Immer im Schatten von Oberammergau stehen? Damit ist jetzt Schluss: Die Stadtväter von Altötting rufen eigene Passionsspiele ins Leben! Aber nach wenigen Proben sind drei Judas-Darsteller tot. Nur einer ist noch bereit, die Rolle anzunehmen - Paul Plottek, ein dem Alkohol nicht abgeneigter und reichlich abgewrackter Schauspieler. Doch dann muss auch er feststellen, dass in Altötting nichts so friedlich und heilig ist, wie es scheint ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2003Mord in Altötting
Krimi-Autor Sobo Swobodnik serviert dem Leser eine katholische Schlachtplatte
Von Hans Kratzer
Altötting – „Alles wird gut”, tönt ausgerechnet der Kanzler- Klon Elmar Brandt, aber nach Lage der Dinge glaubt er vermutlich selber nicht, was er da verzapft. Zu düster die Lage, zu bieder die Politiker, zu deprimiert das Volk – eine Ladung Tristesse, die sich wie ein bleierner Mantel über Stadt und Land gebreitet hat. Natürlich hat in einem solchen Jammertal auch die Literatur nichts zu lachen. Wiewohl sie den Vorteil hat, dass das Elend seit jeher ein ergiebiger Stoff ist, aus dem die Romanschreiber reichlich Honig saugen. Es ist also geradezu zwingend, dass der Autor Sobo Swobodnik, als er sich daran machte, einen Roman über den Gnadenort Altötting zu verfassen, weniger die fromme Erbauung oder die Anleitung zum Paradies im Sinne hatte als vielmehr das Tückische, das Abgründige, das einem solchen Ort ja immer auch anhaftet.
Es ist schon erstaunlich, dass vor Swobodnik noch kein Krimi-Autor auf die dunkle Herrlichkeit dieses Wallfahrtsorts gestoßen ist. Das Gnadenbild der schwarzen Muttergottes, die Herzen der toten bayerischen Herrscher, all das bildhafte Unglück auf den Votivtafeln und der „Tod von Eding”, der in der Stiftskirche gnadenlos die Sense schwingt: Wäre nicht das allein schon Grund genug für dunkelste Fantasie-Schübe. Ganz zu schweigen von den berühmten Altöttingern, deren Erinnerungen allzu gerne um den Gevatter Tod kreisen. Wie Polt etwa, der als Bub geradezu magisch vom Leichenhaus angelockt wurde, wo er sommers gerne den Fleischfliegen zuschaute, wie sie in die offenen Münder der Toten flogen. Und wäre nicht auch Umberto Ecos „Name der Rose” Inspiration genug gewesen, worin deutlicher denn je offenkundig wurde, dass Mord und Totschlag nirgendwo schauriger, aufregender zu inszenieren sind wie in den Zellen eines Klosters. Sei es drum, Swobodnik hat die Chance ergriffen und Altötting dementsprechend skurril gezeichnet, was allerdings für den Fortlauf der Story unabdingbar war. Also machen die Altöttinger in seinem Roman trotz ihrer Nähe zu Gott grantige Gesichter und verbreiten miese Stimmung. Weil die Touristen ausbleiben. In ihren Seelen nagt der Neid. Sie haben es satt, im Schatten von Oberammergau zu stehen – eigene Passionsspiele müssen her. Leider steht die Inszenierung unter keinem guten Stern. Nach wenigen Proben sind drei Judas-Darsteller tot: Der erste fällt vom Dach, der zweite stirbt im Auto, der dritte wird einbetoniert – die Umstände ihres Hinscheidens sind mysteriös. Nur einer ist noch bereit, die Rolle zu übernehmen: Paul Plotek, ein verkrachter Schauspieler und lebhafter Säufer, der sich meistens selber im Wege steht. Es ist vermutlich kein Zufall, dass Plotek an den Kommissar Wallander in den Krimis von Henning Mankell erinnert. Auch dieser trinkt gerne mal einen über den Durst, ernährt sich schlecht und kämpft ständig mit seinem Gewicht. Ein ganz normaler Mensch mit all seinen Fehlern und Schwächen eben.
Plotek aber ist ein weitaus größerer Stümper als Wallander. Umso abenteuerlicher, wenn er in die Rolle des Kommissars schlüpft, um die geheimnisvolle Mord-Serie auf eigene Faust aufzudecken. Wenn der Buchdeckel dem Leser verheißt, dass ihm mitsamt Ploteks Ermittlungen eine gepfefferte katholische Schlachtplatte serviert wird, dann ist dem höchstens hinzuzufügen, dass der Autor Swobodnik auf kein Kleinstadt-Klischee verzichtet hat: Es wimmelt von korrupten Bürgermeistern und Direktoren, von saufenden Jünglingen, mannstollen Jungfern, verklemmten Gottesmännern und neugierigen Wirtinnen.
Herausgekommen ist ein situativ spannender und sprachlich komischer Roman. Mit seiner Lust am bayerischen Perfekt, an Freistil-Formulierungen und an valentinesken Sätzen erweckt Swobodnik bisweilen den Eindruck, als stünde er mit der geschriebenen Sprache auf Kriegsfuß. Ist aber nur ein Trick, schließlich wurde der Autor von Romanen, Kinderbüchern und Hörspielen bereits mehrfach ausgezeichnet.
Sobo Swobodnik, Altötting, als Taschenbuch erschienen im Knaur- Verlag.
Madonna mit Dolch: adäquates Symbol für eine Mordserie in Altötting.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Krimi-Autor Sobo Swobodnik serviert dem Leser eine katholische Schlachtplatte
Von Hans Kratzer
Altötting – „Alles wird gut”, tönt ausgerechnet der Kanzler- Klon Elmar Brandt, aber nach Lage der Dinge glaubt er vermutlich selber nicht, was er da verzapft. Zu düster die Lage, zu bieder die Politiker, zu deprimiert das Volk – eine Ladung Tristesse, die sich wie ein bleierner Mantel über Stadt und Land gebreitet hat. Natürlich hat in einem solchen Jammertal auch die Literatur nichts zu lachen. Wiewohl sie den Vorteil hat, dass das Elend seit jeher ein ergiebiger Stoff ist, aus dem die Romanschreiber reichlich Honig saugen. Es ist also geradezu zwingend, dass der Autor Sobo Swobodnik, als er sich daran machte, einen Roman über den Gnadenort Altötting zu verfassen, weniger die fromme Erbauung oder die Anleitung zum Paradies im Sinne hatte als vielmehr das Tückische, das Abgründige, das einem solchen Ort ja immer auch anhaftet.
Es ist schon erstaunlich, dass vor Swobodnik noch kein Krimi-Autor auf die dunkle Herrlichkeit dieses Wallfahrtsorts gestoßen ist. Das Gnadenbild der schwarzen Muttergottes, die Herzen der toten bayerischen Herrscher, all das bildhafte Unglück auf den Votivtafeln und der „Tod von Eding”, der in der Stiftskirche gnadenlos die Sense schwingt: Wäre nicht das allein schon Grund genug für dunkelste Fantasie-Schübe. Ganz zu schweigen von den berühmten Altöttingern, deren Erinnerungen allzu gerne um den Gevatter Tod kreisen. Wie Polt etwa, der als Bub geradezu magisch vom Leichenhaus angelockt wurde, wo er sommers gerne den Fleischfliegen zuschaute, wie sie in die offenen Münder der Toten flogen. Und wäre nicht auch Umberto Ecos „Name der Rose” Inspiration genug gewesen, worin deutlicher denn je offenkundig wurde, dass Mord und Totschlag nirgendwo schauriger, aufregender zu inszenieren sind wie in den Zellen eines Klosters. Sei es drum, Swobodnik hat die Chance ergriffen und Altötting dementsprechend skurril gezeichnet, was allerdings für den Fortlauf der Story unabdingbar war. Also machen die Altöttinger in seinem Roman trotz ihrer Nähe zu Gott grantige Gesichter und verbreiten miese Stimmung. Weil die Touristen ausbleiben. In ihren Seelen nagt der Neid. Sie haben es satt, im Schatten von Oberammergau zu stehen – eigene Passionsspiele müssen her. Leider steht die Inszenierung unter keinem guten Stern. Nach wenigen Proben sind drei Judas-Darsteller tot: Der erste fällt vom Dach, der zweite stirbt im Auto, der dritte wird einbetoniert – die Umstände ihres Hinscheidens sind mysteriös. Nur einer ist noch bereit, die Rolle zu übernehmen: Paul Plotek, ein verkrachter Schauspieler und lebhafter Säufer, der sich meistens selber im Wege steht. Es ist vermutlich kein Zufall, dass Plotek an den Kommissar Wallander in den Krimis von Henning Mankell erinnert. Auch dieser trinkt gerne mal einen über den Durst, ernährt sich schlecht und kämpft ständig mit seinem Gewicht. Ein ganz normaler Mensch mit all seinen Fehlern und Schwächen eben.
Plotek aber ist ein weitaus größerer Stümper als Wallander. Umso abenteuerlicher, wenn er in die Rolle des Kommissars schlüpft, um die geheimnisvolle Mord-Serie auf eigene Faust aufzudecken. Wenn der Buchdeckel dem Leser verheißt, dass ihm mitsamt Ploteks Ermittlungen eine gepfefferte katholische Schlachtplatte serviert wird, dann ist dem höchstens hinzuzufügen, dass der Autor Swobodnik auf kein Kleinstadt-Klischee verzichtet hat: Es wimmelt von korrupten Bürgermeistern und Direktoren, von saufenden Jünglingen, mannstollen Jungfern, verklemmten Gottesmännern und neugierigen Wirtinnen.
Herausgekommen ist ein situativ spannender und sprachlich komischer Roman. Mit seiner Lust am bayerischen Perfekt, an Freistil-Formulierungen und an valentinesken Sätzen erweckt Swobodnik bisweilen den Eindruck, als stünde er mit der geschriebenen Sprache auf Kriegsfuß. Ist aber nur ein Trick, schließlich wurde der Autor von Romanen, Kinderbüchern und Hörspielen bereits mehrfach ausgezeichnet.
Sobo Swobodnik, Altötting, als Taschenbuch erschienen im Knaur- Verlag.
Madonna mit Dolch: adäquates Symbol für eine Mordserie in Altötting.
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