Produktdetails
- Verlag: Rotbuch Verlag
- Seitenzahl: 232
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 374g
- ISBN-13: 9783434530763
- ISBN-10: 3434530762
- Artikelnr.: 09440425
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Mit eindeutig gemischten Gefühlen hat Sven Hanuschek Peter O. Chotjewitz "Transzendentaloperette für die Jahrtausendwende" gelesen. Einerseits verspricht der Rezensent, dass sich der Leser schon recht gut über den Plot und den Stil des Romans amüsieren kann. "Es gibt viele Rundschläge in Kabarettistenmanier, immer fern von deren politischer Korrektheit und Larmoyanz", schreibt Hanuschek. Zu viele, schränkt der Rezensent dann aber ein. Mit dem "Roman der Luxusprobleme" hat der Autor, bisher bekannt für "harte politische Stoffe" und experimentelle Schreibweisen, für Hanuschek etwas zu dick aufgetragen. Doch eins weiß der Rezensent an Chotjewitz zu schätzen: Am Ende verbleibt der Leser in einer Uneindeutigkeit - Welche der beiden in der Geschichte präsentierten Seiten der 18jährigen Leonie soll man nun besser finden, die wilde Kritikerin oder die besonnene Einverstandene? - der Hanuschek Chotjewitz Roman "trotz aller Überfülle" dann doch noch reichlich Sympathien abgewinnen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2002Feuer frei auf Tante Pfanne
Peter O. Chotjewitz schießt scharf durch die Brust ins Auge
Es gibt kaum einen deutschsprachigen Schriftsteller, dessen Werk zwischen stilistischem Experimentieren und politischem Engagement weiter gespannt, in den Formen vielfältiger, in seiner literarischen Qualität heterogener und deshalb verwirrender ist als das des Peter O. Chotjewitz. In solcher Turbulenz ähnelt er dem italienischen Spontandramatiker Dario Fo, dessen Stückvorlagen er seit Jahren übersetzt.
Spontaneität charakterisiert denn auch seine Anfänge mit Romanen wie "Hommage à Frantek" und "Die Insel. Erzählungen vom Bärenauge" mehr als experimentelle Stringenz; und schon gar nicht war irgendeine Handlungsentwicklung in diesen Büchern auszumachen: Da wurde eher drauflosfabuliert, Rollen und Haltungen wurden eher ausprobiert als konsequent durchgespielt - Chotjewitz war der Parade-Autor, mit dem sich die in den späten sechziger Jahren propagierte angebliche Krise des Romans jederzeit belegen ließ.
Später ist aber auch Chotjewitz beim "engagierten" Roman angekommen, hatte 1977 in "Der dreißigjährige Friede" die Chronik einer kleinbürgerlichen "Helden"-Entwicklung erzählt, an deren Ende die innere Befreiung des "Helden" in einem Gewaltakt: einem Brandanschlag steht. Alles, was Chotjewitz seither geschrieben hat - Romane, Erzählungen, Reisejournale, Kolumnen, Berichte, Dokumentationen -, hat mit sozialer und historischer Realität zu tun. Daß seine Erzählweise noch disparater geworden ist als in den ersten Büchern, belegt vor allem sein letztes Buch "Als würdet ihr leben", das ein Roman sein will.
Doch seine Romanhaftigkeit ist wenig zu erkennen: Die offensichtliche Erzählerin, die achtzehnjährige Leo(nie) Katzmann, die sich eingangs ironisch als Wunderkind einführt und vom Autor als Hauptfigur bezeichnet wird, bringt den Leser bloß auf den Weg durch ein Kaleidoskop von Geschichten, die sich als Kapitel verkleidet haben. Und das nur hin und wieder anklingende Motiv, das den "Roman" durch Leos verqueres Hirn steuert, wird so beschrieben: Leo will eine "gute Tat" begehen, sie sucht ein "geeignetes Opfer" aus der weitverzweigten Familie, das sie erschießen will. So verrückt wie dieses Motiv, so verrückt sind manche der Geschichten, die allesamt anmuten wie die Erzählungen Scheherazades, die hier nun nicht deren Tod, sondern Leos "gute Tat" aufhalten sollen.
Angesichts des bezeichneten Motivs liegt es nahe, daß viele der Kapitel-Geschichten Familiengeschichten sind. Die erste heißt "Tante Pfanne" und erzählt von einer Bratpfanne, die in der Familie der Knödels Geschichte und, so Leo, "den Küchentisch meiner Eltern zum Knotenpunkt der Welt" gemacht hat - und nun in der Küche an der Wand hängt. Doch schon der zweite Text führt ins frühe 18. Jahrhundert, berichtet eindrücklich vom "Tödlein", das "eine hartnäckige Abneigung gegen Gebet und Gottesdienst jeder Art zeigte" und deshalb vom Pfarrer zu Tode gequält worden ist. Dann gibt es wieder genealogische Berichte, zum Beispiel über die Knödels, die neben dem Clan der Deisenhöfers und jenem der Ehres die Familienfeste bestreiten.
Und so manche Familiengeschichte bietet Raum zwar nicht für Stammtisch-, aber für ähnlich funktionierende Küchentischgespräche, in denen Chotjewitz von Gott und der Welt genußvoll und gern politisch inkorrekt erzählt. Vieles davon ist durchaus witzig und von gelungenem satirischen Zugriff, aber eben wie Kraut und Rüben gemischt. Chotjewitz liebt es, seine Geschichten mit überraschenden Feststellungen zu eröffnen, die einen dann in den Text hineinziehen. "Das Empire", setzt zum Beispiel eine Cambridge-Geschichte ein, "war vermutlich nur eine Folge der britischen Küche." Und eine längere Reflexion übers Tagebuch als literarische Gattung wird eingeleitet von dem Satz: "Ich benutze das Tagebuch, weil es so ehrlich ist." Und die letzte Geschichte beginnt mit dem Satz: "Eine Metapher ging nieder mit Getöse."
Es könnte jene Metapher gewesen sein, die das ganze Buch darstellt: die Lüge nämlich vom Lebenszusammenhang, den uns gerade noch komplexe Romanwelten zu suggerieren versuchen. Die hätte Chotjewitz mit diesem Buch demnach zerschlagen wollen und sein Lebensthema von der kleinbürgerlichen Enge, die zu Gewalt führe, ironisch unterlaufen und ins Weite geführt - in ein Erzählen vom Was-wäre-wenn. Die konditionale Inversion im Titel "Als würdet ihr leben" könnte ja durchaus die Vergeblichkeit kritisieren, das richtige Leben im falschen dennoch leben zu wollen.
Doch dieser Versuch ging daneben. Denn Chotjewitz hat sich für die Vermittlung seiner burlesken Geschichten eine erzählerische Konstruktion einfallen lassen, die man mit dem berühmten "Schuß von hinten durch die Brust ins Auge" beschreiben könnte: Nicht Leo, so enthüllt die letzte Geschichte, hat auf jemanden geschossen, sondern ihr Vater hat, als er mit Leo am Tisch saß, aus Jux auf Tante Pfanne geschossen, und die Kugel ist von Tante Pfanne an der Wand abgeprallt und hat Leo am Kopf getroffen. Und die liegt nun im Krankenhaus, mit einer Metallplatte im Kopf, und schreibt dort ihre Memoiren. "Hast du schon einen Titel? - Ich weiß nicht, sagte ich müde und gähnte. Vielleicht: ,Als würdet ihr leben'. - Wer ist ,ihr'? - Alle. Wir alle." Eine wahrlich verrückte Geschichte.
HEINZ LUDWIG ARNOLD.
Peter O. Chotjewitz: "Als würdet ihr leben". Roman. Rotbuch-Verlag, Hamburg 2001. 235 S., geb., 20,50.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter O. Chotjewitz schießt scharf durch die Brust ins Auge
Es gibt kaum einen deutschsprachigen Schriftsteller, dessen Werk zwischen stilistischem Experimentieren und politischem Engagement weiter gespannt, in den Formen vielfältiger, in seiner literarischen Qualität heterogener und deshalb verwirrender ist als das des Peter O. Chotjewitz. In solcher Turbulenz ähnelt er dem italienischen Spontandramatiker Dario Fo, dessen Stückvorlagen er seit Jahren übersetzt.
Spontaneität charakterisiert denn auch seine Anfänge mit Romanen wie "Hommage à Frantek" und "Die Insel. Erzählungen vom Bärenauge" mehr als experimentelle Stringenz; und schon gar nicht war irgendeine Handlungsentwicklung in diesen Büchern auszumachen: Da wurde eher drauflosfabuliert, Rollen und Haltungen wurden eher ausprobiert als konsequent durchgespielt - Chotjewitz war der Parade-Autor, mit dem sich die in den späten sechziger Jahren propagierte angebliche Krise des Romans jederzeit belegen ließ.
Später ist aber auch Chotjewitz beim "engagierten" Roman angekommen, hatte 1977 in "Der dreißigjährige Friede" die Chronik einer kleinbürgerlichen "Helden"-Entwicklung erzählt, an deren Ende die innere Befreiung des "Helden" in einem Gewaltakt: einem Brandanschlag steht. Alles, was Chotjewitz seither geschrieben hat - Romane, Erzählungen, Reisejournale, Kolumnen, Berichte, Dokumentationen -, hat mit sozialer und historischer Realität zu tun. Daß seine Erzählweise noch disparater geworden ist als in den ersten Büchern, belegt vor allem sein letztes Buch "Als würdet ihr leben", das ein Roman sein will.
Doch seine Romanhaftigkeit ist wenig zu erkennen: Die offensichtliche Erzählerin, die achtzehnjährige Leo(nie) Katzmann, die sich eingangs ironisch als Wunderkind einführt und vom Autor als Hauptfigur bezeichnet wird, bringt den Leser bloß auf den Weg durch ein Kaleidoskop von Geschichten, die sich als Kapitel verkleidet haben. Und das nur hin und wieder anklingende Motiv, das den "Roman" durch Leos verqueres Hirn steuert, wird so beschrieben: Leo will eine "gute Tat" begehen, sie sucht ein "geeignetes Opfer" aus der weitverzweigten Familie, das sie erschießen will. So verrückt wie dieses Motiv, so verrückt sind manche der Geschichten, die allesamt anmuten wie die Erzählungen Scheherazades, die hier nun nicht deren Tod, sondern Leos "gute Tat" aufhalten sollen.
Angesichts des bezeichneten Motivs liegt es nahe, daß viele der Kapitel-Geschichten Familiengeschichten sind. Die erste heißt "Tante Pfanne" und erzählt von einer Bratpfanne, die in der Familie der Knödels Geschichte und, so Leo, "den Küchentisch meiner Eltern zum Knotenpunkt der Welt" gemacht hat - und nun in der Küche an der Wand hängt. Doch schon der zweite Text führt ins frühe 18. Jahrhundert, berichtet eindrücklich vom "Tödlein", das "eine hartnäckige Abneigung gegen Gebet und Gottesdienst jeder Art zeigte" und deshalb vom Pfarrer zu Tode gequält worden ist. Dann gibt es wieder genealogische Berichte, zum Beispiel über die Knödels, die neben dem Clan der Deisenhöfers und jenem der Ehres die Familienfeste bestreiten.
Und so manche Familiengeschichte bietet Raum zwar nicht für Stammtisch-, aber für ähnlich funktionierende Küchentischgespräche, in denen Chotjewitz von Gott und der Welt genußvoll und gern politisch inkorrekt erzählt. Vieles davon ist durchaus witzig und von gelungenem satirischen Zugriff, aber eben wie Kraut und Rüben gemischt. Chotjewitz liebt es, seine Geschichten mit überraschenden Feststellungen zu eröffnen, die einen dann in den Text hineinziehen. "Das Empire", setzt zum Beispiel eine Cambridge-Geschichte ein, "war vermutlich nur eine Folge der britischen Küche." Und eine längere Reflexion übers Tagebuch als literarische Gattung wird eingeleitet von dem Satz: "Ich benutze das Tagebuch, weil es so ehrlich ist." Und die letzte Geschichte beginnt mit dem Satz: "Eine Metapher ging nieder mit Getöse."
Es könnte jene Metapher gewesen sein, die das ganze Buch darstellt: die Lüge nämlich vom Lebenszusammenhang, den uns gerade noch komplexe Romanwelten zu suggerieren versuchen. Die hätte Chotjewitz mit diesem Buch demnach zerschlagen wollen und sein Lebensthema von der kleinbürgerlichen Enge, die zu Gewalt führe, ironisch unterlaufen und ins Weite geführt - in ein Erzählen vom Was-wäre-wenn. Die konditionale Inversion im Titel "Als würdet ihr leben" könnte ja durchaus die Vergeblichkeit kritisieren, das richtige Leben im falschen dennoch leben zu wollen.
Doch dieser Versuch ging daneben. Denn Chotjewitz hat sich für die Vermittlung seiner burlesken Geschichten eine erzählerische Konstruktion einfallen lassen, die man mit dem berühmten "Schuß von hinten durch die Brust ins Auge" beschreiben könnte: Nicht Leo, so enthüllt die letzte Geschichte, hat auf jemanden geschossen, sondern ihr Vater hat, als er mit Leo am Tisch saß, aus Jux auf Tante Pfanne geschossen, und die Kugel ist von Tante Pfanne an der Wand abgeprallt und hat Leo am Kopf getroffen. Und die liegt nun im Krankenhaus, mit einer Metallplatte im Kopf, und schreibt dort ihre Memoiren. "Hast du schon einen Titel? - Ich weiß nicht, sagte ich müde und gähnte. Vielleicht: ,Als würdet ihr leben'. - Wer ist ,ihr'? - Alle. Wir alle." Eine wahrlich verrückte Geschichte.
HEINZ LUDWIG ARNOLD.
Peter O. Chotjewitz: "Als würdet ihr leben". Roman. Rotbuch-Verlag, Hamburg 2001. 235 S., geb., 20,50
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