Novembertage, die das Land veränderten.
Kein Datum im Kalenderjahr ist in das kollektive Gedächtnis der Deutschen so eingebrannt wie der 9. November. Von 1918 bis 1989 - eine besondere Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Es fängt an mit dem 9. November 1918: Innerhalb weniger Stunden bricht eine Welt zusammen und eine neue entsteht. Der Krieg ist zu Ende, der Kaiser dankt ab, die Republik wird ausgerufen. Ein genauer Blick auf diesen Tag zeigt wie unter einem Brennglas politische und gesellschaftliche Entwicklungen der Zeit.
Von der Novemberrevolution aus ziehen die Autorinnen ein Band durch das ganze 20. Jahrhundert. Sie besichtigen einzelne Tage, die Wendepunkte in der deutschen Geschichte sind. Dabei erzählen sie spannend von dramatischen Stunden, an denen sich die Ereignisse überschlagen, beleuchten verschiedene Perspektiven und analysieren, welche Kräfte im Kampf um den Wandel in der Gesellschaft aufeinandertreffen, offen und verborgen.
Das Buch zeigt anhand dieser sechs »9. November«, die sich mal aufeinander beziehen, mal zufällig ereignen und erst nachträglich miteinander in Beziehung gesetzt werden, auf welche Geschichte die Deutschen sich heute berufen.
Kein Datum im Kalenderjahr ist in das kollektive Gedächtnis der Deutschen so eingebrannt wie der 9. November. Von 1918 bis 1989 - eine besondere Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Es fängt an mit dem 9. November 1918: Innerhalb weniger Stunden bricht eine Welt zusammen und eine neue entsteht. Der Krieg ist zu Ende, der Kaiser dankt ab, die Republik wird ausgerufen. Ein genauer Blick auf diesen Tag zeigt wie unter einem Brennglas politische und gesellschaftliche Entwicklungen der Zeit.
Von der Novemberrevolution aus ziehen die Autorinnen ein Band durch das ganze 20. Jahrhundert. Sie besichtigen einzelne Tage, die Wendepunkte in der deutschen Geschichte sind. Dabei erzählen sie spannend von dramatischen Stunden, an denen sich die Ereignisse überschlagen, beleuchten verschiedene Perspektiven und analysieren, welche Kräfte im Kampf um den Wandel in der Gesellschaft aufeinandertreffen, offen und verborgen.
Das Buch zeigt anhand dieser sechs »9. November«, die sich mal aufeinander beziehen, mal zufällig ereignen und erst nachträglich miteinander in Beziehung gesetzt werden, auf welche Geschichte die Deutschen sich heute berufen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019Mehr als
ein Tag im Kalender
Zwei Bücher beleuchten den 9. November
Der Bundestagspräsident hat sich für ein Experiment entschieden. Das Experiment geht gründlich schief. Philipp Jenninger (CDU) nimmt den 50. Jahrestag der Pogromnacht zum Anlass, sich in die Gedankenwelt der Mehrheit der Deutschen von damals hineinzuversetzen. Und so klingt es für viele, was er da monoton zitiert, als hätte er selbst Sympathien für die NS-Ideologie: „Und was die Juden anging: Hatten sie sich nicht in der Vergangenheit doch eine Rolle angemaßt – so hieß es damals –, die ihnen nicht zukam? Mußten sie nicht endlich einmal Einschränkungen in Kauf nehmen? Hatten sie es nicht vielleicht sogar verdient, in ihre Schranken gewiesen zu werden? (…) Und wenn es gar zu schlimm wurde, wie im November 1938, so konnte man sich mit den Worten eines Zeitgenossen ja immer noch sagen: ‚Was geht es uns an? Seht weg, wenn euch graust. Es ist nicht unser Schicksal.‘“ Einen Tag später muss der Bundestagspräsident zurücktreten.
Auch der Jenninger-Skandal gehört zum 9. November, der die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert geprägt hat wie kein anderes Datum. Die dazugehörigen Jahre und Ereignisse sind bekannt, ebenso deren Ambivalenz – und doch gelingt es zwei Büchern pünktlich zum Mauerfalljubiläum, wenig bekannte Aspekte des 9. November herauszuarbeiten.
Der Publizist Wolfgang Brenner („Das deutsche Datum“) hat sich vorgenommen, ein „deutsches Muster“ und „untergründige Verbindungen“ in diversen November-Wegmarken zu suchen. Die sind natürlich für 1918, 1923 und 1938 leicht zu finden. Der Hitlerputsch war die Reaktion auf die Novemberrevolution von 1918, und die Pogrome gegen Juden 1938 wurden von NS-Machthabern am Jahrestag des Hitlerputsches organisiert. Auch das missglückte Attentat des Georg Elser am 8. November 1939 gehört zwangsläufig in diese Reihe, denn der Einzelgänger plante die Ermordung Hitlers bei dessen Auftritt im Bürgerbräukeller, dem Ort, an dem dieser 16 Jahre zuvor seinen „Marsch auf Berlin“ inszeniert hatte. Schwieriger wird es mit der Verbindung zum 9. November 1989 – doch das biegt sich Brenner mit dem Hinweis, 1989 habe sich die Hoffnung auf eine demokratische Republik aus dem Jahr 1918 endlich einlösen lassen, ein wenig zurecht.
Brenner zeichnet die jeweiligen Ereignisse mit buntem, breitem, manchmal ausschweifendem Strich nach, das meiste ist gut und auch spannend erzählt. Manchmal ergeht er sich in eher wenig hilfreichen Spekulationen, was gewesen wäre, wenn … Bemerkenswert ist hingegen, wie stark die Bedeutung der „Dolchstoßlegende“ auf viele Novemberereignisse unmittelbaren Einfluss hatte. Die Lüge, in die Welt gesetzt von der Obersten Heeresleitung, wonach Sozialisten, Demokraten und Juden für die Niederlage im Ersten Weltkrieg allein verantwortlich seien, entfaltete Wirkmacht weit über Hitlers Rachetag für die „Novemberverbrechen“ 1923 hinaus. Von der Schuld der Juden an allen Übeln, unter denen Deutschland zu leiden hatte, waren die NS-Führer „besessen“, so Brenner. Und so kam es 1938 zum ersten großen Terrorakt gegen die deutschen Juden, das „alljährliche Ritual“ in Erinnerung an 1923 reichte nicht mehr, eine „kollektive Tat“ war nötig, um das Volk zu einen. Dass dann jahrzehntelang der beschämenden Mordtaten dieser lange so genannten „Reichskristallnacht“ kaum gedacht wurde und, als es dann doch dazu kam, es mit Jenninger endete, zählt zu den eindrücklichsten Kapiteln.
Die Historikerinnen Anke Hilbrenner und Charlotte Jahnz („Am 9. November“) erzählen auch von den Ereignissen, allerdings knapper, nüchterner und meist nur anhand von zwei Protagonisten. Das fokussiert viele Ereignisse natürlich auf die Sichtweise der jeweiligen Betrachter. Die Autorinnen vermeiden es klugerweise auch, zu stark auf Verbindungen hinzuweisen, wo es keine gibt. Interessant ist, dass hier die nicht detonierte Bombe bei der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht im Jüdischen Gemeindehaus am 9. November 1969 und auch der Hungertod des RAF-Terroristen Holger Meins am 9. November 1974 jeweils ein eigenes Kapitel bekommen haben (anders übrigens als Georg Elser). So rücken die 68er-Bewegung und ihre radikalen, zum Teil offen antisemitischen Parolen und propalästinensischen Haltungen stärker in den Blick.
Hilbrenner und Jahnz lassen die Ereignisse für sich sprechen, betonen den „Facettenreichtum der vielen unterschiedlichen Vergangenheiten“. Als Klammer machen sie in ihrem – leider recht kurzen – Schlusswort die Verbindungen der Ereignisse in andere europäische Länder aus, ebenso die Bedeutung von Gewalt bei jedem 9. November – und sei es nur ihre „vermeintliche Abwesenheit“. Für Wolfgang Brenner ist die gemeinsame Klammer, dass sich die Protagonisten an jedem 9. November selbst unter Zugzwang gesetzt hätten. Beide Aspekte bedürfen der Vertiefung. Der 9. November ist noch nicht auserzählt.
ROBERT PROBST
1918, 1923, 1938, 1939, 1989 –
diese Reihe ist bekannt. Aber es
gibt noch andere 9. November
Anke Hilbrenner, Charlotte Jahnz:
Am 9. November.
Innenansichten eines Jahrhunderts.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019,
224 Seiten, 22 Euro.
Wolfgang Brenner:
Das deutsche Datum.
Der neunte November.
Herder, Freiburg 2019.
320 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
ein Tag im Kalender
Zwei Bücher beleuchten den 9. November
Der Bundestagspräsident hat sich für ein Experiment entschieden. Das Experiment geht gründlich schief. Philipp Jenninger (CDU) nimmt den 50. Jahrestag der Pogromnacht zum Anlass, sich in die Gedankenwelt der Mehrheit der Deutschen von damals hineinzuversetzen. Und so klingt es für viele, was er da monoton zitiert, als hätte er selbst Sympathien für die NS-Ideologie: „Und was die Juden anging: Hatten sie sich nicht in der Vergangenheit doch eine Rolle angemaßt – so hieß es damals –, die ihnen nicht zukam? Mußten sie nicht endlich einmal Einschränkungen in Kauf nehmen? Hatten sie es nicht vielleicht sogar verdient, in ihre Schranken gewiesen zu werden? (…) Und wenn es gar zu schlimm wurde, wie im November 1938, so konnte man sich mit den Worten eines Zeitgenossen ja immer noch sagen: ‚Was geht es uns an? Seht weg, wenn euch graust. Es ist nicht unser Schicksal.‘“ Einen Tag später muss der Bundestagspräsident zurücktreten.
Auch der Jenninger-Skandal gehört zum 9. November, der die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert geprägt hat wie kein anderes Datum. Die dazugehörigen Jahre und Ereignisse sind bekannt, ebenso deren Ambivalenz – und doch gelingt es zwei Büchern pünktlich zum Mauerfalljubiläum, wenig bekannte Aspekte des 9. November herauszuarbeiten.
Der Publizist Wolfgang Brenner („Das deutsche Datum“) hat sich vorgenommen, ein „deutsches Muster“ und „untergründige Verbindungen“ in diversen November-Wegmarken zu suchen. Die sind natürlich für 1918, 1923 und 1938 leicht zu finden. Der Hitlerputsch war die Reaktion auf die Novemberrevolution von 1918, und die Pogrome gegen Juden 1938 wurden von NS-Machthabern am Jahrestag des Hitlerputsches organisiert. Auch das missglückte Attentat des Georg Elser am 8. November 1939 gehört zwangsläufig in diese Reihe, denn der Einzelgänger plante die Ermordung Hitlers bei dessen Auftritt im Bürgerbräukeller, dem Ort, an dem dieser 16 Jahre zuvor seinen „Marsch auf Berlin“ inszeniert hatte. Schwieriger wird es mit der Verbindung zum 9. November 1989 – doch das biegt sich Brenner mit dem Hinweis, 1989 habe sich die Hoffnung auf eine demokratische Republik aus dem Jahr 1918 endlich einlösen lassen, ein wenig zurecht.
Brenner zeichnet die jeweiligen Ereignisse mit buntem, breitem, manchmal ausschweifendem Strich nach, das meiste ist gut und auch spannend erzählt. Manchmal ergeht er sich in eher wenig hilfreichen Spekulationen, was gewesen wäre, wenn … Bemerkenswert ist hingegen, wie stark die Bedeutung der „Dolchstoßlegende“ auf viele Novemberereignisse unmittelbaren Einfluss hatte. Die Lüge, in die Welt gesetzt von der Obersten Heeresleitung, wonach Sozialisten, Demokraten und Juden für die Niederlage im Ersten Weltkrieg allein verantwortlich seien, entfaltete Wirkmacht weit über Hitlers Rachetag für die „Novemberverbrechen“ 1923 hinaus. Von der Schuld der Juden an allen Übeln, unter denen Deutschland zu leiden hatte, waren die NS-Führer „besessen“, so Brenner. Und so kam es 1938 zum ersten großen Terrorakt gegen die deutschen Juden, das „alljährliche Ritual“ in Erinnerung an 1923 reichte nicht mehr, eine „kollektive Tat“ war nötig, um das Volk zu einen. Dass dann jahrzehntelang der beschämenden Mordtaten dieser lange so genannten „Reichskristallnacht“ kaum gedacht wurde und, als es dann doch dazu kam, es mit Jenninger endete, zählt zu den eindrücklichsten Kapiteln.
Die Historikerinnen Anke Hilbrenner und Charlotte Jahnz („Am 9. November“) erzählen auch von den Ereignissen, allerdings knapper, nüchterner und meist nur anhand von zwei Protagonisten. Das fokussiert viele Ereignisse natürlich auf die Sichtweise der jeweiligen Betrachter. Die Autorinnen vermeiden es klugerweise auch, zu stark auf Verbindungen hinzuweisen, wo es keine gibt. Interessant ist, dass hier die nicht detonierte Bombe bei der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht im Jüdischen Gemeindehaus am 9. November 1969 und auch der Hungertod des RAF-Terroristen Holger Meins am 9. November 1974 jeweils ein eigenes Kapitel bekommen haben (anders übrigens als Georg Elser). So rücken die 68er-Bewegung und ihre radikalen, zum Teil offen antisemitischen Parolen und propalästinensischen Haltungen stärker in den Blick.
Hilbrenner und Jahnz lassen die Ereignisse für sich sprechen, betonen den „Facettenreichtum der vielen unterschiedlichen Vergangenheiten“. Als Klammer machen sie in ihrem – leider recht kurzen – Schlusswort die Verbindungen der Ereignisse in andere europäische Länder aus, ebenso die Bedeutung von Gewalt bei jedem 9. November – und sei es nur ihre „vermeintliche Abwesenheit“. Für Wolfgang Brenner ist die gemeinsame Klammer, dass sich die Protagonisten an jedem 9. November selbst unter Zugzwang gesetzt hätten. Beide Aspekte bedürfen der Vertiefung. Der 9. November ist noch nicht auserzählt.
ROBERT PROBST
1918, 1923, 1938, 1939, 1989 –
diese Reihe ist bekannt. Aber es
gibt noch andere 9. November
Anke Hilbrenner, Charlotte Jahnz:
Am 9. November.
Innenansichten eines Jahrhunderts.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019,
224 Seiten, 22 Euro.
Wolfgang Brenner:
Das deutsche Datum.
Der neunte November.
Herder, Freiburg 2019.
320 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Geschichte spannend erzählt und in Beziehung gesetzt« Jens Meifert Kölnische Rundschau 20191213