Der Widerstand gegen Hitler ist zentrales Thema der politischen wie wissenschaftlichen Debatten zur NS-Geschichte. Im vorliegenden Band zeigt der renommierte Zeithistoriker Hans Mommsen die Vielfalt der politischen Ziele dieses "anderen Deutschland" und entschlüsselt die Ideenwelt des 20. Juli und des Kreisauer Kreises, der konservativen und sozialistischen, kirchlichen und militärischen Opposition. Er arbeitet ihr gemeinsames Bemühen um eine Alternative zu Hitler, um eine moralische Erneuerung von Politik und Gesellschaft heraus, ohne die verbreitete Ablehnung der Demokratie und teilweise unentschiedene Haltung zur Judenverfolgung zu übersehen. Der Widerstand wird nicht idealisiert, sondern als politische Bewegung aus den Bedingungen seiner Zeit erklärt.
Der militärische Widerstand gegen Hitler und die nationalsozialistische Ausrottungspolitik
Hans Mommsen: Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstandes. beck'sche reihe 1373. C. H. Beck Verlag, München 2000. 419 Seiten, 34,- Mark.
Gerd R. Ueberschär (Herausgeber): NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler. Primus Verlag, Darmstadt 2000. 214 Seiten, 49,90 Mark.
Darf die Haltung einzelner Widerstandskämpfer zu verbrecherischen Befehlen, zur bestialischen Besatzungspolitik und zum Holocaust kritisch untersucht werden? Eine solche Frage stellte sich für Zeithistoriker schon in den sechziger Jahren. Einer der Pioniere der Widerstandsforschung, Hans Mommsen, bekennt jetzt in seiner Sammlung von wichtigen Beiträgen aus vier Jahrzehnten über die "einzig geschichtlich verfügbare Alternative zu Hitler", dass er diesen Komplex damals bewusst ausgeklammert habe, da die Zeit für eine Erörterung noch nicht reif gewesen sei.
Aufgeschreckt durch Christof Dippers Aufsatz "Der deutsche Widerstand und die Juden", hat sich der Kenntnisstand seit den achtziger Jahren weniger durch die Widerstandsforschung selbst als durch Studien zur Kriegführung und zur Besatzungspolitik verbessert. Daneben ist das allgemeine Interesse durch die umstrittene und im Herbst 1999 zur wissenschaftlichen Nachbesserung zurückgezogene Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945" gestiegen, wenn auch die Emotionen nach wie vor hoch schlagen. Als beispielsweise 1998 in Frankfurt am Main als Korrektiv zur Wehrmachtsausstellung die vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt konzipierte Ausstellung "Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933-1945" gezeigt wurde, kam es anlässlich der Eröffnungsveranstaltung zu einem Eklat: Der als Hauptredner vorgesehene Bochumer Emeritus Mommsen wurde wieder ausgeladen. Stattdessen hielt der ehemalige Hamburger Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi in der Paulskirche die Eröffnungsrede.
Aus Protest gegen den Redner-Wechsel zogen mehrere Historiker ihre Zusagen zu Vorträgen im geplanten Rahmenprogramm zur Widerstandsausstellung zurück, so dass das Frankfurter Fritz Bauer Institut im Mai 1998 ein wissenschaftliches Symposion mit den Verprellten über die Beteiligung von Hitler-Gegnern an antijüdischen Maßnahmen und am Vernichtungskrieg veranstalten konnte. Die pointierten Referate ergänzt Gerd Ueberschär mit einer lesenswerten Auswahl von 41 Dokumenten. Einerseits werden verbrecherische Befehle wiedergegeben - wie der Kriegsgerichtsbarkeitserlass vom 13. Mai 1941, der unter anderem die Verfolgung von Straftaten der Wehrmachtsangehörigen gegen "feindliche Zivilpersonen" aufhob, und die "Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare" der Roten Armee vom 6. Juni 1941, die "grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen" seien.
Andererseits spiegeln die Schriftstücke das Verhalten einzelner Angehöriger des militärischen Widerstandes gegenüber Menschlichkeits- und Kriegsverbrechen wider. Beispielsweise fand der Oberbefehlshaber Ost, Generaloberst Blaskowitz, am 15. Februar 1940 laut Notizen für seinen Lagevortrag beim Oberbefehlshaber des Heeres, von Brauchitsch, es "abwegig, einige 10 000 Juden und Polen, so wie es augenblicklich geschieht, abzuschlachten". Die Einstellung der Wehrmachtseinheiten "zu SS und Polizei schwankt zwischen Abscheu und Hass. Jeder Soldat fühlt sich angewidert und abgestoßen durch diese Verbrechen." Major Hellmuth Stieff, Gruppenleiter in der Operationsabteilung des Generalstabes, schilderte seiner Frau Eindrücke von einer Polen-Dienstreise: "Ich schäme mich ein Deutscher zu sein! Diese Minderheit, die durch Morden, Plündern und Sengen den deutsche Namen besudelt, wird das Unglück des ganzen deutschen Volkes werden, wenn wir ihnen nicht bald das Handwerk legen."
Den eindeutig ablehnenden Zeugnissen stehen regimekonforme Äußerungen gegenüber, wie etwa vom Befehlshaber der Panzergruppe 4, Generaloberst Erich Hoepner, der 1941 "mit unerhörter Härte" gegen eine "moskowitisch-asiatische Überschwemmung" vorgehen wollte und zur "erbarmungslosen, völligen Vernichtung des Feindes" aufrief. Dabei war Hoepner ein militärisch unabhängiger Kopf, der im Winter 1941/42 seine Absetzung durch Hitler bewusst in Kauf nahm und nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Peter Steinkamp konstatiert sogar Hoepners Bereitschaft, zur so genannten "Bekämpfung des Bandenwesens" einen Giftgaskrieg ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu führen.
Partisanenbekämpfung ist das Reiz- und Schlüsselwort in der Kontroverse über das Verhalten der Hitler-Gegner. Dementsprechend polemisiert Hanno Loewy, Leiter des Fritz Bauer Instituts, gegen Klaus von Dohnanyis Paulskirchen-Rede und wirft ihm folgende Formulierung als Verharmlosung vor: "Es ist auch richtig, dass jeder Offizier - auch ein Mann im Widerstand - im Krieg Schutzmaßnahmen gegen Partisanen ergreifen musste und dass diese überall von großer Härte waren."
Aber nicht nur Dohnanyi, dessen Vater Hans tapfer und unerschrocken für verfolgte Juden eingetreten war und im April 1945 im KZ Sachsenhausen ermordet wurde, wirbt um ein gewisses Verständnis für die Bedingungen des Front- und NS-Alltags. Auch Winfried Heinemann, Referent für Militärgeschichte im Bundesministerium der Verteidigung, erinnert daran, dass die Militäropposition "der Doppelbelastung des täglichen Dienstbetriebs im Kriege und der Planung des Staatsstreichs ausgesetzt" gewesen sei. Außerdem habe es zu den Pflichten der Befehlshaber gehört, "die Truppe und ihre Ausrüstung zu schützen sowie Partisanen zu bekämpfen". Er weist darauf hin, dass 1942 der neutralere Ausdruck "Partisanen" in Befehlen verboten und durch "Bandenangehörige" ersetzt wurde. Der "Bandenkampf" habe allerdings hauptsächlich als "Vorwand der nationalsozialistischen Ausrottungspolitik" gedient.
Selbst einem der entschiedensten Hitler-Gegner, dem Generalstabsoffizier Henning von Tresckow, der den Vernichtungscharakter des Partisanenkrieges als großflächige Mordaktionen durchschaut habe, sei dienstlich die Aufgabe zugefallen, die Partisanenbekämpfung zu organisieren. Heinemann wertet das als "Mitverantwortung der Wehrmacht" an den SS-Verbrechen, während Christian Gerlach neben "verdienstvollen Milderungen und Mäßigungen" bestimmter Befehle sogar "eigene Initiativen zur Verschärfung von Besatzungsverbrechen" feststellt, was nicht mit dem "Bild des reinen Helden" zusammenpasse.
Am Fall Tresckow scheiden sich die Geister der Wehrmachts- und Widerstandsexperten. Manfred Messerschmidt stimmt jedenfalls Gerlachs Urteil über Tresckows Aktivität im "Bandenkrieg" zu. Er ordnet sie in eine preußisch-deutsche Militärtradition ein, "in welcher Begriffe wie ,Kriegsnotwendigkeit' und ,Realismus des Krieges' gegen die Auffassung von der Verbindlichkeit des Völkerrechts gestellt worden" seien. So weit geht Hans Mommsen nicht. Nach wie vor bedürfe es der Überprüfung, inwieweit Vertreter des Widerstandes "unmittelbaren Anteil" gehabt hätten an der Partisanenbekämpfung im Bereich der Heeresgruppe Mitte, bei der "insbesondere das einheimische Judentum liquidiert worden" sei. Gleichzeitig bewundert Mommsen "die Kaltblütigkeit, die Entschlossenheit und das Ingenium" Henning von Tresckows für die gesamte Staatsstreichplanung: "Durch ihn wurde die militärische Opposition zum eigentlichen Motor der Verschwörung."
Mut und Opferbereitschaft zeichneten die Männer des militärischen Widerstandes gegenüber den bloßen Befehlsempfängern im Feldmarschallsrock aus, die die moralische Empörung von Untergebenen einfach überhörten und trotz deutlicher Hinweise auf Greueltaten keineswegs zum Handeln gegen den "Obersten Kriegsherrn" bereit waren. Dennoch bleibt die schwierige Frage zu beantworten, welche Faktoren einzelne Hitler-Gegner "zu einer so weitgehenden Integration in die nationalsozialistische Ausrottungspolitik brachten" (Christian Streit). Dieser lange verschwiegene Aspekt der Militär- und Widerstandsgeschichte muss weiter untersucht werden und schließlich in eine Gesamtdarstellung der Militäropposition im "Dritten Reich" münden.
RAINER BLASIUS
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Ein Standardwerk zum Thema, das kaum Wünsche offen lässt", ist dieser Band, wie Rolf Lamprecht resümiert. Der Leser erfahre hier nicht nur viel über Gruppierungen und Personen des Widerstands, sondern auch viel über die Hemmnisse und Skrupel, die damals eine Rolle gespielt haben. Als Beispiele führt er unter anderem das `Eid-Problem` auf, religiöse Vorbehalte (die Katholische Kirche erweist sich hinsichtlich des Tyrannenmords dabei - wie der Leser erfährt `flexibler` als die evangelische), aber auch die Nähe vieler Widerständler zu Hilters Außen- und Militärpolitik. Dabei wird auch - wie Lamprecht findet - mit so mancher "Glorifizierung" aufgeräumt. Denn Mommsen zeige, dass gerade im Umfeld des 20. Juli nicht das Ziel war, `die Wiedererstehung eines Vielparteiensystems` zu erreichen. Auch die `Judengesetze` sollten lediglich entschärft werden, Frauen vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen sein. Eine äußerst aufschlussreiche Lektüre ist dieser Band, wie Lamprecht findet, die zwar "Zeit und Geduld" erfordere, sich aber keineswegs nur an Historiker richte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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