Marktplatzangebote
16 Angebote ab € 1,60 €
  • Broschiertes Buch

"Ishiguros jüngstes Meisterwerk - aufregend und feinfühlig zugleich." Facts
Kazuo Ishiguro ist ein Autor der Superlative: Booker- und Whitbread-Preisträger, sein Werk in 28 Sprachen übersetzt, sein Weltbestseller "Was vom Tage übrigblieb" von James Ivory grandios verfilmt. In seinem neuen Roman, der ebenfalls gleich nach Erscheinen die Bestsellerlisten eroberte, erzählt Ishiguro die Geschichte von Christopher Banks, dem berühmtesten Detektiv im England der dreißiger Jahre. Banks wird vom ungelösten Geheimnis seines eigenen Lebens gequält. Als Kind verlor er unter mysteriösen Umständen in…mehr

Produktbeschreibung
"Ishiguros jüngstes Meisterwerk - aufregend und feinfühlig zugleich." Facts
Kazuo Ishiguro ist ein Autor der Superlative: Booker- und Whitbread-Preisträger, sein Werk in 28 Sprachen übersetzt, sein Weltbestseller "Was vom Tage übrigblieb" von James Ivory grandios verfilmt. In seinem neuen Roman, der ebenfalls gleich nach Erscheinen die Bestsellerlisten eroberte, erzählt Ishiguro die Geschichte von Christopher Banks, dem berühmtesten Detektiv im England der dreißiger Jahre. Banks wird vom ungelösten Geheimnis seines eigenen Lebens gequält. Als Kind verlor er unter mysteriösen Umständen in Shanghai seine Eltern. Dorthin macht er sich nun auf, um in der Stadt, die vom chinesisch-japanischen Kriege gezeichnet ist, sein Lebensrätsel zu lösen. Doch erst als er seinen Onkel wiedertrifft, erfährt er die bittere Wahrheit. Sie zerstört gnadenlos jene Kindheitsphantasien, die er als Junge um seine Eltern gesponnen hat.
Autorenporträt
Kazuo Ishiguro, geb. 1954 in Nagasaki, kam 1960 nach London, wo er Englisch und Philosophie studierte. 1995 wurde ihm der Cheltenham Prize verliehen und 2006 der Belletristikpreis der 'Zeit'. Kazuo Ishiguros Werk wurde bisher in 28 Sprachen übersetzt. Der Autor lebt mit Frau und Kind in London. 2006 erhält er den Corine-Preis. 2017 wird ihm der Literaturnobelpreis verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2000

Im Zeichen der Lupe
Dem Bösen auf der Spur, der Erinnerung auf den Leim gegangen: Kazuo Ishiguros Roman "Als wir Waisen waren" · Von Hubert Spiegel

Die Erinnerung, hat der Dichter Jean Paul gesagt, sei das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden könnten. Das klingt tröstlich, enthält aber einen Widerhaken, dessen Schärfe nicht zu unterschätzen ist. Denn wenn das Dichterwort zutrifft, ist dieses Paradies auch der einzige Ort, den wir nicht verlassen können. Wer ganz in seinen Erinnerungen lebt, läuft Gefahr, eine Rolle einzunehmen, die im Paradies laut Hausordnung nicht vorgesehen ist: Er wird zum Strafgefangenen.

Die Helden des englischen Schriftstellers Kazuo Ishiguro sind fast alle solch seltsame Häftlinge, die unter dem Zwang der Erinnerung stehen: Das ist im Erstling "Damals in Nagasaki" (deutsch 1984) nicht anders als in "Der Maler der fließenden Welt" (deutsch 1988) oder in "Was vom Tage übrigblieb", der 1990 in deutscher Übersetzung erschienenen Geschichte eines englischen Butlers, der sich eingestehen muß, dem falschen Herrn gedient zu haben. Aber erst die Verfilmung mit Anthony Hopkins und Emma Thompson hat Ishiguro, der 1954 in Japan geboren wurde und als Fünfjähriger nach England kam, einem breiteren Publikum bekannt gemacht.

Ishiguros Romane sind Wanderungen durch Gedächtnislandschaften, in denen hohe Hecken den Weg versperren und schmale Pfade sich im Nichts verlieren. Auch in seinem jüngsten Roman "Als wir Waisen waren" ist das Paradies der Erinnerung ein ausgesprochen unaufgeräumtes Fleckchen Erde, chaotisch, verwinkelt und unübersichtlich wie die Stadt Schanghai, wo große Teile des Romans spielen und wohin der Ich-Erzähler immer wieder zurückkehrt, zunächst in der Erinnerung und schließlich, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, auch in der Realität.

Das einzige Hilfsmittel, das Ishiguro seinem seltsamen Helden auf dessen Wanderungen zubilligt, ist kein Kompaß, sondern eine Lupe. Ganz nützlich, wenn der Blick auf ein winziges Detail fällt, aber wohl nicht das Richtige, wenn es darum geht, sich einen Überblick zu verschaffen. Und genau darin liegt das Problem, mit dem Christopher Banks, eigenen Ansichten zufolge berühmter und in den besten Kreisen der Londoner Gesellschaft der dreißiger Jahre hochgeachteter Kriminalist, sein Leben lang zu kämpfen hat. Der einzigartige, höchst mysteriöse und unvergleichlich bedeutsame Fall, auf dessen Lösung er Jahrzehnte der Vorbereitung verwandt hat, betrifft ihn nämlich selbst. Das Rätsel, das es zu lösen gilt, liegt in dem Verschwinden seiner Eltern, die um 1910 im Ausländerviertel von Schanghai lebten und den kleinen Christopher als Waisenkind zurückließen, das nur noch ein Ziel kannte: Detektiv zu werden und das Verbrechen an den eigenen Eltern aufzuklären.

Die Familie lebte damals im "International Settlement", einem privilegierten Gebiet innerhalb der Stadt, wo Chinas Gesetze keine Gültigkeit besitzen und die britischen Handelshäuser ihre Geschäfte betreiben, unter anderem den Opiumhandel, in den auch die Familie Banks verwickelt ist: der Vater als Mitwisser und Mitläufer bei den Unternehmungen seiner Firma, die Mutter als engagierte Gegnerin, die das Geschäft mit dem Rauschgift bekämpft und die profitträchtige Heuchelei ihrer Landsleute geißelt und bloßstellt. Scheinbar auf seiten der Mutter, in Wirklichkeit jedoch allen Parteien dienend, steht Onkel Philipp, ein Freund der Familie und Christophers heimlicher Held.

Als zunächst der Vater, wenig später auch die Mutter spurlos verschwunden ist, wird Christopher nach England gebracht: ein Waisenkind, für dessen finanzielles Auskommen offenbar bestens gesorgt ist, obwohl die Eltern nicht vermögend waren, ein Außenseiter, der sich für einen Assimilationskünstler hält, ein verstörtes, in seiner Phantasiewelt lebendes Kind, das glaubt, es könnte seine Umgebung über sein wahres Befinden hinwegtäuschen. Diese Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung und dem Bild, das andere von Christopher Banks haben, zieht sich als roter Faden durch den Roman. Immer wieder zeigt Ishiguro, wie Wahrnehmungen und Erinnerungen seines Helden und die seiner Umgebung auseinanderklaffen. Der Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Ich-Erzählers wird bereits auf den ersten Seiten geweckt, und als Banks, nach langjähriger Vorbereitung schließlich 1937 nach Schanghai reist, um seine Eltern zu suchen, steht für den Leser längst fest: In diesem Fall ist der Detektiv sich selbst der unzuverlässigste aller Zeugen.

Die Recherchen in Schanghai, in deren Verlauf Banks in amouröse ebenso wie in politische Verwicklungen gerät, erweisen sich als geradezu surreales Hindernisrennen: Die Verhältnisse in der Stadt sind hochkompliziert, in den Straßen tobt der Kampf zwischen japanischen und chinesischen Truppen, im "International Settlement" herrscht nackte Angst. In dieser Situation treibt Ishiguro sein ironisches Spiel mit dem urbritischen Genre des Detektivromans, das mit der Lupe seinen Anfang nahm, auf die Spitze. Banks, der Gentleman-Detektiv alter Schule, offenbart sich hier nicht als Waise, sondern als Sprößling gleich zweier Väter: Das Sendungsbewußtsein, die tadellosen Manieren und der stets höflich-beherrschte Ton stammen eindeutig von Sherlock Holmes, die grandiose Fehleinschätzung auch übersichtlicher Situationen erinnert indes nicht wenig an Inspektor Clouseau.

Aber es ist keineswegs nur ein komischer Effekt, den Ishiguro hier anstrebt. Wenn Banks beschließt, einer Frau zuliebe den Fall aufzugeben und Schanghai umgehend zu verlassen, und Ishiguro seinen Helden im nächsten Moment losschickt, das vermeintliche Versteck der Eltern innerhalb der Kampfzone zu suchen, wenn er ihn dort einen verwundeten japanischen Soldaten für den lang ersehnten Akira, den Freund aus Kindertagen, halten läßt, wenn er den qualvollen Weg der beiden zurück zu den japanischen Truppen beschreibt, läßt der Autor seinen Helden Banks erstmals in seiner ganzen Zerrissenheit erkennbar werden: der ewig-einsame, verzweifelte kleine Junge, der sich selbst zum Retter der Eltern bestimmt hat und somit letztendlich zum Retter der Welt.

Denn im kindlichen Weltbild Christophers ist das Schicksal der Eltern die Probe aufs Exempel, welche Kräfte die Welt beherrschen: die des Guten oder die des Bösen. Wird der Fall gelöst, siegt das Gute, und mit den Eltern ist die ganze Welt gerettet; scheitert Christopher, hat das Böse freie Bahn. So wird der primanerhafte Gentleman-Detektiv zur selbsternannten Erlöserfigur, die unter dem Kreuz des ungelösten Falls durch die apokalyptisch anmutenden Straßen Schanghais taumelt.

Hier, im von Granaten zerfetzten Stadtviertel Chapei, findet Christopher schließlich das Haus, in dem er seine Eltern vermutet. Am Ende wird Banks den Fall gelöst haben, aber noch ist es nicht soweit. Noch hat der Leser fünfzig Seiten und der Held die schwerste aller Prüfungen vor sich. Denn hier, im Haus eines obskuren Schauspielers, wo der Detektiv die Enden aller Fäden vermutet, findet tatsächlich so etwas wie eine Enthüllung statt. Was der Held erblickt, ist er selbst in all seiner Verzweiflung und Lächerlichkeit.

Das Haus wurde von einer Granate getroffen, die Bewohner liegen tot und verstümmelt auf dem Boden, einzig ein kleines Mädchen hat überlebt, das den Fremden bittet, sich um ihren verletzten Hund zu kümmern. Entsetzt, hilflos und stammelnd steht der Detektiv dem Waisenkind gegenüber und sucht nach Worten des Trostes: "Ich schwöre dir, wer immer dies angerichtet hat, sie werden der Gerechtigkeit nicht entgehen. Du magst nicht wissen, wer ich bin . . . ja, ich bin genau die Person, die du brauchst. Ich werde dafür sorgen, daß sie nicht entkommen. Mach dir keine Sorgen, ich . . . ich . . ." Dann zeigt der Detektiv dem Mädchen, das keines seiner Worte verstanden hat, seine Lupe, wendet sich im nächsten Moment fahrig der toten Mutter zu, der ein Granatsplitter einen Arm abgerissen hat, und betrachtet den Stumpf durch das Vergrößerungsglas. Die Lupe, auf einer der ersten Seiten des Romans eher beiläufig eingeführt, entwickelt hier noch einmal ihre ganze Kraft als grandios lächerliches Symbol der Unverhältnismäßigkeit der Mittel und also des Scheiterns. Am Ende ist der Fall aufgeklärt, aber der Detektiv erledigt.

Kazuo Ishiguro: "Als wir Waisen waren." Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Herting. Albrecht Knaus Verlag, München 2000. 349 S., geb., 42,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr