Mit Luther auf die Wartburg und mit Berlichingen auf Raubzug ...
Der Autor des Spiegelbestsellers Als Deutschland noch nicht Deutschland war legt nach: Eine Zeitreise in Luthers Deutschland
Martin Luther lag erst ein gutes Jahr in der Wittenberger Schlosskirche im Sarg, als im Frühling 1547 von den Türmen seiner alten Predigtkirche, der Stadtkirche St. Marien, die Aufbauten von den Türmen genommen wurden. Auf die freigemachten Plattformen sollten Kanonen gehievt werden, mit denen man die Landsknechte Karls V. vom Sturm auf die Stadt abhalten wollte. Letztendlich wurde die Stadt friedlich übergeben; Wittenberg wurde nicht geplündert. Luthers Leichnam wurde nicht aus dem Grab geholt und verbrannt, um noch posthum die Reichsacht an ihm zu vollstrecken - obwohl es Stimmen gab, die dies forderten. Die Türme bekamen neue Spitzhelme - und erst ein halbes Jahrtausend später (bei Restaurierungsarbeiten im Jahr 1910) fand man eine von Philipp Melanchthon handschriftlich verfasste Chronik der Zeit - einer Zeit, die bewegter, aber (für Deutschland) auch zukunftsformender kaum hätte sein können.Bruno Preisendörfer schaut Luther und vielen seiner Zeitgenossen über die Schulter, wir erleben ihr öffentliches Wirken, aber auch ihren Alltag. Mit Götz von Berlichingen überfallen wir Nürnberger Kauf leute und werden selbst von Nürnbergern belagert. Wir sehen den Fuggern in ihrem Augsburger Kontor auf die Finger und machen uns mit den Welsern bei der Ausbeutung Venezuelas die Hände schmutzig. Albrecht Dürer lernen wir beim Malen kennen, Hans Sachs beim Versemachen und Luthers Frau Katharina bei der Haushaltsführung - bis wir mit ihr vor der Pest aus Wittenberg fliehen. Wir erleben, wie mühsam die Alltagsverrichtungen sind, vom Zubereiten der Mahlzeiten bis zum Beschaffen der Kleidung. Wir reihen uns in Landsknechte-Haufen ein, proben mit fränkischen und thüringischen Bauern den Aufstand, lauschen brav den Predigern und fürchten uns vor dem Jüngsten Gericht.
Der Autor des Spiegelbestsellers Als Deutschland noch nicht Deutschland war legt nach: Eine Zeitreise in Luthers Deutschland
Martin Luther lag erst ein gutes Jahr in der Wittenberger Schlosskirche im Sarg, als im Frühling 1547 von den Türmen seiner alten Predigtkirche, der Stadtkirche St. Marien, die Aufbauten von den Türmen genommen wurden. Auf die freigemachten Plattformen sollten Kanonen gehievt werden, mit denen man die Landsknechte Karls V. vom Sturm auf die Stadt abhalten wollte. Letztendlich wurde die Stadt friedlich übergeben; Wittenberg wurde nicht geplündert. Luthers Leichnam wurde nicht aus dem Grab geholt und verbrannt, um noch posthum die Reichsacht an ihm zu vollstrecken - obwohl es Stimmen gab, die dies forderten. Die Türme bekamen neue Spitzhelme - und erst ein halbes Jahrtausend später (bei Restaurierungsarbeiten im Jahr 1910) fand man eine von Philipp Melanchthon handschriftlich verfasste Chronik der Zeit - einer Zeit, die bewegter, aber (für Deutschland) auch zukunftsformender kaum hätte sein können.Bruno Preisendörfer schaut Luther und vielen seiner Zeitgenossen über die Schulter, wir erleben ihr öffentliches Wirken, aber auch ihren Alltag. Mit Götz von Berlichingen überfallen wir Nürnberger Kauf leute und werden selbst von Nürnbergern belagert. Wir sehen den Fuggern in ihrem Augsburger Kontor auf die Finger und machen uns mit den Welsern bei der Ausbeutung Venezuelas die Hände schmutzig. Albrecht Dürer lernen wir beim Malen kennen, Hans Sachs beim Versemachen und Luthers Frau Katharina bei der Haushaltsführung - bis wir mit ihr vor der Pest aus Wittenberg fliehen. Wir erleben, wie mühsam die Alltagsverrichtungen sind, vom Zubereiten der Mahlzeiten bis zum Beschaffen der Kleidung. Wir reihen uns in Landsknechte-Haufen ein, proben mit fränkischen und thüringischen Bauern den Aufstand, lauschen brav den Predigern und fürchten uns vor dem Jüngsten Gericht.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Stephan Speicher erfährt aus Bruno Preisendörfers Lesebuch zur Kulturgeschichte der Reformationszeit pralle Fakten. Wie das Frühneuhochdeutsche sich herausbildet, lernt er, wie die Theologie auf die Sexualität wirkte, der Kapitalismus auf das Leben und was der Hunger anrichtete. Dem Untertitel seines Buches wird der Autor laut Rezensent gerecht. Er schreibt unterhaltend, abwechslungsreich und lässig belehrend, seinen eigenen Vorlieben großzügig Raum gebend, meint Speicher. Die originalsprachlichen Quellenzitate haben dem Rezensenten Spaß gemacht und Preisendörfers Interpretationen auch. Das Leben um 1500 ist uns ganz schön fremd, schließt Speicher.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2016So lebte die frühe Neuzeit
Bruno Preisendörfer besieht sich die Epoche Luthers
Wir nähern uns wieder der Lutherzeit. Aber nicht dank des Reformationsjubiläums oder des wohlmeinenden Rummels evangelischer Kirchentage, sondern weil die Konfrontation mit dem Islam den säkularisierten Gesellschaften Westeuropas wieder den existentiellen Ernst und die manchmal verheerende Wucht von Religion vor Augen stellt - ebendie Triebkräfte, die auch die Reformation und die ihr folgenden Kriege befeuerte.
Auch der Hang zur populistischen Polemik verbindet die beiden Epochen, und der vulgäre Pöbelstil, in dem die Flugschriften jener Zeit gehalten waren, scheint in den Wut- und Hasstiraden der sozialen Netzwerke wiedergeboren zu sein - leider ohne die drastische Bildkraft eines Doktor Martinus. Dessen Zeit, die den Humus für die Keime der Moderne bildete, ist das Thema von Bruno Preisendörfers Buch. Der Titel führt allerdings etwas in die Irre, denn um Sprachgeschichte geht es hier nur am Rande.
Vielmehr entfaltet Preisendörfer ein vielfältiges Panorama des Lebens in der frühen Neuzeit. Er nimmt den Leser mit in prächtige Patrizierhäuser, muffige Burgen und armselige Bauernkaten, er schildert die Bewaffnung der Landsknechte und die komplizierten Kleiderordnungen der Stände ebenso wie die brachialen Kuren gegen Geschlechtskrankheiten oder die Techniken des Rechnens vor und nach Adam Ries, der nicht Riese hieß. Von den Fährnissen der Geburt über die Kindererziehung bis zu den Ritualen des Sterbens bleibt kaum ein Aspekt unberücksichtigt.
Preisendörfer spart nicht mit plastischen, auch drastischen Details und handfesten Beispielen. Oft lässt er die Quellen zu Wort kommen, deren frühneuhochdeutsche Sprache für uns Heutige gerade noch verständlich ist, deren Wortschatz und Satzbau aber auch den Abstand zur Gedankenwelt der Lutherzeit unmittelbar spüren lassen. "Erfunden", wie der Buchtitel suggeriert, hat Luther die deutsche Hochsprache natürlich nicht - Sprache ist nichts, was ein Einzelner erschaffen kann -, aber er hat ihre Entwicklung entscheidend vorangetrieben.
Bei aller Liebe zur erzählenden Miniatur stellt der Autor immer wieder den Bezug zu den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Epoche her, einer Epoche, in der die Existenz von Himmel und Hölle noch unbezweifelbar war und die Religion den Verfechtern wie den Feinden der überkommenen Ständeordnung die ideologische Munition lieferte. Geschildert ist all das in einem anschaulichen Stil, der die Zeit lebendig werden lässt, ohne ihr eine falsche Vertrautheit zu verleihen. Gelegentliche Brückenschläge in die Gegenwart kommen ohne bemühte Aktualisierungen aus. Luther mit seinem Wirken zwischen Magdeburg und Eisenach, Erfurt und Wittenberg bildet den Hintergrund des Buches, vor dem die Lebens- und Denkwelten seiner Zeitgenossen entfaltet werden.
Wenn es allerdings um die Seiten des Wittenberger Propheten geht, die uns heute befremden - seine Propaganda gegen die aufständischen Bauern, seine Obrigkeitstreue, sein Glaube an Teufel und Hexen -, verlässt den Autor gelegentlich die Fairness des Historikers, der die Zeit und das Verhalten ihrer Akteure aus ihren eigenen Voraussetzungen erklären sollte. Nicht immer kann Preisendörfer der Versuchung widerstehen, vom Podest der Aufklärung und moralischen Überlegenheit herab Luthers "Rückständigkeit" vorzuführen, obwohl die doch ebenso in jener Umbruchsphase wurzelt wie die nicht minder antimodernen Heilsutopien der aufständischen Bauern und Wiedertäufer.
Den positiven Gesamteindruck und das Lesevergnügen des schön aufgemachten Buches kann das aber nicht trüben. Sehr nützlich ist auch der umfangreiche Anhang mit Begriffs-, Sach- und Personenverzeichnissen, die viele wichtige Hintergrundinformationen zur Politik, Alltagskultur und nicht zuletzt zur Reformation selbst liefern. Zum Beispiel zu Luthers Gnadenlehre, deren Determinismus für viele Protestanten von heute wohl eine Provokation darstellen würde - wäre sie ihnen noch bekannt.
WOLFGANG KRISCHKE
Bruno Preisendörfer: "Als unser Deutsch erfunden wurde". Reise in die Lutherzeit.
Verlag Galiani, Berlin 2016. 496 S., Abb., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bruno Preisendörfer besieht sich die Epoche Luthers
Wir nähern uns wieder der Lutherzeit. Aber nicht dank des Reformationsjubiläums oder des wohlmeinenden Rummels evangelischer Kirchentage, sondern weil die Konfrontation mit dem Islam den säkularisierten Gesellschaften Westeuropas wieder den existentiellen Ernst und die manchmal verheerende Wucht von Religion vor Augen stellt - ebendie Triebkräfte, die auch die Reformation und die ihr folgenden Kriege befeuerte.
Auch der Hang zur populistischen Polemik verbindet die beiden Epochen, und der vulgäre Pöbelstil, in dem die Flugschriften jener Zeit gehalten waren, scheint in den Wut- und Hasstiraden der sozialen Netzwerke wiedergeboren zu sein - leider ohne die drastische Bildkraft eines Doktor Martinus. Dessen Zeit, die den Humus für die Keime der Moderne bildete, ist das Thema von Bruno Preisendörfers Buch. Der Titel führt allerdings etwas in die Irre, denn um Sprachgeschichte geht es hier nur am Rande.
Vielmehr entfaltet Preisendörfer ein vielfältiges Panorama des Lebens in der frühen Neuzeit. Er nimmt den Leser mit in prächtige Patrizierhäuser, muffige Burgen und armselige Bauernkaten, er schildert die Bewaffnung der Landsknechte und die komplizierten Kleiderordnungen der Stände ebenso wie die brachialen Kuren gegen Geschlechtskrankheiten oder die Techniken des Rechnens vor und nach Adam Ries, der nicht Riese hieß. Von den Fährnissen der Geburt über die Kindererziehung bis zu den Ritualen des Sterbens bleibt kaum ein Aspekt unberücksichtigt.
Preisendörfer spart nicht mit plastischen, auch drastischen Details und handfesten Beispielen. Oft lässt er die Quellen zu Wort kommen, deren frühneuhochdeutsche Sprache für uns Heutige gerade noch verständlich ist, deren Wortschatz und Satzbau aber auch den Abstand zur Gedankenwelt der Lutherzeit unmittelbar spüren lassen. "Erfunden", wie der Buchtitel suggeriert, hat Luther die deutsche Hochsprache natürlich nicht - Sprache ist nichts, was ein Einzelner erschaffen kann -, aber er hat ihre Entwicklung entscheidend vorangetrieben.
Bei aller Liebe zur erzählenden Miniatur stellt der Autor immer wieder den Bezug zu den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Epoche her, einer Epoche, in der die Existenz von Himmel und Hölle noch unbezweifelbar war und die Religion den Verfechtern wie den Feinden der überkommenen Ständeordnung die ideologische Munition lieferte. Geschildert ist all das in einem anschaulichen Stil, der die Zeit lebendig werden lässt, ohne ihr eine falsche Vertrautheit zu verleihen. Gelegentliche Brückenschläge in die Gegenwart kommen ohne bemühte Aktualisierungen aus. Luther mit seinem Wirken zwischen Magdeburg und Eisenach, Erfurt und Wittenberg bildet den Hintergrund des Buches, vor dem die Lebens- und Denkwelten seiner Zeitgenossen entfaltet werden.
Wenn es allerdings um die Seiten des Wittenberger Propheten geht, die uns heute befremden - seine Propaganda gegen die aufständischen Bauern, seine Obrigkeitstreue, sein Glaube an Teufel und Hexen -, verlässt den Autor gelegentlich die Fairness des Historikers, der die Zeit und das Verhalten ihrer Akteure aus ihren eigenen Voraussetzungen erklären sollte. Nicht immer kann Preisendörfer der Versuchung widerstehen, vom Podest der Aufklärung und moralischen Überlegenheit herab Luthers "Rückständigkeit" vorzuführen, obwohl die doch ebenso in jener Umbruchsphase wurzelt wie die nicht minder antimodernen Heilsutopien der aufständischen Bauern und Wiedertäufer.
Den positiven Gesamteindruck und das Lesevergnügen des schön aufgemachten Buches kann das aber nicht trüben. Sehr nützlich ist auch der umfangreiche Anhang mit Begriffs-, Sach- und Personenverzeichnissen, die viele wichtige Hintergrundinformationen zur Politik, Alltagskultur und nicht zuletzt zur Reformation selbst liefern. Zum Beispiel zu Luthers Gnadenlehre, deren Determinismus für viele Protestanten von heute wohl eine Provokation darstellen würde - wäre sie ihnen noch bekannt.
WOLFGANG KRISCHKE
Bruno Preisendörfer: "Als unser Deutsch erfunden wurde". Reise in die Lutherzeit.
Verlag Galiani, Berlin 2016. 496 S., Abb., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Handfester, reicher, kundiger kann ein Buch kaum sein. Es liest sich wie ein historischer Atlas, in dem jeder Ort lebt, egal wo man aufschlägt. (...) Preisendörfer verwandelt ferne Gepflogenheiten und Gefühle in einen Cranachschen Garten des Menschlichen, für alle Sinne. (...) Verteufelt gut. Die Zeit