1944 und Sommer 1945 sei etwa ein Drittel aller Untaten geschehen, fiele die geschätzte Anzahl der sowjetischen Vergewaltigungsopfer um mindestens 70 Prozent unter die bisherigen Annahmen der Zeitgeschichtsforschung. Das Bild der amerikanischen Armee würde sich nachgerade verfinstern. Diese Sicht liefe beinahe auf eine Bestätigung von Propagandaminister Goebbels hinaus, der sich damals ebenso hartnäckig wie vergeblich bemühte, die kriegsmüden Volksgenossinnen und Volksgenossen im Westen mit der Schreckensbotschaft aufzuscheuchen, die jüdisch-plutokratische Soldateska General Eisenhowers werde genauso bestialisch wüten wie die bolschewistischen Horden der Steppe Asiens.
So leidenschaftlich und empathievoll das entsetzliche Kapitel der männlichen Gewaltexzesse Mitte des vorherigen Jahrhunderts vor Augen geführt wird, so kundig und erschütternd das Buch von mancherlei Gleichgültigkeit gegenüber diesem Frauenschicksal auch erzählt, es leidet über die verfehlte Grundrechnungsart hinaus an zu vielen Ungereimtheiten und Irrtümern, um - trotz des Sprungs auf die Bestsellerlisten - der Scoop zu sein, für den es Verlag und Autorin offenbar halten. An Selbstbewusstsein fehlt es dem Buch, das tatsächlich von einer "Nichtbeachtung" der Verbrechen spricht, jedenfalls nicht: "Die Linse, durch die wir auf diese Zeit schauen", müsse "mal dringend geputzt" werden, heißt es; andere Forscher auf diesem Feld hätten sich "nicht mit Ruhm bekleckert"; Helke Sander, eine echte Pionierin, wird mit der Bewertung "latente Voreingenommenheit im Ost-West-Konflikt" und "Skandalisierung" runtergemacht.
Bei einer solchen Tonlage wird man darauf aufmerksam machen dürfen, dass etwa die Behauptung, das Verhalten der britischen Besatzungsmacht habe "in den Quellen kaum Niederschlag gefunden", ohne Realitätsgehalt ist; dass die Rede von der "Empathielosigkeit südwestdeutschen Verwaltungshandelns" vielleicht ein bisschen vereinfachend ist; und dass die Autorin mit ihrer Annahme, "Hitler hatte die totale Niederlage gefordert", in der Hitler-Forschung alleine dasteht. Und ganz gewiss war der Berliner Stadtteil Weißensee "nicht überwiegend von Kommunisten bewohnt" (und daher Ende April 1945 "sofort" zur Kapitulation bereit). Sind in kirchlichen Quellen für die Monate Mai bis Juli etwa 130 Vergewaltigungsfälle erwähnt, dann ergibt sich für Gebhardt daraus "das erdrückende Bild einer tatsächlichen flächendeckenden Massenvergewaltigung in Oberbayern".
Trotz seiner methodischen Sorglosigkeit und des gedanklichen Durcheinanders hat das Buch ein Verdienst. Es zeigt die Notwendigkeit einer seriösen Erforschung der massenhaften sexuellen Gewalt gegen Frauen - nicht nur in Deutschland, sondern im europäischen Maßstab, und nicht nur im Zweiten Weltkrieg, sondern bis zum heutigen Tage.
KLAUS-DIETMAR HENKE
Miriam Gebhardt: Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015. 351 S., 21,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Miriam Gebhardt über deutsche Frauen als Opfer alliierter Soldaten im Jahr 1945
Die Schändung der Frauen im Land des Feindes geht seit biblischer Vorzeit mit Krieg und Besetzung einher. Doch obgleich sexuelle Brutalität lebenslange Wunden schlägt, bleibt den Überlebenden die moralische, politische und finanzielle Anerkennung als Kriegsopfer meist versagt. Eher setzt man der "Trümmerfrau" ein Denkmal als der erniedrigten Beute-Frau. Jeder Versuch, den Ursachen dieser geschlechtlichen Gewaltform und der nachfolgenden, gewöhnlich mit Männerweisheiten, Böswilligkeit und Anstandsformeln imprägnierten Hartherzigkeit gegenüber den Betroffenen auf den Grund zu gehen, ist daher ebenso willkommen wie notwendig - selbst wenn er so fragwürdig ausfällt wie im vorliegenden Fall.
Zurückzuweisen ist vor allem das Bemühen der Autorin Gebhardt, die weibliche Gewalterfahrung in der Endphase des Zweiten Weltkriegs und in den Besatzungsjahren insofern zu nivellieren, als habe es keinen großen Unterschied gemacht, ob der weibliche Teil der Bevölkerung es 1945 mit sowjetischen, amerikanischen, britischen oder französischen Soldaten zu tun bekam. "Denn die westlichen Alliierten", enthüllt der Klappentext, "wurden genauso zu Tätern wie die Soldaten der Roten Armee."
Das Buch belässt es nicht bei dieser seit 70 Jahren geläufigen Erfahrungstatsache, es geht vor allem gegen die in Deutschland über drei, vier Generationen tradierte Überzeugung an, dass Stalins Soldaten nach den entsetzlichen Erfahrungen mit den Mordbrennern der Wehrmacht ungleich viel häufiger sexuell gewalttätig geworden sind als beispielsweise die amerikanischen G.I.s. Nun gehört es zu den Aufgaben der Zeitgeschichtswissenschaft, fragwürdige Gewissheiten aufzubrechen und kollektive Mythen zu zerstören, wenn sie mit den historischen Tatsachen unvereinbar sind, doch hier geht die Autorin auf den falschen Drachen los. Gebhardts Argumentation kommt bereits auf den ersten Seiten ins Rutschen. Die Untersuchung macht (von der Anzahl der 1955 vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden für die damalige Bundesrepublik gezählten "Besatzungskinder" ausgehend) nämlich eine Schätzmethode zum Maßstab, die auf dafür ungeeigneten Quellenbeständen basiert. Eine "Formel" zur Berechnung von Vergewaltigungsfällen, wie sie glaubt, hat sie damit ganz gewiss nicht gefunden. Die Rede ist von "rund 860 000 Vergewaltigungsopfern" zwischen 1944 und 1955, von denen angeblich 190 000 auf das amerikanische, 50 000 auf das französische und 45 000 auf das britische Konto gehen.
Folgte man dieser "Berechnung", die in Wahrheit eine Fehlspekulation ist, dann würde die Statistik der sexuellen Gewalttaten im Einzugsbereich der Westalliierten im Vergleich zur derzeitigen, ebenfalls unsicheren, aber einigermaßen konsolidierten Forschungsmeinung förmlich durch die Decke schießen. Im sowjetischen Besetzungsgebiet würden sich diese Gewalttaten nachträglich dramatisch verringern. Da eine Zeitspanne von zehn Jahren in den Blick genommen wird und zugleich die Annahme zugrunde liegt, zwischen Sommer 1944 und Sommer 1945 sei etwa ein Drittel aller Untaten geschehen, fiele die geschätzte Anzahl der sowjetischen Vergewaltigungsopfer um mindestens 70 Prozent unter die bisherigen Annahmen der Zeitgeschichtsforschung. Das Bild der amerikanischen Armee würde sich nachgerade verfinstern. Diese Sicht liefe beinahe auf eine Bestätigung von Propagandaminister Goebbels hinaus, der sich damals ebenso hartnäckig wie vergeblich bemühte, die kriegsmüden Volksgenossinnen und Volksgenossen im Westen mit der Schreckensbotschaft aufzuscheuchen, die jüdisch-plutokratische Soldateska General Eisenhowers werde genauso bestialisch wüten wie die bolschewistischen Horden der Steppe Asiens.
So leidenschaftlich und empathievoll das entsetzliche Kapitel der männlichen Gewaltexzesse Mitte des vorherigen Jahrhunderts vor Augen geführt wird, so kundig und erschütternd das Buch von mancherlei Gleichgültigkeit gegenüber diesem Frauenschicksal auch erzählt, es leidet über die verfehlte Grundrechnungsart hinaus an zu vielen Ungereimtheiten und Irrtümern, um - trotz des Sprungs auf die Bestsellerlisten - der Scoop zu sein, für den es Verlag und Autorin offenbar halten. An Selbstbewusstsein fehlt es dem Buch, das tatsächlich von einer "Nichtbeachtung" der Verbrechen spricht, jedenfalls nicht: "Die Linse, durch die wir auf diese Zeit schauen", müsse "mal dringend geputzt" werden, heißt es; andere Forscher auf diesem Feld hätten sich "nicht mit Ruhm bekleckert"; Helke Sander, eine echte Pionierin, wird mit der Bewertung "latente Voreingenommenheit im Ost-West-Konflikt" und "Skandalisierung" runtergemacht.
Bei einer solchen Tonlage wird man darauf aufmerksam machen dürfen, dass etwa die Behauptung, das Verhalten der britischen Besatzungsmacht habe "in den Quellen kaum Niederschlag gefunden", ohne Realitätsgehalt ist; dass die Rede von der "Empathielosigkeit südwestdeutschen Verwaltungshandelns" vielleicht ein bisschen vereinfachend ist; und dass die Autorin mit ihrer Annahme, "Hitler hatte die totale Niederlage gefordert", in der Hitler-Forschung alleine dasteht. Und ganz gewiss war der Berliner Stadtteil Weißensee "nicht überwiegend von Kommunisten bewohnt" (und daher Ende April 1945 "sofort" zur Kapitulation bereit). Sind in kirchlichen Quellen für die Monate Mai bis Juli etwa 130 Vergewaltigungsfälle erwähnt, dann ergibt sich für Gebhardt daraus "das erdrückende Bild einer tatsächlichen flächendeckenden Massenvergewaltigung in Oberbayern".
Trotz seiner methodischen Sorglosigkeit und des gedanklichen Durcheinanders hat das Buch ein Verdienst. Es zeigt die Notwendigkeit einer seriösen Erforschung der massenhaften sexuellen Gewalt gegen Frauen - nicht nur in Deutschland, sondern im europäischen Maßstab, und nicht nur im Zweiten Weltkrieg, sondern bis zum heutigen Tage.
KLAUS-DIETMAR HENKE
Miriam Gebhardt: Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015. 351 S., 21,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Dieses aufsehenerregende Buch (...) schildert, dass die gängige Formel - Russen waren Vergewaltiger, Amerikaner Befreier - keiner wissenschaftlichen Prüfung standhält. (...) Erst jetzt entsteht das ganze Bild.« ZDF heute journal
»Anschaulich und interessant werden ergreifende Schicksale beschrieben und wissenschaftlich kundig eingeordnet. Trotz des traurigen Themas ein lesenswertes Buch.« Neues Deutschland, Ernst Reuß, 17.04.2015