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Wie hoffen geht, weißt du! Als Gast zieht der heimatlose Erzähler vorerst vorübergehend in eine bis auf weiteres geliehene kleine Dachwohnung in der Eppsteiner Straße. Freundliche Eltern aus Carinas Kinderladen haben ihn dazu eingeladen. Frankfurt am Main im März 1984. Noch kein Frühling.
Peter Kurzeck schreibt sein mit Übers Eis begonnenes Projekt fort: die minutiöse Beschreibung von Wirklichkeit setzt einen kunstvollen Strom von Erinnerungen, Wahrnehmungen und Assoziationen frei. Über die Autobiographie hinaus entsteht so eine poetische Chronik, eine Stadt- und Zeitgeschichte, ein Buch…mehr

Produktbeschreibung
Wie hoffen geht, weißt du! Als Gast zieht der heimatlose Erzähler vorerst vorübergehend in eine bis auf weiteres geliehene kleine Dachwohnung in der Eppsteiner Straße. Freundliche Eltern aus Carinas Kinderladen haben ihn dazu eingeladen. Frankfurt am Main im März 1984. Noch kein Frühling.

Peter Kurzeck schreibt sein mit Übers Eis begonnenes Projekt fort: die minutiöse Beschreibung von Wirklichkeit setzt einen kunstvollen Strom von Erinnerungen, Wahrnehmungen und Assoziationen frei. Über die Autobiographie hinaus entsteht so eine poetische Chronik, eine Stadt- und Zeitgeschichte, ein Buch über Deutschland.

Erzähl Peta, erzähl! sagt die 4 ½ jährige Tochter. Und so drängen sich in die Gegenwart des Jahres 1984 immer neue Geschichten aus der Nachkriegszeit. Ein Krieg, der nie aufgehört hat. Das Jahr 1984 und die Erinnerung daran, daß man ein paar Jahre lang denken konnte, daß die Welt von Jahr zu Jahr besser wird und wir auch selbst daran beteiligt sind. Beim Trampen und in der Musik hat man es zuerst gemerkt. Im Buch ist März.

Autorenporträt
Peter Kurzeck ist 1943 in Böhmen geboren und als Flüchtlingskind in Staufenberg im Kreis Gießen aufgewachsen, lebte seit 1970 viele Jahre in Frankfurt am Main und in Uzès, Südfrankreich. Verschiedene Literaturpreise und Stipendien: Alfred-Döblin-Preis 1991, Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 1999, Hans-Erich-Nossack-Preis 2000, Stadtschreiber von Bergen 2000/2001. 2008 erhielt Peter Kurzeck den Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis. Der Autor verstarb 2013.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2003

Keine Atempause
Romane werden gemacht: Bei Peter Kurzeck ist das Neue das Alte

Eine Autobiographie ist in der Regel ein Versuch, dem eigenen Leben eine Ordnung beizubringen. Sie rückt das Ich so beherzt in den Mittelpunkt der Welt, daß dann eigentlich gar nichts mehr schiefgehen kann. Das Leben bekommt eine Richtung und der Held eine Entwicklung, denn darauf kommt es an. Peter Kurzeck ist ein autobiographischer Erzähler, der wenig von dieser Übereinkunft hält. Bei ihm gibt es keine übersichtliche Chronologie, sondern eine immerwährende Gleichzeitigkeit sämtlicher Erinnerungen. Seine Romane führen einen einzigen, endlosen Text immer weiter, der zeitlich von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die achtziger Jahre reicht und geographisch das Gebiet vom oberhessischen Örtchen Staufenberg bis nach Frankfurt am Main abdeckt. Von dort führen die Sehnsüchte weiter hinaus in die Ferne, nach Paris, ans Meer oder in den Süden Frankreichs, wo Kurzeck heute lebt.

Als Dreijähriger kam er 1946 mit einem Flüchtlingstreck aus Böhmen in Staufenberg an. Das Gefühl der Fremdheit grundierte sein Leben. Frankfurt erreichte er im August 1977, um hier die letzte Fassung seines ersten Romans ins reine zu schreiben. In seinem neuen, dem sechsten Roman mit dem programmatischen Titel "Als Gast" ist er nun im März 1984 angekommen. Er variiert die Ereignisse, die schon in "Übers Eis" (1997) eine Rolle spielten. Schon damals erzählte Kurzeck von der traumatischen Trennung von Freundin Sibylle und dem vierjährigen Töchterchen Carina und vom Entstehen seines dritten Buches, des Dorfromans "Kein Frühling", den er in dieser Zeit schrieb.

Nichts Neues nun im neuen Roman. Der Erzähler zieht um in die Eppsteiner Straße im Westend. Nachts sitzt er am Schreibtisch, tagsüber spaziert er durch Frankfurt, um sich die Zeit zu vertreiben und die Gedanken treiben zu lassen. Er bringt die Tochter zum Kindergarten, holt sie wieder ab oder stattet ihr einen Abendbesuch ab, um sie ins Bett zu bringen. Ein Tag ohne Carina wäre kaum auszuhalten. Sie ist der Mittelpunkt der Gegenwart, das einzige Ziel der Gedanken und Wege.

Wer nach Handlung sucht, ist in den Büchern vom Peter Kurzeck verloren. Zum Zeichen dafür, daß er entschlossen ist, jedes Handeln und alle Handlung zu verweigern, läßt er in seinen Sätzen häufig die Verben weg. Das Einsparen der "Tunworte" gibt seinem Schreiben etwas Atemloses, als habe ausgerechnet er, der von nichts anderem als dem Vergehen der Zeit erzählt, keine Zeit. Weil aber alles vergänglich ist, muß es einen geben, der nichts vergißt. Das ist der gehetzte Erzähler, der sich keine Pause gönnt.

In einem einzigen Gedanken gelangt Kurzeck von der Gegenwart ins Jahr 1950 und wieder zurück, von der Stadt aufs Dorf und wieder in die Stadt, immer unterwegs und immer damit beschäftigt, jeden Augenblick möglichst vollständig mit allen zugehörigen Erinnerungsschattierungen festzuhalten. So hat ein Tag zwar auch bei Kurzeck vierundzwanzig Stunden, wenn er ihn erzählt, aber viel mehr, und eigentlich wird er mit keinem Augenblick jemals fertig, denn kaum ist der Moment vorbei, muß er sich auch schon daran erinnern. So häuft sich die Vergangenheit in exponentiellem Wachstum auf, und der Erzähler kommt nicht hinterher: "Oft allein in der Stille ist mir, als ob ich mir alles nur ausdenke. Schon eh und je. Gegenwart, Tag und Ort. Sogar die Länder und Menschen und Namen alle Tage. Dich auch, und daß wir hier gehen! Furchtbar anstrengend, wenn man sich dauernd die ganze Welt ausdenken muß und darf dabei keinen Fehler und nichts je vergessen. Damit nur ja alles bleibt, damit es nicht immerfort unentwegt wegverschwindet. Genau wie die Zeit."

Kurzeck bezeichnet sein Schreiben als "Galvanisier-Anstalt für Zeit, Erinnerungen und jede Art innerer Bilder". Deshalb ist es nur konsequent, wenn er Kapitel für Kapitel dieselben Motive wiederholt und wenn sein neuer Roman eine Wiederholung des vorigen ist. Das Prinzip der Wiederholung dient nicht nur fortwährender Steigerung der Wahrnehmungsintensität, sondern auch dazu, jede Entwicklung, jedes Fortschreiten zu verhindern. Kurzeck bevorzugt Kreisbewegungen, um mit diesem Trick der Vergänglichkeit zu trotzen. "Ohne Umwege mag ich nicht. Kann nicht!" sagt der Erzähler. Im Textfluß des neuen Romans zitiert er unauffällig die Titel all seiner Romane. So stecken in diesem Buch alle früheren, wie in jedem Augenblick alle früheren enthalten sind. Kurzeck ergänzt Fußnoten, die darauf hinweisen, daß eigentlich zu jedem Satz, zu jedem Wort Ergänzungen in alle Richtungen notwendig wären. Das Schreiben kann also niemals enden.

Aber kann man Kurzeck auch lesen? Ist die manische Erinnerungsbewegung, die seine Prosa vorantreibt, mitteilbar? Muß man als Leser nicht untergehen in diesem Versuch, das Vergehen der Zeit im Maßstab eins zu eins abzubilden? Ja und nein. Wer es nicht schafft, einzutauchen in diese Prosa und sich Zeit zu nehmen, wird sich bloß langweilen. Spannung entsteht nicht aus dem Geschehen, sondern aus einzelnen, kostbaren Beobachtungen: aus der Genauigkeit beispielsweise, mit der die in Hoechst herumlungernde Jugend porträtiert wird oder Kinder im Faschingskostüm am Rosenmontag. Auf dem Flohmarkt fallen Kurzeck die Ausländer auf, die gebrauchte Kühlschränke wegschleppen, als hänge ihr Leben davon ab: "Keuchend, gebückt. Als hätten sie bisher in Höhlen gelebt und der weiße glänzende Kasten soll hier in der Fremde ihr Hausaltar sein, ihr neuer Familiengott. Kühlschränke, Waschmaschinen, Elektroherde, Gasherde, Stereoanlagen und gebrauchte Fernseher. Eine Sprache, die du nicht verstehst. Zu zweit, zu dritt, zu viert. Ganz schief schon und nicht genug Luft. Müssen sich anstrengen, müssen mit aller Kraft! Wohin?"

Es sind immer die am Rande der Gesellschaft, für die Kurzeck sich interessiert: die Penner, die sich umständlich auf den Parkbänken zurechtsetzen, die Herumtreiber, die nicht wissen, wo's langgeht, und natürlich: die Kinder. Tochter Carina ist nicht nur Gesprächspartnerin, die den Erzähler immer wieder auffordert, Geschichten zu erzählen. Ihr kindlicher Blick auf die Dinge und die Welt, ihre ausschweifende Phantasie, die hinter jeder Gestalt eine Geschichte imaginiert, ist der gute Geist dieser Erzählung, der es an aller Boshaftigkeit mangelt. Vielleicht ist die Gutmütigkeit überhaupt das Eindrucksvollste an Kurzecks Schreiben: Es gibt nichts Gemeines darin, keine Destruktivität, keinen Vernichtungswillen. Statt dessen sehr viel Zärtlichkeit für die Welt und das Leben, das so vergänglich und so pflegebedürftig ist. Kurzeck-Leser sind rar. Aber sie sind bessere Menschen.

JÖRG MAGENAU

Peter Kurzeck: "Als Gast". Roman. Verlag Stroemfeld/Roter Stern, Frankfurt/Main und Basel 2003. 432 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

In einem stark sympathisierenden Text stellt Helmut Böttiger den Autor als eine "Ausnahmeerscheinung der deutschen Gegenwartsliteratur" dar, als einen, der in großer Beständigkeit am immer selben Buch fortschreibt. Auch "Als Gast" ist Teil eines größeren, auf vier Bände angelegten autobiografischen Projekts, erläutert Böttiger, "doch autobiografisch war schon immer alles, was Kurzeck geschrieben hat". Das Buch spielt in Kurzecks Heimatstadt Frankfurt, erläutert Böttiger weiter, und zwar in den Jahren 1984 und 1948 - die gleiche Kombination wie bei Orwell, aber ohne deren symbolische Schwere, so der Rezensent. Gefangen haben ihn vor allem geradezu surreal genaue Beschreibungen des Alltags aus den Jahren, in denen der Roman spielt: Das Westend des Jahres 1984 hat Böttiger wiedergefunden, aber auch das hessische Dorf, in das es Kurzeck 1948 als Flüchtlingskind verschlug. "Wie eine Fotografie" stehen Böttiger die Sonntagsspaziergänge der Hausfrauen oder die "Frau des Schuldieners, die den Häschen etwas zu fressen bringt", vor Augen. "Akute Zeitgenossenschaft" attestiert Böttiger dem Autor zum Schluss und eine Musikalität der Prosa in einem differenzierten Stimmengeflecht, die das Buch zum Geschenk mache.

© Perlentaucher Medien GmbH
»eine traumhaft sicher komponierte Partitur« »Dem drängenden Erzählgestus dieser Prosa, ihrer Beschwörung der verrinnenden Zeit kann man sich nicht entziehen. Hier schreibt einer, als sei jeder Tag der letzte, als müsse - und könne! - er durch das Erzählen die Welt erlösen«Holger Schneider, Norddeutscher Rundfunk