Also sprach Zarathustra ist eines der lebendigsten und umstrittensten Werke der modernen Philosophie. Mit seiner Unruhe und gottlosen Leidenschaft wirkt es über alle Dogmen und Religionen hinweg gerade im 21. Jahrhundert aktueller denn je. Vor allem aber kann man von Nietzsche lernen, dass das Philosophieren keine rein akademische Angelegenheit ist, sondern ein großes Abenteuer, hinter dem sich unsere Sehnsucht nach einem intensiveren, lustvolleren Leben verbirgt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013In einer idealen Schriftgestalt: Nietzsches "Also sprach Zarathustra"
Von Lorenz Jäger
Nietzsches "Also sprach Zarathustra" ist vermutlich sein am meisten zitiertes (fast sprichwörtlich ist der Titel geworden), aber auch am wenigsten gelesenes Werk, jedenfalls wenn man unter "Lesen" nicht nur die Suche nach markanten Stellen versteht, sondern das Erfassen des Ganzen. Es ist fremder geworden als die anderen Schriften, die Fülle der Figuren - von den Tieren über die Widersacher, die "letzten Menschen" oder den "Geist der Schwere" bis zu den "Töchtern der Wüste", nicht zu vergessen die falschen Freunde wie jener, der "Zarathustras Affe" genannt wird -, schon diese Fülle ist schwer überschaubar, und dann ist auch der Stil im überbordenden Wortwitz und mit den ständigen Sprachspielen nur einer langsamen Lektüre günstig.
Die ersten beiden Bände der "Basler Ausgabe", die nun, von Ludger Lütkehaus und David Marc Hoffmann herausgegeben, bei Stroemfeld erschienen sind, einem für seine kritischen Editionen legendären Verlag, sind für Leser eine wirkliche Freude. Auch wenn das Pathos des Edierens inzwischen den ganzen denkbaren Kreis seiner Möglichkeiten ausgeschritten hat, indem man nun ganz auf die Werke setzt statt auf die Notizen des Nachlasses. Man druckt die Ausgaben letzter Hand. Nietzsche hatte an der typographischen Gestaltung Anteil genommen. Tatsächlich handelt es sich um eine Schriftgestalt, die dem durch Satzzeichen, Absätze und Hervorhebungen dynamisierten Text geradezu ideal entgegenkommt.
Zarathustra ist der Gegenprophet, der vom Christlichen nicht loskommt. Dem "Nachtwandler-Lied", vielleicht dem ergreifendsten Text, den Nietzsche überhaupt verfasst hat, präludiert eine mitternächtliche Glocke. Rhetorische Formeln aus der Bergpredigt stehen im Versprechen "neuer Tafeln" neben der Erinnerung an die Zehn Gebote. Versprengte Teile der Religion! Einmal liest man: "Das aber ist die Wahrheit: die Guten müssen Pharisäer sein, - sie haben keine Wahl! Die Guten müssen Den kreuzigen, der sich seine eigene Tugend erfindet!" Und so kam es, dass die Wahnsinnszettel aus dem Januar 1889 auch mit "Der Gekreuzigte" unterzeichnet wurden. Das war der Preis der Gegenprophetie, den kein Zarathustra-Affe mehr zahlen muss.
Friedrich Nietzsche: "Also sprach Zarathustra".
Hrsg. v. Ludger Lütkehaus und David M. Hoffmann. Basler Ausgabe. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2013. 2 Bde. 370 S., geb., 58,- [Euro]; 160 S., geb., 38,- [Euro].
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Von Lorenz Jäger
Nietzsches "Also sprach Zarathustra" ist vermutlich sein am meisten zitiertes (fast sprichwörtlich ist der Titel geworden), aber auch am wenigsten gelesenes Werk, jedenfalls wenn man unter "Lesen" nicht nur die Suche nach markanten Stellen versteht, sondern das Erfassen des Ganzen. Es ist fremder geworden als die anderen Schriften, die Fülle der Figuren - von den Tieren über die Widersacher, die "letzten Menschen" oder den "Geist der Schwere" bis zu den "Töchtern der Wüste", nicht zu vergessen die falschen Freunde wie jener, der "Zarathustras Affe" genannt wird -, schon diese Fülle ist schwer überschaubar, und dann ist auch der Stil im überbordenden Wortwitz und mit den ständigen Sprachspielen nur einer langsamen Lektüre günstig.
Die ersten beiden Bände der "Basler Ausgabe", die nun, von Ludger Lütkehaus und David Marc Hoffmann herausgegeben, bei Stroemfeld erschienen sind, einem für seine kritischen Editionen legendären Verlag, sind für Leser eine wirkliche Freude. Auch wenn das Pathos des Edierens inzwischen den ganzen denkbaren Kreis seiner Möglichkeiten ausgeschritten hat, indem man nun ganz auf die Werke setzt statt auf die Notizen des Nachlasses. Man druckt die Ausgaben letzter Hand. Nietzsche hatte an der typographischen Gestaltung Anteil genommen. Tatsächlich handelt es sich um eine Schriftgestalt, die dem durch Satzzeichen, Absätze und Hervorhebungen dynamisierten Text geradezu ideal entgegenkommt.
Zarathustra ist der Gegenprophet, der vom Christlichen nicht loskommt. Dem "Nachtwandler-Lied", vielleicht dem ergreifendsten Text, den Nietzsche überhaupt verfasst hat, präludiert eine mitternächtliche Glocke. Rhetorische Formeln aus der Bergpredigt stehen im Versprechen "neuer Tafeln" neben der Erinnerung an die Zehn Gebote. Versprengte Teile der Religion! Einmal liest man: "Das aber ist die Wahrheit: die Guten müssen Pharisäer sein, - sie haben keine Wahl! Die Guten müssen Den kreuzigen, der sich seine eigene Tugend erfindet!" Und so kam es, dass die Wahnsinnszettel aus dem Januar 1889 auch mit "Der Gekreuzigte" unterzeichnet wurden. Das war der Preis der Gegenprophetie, den kein Zarathustra-Affe mehr zahlen muss.
Friedrich Nietzsche: "Also sprach Zarathustra".
Hrsg. v. Ludger Lütkehaus und David M. Hoffmann. Basler Ausgabe. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2013. 2 Bde. 370 S., geb., 58,- [Euro]; 160 S., geb., 38,- [Euro].
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