Am Fenster des alten Hauses auf dem "Kapf" einem "Ausblick" steht Erika Burkart, blickt den Vögeln nach ins tote Moor und den aus Tieren zu Menschen und Engeln sich verwandelnden Wolken entgegen in den Abgrund der Zeit und der eigenen Vergangenheit. Durch Krankheit immer mehr an ihre zwei hochgelegenen Zimmer gebunden und konfrontiert mit dem eigenen Tod, zieht sie Bilanz, ungeschminkt und offen, als "Aktuarin einer Existenz ohne Fluchtwelten". Notate über das Schreiben, die Liebe, das Erinnern und Vergessen, Erinnerungen an Menschen, an ihre Kindheit. Glücks- und Hadesträume begegnen ihr am Weg des Abschieds vom intensiv geliebten Leben. Sie geht ihn mit schonungsloser, endlich verzweifelter Klarheit: Das alles summiert sich zu einem eindrücklichen Protokoll der menschlichen Existenz in einer Sprache von präziser Schönheit.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine Schule der Wahrnehmung sind die Aufzeichnungen der Dichterin und Romanautorin Erika Birkart für Beate Tröger. Beim Lesen der um das Schreibenmüssen, um die Dimensionen der Sprache und des Daseins kreisenden intimen Notate kommt Tröger dem Wunder des Lebens und des Schreibens näher. Die Themen Einsamkeit, Krankheit und Tod kontrastieren dem liebenden Blick der Autorin, dieser "brennenden Seele im erkaltenden Leib", in Landschaft und Natur, auf Menschen und Bücher. Mitunter scheint dieser Blick Tröger beängstigend offen, doch meist erhebend, erhellend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine ZeitungIn der Zweizimmerwelt
Der Leser war ihr fernes Morgenrot: Erika Burkarts Aufzeichnungen aus dem Nachlass zeugen vom Abgleiten einer Lyrikerin in die Sprachlosigkeit.
Die Unersetzbarkeit jener, die wir liebten. Erfahrbar in der Zeit. Der Glaube an die Ersetzbarkeit ist eine Täuschung der Jugend." Am 23. Juni 1967 lernten sich die 1922 geborene Erika Burkart und der 1938 geborene Ernst Halter kennen. Der Ort: das Elternhaus der Schweizer Autorin, das frei in der Landschaft stehende, 1736 erbaute Aebtehaus in Althäusern im Kanton Aargau. Aus der "schicksalsentscheidenden Begegnung", wie Halter später sagte, wurde eine Liebesehe, die bis zum Tod Burkarts im April 2010 währte.
Wie sehr Burkart und Halter einander auch im Schreiben verbunden waren, zeigte bereits der 2011 postum von Halter herausgegebene Band "Nachtschicht / Schattenzone", in dem er den Gedichten Erika Burkarts aus deren letzten zwei Lebensjahren eigene aus jener Zeit zur Seite stellte, in der das Sprachvermögen seiner Frau zusehends versank.
Auch die eingangs zitierte Notiz weist auf Verbundenheit. Sie entstammt den privaten Notaten Erika Burkarts, die Halter nun, einem Hinweis seiner Frau folgend, in Auswahl veröffentlicht hat. Vor dem Hintergrund ihres Todes sind sie eine intime Ergänzung des zu Lebzeiten erschienenen, mit zahlreichen Ehrungen bedachten Werks der Lyrikerin und Romanautorin und eine Würdigung ihrer Person. Der Titel "Am Fenster, wo die Nacht einbricht" zitiert aus einem der Notate, die Halter für den vorliegenden Band aus den sechzehn späteren von insgesamt 24 nachgelassenen Heften mit rund 1200 Einträgen ausgewählt hat, deren erstes im Jahr 1996 begonnen wurde.
Angedeutet wird hier die Polarität eines Schreibens, das Ausschau nach der Welt hält. Doch auch die Gewissheit der Sterblichkeit, die drohende Verdunklung kann man aus dem Titel lesen. Die Dunkelheit rückte Burkart in ihren letzten beiden Jahrzehnten, in denen die vorliegenden Aufzeichnungen entstanden, nicht nur alters-, sondern auch krankheitsbedingt näher. Sie war gezwungen, ihren Aktionsradius auf zwei Zimmer des Hauses zu beschränken.
Doch sie schrieb weiter. In den späten Notaten, die Burkart mit "ihrem Werkzeug", dem Bleistift, der "wie ein Vogel das Papier, seine Erde, streift, dessen Spur tilgbar ist", festgehalten hat, tut sich eine offene und freie Welt auf. Man darf von Glück reden, dass mit der Veröffentlichung die Spuren, die dieser Bleistift hinterlassen hat, nicht mehr so leicht zu tilgen sind wie ausradierbare Worte und Zeichnungen auf Papier.
"Als Mensch muss man loslassen, als Autor festhalten." Erika Burkart lotete schreibend die Dimensionen der Sprache beständig aus: "Sprache führt über einen hinaus und zurück ins Selbst, ist auch Sonde, Lupe, Lot bei der täglichen Welt-Entdeckung -, lehrt sehen, hören, sprechen, schweigen; überdies bewahrt sie, erinnert", heißt es in einer Aufzeichnung. Weniger zuversichtlich die Notiz, die dennoch das Schreibenmüssen bekräftigt: "Aufschreiben, um zu vergessen, vergessen zu dürfen".
Nicht selten ist Einsamkeit Thema: "Man schreibt um des Schreibens willen. Der eventuelle Leser ist ein fernes Morgen- oder Abendrot. Die Nacht muss man allein durchstehen." Die Facetten eines Lebens in und mit der Sprache finden hier Ausdruck in Worten, die in ihrer Klarheit ins Mark treffen. Erschüttert nimmt man das letzte, wenige Monate vor Erika Burkarts Tod verfasste, faksimilierte Notat zur Kenntnis, das den Verlust des existenzbestimmenden Schreibvermögens zeigt und mit einzelnen, mühsam geformten Worten beginnt: "Kollaps, Zusammenbruch / kollabieren / Werner Roth = Pfleger", ehe es in eine Beschreibung des Blicks aus dem Fenster übergeht. Die "winterlichen Geisterlichter, in ihnen der Flockentanz, das Flockenschweben in Kugeln" hat Burkart durch eine einfache Zeichnung ergänzt.
Doch selbst in diesen zweifelnden, in den beängstigend offenen Notaten, in denen Krankheit, Altern und Tod im Vordergrund stehen, oder in denjenigen, in denen Burkart die Dämonen ihrer Kindheit in bescheidenen Verhältnissen als Tochter eines trinkenden Großwildjägers und einer Lehrerin, die eine Gastwirtschaft betrieben, schildert, ist die Dringlichkeit des Schreibens präsent, die man aus ihrer Prosa und Lyrik kennt. Der Blick der Autorin heftet sich ergründend und sinnend auf die Phänomene der Welt, auf Natur, Witterung und Landschaft. Er ruht auf Menschen und Büchern, auf der Frage nach der Religion, nach Gott. Kleinste Nuancen werden verzeichnet, etwa wenn Burkart von ihrem Arbeitszimmer aus beobachtet, wie sich der Sonnenuntergang hinter dem Lindenberg durch das Jahr "von Abend zu Abend um zirka zwei Wipfelsilhouetten verschiebt".
Hier war eine um Worte Ringende und Werbende, eine Liebende am Werk. Leidend erschreibt sich diese "brennende Seele im erkaltenden Leib" bis an den Rand ihrer Kräfte neuen Raum in der Sprache. Ein spätes Notat hält einen Dialog zwischen ihr und ihrem Arzt fest. Die Frage, ob sie vor dem Tod Angst habe, bejaht sie: "Ich lebe gerne, liebe das Leben um der geliebten Menschen willen, liebe die Bäume, die Blumen, die Landschaft - und mehr und mehr das Blau des Himmels. - Blau." Erika Burkarts Aufzeichnungen sind eine Schule der Wahrnehmung, aus der man einiges über die Schönheit der Welt, über das Wunder der Sprache, über Größe, Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit jedes Lebens erfahren kann.
BEATE TRÖGER
Erika Burkart: "Am Fenster, wo die Nacht einbricht". Aufzeichnungen.
Hrsg. Ernst Halter. Limmat Verlag, Zürich 2013. 306 S., geb., 33,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Leser war ihr fernes Morgenrot: Erika Burkarts Aufzeichnungen aus dem Nachlass zeugen vom Abgleiten einer Lyrikerin in die Sprachlosigkeit.
Die Unersetzbarkeit jener, die wir liebten. Erfahrbar in der Zeit. Der Glaube an die Ersetzbarkeit ist eine Täuschung der Jugend." Am 23. Juni 1967 lernten sich die 1922 geborene Erika Burkart und der 1938 geborene Ernst Halter kennen. Der Ort: das Elternhaus der Schweizer Autorin, das frei in der Landschaft stehende, 1736 erbaute Aebtehaus in Althäusern im Kanton Aargau. Aus der "schicksalsentscheidenden Begegnung", wie Halter später sagte, wurde eine Liebesehe, die bis zum Tod Burkarts im April 2010 währte.
Wie sehr Burkart und Halter einander auch im Schreiben verbunden waren, zeigte bereits der 2011 postum von Halter herausgegebene Band "Nachtschicht / Schattenzone", in dem er den Gedichten Erika Burkarts aus deren letzten zwei Lebensjahren eigene aus jener Zeit zur Seite stellte, in der das Sprachvermögen seiner Frau zusehends versank.
Auch die eingangs zitierte Notiz weist auf Verbundenheit. Sie entstammt den privaten Notaten Erika Burkarts, die Halter nun, einem Hinweis seiner Frau folgend, in Auswahl veröffentlicht hat. Vor dem Hintergrund ihres Todes sind sie eine intime Ergänzung des zu Lebzeiten erschienenen, mit zahlreichen Ehrungen bedachten Werks der Lyrikerin und Romanautorin und eine Würdigung ihrer Person. Der Titel "Am Fenster, wo die Nacht einbricht" zitiert aus einem der Notate, die Halter für den vorliegenden Band aus den sechzehn späteren von insgesamt 24 nachgelassenen Heften mit rund 1200 Einträgen ausgewählt hat, deren erstes im Jahr 1996 begonnen wurde.
Angedeutet wird hier die Polarität eines Schreibens, das Ausschau nach der Welt hält. Doch auch die Gewissheit der Sterblichkeit, die drohende Verdunklung kann man aus dem Titel lesen. Die Dunkelheit rückte Burkart in ihren letzten beiden Jahrzehnten, in denen die vorliegenden Aufzeichnungen entstanden, nicht nur alters-, sondern auch krankheitsbedingt näher. Sie war gezwungen, ihren Aktionsradius auf zwei Zimmer des Hauses zu beschränken.
Doch sie schrieb weiter. In den späten Notaten, die Burkart mit "ihrem Werkzeug", dem Bleistift, der "wie ein Vogel das Papier, seine Erde, streift, dessen Spur tilgbar ist", festgehalten hat, tut sich eine offene und freie Welt auf. Man darf von Glück reden, dass mit der Veröffentlichung die Spuren, die dieser Bleistift hinterlassen hat, nicht mehr so leicht zu tilgen sind wie ausradierbare Worte und Zeichnungen auf Papier.
"Als Mensch muss man loslassen, als Autor festhalten." Erika Burkart lotete schreibend die Dimensionen der Sprache beständig aus: "Sprache führt über einen hinaus und zurück ins Selbst, ist auch Sonde, Lupe, Lot bei der täglichen Welt-Entdeckung -, lehrt sehen, hören, sprechen, schweigen; überdies bewahrt sie, erinnert", heißt es in einer Aufzeichnung. Weniger zuversichtlich die Notiz, die dennoch das Schreibenmüssen bekräftigt: "Aufschreiben, um zu vergessen, vergessen zu dürfen".
Nicht selten ist Einsamkeit Thema: "Man schreibt um des Schreibens willen. Der eventuelle Leser ist ein fernes Morgen- oder Abendrot. Die Nacht muss man allein durchstehen." Die Facetten eines Lebens in und mit der Sprache finden hier Ausdruck in Worten, die in ihrer Klarheit ins Mark treffen. Erschüttert nimmt man das letzte, wenige Monate vor Erika Burkarts Tod verfasste, faksimilierte Notat zur Kenntnis, das den Verlust des existenzbestimmenden Schreibvermögens zeigt und mit einzelnen, mühsam geformten Worten beginnt: "Kollaps, Zusammenbruch / kollabieren / Werner Roth = Pfleger", ehe es in eine Beschreibung des Blicks aus dem Fenster übergeht. Die "winterlichen Geisterlichter, in ihnen der Flockentanz, das Flockenschweben in Kugeln" hat Burkart durch eine einfache Zeichnung ergänzt.
Doch selbst in diesen zweifelnden, in den beängstigend offenen Notaten, in denen Krankheit, Altern und Tod im Vordergrund stehen, oder in denjenigen, in denen Burkart die Dämonen ihrer Kindheit in bescheidenen Verhältnissen als Tochter eines trinkenden Großwildjägers und einer Lehrerin, die eine Gastwirtschaft betrieben, schildert, ist die Dringlichkeit des Schreibens präsent, die man aus ihrer Prosa und Lyrik kennt. Der Blick der Autorin heftet sich ergründend und sinnend auf die Phänomene der Welt, auf Natur, Witterung und Landschaft. Er ruht auf Menschen und Büchern, auf der Frage nach der Religion, nach Gott. Kleinste Nuancen werden verzeichnet, etwa wenn Burkart von ihrem Arbeitszimmer aus beobachtet, wie sich der Sonnenuntergang hinter dem Lindenberg durch das Jahr "von Abend zu Abend um zirka zwei Wipfelsilhouetten verschiebt".
Hier war eine um Worte Ringende und Werbende, eine Liebende am Werk. Leidend erschreibt sich diese "brennende Seele im erkaltenden Leib" bis an den Rand ihrer Kräfte neuen Raum in der Sprache. Ein spätes Notat hält einen Dialog zwischen ihr und ihrem Arzt fest. Die Frage, ob sie vor dem Tod Angst habe, bejaht sie: "Ich lebe gerne, liebe das Leben um der geliebten Menschen willen, liebe die Bäume, die Blumen, die Landschaft - und mehr und mehr das Blau des Himmels. - Blau." Erika Burkarts Aufzeichnungen sind eine Schule der Wahrnehmung, aus der man einiges über die Schönheit der Welt, über das Wunder der Sprache, über Größe, Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit jedes Lebens erfahren kann.
BEATE TRÖGER
Erika Burkart: "Am Fenster, wo die Nacht einbricht". Aufzeichnungen.
Hrsg. Ernst Halter. Limmat Verlag, Zürich 2013. 306 S., geb., 33,- [Euro].
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