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Die bis heute wohl wichtigste Frage zum Nationalsozialismus ist: Wie konnte aus einer gewalttätigen Splitterpartei innerhalb weniger Jahre eine verheerende Massenbewegung werden, die Adolf Hitler an die Macht brachte? Welche Faktoren gaben den Ausschlag für den Erfolg der Nazis?
Gerd Krumeich macht sich ausgehend von seinen jahrzehntelangen Forschungen zum Ersten Weltkrieg und dessen Folgen noch einmal auf die Suche nach Antworten. Auf der Grundlage zeitgenössischer Quellen und der Forschungsliteratur stellt er fest: Die Bedeutung des verlorenen Ersten Weltkriegs in der Nazi-Propaganda und…mehr

Produktbeschreibung
Die bis heute wohl wichtigste Frage zum Nationalsozialismus ist: Wie konnte aus einer gewalttätigen Splitterpartei innerhalb weniger Jahre eine verheerende Massenbewegung werden, die Adolf Hitler an die Macht brachte? Welche Faktoren gaben den Ausschlag für den Erfolg der Nazis?

Gerd Krumeich macht sich ausgehend von seinen jahrzehntelangen Forschungen zum Ersten Weltkrieg und dessen Folgen noch einmal auf die Suche nach Antworten. Auf der Grundlage zeitgenössischer Quellen und der Forschungsliteratur stellt er fest: Die Bedeutung des verlorenen Ersten Weltkriegs in der Nazi-Propaganda und den Reden Hitlers ist für die Attraktivität der NSDAP und die Radikalisierung eines mörderischen Antisemitismus bisher weit unterschätzt bzw. mit dem Begriff der »Dolchstoßlegende« marginalisiert worden. Krumeich legt eine dichte und intensiv geschriebene Neuinterpretation des Verhältnisses von Hitler und den Deutschen vor. Dabei geht er über die übliche Zeitgrenze von 1933 hinaus. So entsteht eine neue Geschichte des Aufstiegs des Nationalsozialismus von seinen Anfängen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Autorenporträt
Prof. Dr. Gerhard Krumeich, geboren 1945, war von 1997 bis 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen und französischen Zeitgeschichte, insbesondere zum Ersten Weltkrieg und seinen Nachwirkungen; Gründungsmitglied des Historial de la Grande Guerre, Péronne, Mitherausgeber der Documents diplomatiques français zum Versailler Vertrag.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit großem Interesse liest Rezensent Florian Keisinger Gerd Krumeichs Buch über die Instrumentalisierung der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg durch die Nazis. So sei es vor allem das Narrativ des "jüdisch-bolschewistischen Umsturzes" gewesen, das den Boden für die nationalsozialistische Herrschaft und den Antisemitismus legte, resümiert Keisinger. Die Kriegseuphorie im August 1914 diente den Nazis auch als Beweis ihrer "Volksgemeinschaft", erfahren wir. Das belegt der Autor mit einer Vielzahl an zeitgenössischen Quellen, die erhellenden Aufschluss über die damalige Gesellschaft bieten, lobt der Kritiker. Krumeich blende aber andere Aspekte aus, die den Nazis an die Macht verhalfen: Zwar war in Deutschland das Gefühl der "Schmach" nach dem Ersten Weltkrieg stark verbreitet, wirtschaftliche und politische Gründe wogen aber ähnlich schwer, merkt der Kritiker an. Eine "Pluralität der Perspektiven" lasse Krumeich in seiner Darstellung leider nicht zu, moniert der Rezensent zuletzt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2024

Fixiert
auf Versailles
Gerd Krumeich verengt den Aufstieg Hitlers
auf die deutsche Niederlage 1918
und den folgenden demütigenden Friedensschluss.
VON ECKART CONZE
Wenige Stunden nur dauerte die Eroberung von Verdun im Zweiten Weltkrieg. Einen Tag, nachdem deutsche Truppen am 14. Juni 1940 kampflos in Paris einmarschiert waren, eroberte eine Wehrmachtsdivision die Stadt an der Maas, um die ein Vierteljahrhundert zuvor monatelang gekämpft worden war. „Aus der Blutskameradschaft in Schlamm und Dreck und in den Trichtern von Verdun“ sei der Geist des Nationalsozialismus geboren worden, so der Divisionskommandeur auf dem Fort von Douaumont. Dieser Geist habe den Sieg von 1940 ermöglicht, und er bilde eine Brücke zwischen den Kämpfern von 1916 und den Eroberern von heute.
Diese Brücke zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus beschreibt, vermisst und analysiert Gerd Krumeich in seinem jüngsten Buch. Ausgewiesen wie kaum ein anderer deutscher Historiker, führt Krumeich darin seine Studien zur Geschichte und Wirkungsgeschichte des Ersten Weltkriegs fort. Im Fokus steht nun die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für den Aufstieg, die Machtübernahme und die Herrschaft der Nationalsozialisten. Allenfalls indirekt schließt er dabei an George F. Kennan an, für den, immer wieder zitiert, der Erste Weltkrieg die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts war. Kennans Blick war viel weiter als die Perspektive Krumeichs, und das nicht nur in geografischer Hinsicht. Für den amerikanischen Diplomaten und Historiker gehörte nicht nur der Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus zu den Folgen des Krieges, sondern auch der Bolschewismus, die Krise der liberalen Demokratie sowie die Erschütterung der imperialen Ordnung in Europa und der Welt. Mit dem Titel „Die Büchse der Pandora“ hat auch der Freiburger Historiker Jörn Leonhard sein monumentales Buch über den Ersten Weltkrieg in eine solche Perspektive gestellt.
Diese weiten Dimensionen interessieren Krumeich kaum, nicht einmal in ihrer Rückwirkung auf Deutschland. Ihm geht es um das deutsche Trauma des verlorenen Krieges und seine Wirkung in den Jahren der Weimarer Republik bis hin zum Beginn des Zweiten Weltkriegs. Dahinter steht eine These, die schon der Buchtitel „Als Hitler den Ersten Weltkrieg gewann“ ahnen lässt. Ohne das Versprechen, so Krumeich, die Niederlage von 1918 und den „schandhaften“ Friedensvertrag von Versailles zu tilgen, Deutschland wieder zu neuer – alter – Größe zu führen, die zwei Millionen Gefallenen des Krieges zu ehren und ihrem Tod für das Vaterland Sinn zu verleihen, hätte Hitler niemals die Unterstützung gefunden, die dazu führte, dass er 1933 die Macht übertragen bekam.
Das wird man nicht bestreiten können. Die Provokation des Arguments, die sich Krumeich selbst attestiert, und seine Problematik liegen freilich in seiner Engführung, ja Ausschließlichkeit. Aus der berechtigten Konzentration auf die Wirkungsgeschichte des Weltkriegs für Weimar und den Nationalsozialismus – die Untersuchung erschließt teilweise wirklich Neuland und überzeugt durch ihren systematischen Zugriff – wird ein Problem, wenn – und weil – andere Faktoren, die zum Scheitern der Weimarer Demokratie und zum Aufstieg des Nationalsozialismus beigetragen haben, vollkommen ausgeblendet werden und man bei der Lektüre den Eindruck gewinnt, der Autor habe nur nach Quellen und Belegen gesucht, die seine These zu stützen vermögen. Mehrfach konzediert er, dass eine eindeutige Antwort quellenmäßig unmöglich sei. Das bezieht sich beispielsweise auf die Frage, ob es dem deutschen Heer im Herbst 1918 möglich gewesen wäre, den Krieg noch für eine gewisse Zeit fortzuführen, um mildere Waffenstillstands- und dann Friedensbedingungen zu erreichen. Krumeich ist dieser Ansicht. Man kann aber nicht starke politikgeschichtliche Behauptungen zu einem alles andere als marginalen Thema aufstellen und sich dann, wenn die Belege dafür fehlen, darauf zurückziehen, für einen Mentalitätshistoriker sei das unbedeutend.
Gerade im Zusammenhang mit dem Kriegsende 1918 schließt Krumeich an Thesen an, mit denen er bereits vor einigen Jahren für kontroverse Diskussionen gesorgt hatte, weil man in ihnen lesen kann, es habe so etwas wie den „Dolchstoß“ tatsächlich gegeben. Die Revolution habe dazu beigetragen, dass Deutschland am 11. November 1918 einen „Kapitulationswaffenstillstand“ schloss, der den späteren Diktatfrieden bereits vorwegnahm. An der sicheren Niederlage zweifelt Krumeich nicht. Aber er fragt, ob die Revolutionäre nicht hätten weiterkämpfen können, statt sich den Siegern bedingungslos zu ergeben. Vielleicht wäre das möglich gewesen, aber so zu argumentieren, verkennt die Gründe, die die Regierung in Berlin schon vor dem 9. November dazu bewegten, den später von Rechtsradikalen ermordeten Zentrumspolitiker Matthias Erzberger zum Abschluss eines Waffenstillstands nach Compiègne zu schicken. Dahinter stand die Hoffnung, mochte sie auch später enttäuscht werden, auf einen „Wilson-Frieden“, vor allem aber das Ziel, das die Parteien der späteren Weimarer Koalition spätestens seit der „Friedensresolution“ des Reichstags von 1917 teilten, den Krieg schnellstmöglich zu beenden und damit das Töten und Sterben. Und ob eine Fortführung der Kämpfe – auf französischem Boden – insbesondere die französische Bereitschaft zu einem milden Frieden tatsächlich erhöht hätte, steht sehr infrage. Der auf Deutschland fixierte Blick verhindert, dass solche Überlegungen in die Darstellung einfließen.
Wir wissen schlicht nicht, was passiert wäre, wenn der Krieg weitergegangen wäre. Auch Krumeich weiß es nicht, aber sicher ist für ihn, dass mit dem 11. November der „Point of no Return“ der Weimarer Republik erreicht, ihr Ende gut vierzehn Jahre später also bereits mit dem Waffenstillstand von 1918 besiegelt gewesen sei. In der Konsequenz dieser Sichtweise dreht sich der Rest des Buches dann ausschließlich darum, wie Hitler und die Nationalsozialisten die kollektive Erfahrung der doppelten Schmach von Compiègne und Versailles nutzten, um seit Ende der 1920er-Jahre immer größere Wahlerfolge zu erzielen, um 1933 an die Macht zu gelangen und schließlich nach 1933 die begeisterte Zustimmung, zumindest aber den Respekt der Deutschen zu gewinnen. Mit einer Politik, die angeblich die „Ketten von Versailles“ sprengte, tatsächlich aber von Anfang an zielstrebig auf den Expansionskrieg zusteuerte, der zwar nicht in Polen 1939, wohl aber 1940 in Paris oder Verdun als Überwindung der Schmach von 1918/19 dargestellt werden konnte. Dieser Triumph katapultierte Hitler im Sommer 1940 in den Zenit seiner Macht, getragen von breitester Akzeptanz zumindest derjenigen Deutschen, die sich der auch aus dem Geist des Ersten Weltkriegs entstandenen Volksgemeinschaft noch zurechnen durften. In ihrer großen Mehrzahl seien das, so Krumeich, keine „echten Nazis“ gewesen, sondern „Abermillionen Mitläufer“, die sich aber angesichts ihrer Erfahrung des Ersten Weltkriegs sowie ihrer Wahrnehmung von Revolution und Niederlage 1918 nach nationaler Gemeinschaft sehnten.
„Mitläufer“ und „echte Nazis“: Eine solche Unterscheidung ist auch das Ergebnis der Neigung, zeitgenössische Deutungen, einschließlich deutscher Selbstdeutungen aus der Zeit nach 1945, und historisches Wissen gegeneinander auszuspielen, statt analytisch miteinander zu verknüpfen. Da überrascht es am Ende kaum noch, dass man bei Krumeich mitunter fast wieder die frühe deutsche Weimar-Historiografie zu erkennen meint und ihre tendenziell apologetische Sichtweise, dass die „Hitlerei“ primär das Ergebnis des verlorenen Weltkriegs und des demütigenden Friedens von Versailles gewesen sei. Das ist vermutlich der Preis für die ebenso pointierte wie provokante These in einem Buch, das fraglos einen wichtigen Beitrag zur Wirkungsgeschichte des Ersten Weltkriegs darstellt. Zugleich und abgesehen davon ist es mit seinen Überlegungen zur Geburt autoritärer und aggressiver Politik aus der Erfahrung einer Niederlage und aus deren Instrumentalisierung hochaktuell.
Eckart Conze lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Philipps-Universität Marburg.
Die provokante These führt
am Ende zu überwunden
geglaubten Deutungen
Gerd Krumeich:
Als Hitler den Ersten Weltkrieg gewann. Die Nazis und die Deutschen 1921–1940. Herder-Verlag, Freiburg 2024. 352 Seiten, 26 Euro.
E-Book: 19,99 Euro.
Gern geglaubte Propaganda: Plakat aus dem Jahr 1932.
Foto: Scherl / SZ Photo
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2024

Die Opferlast der Volksgemeinschaft
Gerd Krumeich sieht im Kampf gegen das Trauma des Ersten Weltkriegs den entscheidenden Mobilisierungsfaktor für Hitlers Erfolg

Eine Provokation: Nicht weniger will das Buch von Gerd Krumeich sein. Und der Titel, "Als Hitler den Ersten Weltkrieg gewann", lässt ahnen, wie sie gemeint ist. Krumeich gehört zu den besten Kennern der Geschichte des Ersten Weltkrieges, ein selten produktiver und anregender Historiker, der sich ein Forscherleben lang mit der "Urkatastrophe" des zwanzigsten Jahrhunderts beschäftigt hat. Sein neues Buch bündelt manche dieser Erkenntnisse und spitzt sie in ungewohnter Weise zu. Die These: "Ohne das Versprechen, die Niederlage von 1918, den 'schandhaften' Friedensvertrag von Versailles zu tilgen, Deutschland wieder zu alter und neuer Größe zu führen, die zwei Millionen Gefallenen des Krieges zu ehren und ihrem Tod für das Vaterland einen neuen Sinn zu verleihen, hätte Hitler niemals die Unterstützung gefunden, die dazu führte, dass er 1933 die Macht übertragen bekam."

Man könnte nun sagen, dass diese Sichtweise weder sehr radikal noch sehr neu ist, hat die Forschung doch immer betont, dass der verlorene Krieg das monarchistische, nationalkonservative und rechtsextreme Milieu Weimars zusammenband. Aber Krumeich geht einen Schritt weiter. Er sieht im Kampf gegen das Trauma des Ersten Weltkrieges den unterschätzten Mobilisierungsfaktor des Nationalsozialismus, das propagandistische Schmiermittel der völkischen Bewegung und ihren erinnerungspolitischen Bezugspunkt. Krumeich will nicht nur die Belastung zeigen, die "Versailles" für die Weimarer Republik bedeutete, sondern auch deutlich machen, wie wirkungsmächtig die beständige Propaganda des "Schandfriedens" für die Zerstörung der ersten deutschen Demokratie und schließlich für den Erfolg des Nationalsozialismus nach 1933 war.

Das Buch geht also nicht nur den zeitgenössischen Debatten über die Bedeutung von "Versailles" für die innenpolitischen Konflikte der frühen Weimarer Republik und die Konstruktion unterschiedlicher "Dolchstoßlegenden" nach. Es versucht zugleich auch knapp die Frage zu klären, welche Sogwirkung von der neuen, kriegsspezifischen Gemeinschaftsrhetorik ausging, die man im Begriff der "Frontkameradschaft" ebenso fand wie in der - deutlich älteren - Idee der "Volksgemeinschaft".

Krumeich nimmt sich viel Raum, um Hitlers Reden seit Mitte der Zwanzigerjahre daraufhin zu befragen, welche Rolle hier das "Kriegserlebnis" spielte - und es wundert nicht wirklich, wie häufig sich Passagen über "Frontgeist" und "Kriegsschuld" finden lassen. Hilfreich wäre es indes gewesen, wenn er zudem auch untersucht hätte, wie sich die Bedeutung der Anti-Versailles-Rhetorik veränderte, wie sie sich von der gemäßigten Rechten unterschied und wie sie sich zu anderen zentralen Themen der radikalen Rechten und ihrer Demokratiekritik verhielt. Dann wäre noch deutlicher geworden, wie eng verknüpft die Rede von Krieg, Gewalt und Verrat mit der nationalsozialistischen Kritik am Parlamentarismus war. Krumeichs Perspektive lässt so das Scheitern der Weimarer Republik und den Erfolg des Nationalsozialismus ganz als Folge der "Erblast" des Ersten Weltkrieges erscheinen und verengt den Blick damit doch sehr.

Das ist auch deshalb schade, weil sich manch wichtige und weiterführende Beobachtungen in seiner Darstellung finden, nicht nur in seiner Analyse der Hitler-Reden, sondern auch bei seinem Versuch, den soldatischen Kriegserzählungen im Übergang zum Nationalsozialismus nachzugehen oder die unterschiedlichen Formen des Totengedenkens vor und nach 1933 zu rekonstruieren. Für gegenläufige Tendenzen zu seiner Lesart nimmt sich Krumeich indes deutlich zu wenig Raum. Ein Beispiel: In seinem Kapitel über "Die Nazis als Sachwalter der Ehre des Frontsoldaten" untersucht er, gestützt auf neuere Arbeiten, die Rolle der SA als "Fortsetzung des Frontgeistes" und sieht im Nationalsozialismus einen "Anwalt der Kriegsbeschädigten". Tatsächlich spielten die Kriegsversehrten für die nationalsozialistische Propaganda nach 1933 eine zentrale Rolle. Selbstverständlich war das nicht, denn die Körpergeschädigten des Ersten Weltkrieges entsprachen keineswegs den Anforderungen der öffentlich zur Schau gestellten nationalsozialistischen Leistungspolitik. Zudem war es keineswegs so, dass sich die Weimarer Republik mit ihrer deutlich modernisierten Sozialpolitik um diese Großgruppe der Versehrten nicht gekümmert hatte.

Aber die nationalsozialistische Propaganda lief nach der "Machtergreifung" zur großen Form auf, um mit ihnen und durch sie an das "Schicksal" der Weltkriegssoldaten und die Folgen des Ersten Weltkrieges zu erinnern - und damit an die vielfach beschworene "Opferlast" und "Ehre" des Soldaten. Die symbolische Erhöhung, und davon ist bei Krumeich deutlich weniger zu lesen, war aber keineswegs an eine umfassendere materielle Besserstellung gekoppelt, und jüdische Kriegsversehrte und psychisch kranke Veteranen wurden systematisch ausgegrenzt.

Gegenüber solchen inneren Widersprüchen nationalsozialistischer Politik und Propaganda ist das Buch erstaunlich wenig offen, was womöglich damit zu tun hat, dass sich Krumeich in seiner Analyse viel zu sehr auf die strikte Trennung zwischen "den Nazis" und "den Deutschen" stützt. Er kleidet dies in eine - wohl rhetorische - Frage: "Hat es nicht zumindest in der Zeit von 1933 bis 1938/39 in gewisser Weise 'zwei Kulturen' des NS gegeben? Eine für die überzeugten Nazis und eine andere für die Abermillionen Mitläufer und Menschen, die eigentlich mit der Ideologie des Nationalsozialismus, mit Rasse, Blut und Boden und mit ihrem extremen Antisemitismus wenig zu schaffen hatten? Die aber glaubten, dass Hitlers Vorstellung von 'Volksgemeinschaft' so ziemlich mit dem übereinstimmte, was man selbst schon immer gedacht und gefühlt hatte."

Das liest sich dann schon deutlich weniger innovativ. Denn viel zu lange hat nach 1945 die Deutung dominiert, Nationalsozialisten seien vor allem die Schläger der SA und die enge Führungsclique um Hitler gewesen, die kaum etwas mit dem deutschen Bürgertum, den Akademikern und Angestellten zu tun gehabt hätten. Eine solche scharfe Grenzziehung zwischen "den" Nationalsozialisten und "den" Deutschen ist jedenfalls äußerst trügerisch. Es gehörte zum Wesen des Nationalsozialismus, dass die Begriffe, mit denen er die Welt deutete - Volk, Raum, Rasse, Führer und Gemeinschaft -, unterschiedlich radikale Sichtweisen und Antworten zuließen und gerade in dieser Offenheit attraktiv waren für verschiedene soziale Gruppen, bis hin zu nicht parteipolitisch gebundenen Arbeitern, die sich soziale Sicherheit und Anerkennung ihrer "deutschen Arbeit" und Leistungen versprachen.

Welche Funktion das "Kriegstrauma" für all diese Gruppen besaß, lässt das Buch weitgehend offen. Ebenso wie die Frage, was denn die Erinnerung an den "Ersten Weltkrieg" im Kontext einer Politik bedeutete, die ja keineswegs einzig auf die Revision von "Versailles" zielte, sondern auf die gewaltsame Eroberung von "Lebensraum" im Osten. So geht die weiterführende Idee, die Krumeich formuliert, in seinen Ausführungen zusehends verloren. Etwas provokativ ist das Buch, aber nicht wirklich überzeugend. DIETMAR SÜSS

Gerd Krumeich: "Als Hitler den Ersten Weltkrieg gewann". Die Nazis und die Deutschen 1921-1940.

Herder Verlag, Freiburg 2024.

352 S., Abb., geb., 26,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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