Eine amüsante Begegnung mit dem historischen Martin Luther
Bereits das Cover ist ein Hingucker: Luther mit Kopfhörern! Bestechende Idee! Aber es geht so weiter. Obwohl das Thema eher unterschwellig behandelt wird, handelt es sich hier um einen waschechten SF-Roman, einen, der wirklich einmal dem
Anspruch gerecht wird.
Luther wird von seiner Käthe zum Kirschenpflücken verdonnert, obwohl er…mehrEine amüsante Begegnung mit dem historischen Martin Luther
Bereits das Cover ist ein Hingucker: Luther mit Kopfhörern! Bestechende Idee! Aber es geht so weiter. Obwohl das Thema eher unterschwellig behandelt wird, handelt es sich hier um einen waschechten SF-Roman, einen, der wirklich einmal dem Anspruch gerecht wird.
Luther wird von seiner Käthe zum Kirschenpflücken verdonnert, obwohl er eigentlich gerade über einem Übersetzungsproblem brütet und gar keine Zeit für solche alltäglichen Verrichtungen hat. Sehr schön ist in diesem Zusammenhang Katharina von Bora charakterisiert, die schon einigen Mumm gehabt haben muß, sonst hätte sie es gar nicht geschafft, ihre Schwestern aus dem Kloster herauszubringen. Aber auch Luther selbst erscheint mir durchgehend überaus glaubhaft: Einerseits aufrichtig bis auf die Knochen, andererseits mit den bekannten Ecken und Kanten.
Dann schlägt der Blitz in den Kirschbaum ein und schleudert den Reformator in unsere moderne Zeit. Welch ein Vergnügen, den liebevoll ersonnenen Vorgängen zu folgen! Dabei wird den Folgen des Zeitsprungs nicht allzuviel Raum gegeben, um das Thema nicht aus dem Fokus zu verlieren. Ich könnte mir aber vorstellen, daß so eine Zeitreise gar nicht so einfach ablaufen würde. Auf jeden Fall ist es außerordentlich genüßlich, unsere moderne Zeit mit den Augen Luthers zu sehen. Ein Bonbon ist dabei die Begegnung mit dem Papst, den ich für gewöhnlich im täglichen Leben überhaupt nicht auf dem Schirm habe und folglich viel zu spät identifiziert habe.
Die Person des frisch pensionierten Pfarrers Sonnhüter trägt innerhalb der Handlung ein außerordentliches Gewicht. Trotz seines Hintergrunds hat er beschlossen, nach seiner Pensionierung den Glauben an Gott an den Nagel zu hängen. Eigentlich erwartet man eine solche Entscheidung während des Studiums und nicht am Ende der Berufslaufbahn, aber durch diesen Zug ergeben sich einige höchst vergnügliche Verwicklungen.
Der Autor würdigt wunderbar den kaum ermeßbaren Beitrag Luthers für die christliche Kirche. Ohne ihn würden wir vermutlich noch heute Ablaßbriefe kaufen und damit goldene Kirchen bauen. Und ausgerechnet dieses geistliche Schwergewicht trifft auf Sonnhüter, der mit seinen Glaubenswurzeln hadert und den Boden unter den Füßen verloren hat!
Theologiestudentin Henrike vervollständigt das Trio. Sie ist eigentlich Jüdin und hat so einen völlig anderen Zugang zu Luther und Kirche, was etliche zusätzliche nachdenkenswerte Gedanken beisteuert. Alles in allem: ein wunderbares Buch, vergnüglich und trotzdem tiefschürfend, mit vielen Punkten, mit denen man sich ausführlicher beschäftigen sollte.
Weniger glaubhaft ist Luthers Rückkehr in seine Zeit, aber offensichtlich wollte der Autor sich nicht zu sehr im Thema verlieren.
Ein Lapsus, der für meine Begriffe nicht hätte vorkommen dürfen, ist der zweimal fehlende Akkusativ-Partikel ät, als ziemlich am Anfang der erste Satz der Bibel zitiert wird. Das dürfte auch einem Eleven im Hebräisch-Sprachkurs nach drei Wochen nicht mehr passieren. Aber daran sieht man mal wieder, wie stiefmütterlich das Hebräische behandelt wird. Man bringt das eine Semester hinter sich – und dabei hätte die Sprache so viel mehr verdient! (Der “Stil” des Glases ist vermutlich ein Flüchtigkeitsfehler.)
Wer sich für Luther und Reformation interessiert, aber keinen Fachwälzer lesen möchte, ist mit diesem Roman knackig-kurz und vergnüglich bestens bedient. Leseempfehlung!