Erich Kästners Kindheitserinnerungen - zum ersten Mal im Taschenbuch
»Die Monate haben es eilig. Die Jahre haben es eiliger. Und die Jahrzehnte haben es am eiligsten. Nur die Erinnerungen haben Geduld mit uns. Besonders dann, wenn wir mit ihnen Geduld haben«, schreibt Erich Kästner in seinem Nachwort zu seinen Kindheitserinnerungen Als ich ein kleiner Junge war. Kästner, 1899 in Dresden geboren, erzählt von den Jahren 1907 bis 1914 in seiner Heimatstadt, aber auch sehr anschaulich von der Kindheit seiner Eltern und seiner Großeltern.
Er beschreibt das Alltagsleben seiner Familie, die gesellschaftlichen Zwänge und Konventionen, das Treiben auf den Straßen und Plätzen Dresdens. Besonders liebevoll erinnert sich Erich Kästner an seine Mutter, der er mit diesem Buch ein Denkmal setzt.
»Die Monate haben es eilig. Die Jahre haben es eiliger. Und die Jahrzehnte haben es am eiligsten. Nur die Erinnerungen haben Geduld mit uns. Besonders dann, wenn wir mit ihnen Geduld haben«, schreibt Erich Kästner in seinem Nachwort zu seinen Kindheitserinnerungen Als ich ein kleiner Junge war. Kästner, 1899 in Dresden geboren, erzählt von den Jahren 1907 bis 1914 in seiner Heimatstadt, aber auch sehr anschaulich von der Kindheit seiner Eltern und seiner Großeltern.
Er beschreibt das Alltagsleben seiner Familie, die gesellschaftlichen Zwänge und Konventionen, das Treiben auf den Straßen und Plätzen Dresdens. Besonders liebevoll erinnert sich Erich Kästner an seine Mutter, der er mit diesem Buch ein Denkmal setzt.
"Es passiert eigentlich gar nichts. Aber das ist eben das Kunstvolle daran: Kästner erzählt es so mühelos, so herzlich, während er es ohne alle Prätention hervorbringt, daß man immer wieder staunt. Seine Prosa ist wasserklar. Sie hat zugleich aber eine Würze und eine Art pfiffigen Humors, daß das scheinbar so ganz Durchsichtige doch vielfältig schillert und immer neue Farben gewinnt.
Wer so einfach schreiben kann und mit dem scheinbar simplen Wort dabei doch Dichte, Kolorit und Phantasie geben kann, ist auf seine Art ein Meister: Die Kinder werden dieses Buch als ein Kästner-Kinderbuch lieben. Die Erwachsenen werden es bewundern." Friedrich Luft in 'Die Welt'
Wer so einfach schreiben kann und mit dem scheinbar simplen Wort dabei doch Dichte, Kolorit und Phantasie geben kann, ist auf seine Art ein Meister: Die Kinder werden dieses Buch als ein Kästner-Kinderbuch lieben. Die Erwachsenen werden es bewundern." Friedrich Luft in 'Die Welt'
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996Doppeltes Lottchen, sechsfacher Kästner
Neu aufgelegt: Die Kindheitserinnerungen des beliebten Schriftstellers
Thornton Wilder schrieb einmal an Erich Kästner: "Ich kenne sechs Kästners. Kennen die sechs Kästners einander?" Diese sechs Kästner sind: der Lyriker, der Dramatiker, der Romancier, der Journalist, der Kritiker und der Kinderbuchautor. Leider ist bis heute nur einer dieser sechs lebendig geblieben: der Kinderbuchautor.
Auffallend ist der Unterschied zwischen Kästners literarischen Arbeiten für Erwachsene, die den satirischen, melancholischen und zornigen Kästner offenbaren, und denen für Kinder: heiter, beschönigend, pädagogisierend. Eine zurechtgestutzte Welt, in der ein bißchen guter Wille reichen würde, sie gänzlich in Ordnung zu bringen. Kästner selbst gab diesen Unterschied zu. Kinder, so sagte er 1949, seien dem Guten noch nahe wie Stubennachbarn. Man müsse sie nur lehren, die Tür behutsam aufzuklinken. 1969 sagte er: "Wer an die Jugend glaubt, glaubt an die Erziehung. Wer an die Erziehung glaubt, glaubt an Sinn und Wert der Vorbilder."
Erziehung durch Einsicht zur Vernunft, darin sah Kästner seine Aufgabe. Vorbilder sollten sie also sein: der anständige Emil, der arme, wohlerzogene Anton, der kluge Martin Thaler aus dem "Fliegenden Klassenzimmer", das beherzte doppelte Lottchen. Die Jungen allesamt kleine E. K.'s, die Mütter immer der eigenen, aufopferungsvollen Mutter nachempfunden. Drei Kinderbücher jedoch haben einen höheren Anspruch: "Der 35. Mai" (1931), "Die Konferenz der Tiere" (1949) und "Als ich ein kleiner Junge war" (1957). In seinem autobiographischen Kindheitsbericht "Als ich ein kleiner Junge war" erweckt er das alte Dresden zum Leben. Ob das Buch auch heute noch für "Kinder und Nichtkinder", wie Kästner im Vorwort schreibt, gleichermaßen von Interesse ist, scheint fraglich. Als lebendiges Dokument der Wilhelminischen Ära und als Kindheitsgeschichte eines beliebten Schriftstellers ist es den Nichtkindern gewiß sehr wertvoll.
Der Leser darf einen sympathisch berührenden Spaziergang durch alte Straßen unternehmen und immer mal wieder einem aus der Kästnerschen Verwandtschaft die Hand schütteln. Politikverdrossene von heute können sich an Bemerkungen wie diesen erfreuen: "Noch heute streiten sich die Regierungen der Großmächte, wer Dresden ermordet hat. Noch heute streitet man sich, ob unter dem Garnichts fünfzigtausend, hunderttausend oder zweihunderttausend Tote liegen. Und niemand will es gewesen sein. Jeder sagt, die anderen seien daran schuld. Ach, was soll der Streit? . . . Bestraft künftig die Regierungen und nicht die Völker! Und bestraft sie nicht erst hinterher, sondern sofort! Das klingt einfacher, als es ist? Nein. Das ist einfacher, als es klingt."
Man lernt sie in diesem Buch gründlich kennen, die später zerstörte ehemalige königlich sächsische Haupt- und Residenzstadt, in der Kästner am 23. Februar 1899 zur Welt kommt. Man spürt die tiefe Liebe des Autors zu der kleinbürgerlichen Welt seiner Kindheit, die ihm noch im Alter als die lebenswertere erscheint. Überdies wird eine Privattragödie geschildert. Die ewigen, halb ernsthaften, halb vorgespielten Selbstmordversuche der Mutter, der Konkurrenzkampf der Eltern, die um die Sohnesliebe buhlen, die ständigen Schuldgefühle, mit denen der kleine Erich beobachtet, wie die Mutter nur für und durch ihn lebt und sich in nächtelanger Heimarbeit aufopfert, damit aus ihm mal was wird. Um sie nicht zu enttäuschen, wird er zum "patentierten Musterknaben". Nie versäumt er die Schule, stets ist er Klassenprimus. Noch der erwachsene Mann wird von dieser Übermutter nicht loskommen. Der brave, tüchtige, aber ungeliebte Vater, den der Sohn eher mitleidig staunend beschreibt als akzeptiert, kann da nur abseits stehen. Wahrhaft zu verstehen aber sind diese Erinnerungen an eine Kindheit in der Kaiserzeit nur, wenn man weiß, was der Autor seinen Lesern verschweigt - nämlich die Tatsache, daß eben nicht Emil Kästner sein Vater ist, sondern der Hausarzt der Familie, ein Sanitätsrat Dr. Zimmermann, der die Familie zeitweise finanziell unterstützt. Ein "Geheimnis", das erst 1984, zehn Jahre nach Erich Kästners Tod, gelüftet wurde, das aber vieles klärt. Ein Nachwort des Verlages wäre von Nutzen gewesen.
Die Neuausgabe dieser Kindheitsgeschichte ist bibliophil ausgestattet: in Leinen, mit Schutzumschlag, Lesebändchen und vielen farbigen und sehr stimmungsvollen Zeichnungen von Peter Knorr. Der Illustrator hat sich dabei weitgehend an Fotografien gehalten und auch für die von ihm frei gestalteten Szenen jenen schönen Braunton bevorzugt, den man von alten Fotos kennt. Nostalgiker und Kästner-Freunde werden ihre Freude daran haben. KLAUS KORDON
Erich Kästner: "Als ich ein kleiner Junge war". Mit Illustrationen von Peter Knorr. Dressler Verlag, Hamburg 1996. 224 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neu aufgelegt: Die Kindheitserinnerungen des beliebten Schriftstellers
Thornton Wilder schrieb einmal an Erich Kästner: "Ich kenne sechs Kästners. Kennen die sechs Kästners einander?" Diese sechs Kästner sind: der Lyriker, der Dramatiker, der Romancier, der Journalist, der Kritiker und der Kinderbuchautor. Leider ist bis heute nur einer dieser sechs lebendig geblieben: der Kinderbuchautor.
Auffallend ist der Unterschied zwischen Kästners literarischen Arbeiten für Erwachsene, die den satirischen, melancholischen und zornigen Kästner offenbaren, und denen für Kinder: heiter, beschönigend, pädagogisierend. Eine zurechtgestutzte Welt, in der ein bißchen guter Wille reichen würde, sie gänzlich in Ordnung zu bringen. Kästner selbst gab diesen Unterschied zu. Kinder, so sagte er 1949, seien dem Guten noch nahe wie Stubennachbarn. Man müsse sie nur lehren, die Tür behutsam aufzuklinken. 1969 sagte er: "Wer an die Jugend glaubt, glaubt an die Erziehung. Wer an die Erziehung glaubt, glaubt an Sinn und Wert der Vorbilder."
Erziehung durch Einsicht zur Vernunft, darin sah Kästner seine Aufgabe. Vorbilder sollten sie also sein: der anständige Emil, der arme, wohlerzogene Anton, der kluge Martin Thaler aus dem "Fliegenden Klassenzimmer", das beherzte doppelte Lottchen. Die Jungen allesamt kleine E. K.'s, die Mütter immer der eigenen, aufopferungsvollen Mutter nachempfunden. Drei Kinderbücher jedoch haben einen höheren Anspruch: "Der 35. Mai" (1931), "Die Konferenz der Tiere" (1949) und "Als ich ein kleiner Junge war" (1957). In seinem autobiographischen Kindheitsbericht "Als ich ein kleiner Junge war" erweckt er das alte Dresden zum Leben. Ob das Buch auch heute noch für "Kinder und Nichtkinder", wie Kästner im Vorwort schreibt, gleichermaßen von Interesse ist, scheint fraglich. Als lebendiges Dokument der Wilhelminischen Ära und als Kindheitsgeschichte eines beliebten Schriftstellers ist es den Nichtkindern gewiß sehr wertvoll.
Der Leser darf einen sympathisch berührenden Spaziergang durch alte Straßen unternehmen und immer mal wieder einem aus der Kästnerschen Verwandtschaft die Hand schütteln. Politikverdrossene von heute können sich an Bemerkungen wie diesen erfreuen: "Noch heute streiten sich die Regierungen der Großmächte, wer Dresden ermordet hat. Noch heute streitet man sich, ob unter dem Garnichts fünfzigtausend, hunderttausend oder zweihunderttausend Tote liegen. Und niemand will es gewesen sein. Jeder sagt, die anderen seien daran schuld. Ach, was soll der Streit? . . . Bestraft künftig die Regierungen und nicht die Völker! Und bestraft sie nicht erst hinterher, sondern sofort! Das klingt einfacher, als es ist? Nein. Das ist einfacher, als es klingt."
Man lernt sie in diesem Buch gründlich kennen, die später zerstörte ehemalige königlich sächsische Haupt- und Residenzstadt, in der Kästner am 23. Februar 1899 zur Welt kommt. Man spürt die tiefe Liebe des Autors zu der kleinbürgerlichen Welt seiner Kindheit, die ihm noch im Alter als die lebenswertere erscheint. Überdies wird eine Privattragödie geschildert. Die ewigen, halb ernsthaften, halb vorgespielten Selbstmordversuche der Mutter, der Konkurrenzkampf der Eltern, die um die Sohnesliebe buhlen, die ständigen Schuldgefühle, mit denen der kleine Erich beobachtet, wie die Mutter nur für und durch ihn lebt und sich in nächtelanger Heimarbeit aufopfert, damit aus ihm mal was wird. Um sie nicht zu enttäuschen, wird er zum "patentierten Musterknaben". Nie versäumt er die Schule, stets ist er Klassenprimus. Noch der erwachsene Mann wird von dieser Übermutter nicht loskommen. Der brave, tüchtige, aber ungeliebte Vater, den der Sohn eher mitleidig staunend beschreibt als akzeptiert, kann da nur abseits stehen. Wahrhaft zu verstehen aber sind diese Erinnerungen an eine Kindheit in der Kaiserzeit nur, wenn man weiß, was der Autor seinen Lesern verschweigt - nämlich die Tatsache, daß eben nicht Emil Kästner sein Vater ist, sondern der Hausarzt der Familie, ein Sanitätsrat Dr. Zimmermann, der die Familie zeitweise finanziell unterstützt. Ein "Geheimnis", das erst 1984, zehn Jahre nach Erich Kästners Tod, gelüftet wurde, das aber vieles klärt. Ein Nachwort des Verlages wäre von Nutzen gewesen.
Die Neuausgabe dieser Kindheitsgeschichte ist bibliophil ausgestattet: in Leinen, mit Schutzumschlag, Lesebändchen und vielen farbigen und sehr stimmungsvollen Zeichnungen von Peter Knorr. Der Illustrator hat sich dabei weitgehend an Fotografien gehalten und auch für die von ihm frei gestalteten Szenen jenen schönen Braunton bevorzugt, den man von alten Fotos kennt. Nostalgiker und Kästner-Freunde werden ihre Freude daran haben. KLAUS KORDON
Erich Kästner: "Als ich ein kleiner Junge war". Mit Illustrationen von Peter Knorr. Dressler Verlag, Hamburg 1996. 224 S., geb., 48,- DM.
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