Wien, 1777. Franz Anton Mesmer ist der wohl berühmteste Arzt seiner Zeit, als man ihm einen scheinbar hoffnungslosen Fall überträgt: Er soll das Wunderkind Maria Theresia heilen, eine blinde Pianistin und Sängerin.
Als Franz Anton Mesmer das blinde Mädchen in sein magnetisches Spital aufnimmt, ist sie zuvor von unzähligen Ärzten beinahe zu Tode kuriert worden. Mesmer ist überzeugt, ihr endlich helfen zu können, und hofft insgeheim, durch diesen spektakulären Fall die ersehnte Anerkennung der akademischen Gesellschaften zu erlangen. Auch über ihre gemeinsame tiefe Liebe zur Musik lernen Arzt und Patientin einander verstehen, und bald gibt es erste Heilerfolge ... In ihrer hochmusikalischen Sprache nimmt Alissa Walser uns mit auf eine einzigartige literarische Reise. Ein Roman von bestrickender Schönheit über Krankheit und Gesundheit, über Musik und Wissenschaft, über die fünf Sinne, über Männer und Frauen oder ganz einfach über das Menschsein.
Als Franz Anton Mesmer das blinde Mädchen in sein magnetisches Spital aufnimmt, ist sie zuvor von unzähligen Ärzten beinahe zu Tode kuriert worden. Mesmer ist überzeugt, ihr endlich helfen zu können, und hofft insgeheim, durch diesen spektakulären Fall die ersehnte Anerkennung der akademischen Gesellschaften zu erlangen. Auch über ihre gemeinsame tiefe Liebe zur Musik lernen Arzt und Patientin einander verstehen, und bald gibt es erste Heilerfolge ... In ihrer hochmusikalischen Sprache nimmt Alissa Walser uns mit auf eine einzigartige literarische Reise. Ein Roman von bestrickender Schönheit über Krankheit und Gesundheit, über Musik und Wissenschaft, über die fünf Sinne, über Männer und Frauen oder ganz einfach über das Menschsein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2010Magnetisch
In ihrem ersten Roman schildert Alissa Walser die Begegnung zwischen dem Arzt Franz Anton Mesmer und der Musikerin Maria Theresia von Paradis im Wien des späten 18. Jahrhunderts. Die Frankfurter Schriftstellerin über Bücher, Künste und Perücken.
Von Florian Balke
Bis die Französische Revolution den Spielereien des Rokoko ein Ende machte, kamen die Leute nicht zur Buchmesse nach Frankfurt, sondern zur Frankfurter Haarmesse. Auf die abseitige kleine Information ist Alissa Walser bei der Arbeit an ihrem ersten Roman gestoßen. In der Stadt, in der die Schriftstellerin seit vielen Jahren lebt, wurde im 18. Jahrhundert mit dem menschlichen Haar gehandelt, das sich später auf den Köpfen neuer Besitzer zu kunstvollen Perücken türmte.
Walser hat das vergessene historische Detail ebenso in ihr Buch übernommen wie eine andere Tatsache, die ihren ersten Fund erst richtig zum Sprechen bringt: Die Herkunft der damals heißbegehrten Haarware war oft nicht über jeden Zweifel erhaben. "Es soll sich auch um das Haar von Toten gehandelt haben, die auf den zahlreichen Schlachtfeldern der damaligen Zeit geblieben sind."
In Walsers Romandebüt "Am Anfang war die Nacht Musik" passt die Erinnerung an den Ursprung der Schönheit im Geschäft mit dem Tod perfekt zum Ernst der Lage, in der sich die begabte Musikerin Maria Theresia von Paradis zu Beginn des Buches befindet.
Von ihren Eltern wird sie dem Arzt Franz Anton Mesmer vorgestellt, der das Mädchen mit Hilfe der von ihm entwickelten Magnettherapie von der Blindheit befreien soll, unter der es seit seinem dritten Lebensjahr leidet. Dabei verbirgt sich unter Maria Theresias übertrieben hoher Frisur der eigene Kopf einer begabten jungen Frau, von deren Behinderung die besorgten Eltern durch die Wahl besonders formvollendeter Perücken und Schnürkleider ablenken wollen. Dass die Strenge der Mode dem Vater und der Mutter außerdem das Gefühl gibt, die ihnen unheimliche Begabung der Tocher im Zaum halten zu können, ist dem Hofsekretär der Kaiserin und seiner Gattin nur recht. Mesmer jedoch kommt die Tochter mit den Vogelnest-Accessoires im gepuderten Haar wie ein ersticktes Vögelchen vor.
In der historisch verbürgten Begegnung des Arztes mit seiner Patientin kamen für Walser alte Interessen zusammen - von der Medizin über das Verhältnis der Geschlechter bis zum Nachdenken über das Künstlerdasein von Frauen. "Ich hatte das Gefühl, ich finde meine Themen mit dem Stoff." Am Donnerstag stellt Walser ihre Anfang des Jahres erschienene Geschichte vom Zusammentreffen der Musikerin mit dem Magnetiseur in Frankfurt vor. Fasziniert hat sie an der Bekanntschaft der beiden vor allem, dass es Mesmer gelang, Maria Theresias Blindheit als Flucht vor der Bedrängung durch die Welt der Eltern zu deuten und durch aufmerksame Behandlung zumindest für kurze Zeit aufzuheben.
Dabei wurde Mesmer für seine Theorie von einem feinstofflichen Fluidum, das alle Menschen durchdringt und mit Hilfe des zwischen ihnen herrschenden animalischen Magnetismus zum Nutzen des Patienten gelenkt werden kann, schon von seinen Zeitgenossen als Scharlatan verspottet. Während er selbst von dem zwischen ihm und seinen Schützlingen wirksamen Rapport überzeugt war, machten akademische Mediziner, deren Heilmethoden genauso vorwissenschaftlich waren wie die ihres Konkurrenten, sich über Mesmers Methoden lustig.
Walser hingegen ist sich sicher, dass Mesmers Magnetismus-Idee von Autoren wie E.T.A. Hoffmann nicht umsonst für phantastische Erzählungen genutzt werden konnte, in denen die Literatur Sigmund Freuds Entdeckung des Unbewussten um Jahrzehnte vorausnahm. Mesmer war auf etwas gestoßen: "Er muss das Vorhandensein unbewusster Kräfte gespürt haben. Außerdem ist er psychologisch auf seine Patienten zugegangen."
Die Gestalt Mesmers ist Walser, ehe sie von 2006 bis 2009 an ihrem Roman gearbeitet hat, schon früh begegnet. "Wenn man vom Bodensee kommt, ist er kein Unbekannter." Walser, die als Tochter des Schriftstellers Martin Walser in Friedrichshafen geboren wurde, hat lange auf der in den See hineinragenden Halbinsel Höri gelebt. An Mesmers Geburtshaus ist sie in dieser Zeit fast täglich vorbeigekommen. Später, als sie nach Wien ging, um Malerei zu studieren, erfuhr sie in der Stadt, deren Hang zur üblen Nachrede Mesmer nach Paris vertrieb, von seinem Versuch, die als Pianistin und Komponistin zu ihrer Zeit sehr bekannte "Jungfer Paradis" zu heilen. Ausgerechnet im fernen New York, wo Walser ihr Studium anschließend für einige Jahre fortsetzte, bezeichnete ein Lehrer eines ihrer Bilder schließlich als "mesmerizing". Als Ausdruck für das Vorhandensein einer seltsamen Anziehungskraft hat es der Name des seinerzeit in ganz Europa berühmten Magnetiseurs bis in die englische Sprache geschafft. "Plötzlich war er wieder da."
Dann jedoch passierte erst einmal für lange Zeit gar nichts. Bis Walser im Jahr 2005 Ioan P. Colianus Buch "Eros und Magie in der Renaissance" las, das mit Mesmer nichts zu tun hatte, aber trotzdem zum Auslöser ihres eigenen Romans wurde. Colianus Sicht der Magie als "Wissenschaft von der Manipulation der Imagination" erinnerte Walser an ihre Begegnungen mit Mesmer. Sie nahm ihren Zettelkasten zur Hand und fand einen Zettel mit der Aufschrift "Mesmer und Paradis" sowie eine Zeichnung mit einer Perücke, zwei über ihr schwebenden Händen und einigen Linien, die das Fließen der Vibrationen zwischen Therapeut und Patientin festhalten sollten, von deren Existenz Mesmer so fest überzeugt war. Ihr war klar: "Der Magier und das Mädchen, das war mein Thema."
Zur Recherche ging es in die von Walsers Wohnung im Frankfurter Nordend nur ein paar Straßen entfernte Deutsche Nationalbibliothek und in das Senckenbergische Institut für Geschichte und Ethik der Medizin am Theodor-Stern-Kai, dessen Bibliothek seltene Schriften zu Mesmer und seinen Ideen enthält. Geschrieben wurde mal im kleinen Atelierhäuschen am Ende der Straße, in der Walser lebt, mal im Café und mal im Bett.
An die Niederschrift des Buches machte Walser sich als Autorin, die bis dahin neben Theaterstücken vor allem Erzählungen veröffentlicht hatte. Erst während sie schrieb, bemerkte sie, dass sie an ihrem ersten Roman saß. "Es war ein schönes Erlebnis, wenn die Personen am Ende eines Kapitels dableiben konnten." Und beieinander. Mesmer und Maria Theresia, der Wissenschaftler und die Künstlerin, die beide versuchen müssen, der Öffentlichkeit das nahezubringen, was sie können und woran sie glauben, gehören für Walser eng zusammen. Im Grunde, sagt sie, sei ihre Hauptfigur von Anfang an ein "Doppelwesen" gewesen. "Es ist wie in der Malerei; wenn man da zwei Figuren hat, ergibt sich auch automatisch eine Zwischenfigur, die eine Bedeutung hat."
Zu dem, was zwischen Mesmer und Maria Theresia Bedeutung besitzt, gehört die Musik, die von der Komponistin beherrscht und vom Arzt für die Behandlung seiner Patienten nutzbar gemacht wird. Ruhe bringt sie jedem, der es mit ihr zu tun bekommt, ob es sich dabei um die Kranken handelt oder um Mesmer selbst, der seine Glasharmonika mit auf Reisen nimmt, weil er sie für das Instrument hält, in dem der heilende Magnetismus am wirksamsten ist.
Den Klang dieses Instrumentes hat Walser zum ersten Mal in der Oper Frankfurt gehört, wo es in Donizettis "Lucia di Lammermoor" die Wahnsinnsszene der Titelheldin begleitet. Freundlichere Konnotationen hat die Musik im Titel ihres Romans, der unter Anspielung auf den Bibelvers vom Wort, das am Anfang war, auf einen Anfang "vor dem Wort, vor der Vernunft" verweisen soll. "Das kann ein Dunkles sein, aber es ist nicht das Schreckliche; es ist keine Nacht, die alles verschlingt, sie ist Musik."
Dieser Anfang, aus dem die Ordnung der Wörter und der Vernunft erst noch hervorgehen muss, liegt als Reich dessen, was unbewusst bleibt und nicht zum Ausdruck gebracht werden kann, auch Mesmers und Maria Theresias Empfindungen zugrunde. Walsers Roman aber, notwendigerweise das Resultat vernünftig angeordneter Wörter, enthält auch ihn - nächtlich mitklingend.
Am Donnerstag liest Alissa Walser von 20 Uhr an im Literaturhaus Frankfurt, Schöne Aussicht 2.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In ihrem ersten Roman schildert Alissa Walser die Begegnung zwischen dem Arzt Franz Anton Mesmer und der Musikerin Maria Theresia von Paradis im Wien des späten 18. Jahrhunderts. Die Frankfurter Schriftstellerin über Bücher, Künste und Perücken.
Von Florian Balke
Bis die Französische Revolution den Spielereien des Rokoko ein Ende machte, kamen die Leute nicht zur Buchmesse nach Frankfurt, sondern zur Frankfurter Haarmesse. Auf die abseitige kleine Information ist Alissa Walser bei der Arbeit an ihrem ersten Roman gestoßen. In der Stadt, in der die Schriftstellerin seit vielen Jahren lebt, wurde im 18. Jahrhundert mit dem menschlichen Haar gehandelt, das sich später auf den Köpfen neuer Besitzer zu kunstvollen Perücken türmte.
Walser hat das vergessene historische Detail ebenso in ihr Buch übernommen wie eine andere Tatsache, die ihren ersten Fund erst richtig zum Sprechen bringt: Die Herkunft der damals heißbegehrten Haarware war oft nicht über jeden Zweifel erhaben. "Es soll sich auch um das Haar von Toten gehandelt haben, die auf den zahlreichen Schlachtfeldern der damaligen Zeit geblieben sind."
In Walsers Romandebüt "Am Anfang war die Nacht Musik" passt die Erinnerung an den Ursprung der Schönheit im Geschäft mit dem Tod perfekt zum Ernst der Lage, in der sich die begabte Musikerin Maria Theresia von Paradis zu Beginn des Buches befindet.
Von ihren Eltern wird sie dem Arzt Franz Anton Mesmer vorgestellt, der das Mädchen mit Hilfe der von ihm entwickelten Magnettherapie von der Blindheit befreien soll, unter der es seit seinem dritten Lebensjahr leidet. Dabei verbirgt sich unter Maria Theresias übertrieben hoher Frisur der eigene Kopf einer begabten jungen Frau, von deren Behinderung die besorgten Eltern durch die Wahl besonders formvollendeter Perücken und Schnürkleider ablenken wollen. Dass die Strenge der Mode dem Vater und der Mutter außerdem das Gefühl gibt, die ihnen unheimliche Begabung der Tocher im Zaum halten zu können, ist dem Hofsekretär der Kaiserin und seiner Gattin nur recht. Mesmer jedoch kommt die Tochter mit den Vogelnest-Accessoires im gepuderten Haar wie ein ersticktes Vögelchen vor.
In der historisch verbürgten Begegnung des Arztes mit seiner Patientin kamen für Walser alte Interessen zusammen - von der Medizin über das Verhältnis der Geschlechter bis zum Nachdenken über das Künstlerdasein von Frauen. "Ich hatte das Gefühl, ich finde meine Themen mit dem Stoff." Am Donnerstag stellt Walser ihre Anfang des Jahres erschienene Geschichte vom Zusammentreffen der Musikerin mit dem Magnetiseur in Frankfurt vor. Fasziniert hat sie an der Bekanntschaft der beiden vor allem, dass es Mesmer gelang, Maria Theresias Blindheit als Flucht vor der Bedrängung durch die Welt der Eltern zu deuten und durch aufmerksame Behandlung zumindest für kurze Zeit aufzuheben.
Dabei wurde Mesmer für seine Theorie von einem feinstofflichen Fluidum, das alle Menschen durchdringt und mit Hilfe des zwischen ihnen herrschenden animalischen Magnetismus zum Nutzen des Patienten gelenkt werden kann, schon von seinen Zeitgenossen als Scharlatan verspottet. Während er selbst von dem zwischen ihm und seinen Schützlingen wirksamen Rapport überzeugt war, machten akademische Mediziner, deren Heilmethoden genauso vorwissenschaftlich waren wie die ihres Konkurrenten, sich über Mesmers Methoden lustig.
Walser hingegen ist sich sicher, dass Mesmers Magnetismus-Idee von Autoren wie E.T.A. Hoffmann nicht umsonst für phantastische Erzählungen genutzt werden konnte, in denen die Literatur Sigmund Freuds Entdeckung des Unbewussten um Jahrzehnte vorausnahm. Mesmer war auf etwas gestoßen: "Er muss das Vorhandensein unbewusster Kräfte gespürt haben. Außerdem ist er psychologisch auf seine Patienten zugegangen."
Die Gestalt Mesmers ist Walser, ehe sie von 2006 bis 2009 an ihrem Roman gearbeitet hat, schon früh begegnet. "Wenn man vom Bodensee kommt, ist er kein Unbekannter." Walser, die als Tochter des Schriftstellers Martin Walser in Friedrichshafen geboren wurde, hat lange auf der in den See hineinragenden Halbinsel Höri gelebt. An Mesmers Geburtshaus ist sie in dieser Zeit fast täglich vorbeigekommen. Später, als sie nach Wien ging, um Malerei zu studieren, erfuhr sie in der Stadt, deren Hang zur üblen Nachrede Mesmer nach Paris vertrieb, von seinem Versuch, die als Pianistin und Komponistin zu ihrer Zeit sehr bekannte "Jungfer Paradis" zu heilen. Ausgerechnet im fernen New York, wo Walser ihr Studium anschließend für einige Jahre fortsetzte, bezeichnete ein Lehrer eines ihrer Bilder schließlich als "mesmerizing". Als Ausdruck für das Vorhandensein einer seltsamen Anziehungskraft hat es der Name des seinerzeit in ganz Europa berühmten Magnetiseurs bis in die englische Sprache geschafft. "Plötzlich war er wieder da."
Dann jedoch passierte erst einmal für lange Zeit gar nichts. Bis Walser im Jahr 2005 Ioan P. Colianus Buch "Eros und Magie in der Renaissance" las, das mit Mesmer nichts zu tun hatte, aber trotzdem zum Auslöser ihres eigenen Romans wurde. Colianus Sicht der Magie als "Wissenschaft von der Manipulation der Imagination" erinnerte Walser an ihre Begegnungen mit Mesmer. Sie nahm ihren Zettelkasten zur Hand und fand einen Zettel mit der Aufschrift "Mesmer und Paradis" sowie eine Zeichnung mit einer Perücke, zwei über ihr schwebenden Händen und einigen Linien, die das Fließen der Vibrationen zwischen Therapeut und Patientin festhalten sollten, von deren Existenz Mesmer so fest überzeugt war. Ihr war klar: "Der Magier und das Mädchen, das war mein Thema."
Zur Recherche ging es in die von Walsers Wohnung im Frankfurter Nordend nur ein paar Straßen entfernte Deutsche Nationalbibliothek und in das Senckenbergische Institut für Geschichte und Ethik der Medizin am Theodor-Stern-Kai, dessen Bibliothek seltene Schriften zu Mesmer und seinen Ideen enthält. Geschrieben wurde mal im kleinen Atelierhäuschen am Ende der Straße, in der Walser lebt, mal im Café und mal im Bett.
An die Niederschrift des Buches machte Walser sich als Autorin, die bis dahin neben Theaterstücken vor allem Erzählungen veröffentlicht hatte. Erst während sie schrieb, bemerkte sie, dass sie an ihrem ersten Roman saß. "Es war ein schönes Erlebnis, wenn die Personen am Ende eines Kapitels dableiben konnten." Und beieinander. Mesmer und Maria Theresia, der Wissenschaftler und die Künstlerin, die beide versuchen müssen, der Öffentlichkeit das nahezubringen, was sie können und woran sie glauben, gehören für Walser eng zusammen. Im Grunde, sagt sie, sei ihre Hauptfigur von Anfang an ein "Doppelwesen" gewesen. "Es ist wie in der Malerei; wenn man da zwei Figuren hat, ergibt sich auch automatisch eine Zwischenfigur, die eine Bedeutung hat."
Zu dem, was zwischen Mesmer und Maria Theresia Bedeutung besitzt, gehört die Musik, die von der Komponistin beherrscht und vom Arzt für die Behandlung seiner Patienten nutzbar gemacht wird. Ruhe bringt sie jedem, der es mit ihr zu tun bekommt, ob es sich dabei um die Kranken handelt oder um Mesmer selbst, der seine Glasharmonika mit auf Reisen nimmt, weil er sie für das Instrument hält, in dem der heilende Magnetismus am wirksamsten ist.
Den Klang dieses Instrumentes hat Walser zum ersten Mal in der Oper Frankfurt gehört, wo es in Donizettis "Lucia di Lammermoor" die Wahnsinnsszene der Titelheldin begleitet. Freundlichere Konnotationen hat die Musik im Titel ihres Romans, der unter Anspielung auf den Bibelvers vom Wort, das am Anfang war, auf einen Anfang "vor dem Wort, vor der Vernunft" verweisen soll. "Das kann ein Dunkles sein, aber es ist nicht das Schreckliche; es ist keine Nacht, die alles verschlingt, sie ist Musik."
Dieser Anfang, aus dem die Ordnung der Wörter und der Vernunft erst noch hervorgehen muss, liegt als Reich dessen, was unbewusst bleibt und nicht zum Ausdruck gebracht werden kann, auch Mesmers und Maria Theresias Empfindungen zugrunde. Walsers Roman aber, notwendigerweise das Resultat vernünftig angeordneter Wörter, enthält auch ihn - nächtlich mitklingend.
Am Donnerstag liest Alissa Walser von 20 Uhr an im Literaturhaus Frankfurt, Schöne Aussicht 2.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Etwas gedämpft fällt das Urteil des Rezensenten Helmut Böttiger über diesen ersten Roman der Künstlerin und Schriftstellerin Alissa Walser aus. Sie erzählt darin vom "Fluidum"-Heiler Franz Anton Mesmer, konzentriert auf seine erst gelungene, dann gescheiterte Heilung der blinden Pianistin Maria Theresia Paradis. Als zentrales Interesse der Autorin macht Böttinger ihre These aus, Mesmer als Vorläufer späterer Psychotherapien zu begreifen. Gegen die These selbst hat er wenig einzuwenden, auch nicht dagegen, dass sie ihren Helden zum eigensinnigen "Einzelkämpfer" stilisiert. Allerdings findet er Walsers Versuch, das ganze in einer Sprache der "knappen, präzisen Beobachtungen" zu fassen zu bekommen, manchmal etwas "prätentiös". Andererseits lobt Böttiger aber ausdrücklich, dass Walser mit ihrem Werk über die bloße "Post-Kehlmann-Etüde" hinausgelangt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Walser erzählt eine zeitlose Geschichte von Krankheit und Gesundheit, von der Schönheit des Hörens, vom Klang der Musik und von der heilenden Kraft warmer, freundlicher und helfender Hände.", Mittelbayerische Zeitung, 09.09.2015