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Friedrich muss 49 Jahre verbüßen, bevor er im Gefängnis verstirbt. Er ist "die Bestie vom Schwarzwald", hat vergewaltigt und gemordet. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft will ihn für immer wegschließen. Gerhild, eine Frau mit politisch bewegter Vergangenheit, verliebt sich in Friedrich und teilt mit ihm die wenigen Stunden des Freigangs, die man ihm irgendwann gewährt. Diese Liebe macht sie zur Außenseiterin und bestätigt sie nur darin, dass es die gesellschaftlichen Umstände waren, die Friedrich zum Mörder werden ließen. Sensibel lotet Nicol Ljubic eine Liebesillusion aus, die dem Hass geschuldet ist. …mehr

Produktbeschreibung
Friedrich muss 49 Jahre verbüßen, bevor er im Gefängnis verstirbt. Er ist "die Bestie vom Schwarzwald", hat vergewaltigt und gemordet. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft will ihn für immer wegschließen. Gerhild, eine Frau mit politisch bewegter Vergangenheit, verliebt sich in Friedrich und teilt mit ihm die wenigen Stunden des Freigangs, die man ihm irgendwann gewährt. Diese Liebe macht sie zur Außenseiterin und bestätigt sie nur darin, dass es die gesellschaftlichen Umstände waren, die Friedrich zum Mörder werden ließen.
Sensibel lotet Nicol Ljubic eine Liebesillusion aus, die dem Hass geschuldet ist.
Autorenporträt
Nicol Ljubic, 1971 in Zagreb geboren, wuchs in Schweden, Griechenland, Russland und Deutschland auf. Er studierte Politikwissenschaften und arbeitet als freier Journalist und Autor. Für seine Reportagen wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Theodor-Wolff-Preis. Für seinen zweiten Roman, 'Meeresstille', erhielt er 2011 den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis sowie den Ver.di-Literaturpreis, zudem stand der Roman auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschien der Roman 'Als wäre es Liebe'. In den Jahren 2014 und 2016 war er Mitinitiator der Europäischen Schriftstellerkonferenz. Nicol Ljubic lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2013

Das Monster in Mördergestalt

Über den Ursprung des Bösen: Nicol Ljubic erzählt aus mehreren Perspektiven über einen verurteilten Verbrecher. Tatsächlich ist es die Geschichte des Heinrich Pommerenke.

Er sei kein Mensch, sagte Heinrich Pommerenke nach seiner Festnahme über sich selbst, sondern der Teufel. Die Öffentlichkeit teilte diese Einschätzung. Sie kannte ihn aus der Presse bislang als "Bestie in Menschengestalt" und "Ungeheuer vom Schwarzwald". Nachdem er gefasst wurde, legte Pommerenke ein umfangreiches Geständnis ab: Zwischen Herbst 1958 und Sommer 1959 beging er mehr als sechzig Verbrechen, darunter Raubüberfälle, Vergewaltigungen und vier Frauenmorde. Im Oktober 1960 wurde der damals Dreiundzwanzigjährige zu sechsmal lebenslanger Haft verurteilt. Zwar durfte er von Mitte der neunziger Jahre an das Gefängnis in Begleitung seines Seelsorgers für kurze Ausflüge verlassen. Aber zum frühzeitigen Ende der Strafe kam es nicht. Nach 49 Jahren Gefangenschaft verstarb Pommerenke schließlich im Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg. Damit saß er länger hinter Gittern als jeder andere Häftling in Deutschland.

Der Fall hat Debatten über den Sinn von Freiheitsentzug sowie über den Wert von Resozialisierungsmaßnahmen und Therapien ausgelöst, er hat zum Nachdenken über den Ursprung des Bösen herausgefordert und Diskussionen darüber entfacht, ob Menschen, die andere entwürdigen, ihrerseits ein Recht auf Würde hätten - gewichtige Probleme, die gerade in jüngster Zeit wieder verstärkt erörtert werden, in Talkshows, Dokumentarfilmen, Sachbüchern und wissenschaftlichen Analysen.

Dass das Thema auch zur literarischen Aufbereitung taugt, zeigt Nicol Ljubics Roman "Als wäre es Liebe". Er handelt von drei strauchelnden Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Da ist der von Alter und Krankheit gezeichnete Häftling Friedrich P., dessen Biographie mit derjenigen Heinrich Pommerenkes haarklein übereinstimmt. Da ist Gerhild, die P. zum Zentrum ihrer Aufmerksamkeit macht, indem sie obsessiv für seine Freilassung kämpft. Und da ist Gerhilds Sohn Benno, der verstehen möchte, warum sich seine Mutter zu einem Schwerverbrecher hingezogen fühlt, während sie ihm selbst nur mit Geringschätzung begegnete.

Der Vertracktheit und Heterogenität dieser Beziehungen entspricht die kunstvolle Komposition des von unterschiedlichen Erzählern präsentierten Geschehens. Benno etwa begegnen wir ganz unmittelbar, da er uns seine Gedanken und Handlungen in der Ich-Perspektive mitteilt. Über das Verhältnis zu seiner Mutter erfahren wir dabei nichts Gutes. Sie ist eine von ihrer Empörung getriebene Wutbürgerin, die ein elementares Feindbild hat: die saturierte Wohlstandsgesellschaft. Ihrem Sohn wirft sie vor, er habe keine Ideale und rege sich generell zu wenig auf. "Es lief meist auf die Frage hinaus", bemerkt er lakonisch, "ob es denn nichts gebe, was mich aus der Haut fahren ließe."

Gerhild hingegen echauffiert sich mit Verve und Leidenschaft. Sobald sie jedoch anfängt zu argumentieren, ergeht sie sich in banaler Küchenpsychologie und sozialpädagogischer Gesinnungsethik. Über P. sagt sie, er sei ein "Opfer seiner Kindheit. Letztlich ein Opfertäter. Oder Täteropfer." Außerdem seien seine Taten motiviert durch die Sehnsucht nach Zuneigung und damit "etwas anderes als ein Mord aus Habgier oder anderen niederen Beweggründen" - das entschuldige das Töten keineswegs, "sei aber eher zu verzeihen".

Als Gegengewicht zu derartig emotionalen Plädoyers fungieren zahlreiche Passagen, die im sachlichen Duktus von Gutachten, Protokollen und Lexikonartikeln P.s Charakter oder den Ablauf seiner Verbrechen beschreiben. Mit diesen aufgrund ihrer Nüchternheit besonders drastischen Ausführungen wird die psychologische Dimension der Taten ins Abseits gedrängt. Stattdessen steht der Leser im Bann schierer Monstrosität. Schon Schiller wusste von der Nähe zwischen Grauen und Faszination. Er hat es als "allgemeine Erscheinung in unserer Natur" angesehen, dass uns das Schreckliche abstößt und zugleich mit "unwiderstehlichem Zauber an sich lockt".

Ob Gerhild auch den unwiderstehlichen Zauber des Schauderhaften empfindet, ob ihr Engagement für P. in erster Linie eine Auflehnung gegen die deutsche Gesetzgebung ist oder ob sie P. sogar liebt - handfeste Antworten darauf bleiben aus. Das sollte nicht verwundern, denn bereits der Konjunktiv im Romantitel macht deutlich, dass dies keine Geschichte über klare Verhältnisse ist. Um wenigstens etwas Licht ins Dunkel ihrer Beziehung zu P. zu bringen, unternimmt Gerhild nach seinem Tod eine Reise an jene Orte, die beide während seines Ausgangs zusammen besuchten. Die furiose Kämpferin lernen wir dann von einer anderen Seite kennen. Introvertiert und nachdenklich überlässt sie sich ihren Erinnerungen, in denen P. all seine Bestialität verliert. Entsprechend behutsam muten die Schilderungen in der dritten Person an: "Erst jetzt wird ihr klar und sie fragt sich, warum sie damals nicht darauf gekommen war, dass er sich nach der Berührung gesehnt hat, der Berührung des Windes, er streichelte seine Wangen. Wahrscheinlich hatte ihm noch nie ein Mensch die Wangen gestreichelt."

Ljubics Roman hat viele Themen. Er handelt vom Bösen und seinen Gründen, von Schuld und Sühne, von zerrütteten Familien und unmöglicher Liebe. Aber er handelt auch vom Erzählen. Eindrücklich demonstriert er, dass unterschiedliche Erzähler unterschiedliche Texte hervorbringen, selbst dann, wenn sie Ähnliches oder gar Gleiches berichten. So verändern sich bei der Lektüre die Atmosphäre und der Blick auf die Protagonisten unaufhörlich. Ob P. letztlich mehr Mensch oder mehr Teufel ist, lässt sich kaum beantworten. Und darin liegt der größte Reiz des Buchs.

KAI SPANKE

Nicol Ljubic: "Als wäre es Liebe". Roman.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2012. 223 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gerade die Unentschiedenheit in der Beurteilung eines Verbrechens, hervorgerufen durch verschiedene Perspektiven, Lebensläufe usw. fasziniert Kai Spanke an diesem Roman von Nicol Ljubic. Dass der Autor seinen Text an die Lebensgeschichte des Mörders Heinrich Pommerenke anlehnt, indem er unterschiedliche Haltungen zu einem Schwerverbrecher mit vergleichbarem Lebenslauf illustriert, hat für Spanke seinen Reiz. So vertrackt dem Rezensenten die Beziehungen der Figuren untereinander erscheinen, so kunstvoll scheint ihm die Romankomposition mit ihren vielen Themen (Schuld und Sühne, unmögliche Liebe, das Böse) und Erzählerfiguren zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Das ist so unkonventionell erschreckend. Das ist aber auch stilistisch und sprachlich so bravourös, dass man vorher einfach nicht aufhören konnte.« Sonja Hartwig kulturSPIEGEL, 01.10.2012