Es sind immer die Töchter, die fragen! Die drei 'Mädchen aus Ostpreußen', Anni, Else und Hannelore, sollen für eine Image- kampagne ihrer Seniorenresidenz Modell stehen. Während 'Germany's Next Topmodel' läuft, verhandeln die drei Mitt- neunzigerinnen, was sie über ihr Leben erzählen wollen - und was nicht.Im Auto unterwegs nach Polen schickt Gudrun eine Sprachnachricht. Ihre Nichte soll vom Tod der Großmutter erfahren. Doch Gudrun schweift ab, erzählt von der Flucht bei Kriegsende, ihrer Kindheit in den 1950ern. Plötzlich wird klar: Sie muss etwas gestehen.Undine, Jenny und Thao verbringen ein Wochenende in Berlin, bevor Jenny ihr erstes Kind bekommt. Neben den Erinne- rungen an ihre Kindheit und Jugend in den 1980ern und 1990ern treten auch die sozialen Unterschiede wieder ans Licht. Während sie ihre Lebensentscheidungen neu bewerten, setzen die Wehen ein.In drei Teilen, »Marjellchen«, »Neue Heimat, altes Haus« und »MILF«, porträtiert Julia Wolf drei Frauengenerationen, indem sie den Wunden, Werten und Erfahrungen der Kriegszeit nachspürt. Mit Alte Mädchen ergänzt Julia Wolf die deutsche Nachkriegsgeschichte um eine wichtige Erzählung weiblicher Subjektivität, die uns die Augen öffnet: dafür, woher wir kommen, wohin wir gehen, was wir mitnehmen und was wir loslassen sollten.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Fokke Joel findet Julia Wolfs dreigeteiltes Buch "Alte Mädchen" absolut lesenswert: Im ersten Teil, verrät er, geht es um drei alte Frauen im Altersheim, die sich über ihre interessanten Lebensgeschichten austauschen. Sie würden im zweiten Teil abgelöst durch eine Road-Story, die sich wiederum mit drei Frauenfiguren um die Themen Erbe, Vergangenheit, Moral und Familiengeschichte drehe. Der dritte und letzte Teil widme sich dann drei sehr unterschiedlichen jungen Frauen und ihren verschiedenen Erfolgen und Problemen. Was diese Figuren vereint, ist nicht nur der gleichbleibende Erzählstil, sondern auch der Titel "Alte Mädchen", schildert der Rezensent, alle seien nicht in der Lage, dieses Mädchenhaft-Kindliche abzulegen. Manchmal verliert Joel zwar den Überblick über die Perspektiven, aber ihm gefällt, wie realistisch die Protagonistinnen Problematiken begegnen und daran arbeiten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2022Vererbtes Trauma
Julia Wolfs Roman "Alte Mädchen"
Die Drei gibt den Takt vor in diesem Roman. Drei Teile umfasst er, von drei Frauengenerationen erzählt Julia Wolf, und jeweils handelt es ich um Dreiergespanne, die zusammenkommen - oder aber deren Miteinander scheitert. Drei Altenheimbewohnerinnen, aus Ostpreußen stammend, sind es im ersten Teil von "Alte Mädchen". Im nicht mehr ganz klaren Bewusstsein der betagten Damen fließen Erinnerungen an Flucht- und Kriegserlebnisse so mit alltäglichen Verrichtungen ineinander, wie sie sich mit dem Geschehen auf dem Bildschirm vermengen, auf dem bevorzugt "Germany's Next Topmodel" läuft. Dazu passt die Aussicht, bald selbst Modell stehen zu können: in einer Werbekampagne fürs Altenheim.
Der Mittelteil des Romans setzt sich aus einer Reihe von Whatsapp-Nachrichten zusammen, gesendet von Gudrun während einer Autofahrt Richtung Polen an ihre Nichte, die neben dem Studium auch den Kontakt zur Familie abgebrochen hat und nach Kambodscha gegangen ist. Wohl auch, weil sie familiäre NS-Verstrickungen aufgedeckt hat, bei der Verwandtschaft allerdings auf wenig Gehör gestoßen ist. Nun wiederum hört sie die Nachrichten der Tante nicht an. Wie sich bald aus deren von fehlender Resonanz nur noch mehr befeuertem Plauderstrom herausdestilliert: Die verstorbene Großmutter hat ihre Töchter Gudrun und die ebenfalls im Auto sitzende Mutter der in Kambodscha Weilenden bei der Erbfolge übergangen und ihr Haus der nicht zu erreichenden Enkelin vermacht, was die beiden mittelalten Damen in finanzielle Kalamitäten stürzt.
Im abschließenden Teil, "MILF" ist er überschrieben, treffen sich drei Freundinnen anlässlich der Schwangerschaft der einen nach längerer Zeit wieder. Das Milieu ist leicht zu erkennen: Mit dem Vater des Ungeborenen eine klassische Kleinfamilie zu gründen, plant die Schwangere nicht. Fleischkonsum ist hier die Ausnahme, die Teilnahme an Demonstrationen für eine weniger restriktive Einwanderungspolitik sind die Regel.
Familiäre Verbindungen scheint es zwischen den Figuren der drei Romanteile nicht zu geben, dafür umso mehr prinzipielle: In der dritten Generation treten die Versehrtheiten zutage, die von den vorhergehenden mehr oder weniger erfolgreich unter den "Was- hätten-wir-denn-tun-sollen"-Teppich gekehrt wurden. So nimmt die schwangere Jenny vorübergehend die Tochter einer ehemaligen Partybekanntschaft auf, die gerade einmal wieder von einer Depression ans Bett gefesselt wird. Auf einer der gemeinsamen früheren Feiern unvermittelt angesprochen auf ihre familiäre Vergangenheit, hatte die junge Frau nur einen Moment gezögert: "Dann hatte sie die Einheit der Wehrmacht genannt, bei der ihr Großvater gewesen war. An welchen Massenerschießungen wo in Polen diese Einheit beteiligt gewesen war."
Von transgenerativer Traumatisierung ist in den vergangenen Jahren immer wieder und oft differenziert erzählt worden. Julia Wolfs Roman hingegen wirkt leider wie am Reißbrett entworfen. Literarisch allzu einfach macht es sich die 1980 geborene Autorin mit plakativen Setzungen. Ähnliches gilt für die Wahl der Erzählperspektive. Sie verwandelt sich vom Wir im ersten Teil (dem der Großmütter) über eine Du-Ansprache, die ohne Widerhall bleibt, im der mittleren Generation gewidmeten Mittelteil hin zu einer Melange aus personalen Erzählstimmen und einer kindlichen Ich-Erzählerin. Allzu eindimensional im Sinne bekannter Mentalitätsdiagnosen erscheint die Bestandsaufnahme zunehmender Zersplitterung von Gesellschaften.
Dass der parataktische, immer wieder elliptische Satzbau kaum variiert wird, scheint im Gegensatz zum Wandel der Erzählperspektiven eher unfreiwillige Homogenität zu erzeugen. Oder auch schiefe, weil inadäquate Töne, wenn das Kind - zehn, zwölf Jahre alt mag es sein - Blicke mit Pfeilen gleichsetzt, die den Raum kreuzen. Und bemerkt: "Wie eine Marionette gehe ich zum Bett. Beine aus Holz."
Das ist schade, liest sich doch der Beginn des Romans durchaus vielversprechend in der Verschneidung von optischem Konformitätsdruck, dem Frauen generationsübergreifend ausgesetzt sind, und dem Impuls, eigene Verletzungen und Verfehlungen ebenso wie politische Verbrechen zumindest rhetorisch glattzubügeln. WIEBKE POROMBKA
Julia Wolf:
"Alte Mädchen". Roman.
Frankfurter
Verlagsanstalt,
Frankfurt am Main 2022. 288 S.,
geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Julia Wolfs Roman "Alte Mädchen"
Die Drei gibt den Takt vor in diesem Roman. Drei Teile umfasst er, von drei Frauengenerationen erzählt Julia Wolf, und jeweils handelt es ich um Dreiergespanne, die zusammenkommen - oder aber deren Miteinander scheitert. Drei Altenheimbewohnerinnen, aus Ostpreußen stammend, sind es im ersten Teil von "Alte Mädchen". Im nicht mehr ganz klaren Bewusstsein der betagten Damen fließen Erinnerungen an Flucht- und Kriegserlebnisse so mit alltäglichen Verrichtungen ineinander, wie sie sich mit dem Geschehen auf dem Bildschirm vermengen, auf dem bevorzugt "Germany's Next Topmodel" läuft. Dazu passt die Aussicht, bald selbst Modell stehen zu können: in einer Werbekampagne fürs Altenheim.
Der Mittelteil des Romans setzt sich aus einer Reihe von Whatsapp-Nachrichten zusammen, gesendet von Gudrun während einer Autofahrt Richtung Polen an ihre Nichte, die neben dem Studium auch den Kontakt zur Familie abgebrochen hat und nach Kambodscha gegangen ist. Wohl auch, weil sie familiäre NS-Verstrickungen aufgedeckt hat, bei der Verwandtschaft allerdings auf wenig Gehör gestoßen ist. Nun wiederum hört sie die Nachrichten der Tante nicht an. Wie sich bald aus deren von fehlender Resonanz nur noch mehr befeuertem Plauderstrom herausdestilliert: Die verstorbene Großmutter hat ihre Töchter Gudrun und die ebenfalls im Auto sitzende Mutter der in Kambodscha Weilenden bei der Erbfolge übergangen und ihr Haus der nicht zu erreichenden Enkelin vermacht, was die beiden mittelalten Damen in finanzielle Kalamitäten stürzt.
Im abschließenden Teil, "MILF" ist er überschrieben, treffen sich drei Freundinnen anlässlich der Schwangerschaft der einen nach längerer Zeit wieder. Das Milieu ist leicht zu erkennen: Mit dem Vater des Ungeborenen eine klassische Kleinfamilie zu gründen, plant die Schwangere nicht. Fleischkonsum ist hier die Ausnahme, die Teilnahme an Demonstrationen für eine weniger restriktive Einwanderungspolitik sind die Regel.
Familiäre Verbindungen scheint es zwischen den Figuren der drei Romanteile nicht zu geben, dafür umso mehr prinzipielle: In der dritten Generation treten die Versehrtheiten zutage, die von den vorhergehenden mehr oder weniger erfolgreich unter den "Was- hätten-wir-denn-tun-sollen"-Teppich gekehrt wurden. So nimmt die schwangere Jenny vorübergehend die Tochter einer ehemaligen Partybekanntschaft auf, die gerade einmal wieder von einer Depression ans Bett gefesselt wird. Auf einer der gemeinsamen früheren Feiern unvermittelt angesprochen auf ihre familiäre Vergangenheit, hatte die junge Frau nur einen Moment gezögert: "Dann hatte sie die Einheit der Wehrmacht genannt, bei der ihr Großvater gewesen war. An welchen Massenerschießungen wo in Polen diese Einheit beteiligt gewesen war."
Von transgenerativer Traumatisierung ist in den vergangenen Jahren immer wieder und oft differenziert erzählt worden. Julia Wolfs Roman hingegen wirkt leider wie am Reißbrett entworfen. Literarisch allzu einfach macht es sich die 1980 geborene Autorin mit plakativen Setzungen. Ähnliches gilt für die Wahl der Erzählperspektive. Sie verwandelt sich vom Wir im ersten Teil (dem der Großmütter) über eine Du-Ansprache, die ohne Widerhall bleibt, im der mittleren Generation gewidmeten Mittelteil hin zu einer Melange aus personalen Erzählstimmen und einer kindlichen Ich-Erzählerin. Allzu eindimensional im Sinne bekannter Mentalitätsdiagnosen erscheint die Bestandsaufnahme zunehmender Zersplitterung von Gesellschaften.
Dass der parataktische, immer wieder elliptische Satzbau kaum variiert wird, scheint im Gegensatz zum Wandel der Erzählperspektiven eher unfreiwillige Homogenität zu erzeugen. Oder auch schiefe, weil inadäquate Töne, wenn das Kind - zehn, zwölf Jahre alt mag es sein - Blicke mit Pfeilen gleichsetzt, die den Raum kreuzen. Und bemerkt: "Wie eine Marionette gehe ich zum Bett. Beine aus Holz."
Das ist schade, liest sich doch der Beginn des Romans durchaus vielversprechend in der Verschneidung von optischem Konformitätsdruck, dem Frauen generationsübergreifend ausgesetzt sind, und dem Impuls, eigene Verletzungen und Verfehlungen ebenso wie politische Verbrechen zumindest rhetorisch glattzubügeln. WIEBKE POROMBKA
Julia Wolf:
"Alte Mädchen". Roman.
Frankfurter
Verlagsanstalt,
Frankfurt am Main 2022. 288 S.,
geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main