Erhard Eppler, im politischen Leben der Bundesrepublik durch engagierte Parteiaufgaben und in hohen Staatsämtern erfahren, schreibt an seine Enkelin, deren politisches Bewusstsein gerade zu erwachen beginnt. Nicht die große Politik aber ist der Gegenstand, sondern das Leben des einzelnen, der persönliche Weg, den jemand, der 1933 sechs Jahre alt war, bis 1945 genommen hat, zu nehmen gezwungen war.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.1995Fernseher
NAZIZEIT. Enkelinnen pflegt es zu langweilen, wenn Großväter aus ihrer Jugendzeit erzählen. Jene spüren, daß Opas Welt nicht mehr die heutige ist, wissen aber nicht, warum. Erhard Eppler, bekannt als Sozialdemokrat, thematisiert als Familienmitglied diese Verständnislosigkeit. Lisa, seiner Enkelin, schreibt er 1993, wie es aus seiner Sicht sechzig Jahre zuvor gewesen war, als er in die Schule und Hitler an die Macht kam. Es ist die Perspektive eines Kindes, das in einer schwäbischen Kleinstadt aufwuchs - eine durchaus repräsentative Perspektive, denn die vieler anderer deutscher Zeitgenossen war damals vielleicht nicht schwäbisch, doch ebenso eng, wie denn auch heute selbst Lisa wohl nicht den großen Überblick, sondern bloß Fernsehen hat. Der junge Erhard aber hatte nicht einmal das, auch keine erhellenden Vergleichsmöglichkeiten, wenn ihm ein leibhaftiger Nazi über den Weg lief, und an Auslandsreisen war nicht zu denken. Da ist der alte Erhard pädagogisch gefordert. Mit der sanften Überredungskunst des Erzählers ermuntert er Lisa, sich einen Alltag vorzustellen, der ihr fremd und zum Beispiel körperlich viel anstrengender gewesen ist als der jetzige. Der Wert solcher Memoiren liegt in ihrer Anschaulichkeit. Außerdem muß Großpapa sich einigermaßen kurz fassen, wenn er über seine mit der Nazizeit nahezu übereinstimmende Schul- und Militärzeit berichtet, denn Enkelinnen sind ungeduldiger als beliebige Leserinnen außerhalb der Verwandtschaft. (Erhard Eppler: Als Wahrheit verordnet wurde. Briefe an meine Enkelin.Insel Verlag, Frankfurt am Main 1994. 184 Seiten, geb. 32,- Mark.) Fin.
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NAZIZEIT. Enkelinnen pflegt es zu langweilen, wenn Großväter aus ihrer Jugendzeit erzählen. Jene spüren, daß Opas Welt nicht mehr die heutige ist, wissen aber nicht, warum. Erhard Eppler, bekannt als Sozialdemokrat, thematisiert als Familienmitglied diese Verständnislosigkeit. Lisa, seiner Enkelin, schreibt er 1993, wie es aus seiner Sicht sechzig Jahre zuvor gewesen war, als er in die Schule und Hitler an die Macht kam. Es ist die Perspektive eines Kindes, das in einer schwäbischen Kleinstadt aufwuchs - eine durchaus repräsentative Perspektive, denn die vieler anderer deutscher Zeitgenossen war damals vielleicht nicht schwäbisch, doch ebenso eng, wie denn auch heute selbst Lisa wohl nicht den großen Überblick, sondern bloß Fernsehen hat. Der junge Erhard aber hatte nicht einmal das, auch keine erhellenden Vergleichsmöglichkeiten, wenn ihm ein leibhaftiger Nazi über den Weg lief, und an Auslandsreisen war nicht zu denken. Da ist der alte Erhard pädagogisch gefordert. Mit der sanften Überredungskunst des Erzählers ermuntert er Lisa, sich einen Alltag vorzustellen, der ihr fremd und zum Beispiel körperlich viel anstrengender gewesen ist als der jetzige. Der Wert solcher Memoiren liegt in ihrer Anschaulichkeit. Außerdem muß Großpapa sich einigermaßen kurz fassen, wenn er über seine mit der Nazizeit nahezu übereinstimmende Schul- und Militärzeit berichtet, denn Enkelinnen sind ungeduldiger als beliebige Leserinnen außerhalb der Verwandtschaft. (Erhard Eppler: Als Wahrheit verordnet wurde. Briefe an meine Enkelin.Insel Verlag, Frankfurt am Main 1994. 184 Seiten, geb. 32,- Mark.) Fin.
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