Produktdetails
- Verlag: Hoffmann und Campe
- 10. Aufl.
- Seitenzahl: 500
- Abmessung: 52mm x 142mm x 216mm
- Gewicht: 762g
- ISBN-13: 9783455067705
- Artikelnr.: 24229160
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.05.1995Sekt in den Adern
Hans Scholz im Literaturjahr 1955 / Von Robert Gernhardt
Monatelang hat Deutschland das Kriegsende vor fünfzig Jahren nacherlebt und bedacht. Momentan herrscht Frieden. Wir haben den Schriftsteller Robert Gernhardt (zuletzt erschien sein Gedichtband "Weiche Ziele") gebeten, zehn Jahre weiterzuhüpfen, mitten in die fünfziger Jahre. Gernhardt hat den Roman "Am grünen Strand der Spree" von Hans Scholz wiedergelesen. Er entnimmt ihm ein Psychogramm der fünfziger Jahre, die natürlich viel unmittelbarer von Kriegserinnerungen gepeinigt waren - und er fragt nach dem Rang des Romans aus der Sicht von heute. F.A.Z.
"Daten deutscher Dichtung", die literarische Hochleistungschronologie der beiden Frenzels, nennt für 1955 sechs erzählende Werke - jedenfalls tut dies meine Ausgabe, ein dtv-Band aus dem Jahre 1962 -: Die Romane "Spätestens im November" von Hans Erich Nossack und "Der Mann, der nicht alt werden wollte" von Walter Jens, die Erzählung "Das Brot der frühen Jahre" von Heinrich Böll, die "Masurischen Geschichten" des Siegfried Lenz, "So zärtlich war Suleyken", die "Proben und Versuche", denen Heinz Piontek den Titel "Vor Augen" gegeben hatte, und ein Buch, das sich jeder gattungsmäßigen Einordnung noch listiger entzog: "So gut wie ein Roman" hatte Hans Scholz sein Werk "Am grünen Strand der Spree" schön zweideutig untertitelt, sehr viel eindeutiger klassifizieren es die Frenzels: "Rahmen-Erz."
Von diesen sechs Büchern habe ich im Laufe der Zeit drei oder vier gelesen, nur eines jedoch kurz nach Erscheinen, und das war sicherlich kein Zufall. Publikum und Kritik hatten "Am grünen Strand der Spree" mit einhelliger Begeisterung aufgenommen, bis heute hallt diese Zustimmung nach, immer noch ist eine gebundene Ausgabe im Handel erhältlich.
Eine Begeisterung, die auch mich, den gerade der Schule entkommenen Kunststudenten, dazu veranlaßt haben wird, zum Buch zu greifen, 1956 oder 1957 - doch wodurch eigentlich war der Jubel ausgelöst worden? Unter den Kritiken von damals, die mir nun, mehr als dreißig Jahre später, vorliegen, fehlt eine, die mich besonders neugierig gemacht hatte. Sie war, glaube ich, im "Monat" erschienen und pries den Witz und die Intelligenz des Romans - beide seien von einer Qualität, daß man Hans Scholz für ein Pseudonym und Gottfried Benn für den wahren Autor halten könnte.
Der Tenor amüsierter Verblüffung durchzieht auch die anderen Kritiken: "Man möchte Meier heißen, wenn dieser Autor tatsächlich Hans Scholz hieße. Oder fallen Genies neuerdings doch vom Himmel?" fragte Arnold Künzli in der Basler "National-Zeitung". "Scholz hat sich mit seinem Erstling als begabter Erzähler ausgewiesen; die Lust seines Erzählens löst beim Leser ein reines Vergnügen des Zuhörens aus", lobte Theodor Wieser in der "Neuen Zürcher Zeitung", und auch Karl Korn staunte in der F.A.Z. nicht schlecht: "Da kommt ein Mann namens Scholz daher und beschert uns ein Buch von so frischer Erzähllust, von so viel Witz und artistischer Könnerschaft, daß man einen Augenblick lang den Autornamen für eine Mystifikation zu halten geneigt ist." Zudem habe der Autor "etwas zuwege gebracht, was es meines Wissens bisher noch nicht gab: ein gültiges Gruppenporträt der deutschen Stäbe in diesem letzten Krieg". Ein Porträt, auf welches ich wahrscheinlich gerade noch gewartet hatte, um so verführerischer aber muß der allseits gerühmte helle Witz des Autors gelockt haben, seine Brillanz, die auch Korn effektvoll gegen das sonstige Dunkel der späten Nachkriegszeit auszuspielen wußte: "In unserem trägen, zähflüssigen und vom Esprit verlassenen Provinzialismus tut dieses Buch wohl wie der berühmte Schuß Sekt, den ein gewisser Bismarck in unseren Adern vermißt hat."
Tat das Buch dies, damals? Ließ es mein Blut munterer kreisen? Ich hatte mit Sicherheit meinen Spaß, und mehr als den. Daß die Männerrunde, die da Geschichten erzählte, aus lauter Künstlern bestand, aus Malern, Drehbuchautoren, Schauspielern und Musikern, fesselte mein Interesse - schließlich wollte ich selber Künstler werden. Daß der Herrenabend im "Jockey" stattfand, einer Berliner Bar, welche die Teilnehmer noch aus jenen Vorkriegstagen kannten, als dort anno '38 die allerschönsten Damen verkehrten, die junge Babsybi Bibbiena, die elegante Ungarin Bohus, die musische Gloria Fürstenberg und die sportliche Irene-Maria - all das war für jemanden, der in einer mittelgroßen Stadt der Fünfziger hatte aufwachsen müssen, so exotisch wie bildend. Denn in dieser Bar bestellte man dunkel lockende Tränke wie "White Ladies" oder "Gin Fizz", und zwischendurch gab man der Kapelle einen aus, auf daß sie "Indian Love-Call" spielte oder "Bei mir biste scheen", was der Anlaß des Treffens, der Spätheimkehrer Lepsius, so kommentierte: "Altes Jockeylied sozusagen. War es nicht von der Reichsmusikkammer sogar verboten, und die Kapelle spielte es immer munter weiter?"
Vor allem aber erzählte die Runde von Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeiten, und da muß der Neunzehnjährige gern zugehört haben, ja gebannt, anders vermag ich mir die Enttäuschung nicht erklären, die den über Fünfzigjährigen während der neuerlichen Lektüre immer häufiger und ungeduldiger überfiel.
Der 1911 geborene Hans Scholz hatte sich mit seinem Erstling Zeit gelassen, dementsprechend vielfältige Welt- und Lebenserfahrung konnte er nun in Rahmenhandlung und Erzählungen ausbreiten. Gleich die erste, düsterste, sie handelt von Judenerschießungen, spielt in Polen und in Rußland, weitere Schauplätze sind Norwegen, die Mark Brandenburg, ein Kriegsgefangenenlager in den Vereinigten Staaten und eine Pension im Florenz der Vorkriegszeit. "Es wird an mehreren Tischen gegessen und in ebenso vielen Sprachen gesprochen."
Kein Problem für Arnoldis, den Helden und Erzähler dieser letzten Geschichte des Buches, da er vieler Sprachen mächtig ist. Doch auch die anderen Erzählenden sind rundum gebildet, so daß sich quer durch die Erzählungen kursiv gedruckte fremdsprachliche Einsprengsel ziehen: jiddische, polnische, russische, sorbische, norwegische, spanische, altgriechische, lateinische, häufig ohne Erläuterung, manchmal mit hilfreich nachgereichter Übersetzung: "Jeg er så lykkelig! Ich bin so glücklich."
Und Scholz beherrscht nicht nur Fremdsprachen. Als gelernter Maler und professioneller Musiker drückt er sich mühelos in den Fachsprachen dieser Künste aus, als geborener Stimmenimitator läßt er zu Wort kommen, wie er's braucht und was er will: märkischen Dialekt und Kasinoton, Jungmädchengeschreibsel und Chronikstil, hohes Mienenpathos und platte Politphrasen, vor allem aber den Jargon der "Jockeyleute", ein parodistisches Gemisch aus Wendrinersuada, Itzenplitzforschheit und Bildungstreibgut, das noch heute erheitern und nerven kann: "Seine Ehe klappte in keinster Weise . . . Da sei Roquefort . . . Wer weiß, aus welchem kühlen Grunde . . . Ihm gewünscht . . . Primstens!"
Jede Menge Tonfälle also, und auch an Erzählweisen herrscht im Buch kein Mangel. Da gibt es dramatisierende Teile und inneren Monolog, Tagebuchaufzeichnungen und Briefe, Witze und Anekdoten, Kurzgeschichten und Novellen - weshalb las ich das jetzt alles mit Ungeduld? Woher rührte das Gefühl, eher einer Pflicht zu gehorchen, als einer Lust zu frönen?
Weil Scholz seine Protagonisten trotz aller Stilmaskeraden und Ortswechsel eine immergleiche Geschichte erzählen läßt. Einst waren die Männer "eine Schar dem Dritten Reich zum Trotz fröhlicher Leutchen gewesen", dann hatten sie Kriegs- und Nachkriegszeiten durchstanden, nun erinnern sie sich. Doch ob die Erinnerungen in Norwegen angesiedelt sind oder in den Vereinigten Staaten, in der DDR oder in Polen, stets entpuppen sie sich als bittersüße Liebesgeschichten, in welchen durchgehend wunderschöne fremde Frauen die Zuneigung durchweg anständiger deutscher Männer erwidern, was nach Lage der Dinge natürlich weit häufiger auf Scheiden und Meiden als auf Scherzen und Herzen hinausläuft. Selbst wenn Krieg und Kriegsgreuel die Hauptrolle spielen, wie in der bereits erwähnten ersten Geschichte, geht es nicht ohne die schöne Polin Gallina ab, und wann immer schöne Frauen ins Spiel kommen, geraten Scholzens Erzähler durch die Bank in juveniles Schwärmen: "Kleine Nachtigall von Garwolin, was singst du da? Ich bin doch Deutscher! Laß mich deine Augenlider küssen, über deinen unsäglich blauen, blauen Augen", sagen sie dann oder "Da legte Svånhild den blonden Schopf mit dem Raureif darin und dem zinnoberroten Mützchen an des Hauptmanns Schulter und weinte" oder auch "Es war das schönste und beste Mädchenwesen, das irgend mir vorstellbar ist."
Das meint die allerschönste der Schönen, die Weltbürgerin Babsybi, der Schwarm der gesammelten Jockey-Runde, speziell aber des Rahmen- und Haupterzählers Hans Schott. Auch des Romanciers und Mannes Hans Scholz? Dunkel erinnere ich mich, seinerzeit sei kolportiert worden, die schöne Babsybi habe ein Vorbild in Fleisch und Blut, die schöne Susanne Erichsen. Und hatte die nicht das "Fräuleinwunder" eingeleitet, war sie nicht sogar Miss World geworden?
Verständlich, daß diese Mischung von kennerhafter Weltläufigkeit und jünglingshafter Schwärmerei Leser und Kritik betörte, zumal in einer Zeit, die später zutreffend als "die Pubertät der Republik" bezeichnet werden sollte. Nur zu begreiflich, daß der junge Student diesem exotisch-erotischen Zauber ebenfalls erlegen ist. Doch welchen Gewinn zog der reife Mann aus dem Buch, hier und heute?
Der fand jene Passagen am exotischsten und bildendsten, die ihn nach Markgrafpieske und Umgebung führten, in eine DDR des Jahres 1954, die Scholz erstaunlich unaufgeregt und anrührend zu schildern weiß. Der erinnerte sich dabei eines anderen Werkes, das sich im Untertitel "Historischer Roman aus dem Jahre 1954" genannt und seinen Helden ebenfalls in die DDR geführt hatte, Arno Schmidts 1956 erschienenes Buch "Das steinerne Herz". Der verwunderte sich dieser Parallelen und blätterte zur Kontrolle im Schmidt, in welchem er sich sogleich festlas, bis er auf den Satz stieß: "Er begattete sie auf irgendeine altfränkische gottvergessene Methode; mit der er natürlich bald ne halbe Stunde brauchte." Und da tat er etwas, was er während der Lektüre von "Am grünen Strand der Spree" nicht getan hatte, er lachte.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hans Scholz im Literaturjahr 1955 / Von Robert Gernhardt
Monatelang hat Deutschland das Kriegsende vor fünfzig Jahren nacherlebt und bedacht. Momentan herrscht Frieden. Wir haben den Schriftsteller Robert Gernhardt (zuletzt erschien sein Gedichtband "Weiche Ziele") gebeten, zehn Jahre weiterzuhüpfen, mitten in die fünfziger Jahre. Gernhardt hat den Roman "Am grünen Strand der Spree" von Hans Scholz wiedergelesen. Er entnimmt ihm ein Psychogramm der fünfziger Jahre, die natürlich viel unmittelbarer von Kriegserinnerungen gepeinigt waren - und er fragt nach dem Rang des Romans aus der Sicht von heute. F.A.Z.
"Daten deutscher Dichtung", die literarische Hochleistungschronologie der beiden Frenzels, nennt für 1955 sechs erzählende Werke - jedenfalls tut dies meine Ausgabe, ein dtv-Band aus dem Jahre 1962 -: Die Romane "Spätestens im November" von Hans Erich Nossack und "Der Mann, der nicht alt werden wollte" von Walter Jens, die Erzählung "Das Brot der frühen Jahre" von Heinrich Böll, die "Masurischen Geschichten" des Siegfried Lenz, "So zärtlich war Suleyken", die "Proben und Versuche", denen Heinz Piontek den Titel "Vor Augen" gegeben hatte, und ein Buch, das sich jeder gattungsmäßigen Einordnung noch listiger entzog: "So gut wie ein Roman" hatte Hans Scholz sein Werk "Am grünen Strand der Spree" schön zweideutig untertitelt, sehr viel eindeutiger klassifizieren es die Frenzels: "Rahmen-Erz."
Von diesen sechs Büchern habe ich im Laufe der Zeit drei oder vier gelesen, nur eines jedoch kurz nach Erscheinen, und das war sicherlich kein Zufall. Publikum und Kritik hatten "Am grünen Strand der Spree" mit einhelliger Begeisterung aufgenommen, bis heute hallt diese Zustimmung nach, immer noch ist eine gebundene Ausgabe im Handel erhältlich.
Eine Begeisterung, die auch mich, den gerade der Schule entkommenen Kunststudenten, dazu veranlaßt haben wird, zum Buch zu greifen, 1956 oder 1957 - doch wodurch eigentlich war der Jubel ausgelöst worden? Unter den Kritiken von damals, die mir nun, mehr als dreißig Jahre später, vorliegen, fehlt eine, die mich besonders neugierig gemacht hatte. Sie war, glaube ich, im "Monat" erschienen und pries den Witz und die Intelligenz des Romans - beide seien von einer Qualität, daß man Hans Scholz für ein Pseudonym und Gottfried Benn für den wahren Autor halten könnte.
Der Tenor amüsierter Verblüffung durchzieht auch die anderen Kritiken: "Man möchte Meier heißen, wenn dieser Autor tatsächlich Hans Scholz hieße. Oder fallen Genies neuerdings doch vom Himmel?" fragte Arnold Künzli in der Basler "National-Zeitung". "Scholz hat sich mit seinem Erstling als begabter Erzähler ausgewiesen; die Lust seines Erzählens löst beim Leser ein reines Vergnügen des Zuhörens aus", lobte Theodor Wieser in der "Neuen Zürcher Zeitung", und auch Karl Korn staunte in der F.A.Z. nicht schlecht: "Da kommt ein Mann namens Scholz daher und beschert uns ein Buch von so frischer Erzähllust, von so viel Witz und artistischer Könnerschaft, daß man einen Augenblick lang den Autornamen für eine Mystifikation zu halten geneigt ist." Zudem habe der Autor "etwas zuwege gebracht, was es meines Wissens bisher noch nicht gab: ein gültiges Gruppenporträt der deutschen Stäbe in diesem letzten Krieg". Ein Porträt, auf welches ich wahrscheinlich gerade noch gewartet hatte, um so verführerischer aber muß der allseits gerühmte helle Witz des Autors gelockt haben, seine Brillanz, die auch Korn effektvoll gegen das sonstige Dunkel der späten Nachkriegszeit auszuspielen wußte: "In unserem trägen, zähflüssigen und vom Esprit verlassenen Provinzialismus tut dieses Buch wohl wie der berühmte Schuß Sekt, den ein gewisser Bismarck in unseren Adern vermißt hat."
Tat das Buch dies, damals? Ließ es mein Blut munterer kreisen? Ich hatte mit Sicherheit meinen Spaß, und mehr als den. Daß die Männerrunde, die da Geschichten erzählte, aus lauter Künstlern bestand, aus Malern, Drehbuchautoren, Schauspielern und Musikern, fesselte mein Interesse - schließlich wollte ich selber Künstler werden. Daß der Herrenabend im "Jockey" stattfand, einer Berliner Bar, welche die Teilnehmer noch aus jenen Vorkriegstagen kannten, als dort anno '38 die allerschönsten Damen verkehrten, die junge Babsybi Bibbiena, die elegante Ungarin Bohus, die musische Gloria Fürstenberg und die sportliche Irene-Maria - all das war für jemanden, der in einer mittelgroßen Stadt der Fünfziger hatte aufwachsen müssen, so exotisch wie bildend. Denn in dieser Bar bestellte man dunkel lockende Tränke wie "White Ladies" oder "Gin Fizz", und zwischendurch gab man der Kapelle einen aus, auf daß sie "Indian Love-Call" spielte oder "Bei mir biste scheen", was der Anlaß des Treffens, der Spätheimkehrer Lepsius, so kommentierte: "Altes Jockeylied sozusagen. War es nicht von der Reichsmusikkammer sogar verboten, und die Kapelle spielte es immer munter weiter?"
Vor allem aber erzählte die Runde von Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeiten, und da muß der Neunzehnjährige gern zugehört haben, ja gebannt, anders vermag ich mir die Enttäuschung nicht erklären, die den über Fünfzigjährigen während der neuerlichen Lektüre immer häufiger und ungeduldiger überfiel.
Der 1911 geborene Hans Scholz hatte sich mit seinem Erstling Zeit gelassen, dementsprechend vielfältige Welt- und Lebenserfahrung konnte er nun in Rahmenhandlung und Erzählungen ausbreiten. Gleich die erste, düsterste, sie handelt von Judenerschießungen, spielt in Polen und in Rußland, weitere Schauplätze sind Norwegen, die Mark Brandenburg, ein Kriegsgefangenenlager in den Vereinigten Staaten und eine Pension im Florenz der Vorkriegszeit. "Es wird an mehreren Tischen gegessen und in ebenso vielen Sprachen gesprochen."
Kein Problem für Arnoldis, den Helden und Erzähler dieser letzten Geschichte des Buches, da er vieler Sprachen mächtig ist. Doch auch die anderen Erzählenden sind rundum gebildet, so daß sich quer durch die Erzählungen kursiv gedruckte fremdsprachliche Einsprengsel ziehen: jiddische, polnische, russische, sorbische, norwegische, spanische, altgriechische, lateinische, häufig ohne Erläuterung, manchmal mit hilfreich nachgereichter Übersetzung: "Jeg er så lykkelig! Ich bin so glücklich."
Und Scholz beherrscht nicht nur Fremdsprachen. Als gelernter Maler und professioneller Musiker drückt er sich mühelos in den Fachsprachen dieser Künste aus, als geborener Stimmenimitator läßt er zu Wort kommen, wie er's braucht und was er will: märkischen Dialekt und Kasinoton, Jungmädchengeschreibsel und Chronikstil, hohes Mienenpathos und platte Politphrasen, vor allem aber den Jargon der "Jockeyleute", ein parodistisches Gemisch aus Wendrinersuada, Itzenplitzforschheit und Bildungstreibgut, das noch heute erheitern und nerven kann: "Seine Ehe klappte in keinster Weise . . . Da sei Roquefort . . . Wer weiß, aus welchem kühlen Grunde . . . Ihm gewünscht . . . Primstens!"
Jede Menge Tonfälle also, und auch an Erzählweisen herrscht im Buch kein Mangel. Da gibt es dramatisierende Teile und inneren Monolog, Tagebuchaufzeichnungen und Briefe, Witze und Anekdoten, Kurzgeschichten und Novellen - weshalb las ich das jetzt alles mit Ungeduld? Woher rührte das Gefühl, eher einer Pflicht zu gehorchen, als einer Lust zu frönen?
Weil Scholz seine Protagonisten trotz aller Stilmaskeraden und Ortswechsel eine immergleiche Geschichte erzählen läßt. Einst waren die Männer "eine Schar dem Dritten Reich zum Trotz fröhlicher Leutchen gewesen", dann hatten sie Kriegs- und Nachkriegszeiten durchstanden, nun erinnern sie sich. Doch ob die Erinnerungen in Norwegen angesiedelt sind oder in den Vereinigten Staaten, in der DDR oder in Polen, stets entpuppen sie sich als bittersüße Liebesgeschichten, in welchen durchgehend wunderschöne fremde Frauen die Zuneigung durchweg anständiger deutscher Männer erwidern, was nach Lage der Dinge natürlich weit häufiger auf Scheiden und Meiden als auf Scherzen und Herzen hinausläuft. Selbst wenn Krieg und Kriegsgreuel die Hauptrolle spielen, wie in der bereits erwähnten ersten Geschichte, geht es nicht ohne die schöne Polin Gallina ab, und wann immer schöne Frauen ins Spiel kommen, geraten Scholzens Erzähler durch die Bank in juveniles Schwärmen: "Kleine Nachtigall von Garwolin, was singst du da? Ich bin doch Deutscher! Laß mich deine Augenlider küssen, über deinen unsäglich blauen, blauen Augen", sagen sie dann oder "Da legte Svånhild den blonden Schopf mit dem Raureif darin und dem zinnoberroten Mützchen an des Hauptmanns Schulter und weinte" oder auch "Es war das schönste und beste Mädchenwesen, das irgend mir vorstellbar ist."
Das meint die allerschönste der Schönen, die Weltbürgerin Babsybi, der Schwarm der gesammelten Jockey-Runde, speziell aber des Rahmen- und Haupterzählers Hans Schott. Auch des Romanciers und Mannes Hans Scholz? Dunkel erinnere ich mich, seinerzeit sei kolportiert worden, die schöne Babsybi habe ein Vorbild in Fleisch und Blut, die schöne Susanne Erichsen. Und hatte die nicht das "Fräuleinwunder" eingeleitet, war sie nicht sogar Miss World geworden?
Verständlich, daß diese Mischung von kennerhafter Weltläufigkeit und jünglingshafter Schwärmerei Leser und Kritik betörte, zumal in einer Zeit, die später zutreffend als "die Pubertät der Republik" bezeichnet werden sollte. Nur zu begreiflich, daß der junge Student diesem exotisch-erotischen Zauber ebenfalls erlegen ist. Doch welchen Gewinn zog der reife Mann aus dem Buch, hier und heute?
Der fand jene Passagen am exotischsten und bildendsten, die ihn nach Markgrafpieske und Umgebung führten, in eine DDR des Jahres 1954, die Scholz erstaunlich unaufgeregt und anrührend zu schildern weiß. Der erinnerte sich dabei eines anderen Werkes, das sich im Untertitel "Historischer Roman aus dem Jahre 1954" genannt und seinen Helden ebenfalls in die DDR geführt hatte, Arno Schmidts 1956 erschienenes Buch "Das steinerne Herz". Der verwunderte sich dieser Parallelen und blätterte zur Kontrolle im Schmidt, in welchem er sich sogleich festlas, bis er auf den Satz stieß: "Er begattete sie auf irgendeine altfränkische gottvergessene Methode; mit der er natürlich bald ne halbe Stunde brauchte." Und da tat er etwas, was er während der Lektüre von "Am grünen Strand der Spree" nicht getan hatte, er lachte.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main