Vom Alltag in der Lutherzeit.
Bruno Preisendörfer schaut Luther und seinen Zeitgenossen über die Schulter, wir erleben ihr öffentliches Wirken, aber auch ihren Alltag. Mit Götz von Berlichingen überfallen wir Nürnberger Kaufleute und werden selbst von Nürnbergern belagert. Albrecht Dürer lernen wir beim Malen kennen, Hans Sachs beim Versemachen und Luthers Frau Katharina bei der Haushaltsführung - bis wir mit ihr vor der Pest aus Wittenberg fliehen. Wir erleben, wie mühsam die Alltagsverrichtungen sind, vom Zubereiten der Mahlzeiten bis zum Beschaffen der Kleidung. Wir reihen uns in Landsknechtshaufen ein, proben mit fränkischen und thüringischen Bauern den Aufstand, lauschen brav den Predigern und fürchten uns vor dem Jüngsten Gericht.»Handfester, reicher, kundiger kann ein Buch kaum sein. Es liest sich wie ein historischer Atlas, in dem jeder Ort lebt, egal wo man aufschlägt.« Die Zeit
Bruno Preisendörfer schaut Luther und seinen Zeitgenossen über die Schulter, wir erleben ihr öffentliches Wirken, aber auch ihren Alltag. Mit Götz von Berlichingen überfallen wir Nürnberger Kaufleute und werden selbst von Nürnbergern belagert. Albrecht Dürer lernen wir beim Malen kennen, Hans Sachs beim Versemachen und Luthers Frau Katharina bei der Haushaltsführung - bis wir mit ihr vor der Pest aus Wittenberg fliehen. Wir erleben, wie mühsam die Alltagsverrichtungen sind, vom Zubereiten der Mahlzeiten bis zum Beschaffen der Kleidung. Wir reihen uns in Landsknechtshaufen ein, proben mit fränkischen und thüringischen Bauern den Aufstand, lauschen brav den Predigern und fürchten uns vor dem Jüngsten Gericht.»Handfester, reicher, kundiger kann ein Buch kaum sein. Es liest sich wie ein historischer Atlas, in dem jeder Ort lebt, egal wo man aufschlägt.« Die Zeit
Handfester, reicher, kundiger kann ein Buch kaum sein. Es liest sich wie ein historischer Atlas, in dem jeder Ort lebt, egal wo man aufschlägt. (...) Preisendörfer verwandelt ferne Gepflogenheiten und Gefühle in einen Cranachschen Garten des Menschlichen, für alle Sinne. (...) Verteufelt gut. Die Zeit
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Stephan Speicher erfährt aus Bruno Preisendörfers Lesebuch zur Kulturgeschichte der Reformationszeit pralle Fakten. Wie das Frühneuhochdeutsche sich herausbildet, lernt er, wie die Theologie auf die Sexualität wirkte, der Kapitalismus auf das Leben und was der Hunger anrichtete. Dem Untertitel seines Buches wird der Autor laut Rezensent gerecht. Er schreibt unterhaltend, abwechslungsreich und lässig belehrend, seinen eigenen Vorlieben großzügig Raum gebend, meint Speicher. Die originalsprachlichen Quellenzitate haben dem Rezensenten Spaß gemacht und Preisendörfers Interpretationen auch. Das Leben um 1500 ist uns ganz schön fremd, schließt Speicher.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2016So lebte die frühe Neuzeit
Bruno Preisendörfer besieht sich die Epoche Luthers
Wir nähern uns wieder der Lutherzeit. Aber nicht dank des Reformationsjubiläums oder des wohlmeinenden Rummels evangelischer Kirchentage, sondern weil die Konfrontation mit dem Islam den säkularisierten Gesellschaften Westeuropas wieder den existentiellen Ernst und die manchmal verheerende Wucht von Religion vor Augen stellt - ebendie Triebkräfte, die auch die Reformation und die ihr folgenden Kriege befeuerte.
Auch der Hang zur populistischen Polemik verbindet die beiden Epochen, und der vulgäre Pöbelstil, in dem die Flugschriften jener Zeit gehalten waren, scheint in den Wut- und Hasstiraden der sozialen Netzwerke wiedergeboren zu sein - leider ohne die drastische Bildkraft eines Doktor Martinus. Dessen Zeit, die den Humus für die Keime der Moderne bildete, ist das Thema von Bruno Preisendörfers Buch. Der Titel führt allerdings etwas in die Irre, denn um Sprachgeschichte geht es hier nur am Rande.
Vielmehr entfaltet Preisendörfer ein vielfältiges Panorama des Lebens in der frühen Neuzeit. Er nimmt den Leser mit in prächtige Patrizierhäuser, muffige Burgen und armselige Bauernkaten, er schildert die Bewaffnung der Landsknechte und die komplizierten Kleiderordnungen der Stände ebenso wie die brachialen Kuren gegen Geschlechtskrankheiten oder die Techniken des Rechnens vor und nach Adam Ries, der nicht Riese hieß. Von den Fährnissen der Geburt über die Kindererziehung bis zu den Ritualen des Sterbens bleibt kaum ein Aspekt unberücksichtigt.
Preisendörfer spart nicht mit plastischen, auch drastischen Details und handfesten Beispielen. Oft lässt er die Quellen zu Wort kommen, deren frühneuhochdeutsche Sprache für uns Heutige gerade noch verständlich ist, deren Wortschatz und Satzbau aber auch den Abstand zur Gedankenwelt der Lutherzeit unmittelbar spüren lassen. "Erfunden", wie der Buchtitel suggeriert, hat Luther die deutsche Hochsprache natürlich nicht - Sprache ist nichts, was ein Einzelner erschaffen kann -, aber er hat ihre Entwicklung entscheidend vorangetrieben.
Bei aller Liebe zur erzählenden Miniatur stellt der Autor immer wieder den Bezug zu den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Epoche her, einer Epoche, in der die Existenz von Himmel und Hölle noch unbezweifelbar war und die Religion den Verfechtern wie den Feinden der überkommenen Ständeordnung die ideologische Munition lieferte. Geschildert ist all das in einem anschaulichen Stil, der die Zeit lebendig werden lässt, ohne ihr eine falsche Vertrautheit zu verleihen. Gelegentliche Brückenschläge in die Gegenwart kommen ohne bemühte Aktualisierungen aus. Luther mit seinem Wirken zwischen Magdeburg und Eisenach, Erfurt und Wittenberg bildet den Hintergrund des Buches, vor dem die Lebens- und Denkwelten seiner Zeitgenossen entfaltet werden.
Wenn es allerdings um die Seiten des Wittenberger Propheten geht, die uns heute befremden - seine Propaganda gegen die aufständischen Bauern, seine Obrigkeitstreue, sein Glaube an Teufel und Hexen -, verlässt den Autor gelegentlich die Fairness des Historikers, der die Zeit und das Verhalten ihrer Akteure aus ihren eigenen Voraussetzungen erklären sollte. Nicht immer kann Preisendörfer der Versuchung widerstehen, vom Podest der Aufklärung und moralischen Überlegenheit herab Luthers "Rückständigkeit" vorzuführen, obwohl die doch ebenso in jener Umbruchsphase wurzelt wie die nicht minder antimodernen Heilsutopien der aufständischen Bauern und Wiedertäufer.
Den positiven Gesamteindruck und das Lesevergnügen des schön aufgemachten Buches kann das aber nicht trüben. Sehr nützlich ist auch der umfangreiche Anhang mit Begriffs-, Sach- und Personenverzeichnissen, die viele wichtige Hintergrundinformationen zur Politik, Alltagskultur und nicht zuletzt zur Reformation selbst liefern. Zum Beispiel zu Luthers Gnadenlehre, deren Determinismus für viele Protestanten von heute wohl eine Provokation darstellen würde - wäre sie ihnen noch bekannt.
WOLFGANG KRISCHKE
Bruno Preisendörfer: "Als unser Deutsch erfunden wurde". Reise in die Lutherzeit.
Verlag Galiani, Berlin 2016. 496 S., Abb., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bruno Preisendörfer besieht sich die Epoche Luthers
Wir nähern uns wieder der Lutherzeit. Aber nicht dank des Reformationsjubiläums oder des wohlmeinenden Rummels evangelischer Kirchentage, sondern weil die Konfrontation mit dem Islam den säkularisierten Gesellschaften Westeuropas wieder den existentiellen Ernst und die manchmal verheerende Wucht von Religion vor Augen stellt - ebendie Triebkräfte, die auch die Reformation und die ihr folgenden Kriege befeuerte.
Auch der Hang zur populistischen Polemik verbindet die beiden Epochen, und der vulgäre Pöbelstil, in dem die Flugschriften jener Zeit gehalten waren, scheint in den Wut- und Hasstiraden der sozialen Netzwerke wiedergeboren zu sein - leider ohne die drastische Bildkraft eines Doktor Martinus. Dessen Zeit, die den Humus für die Keime der Moderne bildete, ist das Thema von Bruno Preisendörfers Buch. Der Titel führt allerdings etwas in die Irre, denn um Sprachgeschichte geht es hier nur am Rande.
Vielmehr entfaltet Preisendörfer ein vielfältiges Panorama des Lebens in der frühen Neuzeit. Er nimmt den Leser mit in prächtige Patrizierhäuser, muffige Burgen und armselige Bauernkaten, er schildert die Bewaffnung der Landsknechte und die komplizierten Kleiderordnungen der Stände ebenso wie die brachialen Kuren gegen Geschlechtskrankheiten oder die Techniken des Rechnens vor und nach Adam Ries, der nicht Riese hieß. Von den Fährnissen der Geburt über die Kindererziehung bis zu den Ritualen des Sterbens bleibt kaum ein Aspekt unberücksichtigt.
Preisendörfer spart nicht mit plastischen, auch drastischen Details und handfesten Beispielen. Oft lässt er die Quellen zu Wort kommen, deren frühneuhochdeutsche Sprache für uns Heutige gerade noch verständlich ist, deren Wortschatz und Satzbau aber auch den Abstand zur Gedankenwelt der Lutherzeit unmittelbar spüren lassen. "Erfunden", wie der Buchtitel suggeriert, hat Luther die deutsche Hochsprache natürlich nicht - Sprache ist nichts, was ein Einzelner erschaffen kann -, aber er hat ihre Entwicklung entscheidend vorangetrieben.
Bei aller Liebe zur erzählenden Miniatur stellt der Autor immer wieder den Bezug zu den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Epoche her, einer Epoche, in der die Existenz von Himmel und Hölle noch unbezweifelbar war und die Religion den Verfechtern wie den Feinden der überkommenen Ständeordnung die ideologische Munition lieferte. Geschildert ist all das in einem anschaulichen Stil, der die Zeit lebendig werden lässt, ohne ihr eine falsche Vertrautheit zu verleihen. Gelegentliche Brückenschläge in die Gegenwart kommen ohne bemühte Aktualisierungen aus. Luther mit seinem Wirken zwischen Magdeburg und Eisenach, Erfurt und Wittenberg bildet den Hintergrund des Buches, vor dem die Lebens- und Denkwelten seiner Zeitgenossen entfaltet werden.
Wenn es allerdings um die Seiten des Wittenberger Propheten geht, die uns heute befremden - seine Propaganda gegen die aufständischen Bauern, seine Obrigkeitstreue, sein Glaube an Teufel und Hexen -, verlässt den Autor gelegentlich die Fairness des Historikers, der die Zeit und das Verhalten ihrer Akteure aus ihren eigenen Voraussetzungen erklären sollte. Nicht immer kann Preisendörfer der Versuchung widerstehen, vom Podest der Aufklärung und moralischen Überlegenheit herab Luthers "Rückständigkeit" vorzuführen, obwohl die doch ebenso in jener Umbruchsphase wurzelt wie die nicht minder antimodernen Heilsutopien der aufständischen Bauern und Wiedertäufer.
Den positiven Gesamteindruck und das Lesevergnügen des schön aufgemachten Buches kann das aber nicht trüben. Sehr nützlich ist auch der umfangreiche Anhang mit Begriffs-, Sach- und Personenverzeichnissen, die viele wichtige Hintergrundinformationen zur Politik, Alltagskultur und nicht zuletzt zur Reformation selbst liefern. Zum Beispiel zu Luthers Gnadenlehre, deren Determinismus für viele Protestanten von heute wohl eine Provokation darstellen würde - wäre sie ihnen noch bekannt.
WOLFGANG KRISCHKE
Bruno Preisendörfer: "Als unser Deutsch erfunden wurde". Reise in die Lutherzeit.
Verlag Galiani, Berlin 2016. 496 S., Abb., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.08.2016Die Sprache eines großen, wilden Volkes
Bruno Preisendörfer lädt zu einer unterhaltenden, abwechslungsreichen Urlaubsreise in die Lutherzeit
Die Deutschen: wüste Fresser und Säufer, verwöhnt und zur Verschwendung neigend. „Dass unser deutsches Volk ein grobes, ja wildes Volk ist, ja es schier halb Teufel halb Menschen sind“, das war der Eindruck Luthers, der doch selbst grob, ja wild werden konnte, hier sprach ein Kenner.
Aber natürlich auch ein Prediger, der seinem Publikum einheizen musste; ganz eindeutig ist es nicht, wie es mit dem Benehmen der Deutschen stand vor gut 500 Jahren. Dies ist eine der vielen Fragen, die sich Bruno Preisendörfer vorgenommen hat in seinem Buch „Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit“, das auf seine Weise auch wild ist. Nicht, weil der Autor grob wäre, das ist er keinesfalls. Aber ein Lesebuch zur Kulturgeschichte, wie er es geschrieben hat, muss prall sein, viele Details bieten, gerade über einen Gegenstand, der selbst noch etwas Ungezähmtes hat.
Im 18. Jahrhundert sprach man vom Mittelalter als einer „unpolicierten“ Zeit, weniger geordnet als die Gegenwart. Das erklärt die Sympathie, die der junge Goethe für den Helden seines ersten großen Schauspiels empfand, den Ritter mit der eisernen Hand, Götz von Berlichingen. Und mittelalterlich ist die Welt, die Preisendörfer beschreibt. Die Kultur- und Alltagsgeschichte, die ihn interessiert, ist behäbig. Auf die Welt zu kommen und sie zu verlassen, zu heiraten, Kinder aufzuziehen, mit den gebrechlichen Eltern umzugehen, satt zu werden oder nach Missernten zu hungern, das ging 1520 für die allermeisten nicht wesentlich anders vonstatten als 1470 oder 1420.
Gewiss wird das Motiv einer Zeitenwende im Titel angespielt: „Als unser Deutsch erfunden wurde“ – das meint ja die Herausbildung des Frühneuhochdeutschen, auch wenn Luther das „Neuhochdeutsche“ nicht persönlich erfunden hat, wie der Autor klarstellt.
Aber die Reformation mit ihren theologischen Subtilitäten zum Beispiel beschäftigt Preisendörfer nicht sehr. Schon eher das Entstehen des neuzeitlichen Staates mit seiner behördlichen Ausgestaltung, aber sein erstes Thema ist das auch nicht – und dies mit Gründen. Was das Neue am frühen 16. Jahrhunderts ist, das muss zurücktreten hinter die zählebigen kulturgeschichtlichen Bedingtheiten.
So die ewig gegenwärtige Gefahr des Hungers. Das Verhältnis von Aussaat und Ernte beträgt 1 : 3 oder 1 : 4 (heute 1 : 30), das ist kaum besser als im Hochmittelalter. Ein großer Teil der Ernte muss als Saatgetreide fürs nächste Jahr zurückgelegt werden. Fällt die Ernte schlecht aus, bleibt für die Ernährung wenig übrig. Auch das macht das Alter so schwer. Wer nicht mehr arbeiten kann, ist seinen Kindern eine Last, sie haben ja für sich selbst und ihre Kinder oft nicht genug. Das Brot ist für die Alten eine Gnade. Das steht noch Bismarck vor Augen, wenn er im Reichstag die Einführung der Rentenversicherung begründet.
Manches verändert sich allerdings auch im täglichen Leben, zum Beispiel das Verhältnis zur Sexualität. Die Bordelle werden in Augsburg 1532 geschlossen, in Frankfurt am Main 1560, in Nürnberg 1562 – Nürnberg ist mit rund 50 000 Einwohnern eine der größten Städte im Reich, hier mochte man es für klug halten, die „böse Lust“ kontrolliert sich ausleben zu lassen. Aber die Entwicklung ist eindeutig. Der alte Pragmatismus oder vielleicht auch nur die alte Lässigkeit in sexuellen Dingen muss vor der neuen religiösen Energie der Reformation weichen. Dass die Syphilis um sich griff, kam hinzu.
Auch der neue Kapitalismus greift in das Leben ein. Deutsche Handelshäuser beteiligen sich an den Entdeckungsreisen und der Ausbeutung der Bodenschätze in Mittel- und Südamerika. So werden deutsche Bergleute mit ihren Erfahrungen im Schachtbau für die Bergwerke jenseits des Atlantiks angeworben. Bis dato unbekannte Vermögen entstehen nun, das beschäftigt viele. Auch Luther tadelt Reichtum und Verschwendung, sie lenken ab von einem Leben im Glauben. Aber wenn es zu Unruhen und Aufständen kommt, wird regelmäßig die Partei der Obrigkeit ergriffen. Eine negative Anthropologie beherrscht die Gemüter: Der Mensch neigt zum Bösen, ohne Obrigkeit gerät alles in Anarchie und Zerstörung.
Preisendörfer hat sein neues Buch wie sein im vergangenen Jahr erschienenes über die Goethezeit eine „Reise“ genannt, um das Publikum bei seiner größten Leidenschaft zu packen. Aber er wird dem Versprechen auch gerecht: „Als unser Deutsch erfunden wurde“ ist wie eine glückliche Urlaubsreise: Unterhaltend, abwechslungsreich, auch belehrend, ohne je darüber schwer zu werden. Der Autor geht auch mit sich selbst entspannt um und lässt seinen Vorlieben freien Lauf. Dass er die Figur Eulenspiegels grob und witzlos findet, hält er so wenig zurück wie seine Vorbehalte gegen die römische Renaissance mit ihrer „demonstrativ optimistischen in ihrer Farbenfröhlichkeit stets ein wenig ordinären Daseinspracht“. Ausgiebig lässt er die Quellen zu Wort kommen, gern auch in der originalen Sprachgestalt, das schon gibt einen Eindruck. Und auch wenn die Künste selbst nicht Gegenstand seines Buches sind, zieht er sie immer wieder heran und gibt den Beispielen den gehörigen interpretatorischen Drall.
Preisendörfer stellt vor Augen, wie fremd uns das Leben um 1500 ist. Aber als gutem Reisenden ist ihm der Provinzialismus fremd. Er nimmt ernst, was er betrachtet. Die Glaubensgewohnheiten seien nur „leere Formen“ gewesen? Vielleicht eher „Gedächtnisgefäße zur Aufbewahrung der Inbrunst“. Der Reliquienkult der Zeit? Dass die Splitter, die als Teile vom Kreuz Christi verehrt wurden, nicht authentisch oder historisch echt waren, das mag aussehen wie der unwiderlegliche Beweis des Unsinns. Aber „das historische Argumentieren ist selbst historisch und wurde von der ,Geistesgeschichte‘ erst später hervorgebracht“. Wer den Menschen des 16. Jahrhunderts Naivität vorwirft, zeigt sich selbst nicht klüger.
STEPHAN SPEICHER
Fremd ist uns das Leben um
1500, aber die Menschen damals
waren nicht naiver als wir
Bruno Preisendörfer: Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit. Galiani Berlin Verlag, Berlin 2016. 472 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 21,99 Euro.
Eine aufgeschlagene Bibel in den Händen: Seit 1821 steht das Luther-Denkmal von Johann Gottfried Schadow auf dem Marktplatz in Wittenberg.
Foto: epd
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bruno Preisendörfer lädt zu einer unterhaltenden, abwechslungsreichen Urlaubsreise in die Lutherzeit
Die Deutschen: wüste Fresser und Säufer, verwöhnt und zur Verschwendung neigend. „Dass unser deutsches Volk ein grobes, ja wildes Volk ist, ja es schier halb Teufel halb Menschen sind“, das war der Eindruck Luthers, der doch selbst grob, ja wild werden konnte, hier sprach ein Kenner.
Aber natürlich auch ein Prediger, der seinem Publikum einheizen musste; ganz eindeutig ist es nicht, wie es mit dem Benehmen der Deutschen stand vor gut 500 Jahren. Dies ist eine der vielen Fragen, die sich Bruno Preisendörfer vorgenommen hat in seinem Buch „Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit“, das auf seine Weise auch wild ist. Nicht, weil der Autor grob wäre, das ist er keinesfalls. Aber ein Lesebuch zur Kulturgeschichte, wie er es geschrieben hat, muss prall sein, viele Details bieten, gerade über einen Gegenstand, der selbst noch etwas Ungezähmtes hat.
Im 18. Jahrhundert sprach man vom Mittelalter als einer „unpolicierten“ Zeit, weniger geordnet als die Gegenwart. Das erklärt die Sympathie, die der junge Goethe für den Helden seines ersten großen Schauspiels empfand, den Ritter mit der eisernen Hand, Götz von Berlichingen. Und mittelalterlich ist die Welt, die Preisendörfer beschreibt. Die Kultur- und Alltagsgeschichte, die ihn interessiert, ist behäbig. Auf die Welt zu kommen und sie zu verlassen, zu heiraten, Kinder aufzuziehen, mit den gebrechlichen Eltern umzugehen, satt zu werden oder nach Missernten zu hungern, das ging 1520 für die allermeisten nicht wesentlich anders vonstatten als 1470 oder 1420.
Gewiss wird das Motiv einer Zeitenwende im Titel angespielt: „Als unser Deutsch erfunden wurde“ – das meint ja die Herausbildung des Frühneuhochdeutschen, auch wenn Luther das „Neuhochdeutsche“ nicht persönlich erfunden hat, wie der Autor klarstellt.
Aber die Reformation mit ihren theologischen Subtilitäten zum Beispiel beschäftigt Preisendörfer nicht sehr. Schon eher das Entstehen des neuzeitlichen Staates mit seiner behördlichen Ausgestaltung, aber sein erstes Thema ist das auch nicht – und dies mit Gründen. Was das Neue am frühen 16. Jahrhunderts ist, das muss zurücktreten hinter die zählebigen kulturgeschichtlichen Bedingtheiten.
So die ewig gegenwärtige Gefahr des Hungers. Das Verhältnis von Aussaat und Ernte beträgt 1 : 3 oder 1 : 4 (heute 1 : 30), das ist kaum besser als im Hochmittelalter. Ein großer Teil der Ernte muss als Saatgetreide fürs nächste Jahr zurückgelegt werden. Fällt die Ernte schlecht aus, bleibt für die Ernährung wenig übrig. Auch das macht das Alter so schwer. Wer nicht mehr arbeiten kann, ist seinen Kindern eine Last, sie haben ja für sich selbst und ihre Kinder oft nicht genug. Das Brot ist für die Alten eine Gnade. Das steht noch Bismarck vor Augen, wenn er im Reichstag die Einführung der Rentenversicherung begründet.
Manches verändert sich allerdings auch im täglichen Leben, zum Beispiel das Verhältnis zur Sexualität. Die Bordelle werden in Augsburg 1532 geschlossen, in Frankfurt am Main 1560, in Nürnberg 1562 – Nürnberg ist mit rund 50 000 Einwohnern eine der größten Städte im Reich, hier mochte man es für klug halten, die „böse Lust“ kontrolliert sich ausleben zu lassen. Aber die Entwicklung ist eindeutig. Der alte Pragmatismus oder vielleicht auch nur die alte Lässigkeit in sexuellen Dingen muss vor der neuen religiösen Energie der Reformation weichen. Dass die Syphilis um sich griff, kam hinzu.
Auch der neue Kapitalismus greift in das Leben ein. Deutsche Handelshäuser beteiligen sich an den Entdeckungsreisen und der Ausbeutung der Bodenschätze in Mittel- und Südamerika. So werden deutsche Bergleute mit ihren Erfahrungen im Schachtbau für die Bergwerke jenseits des Atlantiks angeworben. Bis dato unbekannte Vermögen entstehen nun, das beschäftigt viele. Auch Luther tadelt Reichtum und Verschwendung, sie lenken ab von einem Leben im Glauben. Aber wenn es zu Unruhen und Aufständen kommt, wird regelmäßig die Partei der Obrigkeit ergriffen. Eine negative Anthropologie beherrscht die Gemüter: Der Mensch neigt zum Bösen, ohne Obrigkeit gerät alles in Anarchie und Zerstörung.
Preisendörfer hat sein neues Buch wie sein im vergangenen Jahr erschienenes über die Goethezeit eine „Reise“ genannt, um das Publikum bei seiner größten Leidenschaft zu packen. Aber er wird dem Versprechen auch gerecht: „Als unser Deutsch erfunden wurde“ ist wie eine glückliche Urlaubsreise: Unterhaltend, abwechslungsreich, auch belehrend, ohne je darüber schwer zu werden. Der Autor geht auch mit sich selbst entspannt um und lässt seinen Vorlieben freien Lauf. Dass er die Figur Eulenspiegels grob und witzlos findet, hält er so wenig zurück wie seine Vorbehalte gegen die römische Renaissance mit ihrer „demonstrativ optimistischen in ihrer Farbenfröhlichkeit stets ein wenig ordinären Daseinspracht“. Ausgiebig lässt er die Quellen zu Wort kommen, gern auch in der originalen Sprachgestalt, das schon gibt einen Eindruck. Und auch wenn die Künste selbst nicht Gegenstand seines Buches sind, zieht er sie immer wieder heran und gibt den Beispielen den gehörigen interpretatorischen Drall.
Preisendörfer stellt vor Augen, wie fremd uns das Leben um 1500 ist. Aber als gutem Reisenden ist ihm der Provinzialismus fremd. Er nimmt ernst, was er betrachtet. Die Glaubensgewohnheiten seien nur „leere Formen“ gewesen? Vielleicht eher „Gedächtnisgefäße zur Aufbewahrung der Inbrunst“. Der Reliquienkult der Zeit? Dass die Splitter, die als Teile vom Kreuz Christi verehrt wurden, nicht authentisch oder historisch echt waren, das mag aussehen wie der unwiderlegliche Beweis des Unsinns. Aber „das historische Argumentieren ist selbst historisch und wurde von der ,Geistesgeschichte‘ erst später hervorgebracht“. Wer den Menschen des 16. Jahrhunderts Naivität vorwirft, zeigt sich selbst nicht klüger.
STEPHAN SPEICHER
Fremd ist uns das Leben um
1500, aber die Menschen damals
waren nicht naiver als wir
Bruno Preisendörfer: Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit. Galiani Berlin Verlag, Berlin 2016. 472 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 21,99 Euro.
Eine aufgeschlagene Bibel in den Händen: Seit 1821 steht das Luther-Denkmal von Johann Gottfried Schadow auf dem Marktplatz in Wittenberg.
Foto: epd
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de