Am Anfang war das Nichts. Das kannst du dir schwer vorstellen. Du musst alles, was es jetzt gibt, weglassen. Du musst das Licht ausmachen und selbst nicht da sein und dann sogar noch die Dunkelheit vergessen, denn amAnfang war nichts, also auch keine Dunkelheit. Wenn du den Anfang von allem wissen willst, musst du sehr viel weglassen. Auch deine Mutter."
Bart Moeyaert und Wolf Erlbruch haben ein Meisterwerk aus dem Nichts geschaffen!
Bart Moeyaert und Wolf Erlbruch haben ein Meisterwerk aus dem Nichts geschaffen!
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ein wahrlich "grandioses Bilderbuch" ist hier zum "Luchs 200" gewählt worden, findet Jens Thiele. Schon oft ist die Schöpfungsgeschichte für Kinder erzählt worden, erklärt der Rezensent weiter, doch noch nie auf so beeindruckende Art wie bei Bart Moeyaert und Wolf Erlbruch, die eine "ausgesprochen glückliche Symbiose bilden". Nachdem sie eingangs radikal mit althergebrachten, vertrauten Vorstellungen brechen, führen sie Betrachter wie Leser "Satz für Satz, Bild für Bild" in die Geschichte der Erschaffung der Erde ein, nur um am Ende "zum größten Rätsel zurückzukehren". Der Rezensent lobt die Schreibkunst Moeyaerts in höchsten Tönen, zeigt sich fasziniert von der "großen Schlichtheit und hoher visueller Anschaulichkeit" seiner Sätze und der "verhaltenen Ironie der Sprache". Doch auch Erlbruch hat sich mit seinen Illustrationen nach zwei Jahren der Abstinenz im Kinderbuch eindrucksvoll zurückgemeldet, bemerkt Thiele nachdrücklich. Der erfolgsgewöhnte Künstler habe seinen "hoch gelobten und geliebten Stil" noch "differenziert" und genieße "die Leichtigkeit des Bildes".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003Die Welt als Fingerspitzen- und Federgefühl
Gott schafft die Erde, ein Bär sich den Himmel: Wolf Erlbruch brilliert mit gleich zwei neuen Bilderbüchern
Was ist das? Nicht weniger als ein Wunder. Denn am Anfang war gar nicht das Wort, sondern ein Schemel, und darauf sitzt ein kleiner nackter Herr mit Melone auf dem Kopf. Drei Dinge also gab es vor der Schöpfung. Oder eigentlich vier, denn auch Gott, den wir als Schöpfer nicht zur Schöpfung zählen, sitzt auf einem Schemel. Eine Szene wie von Beckett: Anfangsspiel.
Wie aus graugrünem Löschpapier ausgeschnitten sind Gott und der kleine Mann. Gott braucht ihn, denn der Mann ist der Erzähler: "Am Anfang war das Nichts", setzt seine Stimme ein. Ein falsches Anfangsspiel, denn wenn vom Nichts gesprochen wird, brauchen wir das Wort ja schon. Aber wie es weitergeht, ist großartig: "Wenn du den Anfang von allem sehen willst, mußt du sehr viel weglassen. Auch deine Mutter." Und dazu zeichnet Wolf Erlbruch eine Frau, die unten rechts aus der Seite stürzt.
Wolf Erlbruch, das ist selbst ein Gott - ein Gott der Zeichenkunst, ein Gott der Phantasie. Wenn er nun die Schöpfungsgeschichte gestaltet, dann dürfen wir vielleicht einmal ganz kurz heidnisch werden und sagen: Dieses Buch ist selber eine Götterwelt, ist ein Olymp der Buchkunst. Wie Erlbruch seinen Gott agieren läßt, der wie im Traum die Welt erschafft, die Meere branden läßt, den Urwald wachsen, die Tiere ringsumher verteilt und dem kleinen Mann zu guter Letzt eine glutrote Schönheit an die Seite stellt - das hat man nie gesehen. Weil Erlbruchs Götterbilder den Herrgott zeigen, wie ihn sich noch keiner vorgestellt hat: Mit der Eleganz und den fließenden Bewegungen eines Orang-Utans läßt Gott seine langen Arme schwingen, und aus jeder Fingerspitze wachsen ihm Wunderwerke. Wie Erlbruch aus seinen Tuschefedern, Papierscheren, Pinseln.
Die Geschichte von "Am Anfang" stammt natürlich aus der Bibel, doch nacherzählt hat sie der Niederländer Bart Moeyart, und seine Geschichte wäre auch ohne Erlbruchs Bilder ein Geniestreich, so liebevoll ist sein Erzähler-Ich gestaltet: Der kleine Mann mit der Melone ist der Entdecker, der erst erfahren muß, was die Schöpfung bedeutet, die in Gottes Kopf schon fix und fertig stand, um sie zu begreifen. Und wir mit ihm, denn erst durch seine Augen sehen wir dieses Werk. Und auch das Buch. wird erst durch Erlbruchs Bilder zum Wunder. Erst in einer Welt aus Karopapier ist der Satz "Mit den Händen zeichnete er einen Kreis um mich herum, und ich wußte plötzlich, wo ich war" eine Sensation. Erst wenn Erlbruch dem tiefen Blau in der oberen linken Ecke einer Doppelseite ein strahlendes Gelb in der unteren rechten Ecke gegenüberstellt, wird die Bedeutung einer Entdeckung des Erzählers klargemacht: "Es war der Tag. Ich kapierte es erst ein paar Stunden später, als es dunkel wurde."
"Am Anfang" ist Erlbruchs schönstes Bilderbuch, und das will einiges heißen. Mit dem "Kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat" hat er eines der originellsten (und erfolgreichsten) Bilderbücher illustriert, mit dem "Bärenwunder" auch eines der klügsten geschrieben. Dessen Handlung widmete sich dem Wunder der Liebe, und es findet seine Fortsetzung jetzt in einem weiteren neuen Werk: "Ein Himmel für den kleinen Bären" - ein Bilderbuch, das sich den Tod zum Thema nimmt und die Lust am Leben. Opa Bär ist abgeschieden von dieser Welt, und sein Enkel will ihm folgen, doch all die Tiere, die er darum bittet, ihn zu fressen oder ihm sonstwie zu helfen, in den Himmel zu gelangen, haben schon gegessen oder übersehen das kleine Wesen ganz. Schließlich findet er den Bärenhimmel auf Erden zwischen seinen schlafenden Eltern.
Hier ist es ein anderer Erlbruch, der begeistert: Es ist der Kolorist statt des Monteurs, der scharfäugige Porträtist des Tierreichs statt des spitzzüngigen Spötters über die Menschen. Weil wir diese beiden Meister aber schon gekannt haben, ist "Ein Himmel für den kleinen Bären" keine so große Überraschung wie "Am Anfang". Jedoch auch dieses Buch ist ein seltenes Glück, ein Bücherhimmel auf Erden. Geschrieben hat es mit Dolf Verroen ein weiterer Niederländer. Daß der himmlische Erlbruch auf seine Höhenflüge keine deutschen Autoren mitnimmt, kann man verschmerzen, solange seine beiden deutschen Verlage uns weiter so schnell mit Übersetzungen erfreuen.
ANDREAS PLATTHAUS
Bart Moeyart: "Am Anfang". Illustriert von Wolf Erlbruch. Aus dem Niederländischen übersetzt von Mirjam Pressler. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2003. 32 S., geb., 16,90 [Euro].
Dolf Verroen, Wolf Erlbruch: "Ein Himmel für den kleinen Bären". Aus dem Niederländischen übersetzt von Marcel Glück. Hanser Verlag, München 2003. 32 S., geb., 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gott schafft die Erde, ein Bär sich den Himmel: Wolf Erlbruch brilliert mit gleich zwei neuen Bilderbüchern
Was ist das? Nicht weniger als ein Wunder. Denn am Anfang war gar nicht das Wort, sondern ein Schemel, und darauf sitzt ein kleiner nackter Herr mit Melone auf dem Kopf. Drei Dinge also gab es vor der Schöpfung. Oder eigentlich vier, denn auch Gott, den wir als Schöpfer nicht zur Schöpfung zählen, sitzt auf einem Schemel. Eine Szene wie von Beckett: Anfangsspiel.
Wie aus graugrünem Löschpapier ausgeschnitten sind Gott und der kleine Mann. Gott braucht ihn, denn der Mann ist der Erzähler: "Am Anfang war das Nichts", setzt seine Stimme ein. Ein falsches Anfangsspiel, denn wenn vom Nichts gesprochen wird, brauchen wir das Wort ja schon. Aber wie es weitergeht, ist großartig: "Wenn du den Anfang von allem sehen willst, mußt du sehr viel weglassen. Auch deine Mutter." Und dazu zeichnet Wolf Erlbruch eine Frau, die unten rechts aus der Seite stürzt.
Wolf Erlbruch, das ist selbst ein Gott - ein Gott der Zeichenkunst, ein Gott der Phantasie. Wenn er nun die Schöpfungsgeschichte gestaltet, dann dürfen wir vielleicht einmal ganz kurz heidnisch werden und sagen: Dieses Buch ist selber eine Götterwelt, ist ein Olymp der Buchkunst. Wie Erlbruch seinen Gott agieren läßt, der wie im Traum die Welt erschafft, die Meere branden läßt, den Urwald wachsen, die Tiere ringsumher verteilt und dem kleinen Mann zu guter Letzt eine glutrote Schönheit an die Seite stellt - das hat man nie gesehen. Weil Erlbruchs Götterbilder den Herrgott zeigen, wie ihn sich noch keiner vorgestellt hat: Mit der Eleganz und den fließenden Bewegungen eines Orang-Utans läßt Gott seine langen Arme schwingen, und aus jeder Fingerspitze wachsen ihm Wunderwerke. Wie Erlbruch aus seinen Tuschefedern, Papierscheren, Pinseln.
Die Geschichte von "Am Anfang" stammt natürlich aus der Bibel, doch nacherzählt hat sie der Niederländer Bart Moeyart, und seine Geschichte wäre auch ohne Erlbruchs Bilder ein Geniestreich, so liebevoll ist sein Erzähler-Ich gestaltet: Der kleine Mann mit der Melone ist der Entdecker, der erst erfahren muß, was die Schöpfung bedeutet, die in Gottes Kopf schon fix und fertig stand, um sie zu begreifen. Und wir mit ihm, denn erst durch seine Augen sehen wir dieses Werk. Und auch das Buch. wird erst durch Erlbruchs Bilder zum Wunder. Erst in einer Welt aus Karopapier ist der Satz "Mit den Händen zeichnete er einen Kreis um mich herum, und ich wußte plötzlich, wo ich war" eine Sensation. Erst wenn Erlbruch dem tiefen Blau in der oberen linken Ecke einer Doppelseite ein strahlendes Gelb in der unteren rechten Ecke gegenüberstellt, wird die Bedeutung einer Entdeckung des Erzählers klargemacht: "Es war der Tag. Ich kapierte es erst ein paar Stunden später, als es dunkel wurde."
"Am Anfang" ist Erlbruchs schönstes Bilderbuch, und das will einiges heißen. Mit dem "Kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat" hat er eines der originellsten (und erfolgreichsten) Bilderbücher illustriert, mit dem "Bärenwunder" auch eines der klügsten geschrieben. Dessen Handlung widmete sich dem Wunder der Liebe, und es findet seine Fortsetzung jetzt in einem weiteren neuen Werk: "Ein Himmel für den kleinen Bären" - ein Bilderbuch, das sich den Tod zum Thema nimmt und die Lust am Leben. Opa Bär ist abgeschieden von dieser Welt, und sein Enkel will ihm folgen, doch all die Tiere, die er darum bittet, ihn zu fressen oder ihm sonstwie zu helfen, in den Himmel zu gelangen, haben schon gegessen oder übersehen das kleine Wesen ganz. Schließlich findet er den Bärenhimmel auf Erden zwischen seinen schlafenden Eltern.
Hier ist es ein anderer Erlbruch, der begeistert: Es ist der Kolorist statt des Monteurs, der scharfäugige Porträtist des Tierreichs statt des spitzzüngigen Spötters über die Menschen. Weil wir diese beiden Meister aber schon gekannt haben, ist "Ein Himmel für den kleinen Bären" keine so große Überraschung wie "Am Anfang". Jedoch auch dieses Buch ist ein seltenes Glück, ein Bücherhimmel auf Erden. Geschrieben hat es mit Dolf Verroen ein weiterer Niederländer. Daß der himmlische Erlbruch auf seine Höhenflüge keine deutschen Autoren mitnimmt, kann man verschmerzen, solange seine beiden deutschen Verlage uns weiter so schnell mit Übersetzungen erfreuen.
ANDREAS PLATTHAUS
Bart Moeyart: "Am Anfang". Illustriert von Wolf Erlbruch. Aus dem Niederländischen übersetzt von Mirjam Pressler. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2003. 32 S., geb., 16,90 [Euro].
Dolf Verroen, Wolf Erlbruch: "Ein Himmel für den kleinen Bären". Aus dem Niederländischen übersetzt von Marcel Glück. Hanser Verlag, München 2003. 32 S., geb., 12,90 [Euro].
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