CDU und SPD schrumpfen und altern unaufhaltsam. Im Jahr 2011 war nahezu die Hälfte aller Mitglieder beider Parteien über 60 Jahre alt. Folgt dieser mächtigen Zahl eine Macht der Älteren?Bettina Munimus untersucht den altersstrukturellen Wandel aus drei Perspektiven: Senioren als Mandatsträger und Funktionäre, als Mitglieder der parteieigenen Seniorenorganisationen und als engagierte Mitglieder der Partizipationskohorten der 1960er/1970er Jahre an der Parteibasis. Die Betrachtung mündet in die These einer antizipierten Macht der Älteren.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Entwarnung als Ergebnis der Studie von Bettina Munimus gibt Karl-Rudolf Korte gerne weiter: Nein, die über 60-Jährigen sind nicht so politisch dominant wie befürchtet! Tatsächlich begegnet Korte bei der mit ihrer empirischen Forschung Neuland betretenden Autorin sympathischen, nicht nach vorn drängenden Alten, ein extrem ermutigendes Ergebnis, wie Korte findet. Den Rezensent beeindruckt der Band nicht zuletzt durch seine gelungene Mischung aus Empirie, Dokumentenanalyse, Interviews und teilnehmender Beobachtung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2013Wenn über Macht der Greise lacht
Ausmaß und Substanz des politischen Engagements im Alter bei den Volksparteien
Entwarnung! Die Ergebnisse der Studie von Bettina Munimus sind absolut eindeutig: Die älteren Mitbürger sind politisch nicht dominant. Sie sind politisch eher unauffällig. Kein Anlass zum Alarmismus, zur Warnung vor politischer Vergreisung und vor latenter Altenmacht. Die sogenannten Alten kommen ziemlich sympathisch daher, denn sie agieren politisch integriert, drängen sich nicht nach vorne und spielen als Zeitreiche dies nicht gegen Jüngere aus.
Der öffentliche Mainstream geht davon aus, dass sich durch demographische Verschiebungen auch automatisch Machtlandschaften verändern. Das kann die Studie nur indirekt bestätigen. Dabei wird den Älteren eine "Als-ob-Macht" unterstellt. Viele Jüngere agieren so, als ob auf die Wünsche und Bedürfnisse von Älteren bevorzugt einzugehen sei. Antizipierende Interaktionen sind der Stoff der Politik. Sie machen aus sozialen Beziehungen politische Kontexte. Sie kennzeichnen den Alltag des Politikers. Nur wer geradezu lustvoll wechselseitig vorausschauend jede Handlung interpretiert und deutet, eignet sich als Politiker. Dem Politischen wohnt somit eine spezifische Rationalität inne, eine Eigenlogik, die auch Macht verleihen kann, wenn gar keine Machtressourcen auf den ersten Blick erkennbar sind. So scheint es auch beim Umgang mit Älteren zu sein. Denn die Verfasserin hat empirisches Neuland erschlossen und konnte keine empirisch gestützte Machtzunahme messen.
Gleichwohl verhalten sich viele Jüngere in der Politik so, also ob sie geradezu vorbeugend Entscheidungen so treffen möchten, dass die politische Integration der jeweils Älteren gelingt. Das sind im Hinblick auf den sozialen Frieden in unserem Wohlfahrtsstaat extrem ermutigende Ergebnisse. Bislang ringen die Demographie-Forscher immer entlang der beiden traditionellen Interpretationslinien aus der politischen Soziologie um die jeweilige Deutungshoheit. Kohorten- und Generationeneffekt gehen dabei stets von der Vorstellung aus, dass es in einer spezifischen Generation auch sehr typische Prägungen für Sozialisationserfahrungen gibt.
Prägestempel kennzeichnen dann auch das Geschichtsbewusstsein dieser Generation. Lebenszyklus-Modelle unterstellen hingegen den Wandel. Mit dem Älterwerden verändern sich auch zyklisch Einstellungen und Interessen. Das Geschichtsbewusstsein variiert je nach gemessenem Zeitpunkt. Man kann diese Ansätze auch anreichern, wenn man sie um die Variante von Elternschaft ergänzt. Danach unterscheiden sich im Hinblick auf politische Interessenlagen Jung und Alt keinesfalls diametral. Konditionale Einflüsse - zumindest beim Wahlverhalten - lassen sich auf die Tatsache zurückführen, ob man Kinder hat oder nicht. Altersspezifische Interessenlagen variieren somit eher vor dem Hintergrund von Elternschaft als in Abhängigkeit vom Geburtsjahr. Enkel-Denken ist immer schon nachhaltiger gewesen als Single-Denken. Konflikte und unterschiedliche Einstellungen rühren danach weniger vom Alter als vielmehr vom Familienstatus.
Die Studie von Frau Munimus bietet zunächst reichhaltiges empirisches Material zum Umfeld Politik und Alter. Mit einer Methodik aus Dokumentenanalyse, Qualitativen Interviews, teilnehmender Beobachtung und schriftlichen Befragungen erarbeitet sie grundlegend neues Datenmaterial. Ihre Hauptfrage richtet sich auf das Ausmaß und die Substanz des politischen Engagements im Alter. In diesem Bereich will sie näher hinsehen und sich mit bestehenden Vorurteilen wissenschaftlich auseinandersetzen.
Die Faktenlage ist oberflächlich betrachtet zunächst eindeutig. Über 60-Jährige beteiligen sich schon immer intensiver an politischen Wahlen als alle anderen Altersgruppen. Über 80 Prozent der 60-Jährigen wählen - und viele von ihnen kreuzen traditionell die Unionsparteien an. Gleichzeitig schrumpfen und altern die Volksparteien kontinuierlich.
Die Verfasserin klärt die Fragen, wie stark die über 60jährigen in der CDU und SPD sowohl in der Parteielite als auch den Parlamenten vertreten sind und ob ihre quantitative Dominanz auch Auswirkungen auf die Willensbildungsprozesse hat. Regional wählt sie dazu sehr unterschiedliche Parteigliederungen in Stuttgart, Hannover, Freudenstadt und Northeim aus. Dabei gerät zwangsläufig auch die sogenannte 68er Generation in das Visier der Untersuchung. Auffallend ist deren spürbarer Widerwillen, in altersspezifischen Organisationen erkennbar mitzuwirken. Sie empfinden dies offensichtlich als Stigmatisierung. Eher engagieren sie sich gar nicht, als dass sie sich in den Senioren-Vereinigungen aktiv zeigen. Trotz einer erkennbaren Ressourcenausstattung (Zeit, Geld, Erfahrungen) verbinden die allerwenigsten Parteimitglieder über 60 Jahre mit ihrem Engagement ein ganz bestimmtes Karrierebestreben.
Die Studie weist auch nach, dass sich bislang die Älteren sehr gut von den Jüngeren in ihren politischen Interessen vertreten fühlen. Denn in den Parlamenten dominieren die 50-Jährigen, und dies seit Jahrzehnten. Parteien sind auch immer Lebensstil-Biotope. Das bestätigt auch diese Studie. Denn viele Alte bringen sich in die Parteien ein, um eine biographische Kontinuität zu sichern, aber keineswegs um neues, zusätzliches Engagement einzulösen. Sie machen gerne mit, drängen sich aber nicht nach vorne. So viel Rücksicht hätte man gar nicht erwartet. Wir müssen ganz offensichtlich unser Bild über die politischen Alten ausdifferenzieren. Das Buch erklärt und begründet überzeugend, warum das so sein sollte.
KARL-RUDOLF KORTE
Bettina Munimus: Alternde Volksparteien. Neue Macht der Älteren in CDU und SPD? Transcript Verlag, Bielefeld 2012. 376 S., 35,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ausmaß und Substanz des politischen Engagements im Alter bei den Volksparteien
Entwarnung! Die Ergebnisse der Studie von Bettina Munimus sind absolut eindeutig: Die älteren Mitbürger sind politisch nicht dominant. Sie sind politisch eher unauffällig. Kein Anlass zum Alarmismus, zur Warnung vor politischer Vergreisung und vor latenter Altenmacht. Die sogenannten Alten kommen ziemlich sympathisch daher, denn sie agieren politisch integriert, drängen sich nicht nach vorne und spielen als Zeitreiche dies nicht gegen Jüngere aus.
Der öffentliche Mainstream geht davon aus, dass sich durch demographische Verschiebungen auch automatisch Machtlandschaften verändern. Das kann die Studie nur indirekt bestätigen. Dabei wird den Älteren eine "Als-ob-Macht" unterstellt. Viele Jüngere agieren so, als ob auf die Wünsche und Bedürfnisse von Älteren bevorzugt einzugehen sei. Antizipierende Interaktionen sind der Stoff der Politik. Sie machen aus sozialen Beziehungen politische Kontexte. Sie kennzeichnen den Alltag des Politikers. Nur wer geradezu lustvoll wechselseitig vorausschauend jede Handlung interpretiert und deutet, eignet sich als Politiker. Dem Politischen wohnt somit eine spezifische Rationalität inne, eine Eigenlogik, die auch Macht verleihen kann, wenn gar keine Machtressourcen auf den ersten Blick erkennbar sind. So scheint es auch beim Umgang mit Älteren zu sein. Denn die Verfasserin hat empirisches Neuland erschlossen und konnte keine empirisch gestützte Machtzunahme messen.
Gleichwohl verhalten sich viele Jüngere in der Politik so, also ob sie geradezu vorbeugend Entscheidungen so treffen möchten, dass die politische Integration der jeweils Älteren gelingt. Das sind im Hinblick auf den sozialen Frieden in unserem Wohlfahrtsstaat extrem ermutigende Ergebnisse. Bislang ringen die Demographie-Forscher immer entlang der beiden traditionellen Interpretationslinien aus der politischen Soziologie um die jeweilige Deutungshoheit. Kohorten- und Generationeneffekt gehen dabei stets von der Vorstellung aus, dass es in einer spezifischen Generation auch sehr typische Prägungen für Sozialisationserfahrungen gibt.
Prägestempel kennzeichnen dann auch das Geschichtsbewusstsein dieser Generation. Lebenszyklus-Modelle unterstellen hingegen den Wandel. Mit dem Älterwerden verändern sich auch zyklisch Einstellungen und Interessen. Das Geschichtsbewusstsein variiert je nach gemessenem Zeitpunkt. Man kann diese Ansätze auch anreichern, wenn man sie um die Variante von Elternschaft ergänzt. Danach unterscheiden sich im Hinblick auf politische Interessenlagen Jung und Alt keinesfalls diametral. Konditionale Einflüsse - zumindest beim Wahlverhalten - lassen sich auf die Tatsache zurückführen, ob man Kinder hat oder nicht. Altersspezifische Interessenlagen variieren somit eher vor dem Hintergrund von Elternschaft als in Abhängigkeit vom Geburtsjahr. Enkel-Denken ist immer schon nachhaltiger gewesen als Single-Denken. Konflikte und unterschiedliche Einstellungen rühren danach weniger vom Alter als vielmehr vom Familienstatus.
Die Studie von Frau Munimus bietet zunächst reichhaltiges empirisches Material zum Umfeld Politik und Alter. Mit einer Methodik aus Dokumentenanalyse, Qualitativen Interviews, teilnehmender Beobachtung und schriftlichen Befragungen erarbeitet sie grundlegend neues Datenmaterial. Ihre Hauptfrage richtet sich auf das Ausmaß und die Substanz des politischen Engagements im Alter. In diesem Bereich will sie näher hinsehen und sich mit bestehenden Vorurteilen wissenschaftlich auseinandersetzen.
Die Faktenlage ist oberflächlich betrachtet zunächst eindeutig. Über 60-Jährige beteiligen sich schon immer intensiver an politischen Wahlen als alle anderen Altersgruppen. Über 80 Prozent der 60-Jährigen wählen - und viele von ihnen kreuzen traditionell die Unionsparteien an. Gleichzeitig schrumpfen und altern die Volksparteien kontinuierlich.
Die Verfasserin klärt die Fragen, wie stark die über 60jährigen in der CDU und SPD sowohl in der Parteielite als auch den Parlamenten vertreten sind und ob ihre quantitative Dominanz auch Auswirkungen auf die Willensbildungsprozesse hat. Regional wählt sie dazu sehr unterschiedliche Parteigliederungen in Stuttgart, Hannover, Freudenstadt und Northeim aus. Dabei gerät zwangsläufig auch die sogenannte 68er Generation in das Visier der Untersuchung. Auffallend ist deren spürbarer Widerwillen, in altersspezifischen Organisationen erkennbar mitzuwirken. Sie empfinden dies offensichtlich als Stigmatisierung. Eher engagieren sie sich gar nicht, als dass sie sich in den Senioren-Vereinigungen aktiv zeigen. Trotz einer erkennbaren Ressourcenausstattung (Zeit, Geld, Erfahrungen) verbinden die allerwenigsten Parteimitglieder über 60 Jahre mit ihrem Engagement ein ganz bestimmtes Karrierebestreben.
Die Studie weist auch nach, dass sich bislang die Älteren sehr gut von den Jüngeren in ihren politischen Interessen vertreten fühlen. Denn in den Parlamenten dominieren die 50-Jährigen, und dies seit Jahrzehnten. Parteien sind auch immer Lebensstil-Biotope. Das bestätigt auch diese Studie. Denn viele Alte bringen sich in die Parteien ein, um eine biographische Kontinuität zu sichern, aber keineswegs um neues, zusätzliches Engagement einzulösen. Sie machen gerne mit, drängen sich aber nicht nach vorne. So viel Rücksicht hätte man gar nicht erwartet. Wir müssen ganz offensichtlich unser Bild über die politischen Alten ausdifferenzieren. Das Buch erklärt und begründet überzeugend, warum das so sein sollte.
KARL-RUDOLF KORTE
Bettina Munimus: Alternde Volksparteien. Neue Macht der Älteren in CDU und SPD? Transcript Verlag, Bielefeld 2012. 376 S., 35,80 [Euro].
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