Produktdetails
  • Verlag: Stutz, Passau
  • Seitenzahl: 112
  • Erscheinungstermin: 31. August 2012
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 234g
  • ISBN-13: 9783888490651
  • ISBN-10: 3888490650
  • Artikelnr.: 36032192
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2013

Von Brustschwimmern und Ozeandampfern
Der ehemalige Lehrer Karl-Hans Graf hat jahrelang nebenbei als Bademeister gearbeitet und seine Erlebnisse mit der Spezies Badegast
in einem Buch niedergeschrieben. Die Bandbreite reicht von erheiternd bis erschütternd
VON HANS KRATZER
München – Meistens dient das schöne Wort Badegast lediglich als Zählbegriff in der Bilanz eines Freizeitbetriebs. Leider gerät dabei die phänomenologische Vielfalt der Vokabel aus dem Blick. So lässt sich die Kategorie Badegast zum Beispiel in Männersuchfrauen und Frauensuchmänner unterteilen. Jeder hat diese Gattungen schon einmal beobachtet, wie sie am Rande des Schwimmbeckens mit halb geschlossenen Augen oder versteckt hinter großen Sonnenbrillen aufmerksam das andere Geschlecht beobachten und Ausschau nach potenzieller Beute halten.
  Der ehemalige Lehrer Karl-Hans Graf hat über Jahrzehnte hinweg auch als Bademeister gearbeitet und kennt deshalb noch viele weitere Facetten des Badegasts, die er nun in einem Buch aus eigenem Erleben typologisch aufgearbeitet hat. Er schildert etwa einen typischen Freibad-Casanova, in diesem Fall einen frühpensionierten Stenz mit halblangen Haaren und leichtem Bauchansatz, der eigentlich im Bruststil schwimmt, aber auf Delfin umschaltet, wenn er Aufmerksamkeit erregen will. Beim Verlassen des Beckens registriert er aufmerksam, ob eine Frau die Augen auf ihn richtet. Wenn dies der Fall ist, stolziert er auf sie zu und prahlt mit seinen sportlichen Großtaten als Torschützenkönig in einer hohen Liga. Was zwar die Männersuchfrau beeindruckt, aber nicht den Bademeister, der von einem ehemaligen Mitspieler weiß, dass der Stenz als Fußballer über die B-Klasse nicht hinausgekommen ist.
  Nur selten ist der literarische Fokus so schonungslos auf das Reich der Frei- und Hallenbäder gerichtet worden wie in diesem Buch. Bis zum vergangenen Juli unterrichtete Graf am Gymnasium Altdorf bei Nürnberg. Nebenbei war er als Mitglied der Wasserwacht und der DLRG regelmäßig als Bademeister in einem Frei- und Hallenbad in der Oberpfalz beschäftigt. Bei einem dieser Dienste kam ihm die Idee, über diesen Mikrokosmos ein Buch zu schreiben. Das Verhalten der Menschen im Schwimmbad, so schlussfolgerte er, spiegelt ihr Verhalten in der Gesellschaft wider. „Die Geschichten sind zwar literarisch verfeinert, aber sie sind exakt so passiert.“ Was Graf nicht selber erlebt hat, das haben ihm Bademeister und das Reinigungspersonal aus anderen Schwimmbädern zugetragen.
  Grafs ziselierte Sprache und sein feiner Humor verdecken nicht, dass die Interaktion im Hallenbad regelmäßig moralische Grenzbereiche berührt. „Die meisten Badegäste sind kameradschaftlich, hilfsbereit und kooperativ“, sagt Graf. „Andere aber sind zum Kampfe bereit, tanzen aus der Reihe und sind damit literarisch die interessanteren.“ Obwohl sprachlich gezuckert, klingt so manche Schilderung fast unerträglich. Etwa jene Episode, in der Graf erzählt, wie ein mit einem Mercedes vorgefahrenes, aber schäbig gekleidetes Paar die zwei Euro Eintritt nicht bezahlen will. Weil er, wie der nach Schweiß stinkende Mann lautstark bemerkt, nur duschen wolle und das Becken nicht beanspruche. Trotzdem muss er zahlen. In Umkleide und Dusche benimmt sich das Paar dann so daneben, dass von seinen Hinterlassenschaften die schmutzige Unterwäsche noch das erfreulichste Relikt darstellt. Die Unbekannten verraten ihre Identität, als sie einen Brief schicken, in dem sie sich über das Personal beschweren. Als Belohnung erhält das Paar zwei Bußgeldbescheide „wegen erheblicher Verunreinigung des Bades“.
  Einsichtiger zeigte sich der „Duschepinkler“, wie er im Buch genannt wird. Er motzt, es sei so heißes Wasser aus der Brause gekommen, dass er sich den Hodensack verbrannt habe. Unmöglich, sagt die Raumpflegerin, sein dicker Bauch schütze seinen Unterleib eindeutig vor Verbrühung, außer er dusche im Handstand. Er schimpft zurück, er habe aus Protest gegen dieses Seuchenbad in die Dusche gepinkelt und werde dies auch weiterhin tun. Er entkommt einem Badeverbot nur deshalb, weil er letztlich kleinlaut verspricht, Beleidigungen und Ferkeleien in Zukunft zu unterlassen.
  Im Bad entfaltet sich die ganze Breite menschlicher Verhaltensmuster, nicht zuletzt die Triebhaftigkeit. Graf schildert, wie er einen Schnüffler ertappt hat, der in einer Sammelumkleide für Mädchen regelmäßig die Unterwäsche geklaut hatte. Ein gängiges Muster bieten auch betrunkene Jugendliche, die sich nachts ins Schwimmbad schleichen, aber durch ihre Lautstärke ungewollt auf sich aufmerksam machen. Wenn die erforderliche schnelle Flucht im nackigen Zustand über einen scharfzackigen Zaun führt, versetzt das, wie im hier geschilderten Fall, Teilen des männlichen Unterleibs mörderische Verletzungen.
  Zu den typischen Phänomenen in jedem Schwimmbad gehören auch die wie ein Ozeandampfer auf und ab tuckernden Damen, die Graf als Nebeneinanderschwimmerinnen beschreibt. Sie brauchen enorm viel Platz beim Brust- und Rückenschwimmen, das auch mit dem Austausch von Neuigkeiten verknüpft wird und oft mit dem Blockieren der Bahnen der Leistungsschwimmer einhergeht. Graf erzählt von zwei solchen „Dampfern“, die vom Bademeister zurechtgewiesen wurden, worauf sie sich im Landratsamt wegen Diskriminierung beschwerten und eine eigene Bahn erhielten. Von da an schwammen sie erst recht auf der Bahn der Leistungsschwimmer.
Karl-Hans Graf: Am Beckenrand, Verlag Karl Stutz, 112 Seiten, 14,80 Euro
„Jene Badegäste, die zum Kampfe
bereit sind, sind literarisch
die interessanteren.“
Nebeneinanderschwimmerinnen
beschwerten sich nach einem
Tadel über Diskriminierung
Im Mikrokosmos Schwimmbad spiegelt sich im Guten wie im Bösen die Interaktion der Gesellschaft wider. Die meisten Badegäste verhalten sich vernünftig, manche schlagen über die Stränge.
FOTO: JOHANNES SIMON
Lehrer, Bademeister und Schriftsteller: Karl-Hans Graf
FOTO: STUTZ VERLAG
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