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William Maxwell erzählt aus den Tagen der Kindheit im amerikanischen Mittelwesten. Aus einer Distanz von mehr als einem halben Jahrhundert spürt er einer Jungenfreundschaft nach, die an dem ungeheuerlichen Ereignis eines Mordes zerbricht. Indem Maxwell den Motiven des Mordes nachgeht, erzählt er von verratener Freundschaft, Eifersucht, Liebe und Angst. Er zeichnet zugleich ein Bild zweier Familien, zweier unglücklicher Ehen und eine Zeit unwiederbringlich verlorener Gefühle. "... eine unerhört subtile Miniatur." Michael Ondaatje "William Maxwell ist einer dieser geborenen Es-war-einmal-Erzähler." Die Zeit…mehr

Produktbeschreibung
William Maxwell erzählt aus den Tagen der Kindheit im amerikanischen Mittelwesten. Aus einer Distanz von mehr als einem halben Jahrhundert spürt er einer Jungenfreundschaft nach, die an dem ungeheuerlichen Ereignis eines Mordes zerbricht. Indem Maxwell den Motiven des Mordes nachgeht, erzählt er von verratener Freundschaft, Eifersucht, Liebe und Angst. Er zeichnet zugleich ein Bild zweier Familien, zweier unglücklicher Ehen und eine Zeit unwiederbringlich verlorener Gefühle. "... eine unerhört subtile Miniatur." Michael Ondaatje "William Maxwell ist einer dieser geborenen Es-war-einmal-Erzähler." Die Zeit
Autorenporträt
Maxwell, William
William Maxwell, 1908 in Lincoln, Illinois geboren, wuchs in Chicago auf, studierte in Illinois und Harvard. Er veröffentlichte Romane und Erzählungen und war fast 40 Jahre lang Literaturredakteur beim 'New Yorker', dessen große Zeit er entscheidend mitgeprägt hat. William Maxwell starb am 51. Juli 2000 in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.1998

Palast der Erinnerung
William Maxwells stilles Meisterwerk "Also dann bis morgen" · Von Hubert Spiegel

Es beginnt mit einem Revolverschuß im Morgengrauen. Ein Farmer ist beim Melken erschossen worden, im Schein einer Laterne und der aufgehenden Sonne. Es gibt keine Zeugen für die Tat, aber auch keinen Zweifel, wer sie verübt hat. Lloyd Wilson war ein Mann, der nur einen einzigen Feind hatte, seinen früheren besten Freund Clarence Smith, mit dessen Frau Fern er ein Verhältnis eingegangen war. Als der Mord im Kuhstall geschieht, ist der Ich-Erzähler zehn oder zwölf Jahre alt. Erst viele Jahre später, aus dem Abstand eines halben Jahrhunderts, rekonstruiert er die Tat und ihre Begleitumstände. Daß er aufwendige Recherchen unternimmt, Zeitungsarchive und Bibliotheken bemüht, daß er sein Gedächtnis martert - all dies ist Teil der Buße, die er sich auferlegt hat. Denn dieser Roman ist ein Geständnis und eine Beichte, die in jeder Zeile das Verlangen nach Absolution mit sich trägt. Aber der hier beichtet, hat weder das Opfer noch seinen Mörder je gesehen.

Was wie ein Kriminalroman beginnt, wandelt sich bereits im nächsten Kapitel zum Entwicklungsroman. Der Ich-Erzähler beschreibt den Mordfall, dann berichtet er vom Tod seiner Mutter, davon, wie die Trauer für kurze Zeit Vater und Sohn vereint, und von dem Entschluß des Vaters, wieder zu heiraten. Er schildert, wie er einen Gefährten findet und wieder verliert. Langsam, erstaunlich langsam für einen Roman von nur einhundertsechzig Seiten, nähert sich Maxwell seinem Thema, in immer enger werdenden Kreisbewegungen, wie ein sich anpirschender Jäger, der weiß, daß ein hastiger Schritt, eine unbedachte Bewegung, ein knackender Zweig unter seinem Fuß die Beute verscheucht. Diese Vorsicht hat ihren Grund. Maxwell jagt das flüchtigste Wild, das es gibt: die Erinnerung.

Dabei ist ihm jedes Mittel willkommen, aber keines recht. Gleich im ersten Kapitel beweist er dem Leser, daß der sogenannte Tatsachenbericht, der sich mit schlichten Fakten begnügt, ein Bild ergibt, dem jeden Tiefenschärfe fehlt. Danach wendet er sich der Fotografie zu, dem tückischsten aller Hilfsmittel. Als der Vater eine der wenigen Fotografien, die es von der Mutter gibt, retuschieren läßt, ist der Junge von dem Ergebnis entsetzt. Die Frau auf dem Foto sieht anders aus, als er seine Mutter in Erinnerung behalten hat: ". . . verschwommen und verklärt und als erinnere sie sich nicht einmal daran, wer wir waren". Wenig später weiß der Junge kaum noch, wie seine Mutter aussah. Er erinnert sich an die Fotografie und nicht mehr an die Person, die sie zeigt. Von nun an klammert er sich an den Klang ihrer Stimme, die er noch im Ohr hat, und an den Geschmack jener gebackenen Kartoffel, die er am Tag der Beerdigung aß.

"Also dann bis morgen", der vorerst letzte von drei Romanen des amerikanischen Schriftstellers William Maxwell, die bislang ins Deutsche übersetzt wurden, erzählt von einer Männerfreundschaft, die mit einem Mord endet, von einer Jungenfreundschaft, der nicht die Zeit bleibt, eine richtige Freundschaft zu werden, von zwei Ehen, die zerbrechen, von einer dritten, die neu geschlossen wird, und von einem Kind, das den Tod seiner Mutter nicht verwinden kann und dem sein Vater auf ewig fremd bleibt. Es geht in diesem Roman um Eifersucht und Verrat, um Haß und Niedertracht, um Wut und Mordlust, um den Schmerz und die Schwermut kleiner Jungen, die am Leben verzweifeln.

Maxwell beschreibt verbitterte Farmersfrauen und lebenslustige Kleinstadtpflanzen, den Knecht, der sich mit schöner Regelmäßigkeit dem Suff ergibt, und den wortkargen Witwer, der bei seinem Neffen Unterschlupf gefunden hat: Tragödien der verschiedensten Art und in jeder gewünschten Größenordnung. Aber hinter diesen Miniaturdramen, die oft nur skizziert werden, verbirgt der Autor ein viel größeres Drama. Es handelt davon, daß wir über die Vergangenheit nur eines ganz sicher wissen können: daß sie anders war, als wir sie in Erinnerung haben. Alles, was uns begegnet, so Maxwells Überzeugung, beginnt uns in dem Moment zu entgleiten, in dem es sich ereignet. Was wir als unsere Erinnerung ausgeben, "ist in Wirklichkeit eine Form des Geschichtenerzählens, die sich unaufhörlich in unserem Geist vollzieht und sich oft noch während des Erzählens verändert". Wenn wir über die Vergangenheit reden, so Maxwells Erzähler, "lügen wir mit jedem Atemzug".

Aus dem Abstand eines halben Jahrhunderts schickt Maxwell den alten Mann, der uns seine Geschichte erzählt, zurück in die Vergangenheit, in jene Zeit, als er einer dieser ungelenken, immer etwas zu lang und zu dünn wirkenden Jungen war, die im Schwimmbad, in der Turnhalle und auf dem Fußballplatz stets am Rand stehen und sich düster fragen, ob wohl ihr ganzes Leben so jämmerlich und demütigend sein wird wie der Sportunterricht. In sich gekehrt, ein wenig versponnen, von Trauer um den plötzlichen Tod der Mutter erfüllt, wie gelähmt vom Entschluß des Vaters, wieder zu heiraten, flüchtet der Junge nach Schulschluß auf eine Baustelle am anderen Ende der Stadt. Hier, wo der Vater ein neues Haus bauen läßt, um ein neues Leben darin zu beginnen, verkriecht sich der Junge in die Erinnerung an die Vergangenheit und träumt von der toten Mutter. Eines Tages findet er zufällig einen Gefährten, einen kräftigen, schweigsamen Jungen, mit dem er sich anfreundet.

Die beiden reden nicht viel. Jeder in seinen eigenen Kummer gehüllt, balancieren sie über Dachbalken, gehen durch Wände, die noch gemauert werden, und blicken in den Himmel durch ein Dach, das noch nicht gedeckt ist. Sie teilen ihre Einsamkeit, aber nicht ihre Sorgen. Daß der Ich-Erzähler seinen neuen Freund nie nach seinem Schicksal gefragt hat, ja, daß er nicht einmal bemerkte, wie groß der Kummer war, der seinen Gefährten bedrückte, ist bereits Teil jener Schuld, die er auf sich lud und nicht mehr abschütteln kann.

Erst aus der Zeitung erfährt er von den Ereignissen. Auch Cletus hat das Haus verlassen müssen, in dem er aufgewachsen war. Die Eltern haben sich getrennt, Clarence Smith hat die Farm aufgegeben, der Junge lebt mit seiner Mutter bei einer Tante. Und schließlich verliert auch Cletus einen Elternteil: Sein Vater, der Mörder von Lloyd Wilson, bringt sich nach der Tat um. Cletus und seine Mutter verlassen die Stadt.

Ein oder zwei Jahre später begegnen sich die Jungen wieder. Der Erzähler ist aus der Kleinstadt Lincoln fortgezogen, und nun steht ihm der Freund plötzlich auf dem Flur ihrer neuen Schule in Chicago gegenüber: "Es war, als wäre er von den Toten auferstanden. Er sagte nichts. Ich sagte nichts. Wir gingen einfach immer weiter, bis wir aneinander vorbei waren. Und danach gab es für mich keine Möglichkeit mehr, das Geschehene ungeschehen zu machen." Die beiden sehen sich nie wieder. Vermutlich ist Cletus auch aus Chicago geflohen, aus Angst, sein Geheimnis könne verraten werden, auf der Flucht vor der Schande, der Sohn eines Mörders und Selbstmörders zu sein. Auch ein halbes Jahrhundert später weiß der alte Mann nicht, was der Junge, der er einmal war, in dieser Situation hätte sagen können. Er weiß nur, daß er etwas hätte sagen müssen. Daß er es nicht tat, macht die Schuld aus, die er nie wieder losgeworden ist. Und noch etwas quält ihn: Wie Cletus die Trennung der Eltern, den Verrat von Lloyd Wilson und das Ende seines Vaters verwand, wie er es ertrug, von der eigenen Farm vertrieben zu werden, wie er damit lebte, der Sohn eines Mörders zu sein - das sind die Fragen, die der Erzähler seinem Freund Cletus nie gestellt hat und die er jetzt beantwortet.

Maxwells Roman ist die Reise eines alten Mannes an einen Ort, den es nicht gibt. Man könnte ihn Kindheit nennen oder Vergangenheit, Paradies, Zukunft oder Glück. Maxwell nennt ihn "Der Palast um vier Uhr morgens". Das ist der Titel einer Skulptur Alberto Giacomettis, die den alten Mann an den Rohbau erinnert, in dem er als Kind mit Cletus Smith spielte. Der Ort, an dem man durch Wände gehen kann und durchs ungedeckte Dach in den Himmel blickt. Der Ort, an dem keine Gesetze gelten und an dem man das Geschehene ungeschehen machen kann. Das ist der Ort, an dem der alte Mann nach mehr als einem halben Jahrhundert seinem Freund Cletus noch einmal begegnet.

Als William Maxwell ein Junge war, lebte er in Lincoln, einer Kleinstadt in Illinois, wo auch der Roman spielt. Als der Roman einsetzt, 1920, war Maxwell zwölf Jahre alt, F. Scott Fitzgerald debütierte mit "Diesseits des Paradieses", und der große Henry James war erst vier Jahre tot. Maxwells Erstlingsroman erschien 1936, im selben Jahr wie Hemingways "Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber" und Faulkners "Absalom, Absalom!" Im Jahr 1940, als Fitzgerald starb, war Maxwell bereits vier Jahre Redakteur der Zeitschrift "The New Yorker", wo er bald eine wichtige Position einnahm: Er war der Mann, der die Kurzgeschichten auswählte, die das Magazin abdruckte.

Im Laufe von vier Jahrzehnten, von 1936 bis 1976, arbeitete Maxwell mit zahllosen großen Autoren zusammen: mit Cheever, Updike, Nabokov, Eudora Welty und vielen anderen. Es muß zahllose Anekdoten über den Redakteur William Maxwell geben, aber man weiß davon noch weniger als vom Schriftsteller Maxwell, der in mehr als sechzig Jahren vierzehn Bücher veröffentlicht hat: sechs Romane, vier Bände mit Kurzgeschichten, eine Familienchronik, zwei Kinderbücher und einen Essayband. Keines dieser Werke hat seinen Autor berühmt gemacht. Auch in Amerika ist Maxwell immer ein Schriftsteller geblieben, der von Kollegen wie Updike, Cheever oder Richard Ford verehrt, vom Publikum aber kaum zur Kenntnis genommen wurde. "Also dann bis morgen" (So long, see you tomorrow), 1980 im Original erschienen, ist der letzte Roman dieses Autors, der in diesem Sommer seinen neunzigsten Geburtstag feiert: ein stilles Meisterwerk. William Maxwell wird in Deutschland kein Unbekannter bleiben.

William Maxwell: "Also dann bis morgen". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Benjamin Schwarz. Zsolnay Verlag, Wien 1998. 163 S., geb., 34,- DM.

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