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»Über dieses Buch gibt es überall nur Jubel - hier bei uns auch!« (Elke Heidenreich in Lesen!)
Der junge Scheidungsanwalt Clarin freut sich auf ein ruhiges Pfingstwochenende in seinem Tessiner Ferienhaus. Am ersten Abend lernt er auf der Sonnenterrasse des Bellevue-Hotels einen älteren Herrn kennen, der sich ihm als Loos vorstellt, einen Sonderling, einen Verrückten vielleicht. Sie reden bis tief in die Nacht über Gott und die Welt, den Zeitgeist und die Frauen, erzählen sich ihre Geschichten, die immer intimer werden. Was als Gespräch zwischen Zufallsbekannten beginnt, gerät zu einem…mehr

Produktbeschreibung
»Über dieses Buch gibt es überall nur Jubel - hier bei uns auch!« (Elke Heidenreich in Lesen!)

Der junge Scheidungsanwalt Clarin freut sich auf ein ruhiges Pfingstwochenende in seinem Tessiner Ferienhaus. Am ersten Abend lernt er auf der Sonnenterrasse des Bellevue-Hotels einen älteren Herrn kennen, der sich ihm als Loos vorstellt, einen Sonderling, einen Verrückten vielleicht. Sie reden bis tief in die Nacht über Gott und die Welt, den Zeitgeist und die Frauen, erzählen sich ihre Geschichten, die immer intimer werden.
Was als Gespräch zwischen Zufallsbekannten beginnt, gerät zu einem abgründigen Verwirrspiel, das fasziniert und verstört. Es sind zweifelhafte Umstände, unter denen Loos seine geliebte, fast vergötterte Frau verloren hat. Und dieser Verlust trägt dazu bei, ihm die Welt zu verdunkeln. Clarin hingegen lebt leicht und gern. Ferner könnten zwei Menschen einander nicht sein. Wie nah sie sich sind, stellt sich erst spät heraus.

Autorenporträt
Markus Werner wurde 1944 in der Schweiz, in Eschlikon im Kanton Thurgau, geboren und starb 2016 in Schaffhausen. Er studierte in Zürich Germanistik, arbeitete bis 1990 als Lehrer und dann als freier Schriftsteller. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Er veröffentlichte die Romane ¿Zündels Abgang¿, ¿Froschnacht¿, ¿Die kalte Schulter¿, ¿Bis bald¿, ¿Festland¿, ¿Der ägyptische Heinrich¿ und ¿Am Hang¿. Zu seinem Werk erschien der von Martin Ebel herausgegebene Band ¿»Allein das Zögern ist human«¿. Literaturpreise: Joseph-Breitbach-Preis (2000) Johann-Peter-Hebel-Preis (2002) Schillerpreis der Schweizerischen Schillerstiftung (2005) Bodensee-Literaturpreis der Stadt Überlingen (2006) ProLitteris Preis 2016
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2004

Lieber tot als betrogen
Pädagogisch, exemplarisch, meisterlich: Markus Werners Roman

Alles dreht sich." Das ist, auf eine schwindelerregende Weise, wahr. Der erste Satz von Markus Werners "Am Hang" beschreibt exakt die Dynamik, die den Roman vorantreibt. Der zweite Satz aber liefert den Schlüssel zur Grundkonstellation, die noch viel verzwickter ist, als es auf Anhieb scheinen möchte: "Und alles dreht sich um ihn." Der ihn ausspricht, ist der junge, smarte Scheidungsanwalt Thomas Clarin, der in seinem Tessiner Ferienhaus ein erholsames Pfingstwochenende verbringen wollte und auf der Terrasse des Hotels Bellavista in Montagnola auf einen gewissen Loos getroffen ist. Dieser ist ein merkwürdiger Sonderling, vielleicht verrückt, sicher verschroben, ein sarkastischer Altphilologe in den Fünfzigern, der sich auf eine rätselhafte Weise verabschiedet hat von den Konventionen des gesellschaftlichen Alltags. Verschlossen und desillusioniert, scheut sich der Lehrer für tote Sprachen nicht, jeden schroff zurückzustoßen, der ihm zu nahe kommt.

Was Loos und Clarin, die Fremden, aufeinander zutreibt, ist vorerst nicht klar. Nur daß mit der Begegnung ein gegenseitiges Belauern, Aushorchen, Umgarnen und Umtänzeln anfängt, das die beiden mit der Zeit seltsam vertraut macht. Wie ineinander verschraubt, drehen sie sich immer schneller in einem seltsamen Tanz, bis die Spannung am dritten Tag mit einem Knall explodiert. Loos hat sich heimlich abgesetzt. Die Nachforschungen des jungen Rechtsanwaltes bleiben ergebnislos, mehr noch: Er findet heraus, daß ein Mann dieses Namens nie existiert hat und auch seine Geschichten vielleicht nur erfunden sind.

Plötzlich herrscht Stille. Ein Riß zeigt sich. Ein Abgrund öffnet sich. Das Geheimnis, das die beiden Männer verbindet, scheint sichtbar zu werden; letzte Gewißheit aber erhält der Leser bis zum Schluß nicht. In diesem Männerverhältnis geht es um Liebe, und es geht um zwei Frauen - die in Wahrheit vielleicht nur eine einzige war. Wenn die Dinge so lägen, müßte man nachträglich auch die Beziehung der beiden Männer in einem völlig neuen Licht sehen. Der ganze Erzählkosmos hätte sich dann gedreht. Ihr Interesse aneinander wäre dann nicht aus wachsender Sympathie, sondern aus Rivalität entstanden, ihr Aushorchen ein Weg gewesen, die Verführungsmethoden des Gegenspielers zu erkunden, das Belauern ein Mittel, der spielerischen Verliebtheit des Konkurrenten auf die Schliche zu kommen - die bedächtigen, zähen Gespräche aber, die sich über zwei lange Nächte hinzogen, wären andererseits der maskierte Freundschaftsdiskurs zweier Seelenverwandter gewesen, welche die gleiche Frau liebten - wenngleich auf radikal unterschiedliche Weise.

Und ein letztes Mal dreht sich das Erzählkarussell: Nur Loos, der Ältere, hätte demnach vom Ausmaß der gegenseitigen Verstrickung gewußt und die Fäden von Anfang an in der Hand gehabt, während dem Rechtsanwalt, einem forschen Verführer, die Rolle des Verunsicherten bleibt, der sich der Wahrheit in kleinen Zügen nähert und dem die Augen erst ganz am Schluß aufgehen.

Markus Werner liebt solche verschlungenen Konstellationen. Liebe, Tod und kriminalistische Arrangements gehörten schon immer zu seinen Romanen. Jetzt scheint es, als hätte er, nach fünfjährigem Schweigen (und einem leichten Durchhänger mit dem etwas uninspirierten letzten Roman "Der ägyptische Heinrich"), mit seinem siebten Buch einen neuen Gipfel erklommen. Der sechzigjährige Schweizer Autor, der im Jahr 2000 mit dem Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet wurde, führt in seinem neuen Roman noch mal all seine literarischen Themen in einer packenden Geschichte zusammen. "Am Hang" nimmt den Leser von der ersten Zeile an gefangen. Die Verdichtung und Leichtigkeit, das Unergründliche und gleichzeitig Glasklare des Wernerschen Erzählstils übt eine magische Anziehung aus. Angetrieben von Neugier, die immer wieder neue, andere Nahrung erhält, und verführt von den beängstigenden Verirrungen und fatalen Leidenschaften der beiden Figuren, liebt und leidet man mit ihnen bis zur letzten Seite.

Zwei Nächte lang haben die beiden Männer getrunken und debattiert und sich dann gemeinsam auf den Heimweg gemacht, zwei Nächte lang haben sie einander ihre Lebens- und Liebesgeschichten enthüllt. Dabei ergaben sich seltsame Koinzidenzen, die Clarin, je länger er über sie nachsinnt, desto deutlicher verwirren, von Loos aber dumpf ignoriert werden. Beide heißen sie mit Vornamen Thomas. Beide haben eine Liebesbeziehung im benachbarten Kurhaus Cademario abrupt beendet. Loos behauptet, seine jüngere, von ihm vergötterte Frau nach langer glücklicher Ehe durch den Tod verloren zu haben. Sie ist, obwohl nach einer Tumor-Operation auf dem Weg zur Heilung, am Rand des Schwimmbeckens ausgeglitten und im Spital von Lugano an der Kopfverletzung gestorben.

Der junge Scheidungsanwalt dagegen, der im Tessin nichts anderes vorhatte, als einen Aufsatz über das "Ehe- bzw. Scheidungsrecht" für eine Juristenzeitschrift zu schreiben, hatte sich zur gleichen Zeit von seiner Geliebten getrennt, die ihm verleidet war. Merkwürdige Analogien verwirren den Anwalt. Die Vorstellung, daß sich beide Frauen im Kur- und Wellnesshotel zufällig getroffen haben könnten, macht ihn nachdenklich. Noch mehr die Tatsache, daß beide Hesse bewunderten, sogar dieselben zwei Zeilen auf einem Zettel mit sich herumtrugen: "Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe / Bereit zum Abschied sein und Neubeginne." Clarin ist ein Zyniker. Die Ehe hält schon von Berufs wegen er für einen Irrweg, für eine pausenlose Zweierpein und glatte Überforderung. Valerie hat er zufällig auf einem Kinderspielplatz kennengelernt. Daß sie scheinbar nur auf gelegentliche erotische Zuwendung aus ist und sonst in geheimnisvoller Distanz bleibt, macht sie in seinen Augen attraktiv: Als sie sich tatsächlich verliebt und sich deswegen von ihrem Mann trennt, ist für ihn das Vergnügen beendet.

Natürlich meint es Markus Werner pädagogisch. Natürlich läßt er exemplarisch zwei Lebenskonzepte aufeinanderprallen. In "Am Hang" zeigt sich der Moralist, ein harscher Verächter des Zeitgeistes und rigoroser Gesellschaftskritiker. Kein Zweifel, daß Werner mit Clarin die Karikatur des oberflächlichen Hedonisten und gewieften Schürzenjägers abliefern will, der auf nichts anderes aus ist als den kurzfristigen Genuß - ein modischer Typus, der seine Geliebten im ungefährlichen Rahmen bewirtschaftet, in Wirklichkeit aber emotional imbezil ist. Dieser Ich-Erzähler steht in Markus Werners Augen für die galoppierende Beziehungsarmut einer neuen Generation, für all die "Würstchen" mit Insuffizienzgefühlen, für die von der "stürmischen Entwicklung in Wissenschaft und Technik" Getriebenen, die dem Erfolg mit hängender Zunge nachrennen, in Wahrheit aber Opfer "eines seelischen Unglücks" von noch nie dagewesenem Ausmaß sind. Schnecken und zu Schnecken Gemachte, unfähig, gegen das versteckte Unglück zu rebellieren. Loos dagegen verkörpert den enttäuschten Linken, dessen Klage über die verlorenen moralischen und kulturellen Normen mit einer subtilen Menschenverachtung zusammentrifft und dessen überholtes Weltbild nur noch mit Selbsttäuschung zementiert werden kann. Deutlichstes Indiz dafür ist, daß er um den Preis einer zentralen Lüge - der lebenslangen Liebe zu einer einzigen Frau - bereit ist, zum erotischen Fossil zu erstarren.

So viel gutgemeinte Moral eines Autors könnte literarisch blitzschnell ins Auge gehen. Diese Gefahr aber umschifft Markus Werner so souverän wie kaum je zuvor. Es gibt in diesem Roman keine Zeigefingerdidaktik, auch keine eindeutigen Meinungsbastionen. Die Verhältnisse sind viel zu widersprüchlich, die Figuren zu zerrissen, als daß man sich an schlichten Rezepten festhalten könnte. Getrieben von einem Verlangen, das sie nicht verstehen, verführt von einer Sehnsucht, deren Ursprung ihnen verschlossen bleibt, und hungrig nach einem ursprünglichen Glücksgefühl, sind Markus Werners Protagonisten alles andere als kaltblütig Agierende. Genau in der Darstellung dieses verborgenen Bruchs demonstriert sich die überlegene Meisterschaft des Autors.

Markus Werner: "Am Hang". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 190 S., geb., 17,90[Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Markus Werner ist einer der ganz Großen. Die Romane dieses Schriftstellers sind Gipfelpunkte der Literatur. Helmut Böttiger, Frankfurter Rundschau

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2004

Wenn sich alles dreht
Markus Werners Roman „Am Hang”
Den Schriftsteller Markus Werner, geboren 1944 in der Schweiz, wohnhaft in Schaffhausen, müssen wir uns als einen Tüftler, Bastler und Erfinder vorstellen. Freilich nicht als einen jener harmlosen Sonderlinge, die untaugliche Flugmaschinen bauen. Eher schon als einen Elektromechaniker, in dessen Apparaturen allerlei Gefahren lauern: nicht selten blinken hier Warnlampen auf, ohne dass etwas passiert, aber dafür ist die Hochspannung auch nicht immer dort, wo vor ihr gewarnt wird. Es ist nicht einmal sicher, ob der Strom eingeschaltet ist.
Seit seinem Erstling, „Zündels Abgang” (1984), versetzt Markus Werner seine Figuren in solche Apparaturen. Sie tragen die Gattungsbezeichnung „Roman” im Titel, ähneln aber in Form und Umfang eher dem, was, ehe die „short story” zum Maßstab wurde, „Erzählung” hieß, und stets eignet ihnen etwas Novellistisches. Markus Werner weiß, wann er der Kippschalter umzulegen, wie er in vertrackten Dialogen den Regler stufenlos hochzufahren, wie er die Stromstöße zu dosieren hat, die eine Figur aus der Bahn werfen.
Sein neuestes Buch, „Am Hang”, spielt in den Bergen, trägt einen Titel, der das Abgründige in Sichtweite hat und baut seine Lebenserschütterungsapparatur im Innern eines Ich-Erzählers auf. Ein junger Anwalt, Thomas Clarin, ist über das Pfingstwochenende in sein Ferienhaus nach Agra im Tessin gefahren, um dort für die Juristen-Zeitung einen Aufsatz über die Geschichte des Scheidungsrechtes in der Schweiz zu verfassen. Aber dazu kommt es nicht. Statt des Aufsatzes schreibt der junge Anwalt die Geschichte seiner Begegnung mit einem seltsamen Zeitgenossen nieder. Von der Ehe und vom Liebesunglück handelt auch dieser Text, nur ist darin der Verfasser, obwohl Junggeselle, nicht in der Rolle des Historikers, sondern des Beteiligten. Er weiß allerdings nicht recht, in welcher Rolle. Darum wird ihm beim Schreiben etwas schwindlig. Die ersten Sätze des Buches lauten: „Alles dreht sich. Und alles dreht sich um ihn.”
So kommt, zunächst namenlos, der seltsame Fremde ins Spiel. Das Buch wird aus nichts anderem bestehen als aus dem rekapitulierenden Bericht des jungen Anwalts über seine Begegnungen mit diesem Fremden, den er zu Beginn des Pfingstwochenendes abends beim Essen auf der Terrasse des Hotels Bellevue im nahen Montagnola kennen gelernt hat. Er ist über die Fünfzig schon ein Stück hinaus, ein schwerer, massiger Mann mit großem Schädel, Dreitagebart und einem Namen, den er erst nach dem ersten Wein verrät: „Loos mit zwei o.” Das ist bei einem Mann wie diesem kein Hinweis auf Lotterie, Zufall oder gar die Leichtfüßigkeit einer Spielernatur. Es ist ein Name, in dem ein altes Schicksalswort erkannt sein will. Denn dies ist eine Begegnung der durchaus unheimlichen Art.
Kleine Kostproben seines Sarkasmus hat Herr Loos - er heißt (oder nennt sich?) übrigens auch Thomas - schon gegeben, ehe er sich vorgestellt hat, etwa in der Freude über die Staumeldungen an Pfingsten oder in der Verachtung für Blicke und Ohren, die „abgerichtet sind aufs Nichtverweilen”. Aber das sind nur sehr kleine Ausschläge in der strikt bipolaren Apparatur, die Markus Werner im Dialog der beiden Protagonisten aufbaut. Der junge Scheidungsanwalt ist ganz das sorglose Kind seiner Zeit, ein Womanizer, der den Laufpass gibt, wenn es ihm zu eng wird, so aufgeklärt, dass er nicht mal mehr weiß, was Pfingsten bedeutet. Sein Beruf hat ihm wie von selbst die Theorie geliefert, die er für seine Plädoyers der Ungebundenheit und begrenzten Verantwortung braucht. Seine Theorie der Ehe ist die des „Irrwegs”, der „Überforderung der menschlichen Natur”. So lebt er hin, von Affäre zu Affäre, und ist der rechte Gegenüber für Herrn Loos, den Altphilologen, der still, aber fest Einspruch erhebt mit dem Satz, ihm sei die Ehe „Heimat gewesen”.
Mit beträchtlicher Virtuosität reizt Markus Werner das Spannungspotential dieser Antipoden aus, des allenfalls episodisch umdüsterten Sonnyboys und des misanthropischen Zeitgeistverächters. Der Dialog der beiden ist ein nicht unkomischer essayistischer Parcours mit den üblichen Verdächtigen der Zeitkritik: dem Fernsehen, dem Handy, den Frauen in phosphoreszierenden Radlerhosen. Es fehlt nicht das Pro und Contra über die moralischen und sexuellen Lockerungsübungen der westlichen Gesellschaften seit den Fünfziger Jahren.
Abwesende Frauen
Aber Markus Werner wäre nicht der Tüftler, der er ist, würde er nicht schon in diesem dialogischen Zeitgeist-Cappriccio, das gelegentlich an die Stücke von Botho Strauß erinnert, den Spannungsregler kontinuierlich hochdrehen. Aus den Exempla treten die Erfahrungen, aus den Irrwegen der Gattung die Verstrickungen der Individuen heraus. Aus der Geschichte der Ehe wird eine fassbare Ehegeschichte, aus dem Plädoyer für die Ungebundenheit die Erzählung vom Ende einer Affäre. Valerie heißt die Frau, von der Clarin erzählt, Bettina hieß die Ehefrau von Herrn Loos, die er verloren hat. Erst mit diesen abwesenden, in der Erzählung allgegenwärtigen Frauen ist die Lebenserschütterungsapparatur in diesem Buch komplett. Erst sie aktivieren das wichtigste Aggregat in dieser Apparatur: die Vergangenheit. Genauer: die Frage, was es mit der Vergangenheit, von der die beiden Männer berichten, auf sich hat und wo sich ihre Vergangenheiten möglicherweise berühren. Der junge Anwalt hat seine zeitweilige Geliebte in eben dem Sanatorium verlassen, in dem sich im selben Zeitraum die Ehefrau von Herrn Loos nach einer schweren Krebserkrankung befand. Die Annäherung der beiden Frauen im Dialog der Männer ist der Kippschalter, den Markus Werner in diesem Buch umlegt, um es in eine Höchstspannung zu treiben, die der eines Kriminalromans ähnelt. Diese Spannung lebt von der Erzeugung eines zunächst vagen, sich aber rasch ausdehnenden Verdachts. Er ist auf das Zentrum gerichtet: Was hatte es mit der Ehe von Herrn Loos, was mit der Affäre des jungen Anwalts auf sich, was ist die Beziehung zwischen beiden.
Der Verdacht ist ein kleiner, leistungsstarker Elektromagnet, der plötzlich alle Dialoge in diesem Buch, alle beiläufigen Sätze und Informationen wie Eisenspäne an sich zieht: spätestens in dem Moment, in dem der junge Anwalt berichtet, dass Herr Loos, der Gesprächspartner der letzten Abende, der Antipode und (eben deshalb) Fast-Freund nicht nur spurlos verschwunden ist, sondern zugleich im Hotel die Gewissheit zurückgelassen hat, dass er gar nicht Loos war, sondern ein anderer, nun wieder Fremder, der sich des Namens Loos allein zu dem Zweck bedient hat, dem jungen Anwalt näherzukommen. Bei Romanen wie diesen ist es für denjenigen, der sie vorstellt, nicht ratsam, der Logik des Verdachtes bis an ihr Ende nachzugehen. Sie leben von ihrer Geheimniskrämerei. Nur soviel sei bei diesem Buch, mit dem man trotz seiner gelegentlichen Überkonstruiertheit ein anregendes Wochenende verbringen kann, verraten: Wie es sich in der Nähe von Montagnola gehört, ist die Rolle des wichtigsten Indizes mit Verszeilen von Hermann Hesse besetzt.
LOTHAR MÜLLER
MARKUS WERNER: Am Hang. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 190 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bis zur letzten Seite hat Rezensentin Pia Reinacher mit den Figuren dieses Romans gelitten, dessen Autor für sie mit diesem Buch erneut seine überlegene Meisterschaft demonstrierte. Das "Unergründliche und gleichzeitig Glasklare" des Wernerschen Erzählstils übt, wie wir lesen, eine magische Anziehung auf die Rezensentin aus. Es geht um zwei Männer, die einander in zwei Nächten ihre Lebens- und Liebesgeschichten erzählen. Dabei lässt Autor Markus Werner der Rezensentin zufolge zwei Lebenskonzepte aufeinanderprallen: das eines Moralisten und das eines Hedonisten und Schürzenjägers. Und es geht um zwei Frauen, die vielleicht nur eine sind. Klar wird das offenbar nie, lässt aber verschiedene Deutungen der Geschichte zu, so Reinacher, die das schön raffiniert findet, auch weil Werner nie zu moralisch wird.

© Perlentaucher Medien GmbH
[...] die Geschichte hat kein Ablaufdatum [...] Film, Sound und Media 20241118