Das "Man'yoshu" ist die älteste Sammlung japanischer Dichtung. Sie wurde vermutlich Mitte des achten Jahrhunderts abgeschlossen und enthält circa 4500 Gedichte, die in mancherlei Hinsicht als Ausgangspunkt der japanischen Dichtung und Kultur gelten. Mit den vorliegenden zwei Bänden wird es das erste Mal in deutscher Sprache unternommen, die Sammlung in einem kultur- und literaturwissenschaftlichen Ansatz zu untersuchen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den drei Themen "Landschaft", "Schrift" und "Gedächtnis". Der Herkunft und Bedeutung der lyrischen Landschaftsbeschreibung ist der erste Band gewidmet. Besonders die vier Jahreszeiten spielen für die gesamte Dichtung inklusive des Haiku, aber auch bis heute noch für die japanische Kultur allgemein eine zentrale Rolle. Ein leitender Gedanke dabei ist, dass es sich bei der vielbeschworenen Liebe der Japaner zur Natur um eine Verwechslung mit der Landschaftsdarstellung handelt. Im zweiten Band wird das Hauptgewicht auf die Verbindung von Schrift, deren japanische Frühgeschichte umfassend dargestellt wird, und Gedächtnis verlagert. Die Landschaft bleibt aber weiterhin präsent, da sie ein Merkmal der japanischen Erinnerungsdichtung ist. Der Verfasser geht davon aus, dass das "Man'yoshu" an einem groß angelegten Projekt zur nachhaltigen Transformation von kulturellem Gedächtnis teilhatte. Wenn Gedächtnis für die Erzeugung und Aufrechterhaltung von kultureller Identität und Kohärenz, und damit für die Legitimierung weltlicher Herrschaft wichtig war, muss sich dieser Zusammenhang in der sich aus der offiziellen Hofdichtung ausdifferenzierenden "privaten Dichtung" bemerkbar machen. Zum Ende von Band 2 werden die drei Themen Landschaft, Schrift und Gedächtnis wieder eng zusammengeführt und an einem Gedichtaustausch verdeutlicht.