Die Luftwaffenverbände der zumeist osteuropäischen Staaten und Italiens spielten während des Krieges eine größere Rolle, als ihnen die Zeitgeschichtsforschung bisher zubilligt. Zeitweilig wurde ein Viertel aller gegen die Sowjetunion aufgebotenen Maschinen von verbündeten Piloten geflogen! Hans Werner Neulen beschreibt die bisher unbekannte Geschichte der Luftstreitkräfte Italiens, Rumäniens, Ungarns, Bulgariens, Kroatiens, Der Slowakei, Finnlands, Vichy-Frankreichs sowie der ausländischen Piloten der deutschen Luftwaffe, ihre Einsätze, ihre Erfolge und Verluste wie auch die Motivation der Flugzeugführer und ihr oft tragisches Schicksal nach 1945.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.1998Das große Abenteuer des Fliegens
Und das große Chaos des Krieges / Die deutschen Luftstreitkräfte und ihre Verbündeten 1939 bis 1945
Hans Werner Neulen: Am Himmel Europas. Luftstreitkräfte an deutscher Seite 1939-1945. Universitas-Verlag in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 1998. 388 Seiten, 70 Abbildungen, 48,- Mark.
Bücher über den Zweiten Weltkrieg sind im englischen Sprachraum zur Zeit wieder Bestseller. Das berichtet das Londoner Wirtschaftsmagazin "The Economist". In den Vereinigten Staaten und Großbritannien seien es vor allem junge Frauen, die Kriegsromane oder Schilderungen militärischer Ereignisse kauften. Natürlich interessierten sie sich nicht für Panzerschlachten oder Strategie, schreibt der "Economist". Sie wollten wissen, wie die Familien die Bombenangriffe überstanden. Auch über die Überlebenschancen von Kindern in belagerten Städten wie Stalingrad und Berlin wollten sie sich unterrichten: Wo holt man Wasser, wie besorgt man sich Verpflegung, wenn draußen Straßenkämpfe toben?
In Frankreich ist das Kriegsbuch gleichfalls erfolgreich auf dem Büchermarkt. Die nachwachsenden Generationen beschäftigt die Frage, was das für Männer waren, die Siedlungen bombardierten, und was sie dabei dachten. In Deutschland ist das anders. Die Zeit der Kriegsbücher scheint vorbei zu sein. Bei uns sind dubiose Anti-Wehrmacht-Ausstellungen Mode sowie Diffamierungen der Bundeswehr. Verlage, die Kriegsbücher herausgeben, müssen also risikofreudig sein. Und der Universitas-Verlag ist es. Er ist das Wagnis eingegangen, eine umfassende Dokumentation über die Zusammenarbeit der ehemaligen deutschen Luftwaffe mit fremden Streitkräften zu veröffentlichen. Der Autor Hans Werner Neulen hat überwältigend viel Material zusammengetragen. Ein vernachlässigter Abschnitt der Zeitgeschichte wurde aufgearbeitet. Verschüttete Nachrichten, zurückgehaltene Unterlagen, geheime Informationen, die während des Kalten Kriegs nicht freigegeben wurden, sind von ihm jetzt als kriegsgeschichtliche Daten eingeordnet - ohne ideologische Verbrämung. Der Verfasser hat die spröde Wirklichkeit in ein kriegerisches Epos verwandelt -- und dennoch ist sein elegant geschriebenes Kriegsbuch ein Lexikon. Ein spannendes Nachschlagewerk allerdings.
Das hat den Vorteil, daß die Kapitel nicht in der Reihenfolge gelesen werden müssen, die Neulen festlegte. Der Leser kann selbst wählen. Doch sollte er ausgesparte Themen nachlesen. Er bringt sich sonst um manchen Gewinn. Das Buch ist so angelegt, daß die Wehrmacht "nur" den Hintergrund ausfüllt. Den Vordergrund beherrschen die Aktionen der ausländischen Luftstreitkräfte, deren Flieger mit der Luftwaffe zusammenarbeiteten. Die Gesamtdarstellung dieser Kooperation spiegelt die Geschichte eines großen Abenteuers wider: das des Fliegens. Selbstverständlich nehmen Taktik und Operation, Politik und Strategie zentrale Positionen ein. Doch das Kernelement, das die Koalition und die Kollaboration zusammengehalten hat, war die Begeisterung aller für das Fliegen.
Die Generation der Heranwachsenden der dreißiger Jahre fühlte sich der Technik verschwistert. So viele wollten fliegen. Doch verwirklichen konnten sie ihren Traum nur, wenn sie in ihre nationale Luftstreitmacht eintraten. Und sie taten es. Die Freiwilligen der Vorkriegszeit, die keineswegs den Krieg wollten, wurden die Asse des großen Krieges. Als Flugzeugführer und Kopiloten, als Bordschützen oder Funker sahen sie in jedem, der mit ihnen das Abenteuer des Fliegens suchte, den Gleichgesinnten. So ist es trotz mancher Widrigkeiten, nationaler Mißverständnisse und politischer Ungeschicklichkeiten fast immer zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit der deutschen Flieger mit den Ausländern gekommen.
Dabei waren die Deutschen keineswegs vorbildliche Partner. Als stärkste Macht ließen wir unsere Überlegenheit ständig fühlen. Wie in jeder Koalitionsarmee mußten sich die "Kleinen" dem Willen der Großmacht Deutschland fügen. Ob es sich um die strategische Konzeption handelte oder um taktische Grundsatzfragen, die anderen hatten sich nach den Thesen des Oberkommandos der Luftwaffe zu richten. Die Verbündeten erhielten auch nur selten die modernsten Maschinen.
Gewiß, Deutschland mußte oft ausgleichen. Denn die Kriegspartner waren vielfach untereinander zerstritten, sie hatten je eigene Ziele. Die Pariser Vorortverträge provozierten geradezu Spannungen. Doch immer wieder konnten sie beigelegt werden, wenn es darum ging, den "gemeinsamen Feind" zu bekämpfen: die Sowjetunion. Der Antibolschewismus und die Furcht vor dem Riesen Rußland haben lange Zeit die Zusammenarbeit der fremden Luftstreitkräfte mit der Luftwaffe gefestigt.
Das dritte Element, das Einfluß nahm auf die Kamfbereitschaft der verbündeten Flieger, war ihr Patriotismus. Sie blieben, was sie waren: Italiener, Ungarn, Rumänen, Bulgaren, Kroaten, Slowaken. Oder auch Finnen und Letten. Eine besondere Gruppe, die volle fliegerische Solidarität mit der deutschen Luftwaffe verband, waren die Spanier. Sie lebten zwar ganz unter sich, als sie an der Ostfront mit fünf Escuadrillas eingesetzt wurden. 137 Abschüsse gehen auf ihr Konto. Doch festigten sie ihren Ruf, vornehme und zuverlässige Bundesgenossen und vorzügliche, tapfere Piloten zu sein, durch die bedingungslose Bereitschaft zum Kampfeinsatz. Sie waren stolz und hart. Die deutsche Luftwaffe schätzte sie als Kameraden. Die Truppe nannte die Spanier "die fliegenden Hidalgos". Neulen widmet ihnen ein kurzes, bewunderndes eigenes Kapitel.
Auch die Ungarn werden als vorbildliche Partner geschildert. Wohl hat es zwischen Berlin und Budapest ständig offene und verdeckte politische Auseinandersetzungen gegeben. Vor allem Hitler hielt sich nicht zurück. Er beschimpfte die ungarische Regierung, wenn diese verzweifelt neue Flugzeuge anforderte. Immerhin waren die Ungarn mit mehr als fünfhundert Maschinen in den Krieg gegen die Sowjetunion eingetreten. Ihre Luftfahrtindustrie konnte die enormen Verluste an der Ostfront und später die Zerstörungen von Gerät und Flugzeugen durch die angloamerikanischen Terrorangriffe auf Budapest nicht ausgleichen. Auch der "Führer" und Göring dachten vordringlich an die eigene Luftwaffe; die der anderen war eine "quantité négligeable". Und dennoch hielten die Ungarn treu zu den Deutschen. Sie fochten als "Aristokraten der Luft". Die Offiziere, geprägt vom kriegerischen Geist der alten k.u.k. Armee, dachten nicht daran, ihren deutschen Partner im Stich zu lassen. Ihre Ehrauffassung verbot ihnen, als sich der Untergang des nationalsozialistischen Reichs abzeichnete, zu kapitulieren. Sie haben schwer dafür gebüßt. Erst die rote Besatzungstruppe, dann die ungarischen Kommunisten nahmen Rache. Hinrichtungen, Zuchthausstrafen, kollektive Verfolgung der Familien der Piloten und des Bodenpersonals beendeten den Traum der Crews von dem großen Abenteuer des Fliegens.
Verwirrend, ja, unübersichtlich bleibt bei den Untersuchungen von Neulen das Bild über die Qualität der Kroaten als Flieger und Partner. Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens ist 1941 schnell eine kroatische Luftwaffe aufgestellt worden. Sie umfaßte etwa zweihundert Maschinen. Anfangs wurde sie an der Ostfront eingesetzt. Später konzentrierte sie ihre Aktivität auf den Kampf gegen Partisanen im Bereich des Balkans. Das ist weder ihr noch dem deutschen Oberkommando bekommen. Nur widerwillig ließen sich die kroatischen Piloten in den Bürgerkrieg hineinziehen. Fehlende Manneszucht, geringer Kampfgeist, Fahnenflucht kennzeichnen diese Truppe. Wohl haben kroatische Flugzeugführer oft erfolgreiche Einzelleistungen gezeigt. Im nationalen Verband enttäuschten sie. Tragisch war auch meist das Schicksal der fliegenden Deserteure. Waren die Geflüchteten im roten Lager gelandet - bei den Partisanen oder den Russen - , wurden sie "ohne Rücksicht auf persönliche Schuld oder Unschuld" erschossen, erschlagen oder zu Tode gefoltert. "Damit sollte der Unabhängigkeitsgeist in Kroatien ausgelöscht werden."
Es wäre unfair, die Leistungen der anderen "direkten Verbündeten" der Luftwaffe nicht zu erwähnen. Die Rumänen, die Bulgaren und die Slowaken haben sich brav geschlagen. Auch die Finnen sind Elite-Flieger gewesen. Insgesamt flogen an der Ostfront jeweils 980 bis 1000 nichtdeutsche Piloten, einzeln oder im Verband, Jagdflugzeuge, Bomber oder Transportmaschinen. Bedenkt man, daß die Wehrmacht achtzig Prozent ihrer Verluste an fliegendem Personal und Flugzeugen auf den östlichen Kriegsschauplätzen erlitt, haben diese Verbündeten die deutsche Luftwaffe erheblich entlastet.
Der Autor Hans Werner Neulen hat seinem Buch einen anspruchsvollen Titel gegeben: "Am Himmel Europas". Damit glaubte er sich verpflichtet zur absoluten Vollständigkeit. Also erwähnt er, daß auch einzelne Norweger, Dänen, Vichy-Franzosen und Belgier, Esten und die Russen der Wlassow-Armee für die deutsche Luftwaffe flogen. Er listet die erfolgreichen fremden Jagdflieger auf. Sie haben im Kampf gegen die Rote Luftarmee erstaunlich hohe Abschußziffern aufzuweisen. Auch über die Flugzeugproduktion der Verbündeten und die Ausbildung des ausländischen fliegenden Personals wird der Leser unterrichtet.
Und als "Buch im Buch" präsentiert der Verfasser noch einen Essay über die italienische Luftwaffe. Hier bricht er mit alten Klischeevorstellungen. Er stellt fest: Die Italiener waren gute Bundesgenossen. Ihre Flugzeugindustrie war nach Leistung und Qualität herausragend. Die Flugführer gehörten zu den besten der Welt. Italien hat einen erheblichen Anteil am fliegerischen Fortschritt der Menschheit. Was dem faschistischen Italien fehlte, war eine überzeugende strategische Konzeption für die Luftkriegführung. Es gab zwar strategische Denker, doch die Diktatur gab ihnen keine Chance. So endete das große Abenteuer des Fliegens im Chaos.
ADELBERT WEINSTEIN
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Und das große Chaos des Krieges / Die deutschen Luftstreitkräfte und ihre Verbündeten 1939 bis 1945
Hans Werner Neulen: Am Himmel Europas. Luftstreitkräfte an deutscher Seite 1939-1945. Universitas-Verlag in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 1998. 388 Seiten, 70 Abbildungen, 48,- Mark.
Bücher über den Zweiten Weltkrieg sind im englischen Sprachraum zur Zeit wieder Bestseller. Das berichtet das Londoner Wirtschaftsmagazin "The Economist". In den Vereinigten Staaten und Großbritannien seien es vor allem junge Frauen, die Kriegsromane oder Schilderungen militärischer Ereignisse kauften. Natürlich interessierten sie sich nicht für Panzerschlachten oder Strategie, schreibt der "Economist". Sie wollten wissen, wie die Familien die Bombenangriffe überstanden. Auch über die Überlebenschancen von Kindern in belagerten Städten wie Stalingrad und Berlin wollten sie sich unterrichten: Wo holt man Wasser, wie besorgt man sich Verpflegung, wenn draußen Straßenkämpfe toben?
In Frankreich ist das Kriegsbuch gleichfalls erfolgreich auf dem Büchermarkt. Die nachwachsenden Generationen beschäftigt die Frage, was das für Männer waren, die Siedlungen bombardierten, und was sie dabei dachten. In Deutschland ist das anders. Die Zeit der Kriegsbücher scheint vorbei zu sein. Bei uns sind dubiose Anti-Wehrmacht-Ausstellungen Mode sowie Diffamierungen der Bundeswehr. Verlage, die Kriegsbücher herausgeben, müssen also risikofreudig sein. Und der Universitas-Verlag ist es. Er ist das Wagnis eingegangen, eine umfassende Dokumentation über die Zusammenarbeit der ehemaligen deutschen Luftwaffe mit fremden Streitkräften zu veröffentlichen. Der Autor Hans Werner Neulen hat überwältigend viel Material zusammengetragen. Ein vernachlässigter Abschnitt der Zeitgeschichte wurde aufgearbeitet. Verschüttete Nachrichten, zurückgehaltene Unterlagen, geheime Informationen, die während des Kalten Kriegs nicht freigegeben wurden, sind von ihm jetzt als kriegsgeschichtliche Daten eingeordnet - ohne ideologische Verbrämung. Der Verfasser hat die spröde Wirklichkeit in ein kriegerisches Epos verwandelt -- und dennoch ist sein elegant geschriebenes Kriegsbuch ein Lexikon. Ein spannendes Nachschlagewerk allerdings.
Das hat den Vorteil, daß die Kapitel nicht in der Reihenfolge gelesen werden müssen, die Neulen festlegte. Der Leser kann selbst wählen. Doch sollte er ausgesparte Themen nachlesen. Er bringt sich sonst um manchen Gewinn. Das Buch ist so angelegt, daß die Wehrmacht "nur" den Hintergrund ausfüllt. Den Vordergrund beherrschen die Aktionen der ausländischen Luftstreitkräfte, deren Flieger mit der Luftwaffe zusammenarbeiteten. Die Gesamtdarstellung dieser Kooperation spiegelt die Geschichte eines großen Abenteuers wider: das des Fliegens. Selbstverständlich nehmen Taktik und Operation, Politik und Strategie zentrale Positionen ein. Doch das Kernelement, das die Koalition und die Kollaboration zusammengehalten hat, war die Begeisterung aller für das Fliegen.
Die Generation der Heranwachsenden der dreißiger Jahre fühlte sich der Technik verschwistert. So viele wollten fliegen. Doch verwirklichen konnten sie ihren Traum nur, wenn sie in ihre nationale Luftstreitmacht eintraten. Und sie taten es. Die Freiwilligen der Vorkriegszeit, die keineswegs den Krieg wollten, wurden die Asse des großen Krieges. Als Flugzeugführer und Kopiloten, als Bordschützen oder Funker sahen sie in jedem, der mit ihnen das Abenteuer des Fliegens suchte, den Gleichgesinnten. So ist es trotz mancher Widrigkeiten, nationaler Mißverständnisse und politischer Ungeschicklichkeiten fast immer zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit der deutschen Flieger mit den Ausländern gekommen.
Dabei waren die Deutschen keineswegs vorbildliche Partner. Als stärkste Macht ließen wir unsere Überlegenheit ständig fühlen. Wie in jeder Koalitionsarmee mußten sich die "Kleinen" dem Willen der Großmacht Deutschland fügen. Ob es sich um die strategische Konzeption handelte oder um taktische Grundsatzfragen, die anderen hatten sich nach den Thesen des Oberkommandos der Luftwaffe zu richten. Die Verbündeten erhielten auch nur selten die modernsten Maschinen.
Gewiß, Deutschland mußte oft ausgleichen. Denn die Kriegspartner waren vielfach untereinander zerstritten, sie hatten je eigene Ziele. Die Pariser Vorortverträge provozierten geradezu Spannungen. Doch immer wieder konnten sie beigelegt werden, wenn es darum ging, den "gemeinsamen Feind" zu bekämpfen: die Sowjetunion. Der Antibolschewismus und die Furcht vor dem Riesen Rußland haben lange Zeit die Zusammenarbeit der fremden Luftstreitkräfte mit der Luftwaffe gefestigt.
Das dritte Element, das Einfluß nahm auf die Kamfbereitschaft der verbündeten Flieger, war ihr Patriotismus. Sie blieben, was sie waren: Italiener, Ungarn, Rumänen, Bulgaren, Kroaten, Slowaken. Oder auch Finnen und Letten. Eine besondere Gruppe, die volle fliegerische Solidarität mit der deutschen Luftwaffe verband, waren die Spanier. Sie lebten zwar ganz unter sich, als sie an der Ostfront mit fünf Escuadrillas eingesetzt wurden. 137 Abschüsse gehen auf ihr Konto. Doch festigten sie ihren Ruf, vornehme und zuverlässige Bundesgenossen und vorzügliche, tapfere Piloten zu sein, durch die bedingungslose Bereitschaft zum Kampfeinsatz. Sie waren stolz und hart. Die deutsche Luftwaffe schätzte sie als Kameraden. Die Truppe nannte die Spanier "die fliegenden Hidalgos". Neulen widmet ihnen ein kurzes, bewunderndes eigenes Kapitel.
Auch die Ungarn werden als vorbildliche Partner geschildert. Wohl hat es zwischen Berlin und Budapest ständig offene und verdeckte politische Auseinandersetzungen gegeben. Vor allem Hitler hielt sich nicht zurück. Er beschimpfte die ungarische Regierung, wenn diese verzweifelt neue Flugzeuge anforderte. Immerhin waren die Ungarn mit mehr als fünfhundert Maschinen in den Krieg gegen die Sowjetunion eingetreten. Ihre Luftfahrtindustrie konnte die enormen Verluste an der Ostfront und später die Zerstörungen von Gerät und Flugzeugen durch die angloamerikanischen Terrorangriffe auf Budapest nicht ausgleichen. Auch der "Führer" und Göring dachten vordringlich an die eigene Luftwaffe; die der anderen war eine "quantité négligeable". Und dennoch hielten die Ungarn treu zu den Deutschen. Sie fochten als "Aristokraten der Luft". Die Offiziere, geprägt vom kriegerischen Geist der alten k.u.k. Armee, dachten nicht daran, ihren deutschen Partner im Stich zu lassen. Ihre Ehrauffassung verbot ihnen, als sich der Untergang des nationalsozialistischen Reichs abzeichnete, zu kapitulieren. Sie haben schwer dafür gebüßt. Erst die rote Besatzungstruppe, dann die ungarischen Kommunisten nahmen Rache. Hinrichtungen, Zuchthausstrafen, kollektive Verfolgung der Familien der Piloten und des Bodenpersonals beendeten den Traum der Crews von dem großen Abenteuer des Fliegens.
Verwirrend, ja, unübersichtlich bleibt bei den Untersuchungen von Neulen das Bild über die Qualität der Kroaten als Flieger und Partner. Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens ist 1941 schnell eine kroatische Luftwaffe aufgestellt worden. Sie umfaßte etwa zweihundert Maschinen. Anfangs wurde sie an der Ostfront eingesetzt. Später konzentrierte sie ihre Aktivität auf den Kampf gegen Partisanen im Bereich des Balkans. Das ist weder ihr noch dem deutschen Oberkommando bekommen. Nur widerwillig ließen sich die kroatischen Piloten in den Bürgerkrieg hineinziehen. Fehlende Manneszucht, geringer Kampfgeist, Fahnenflucht kennzeichnen diese Truppe. Wohl haben kroatische Flugzeugführer oft erfolgreiche Einzelleistungen gezeigt. Im nationalen Verband enttäuschten sie. Tragisch war auch meist das Schicksal der fliegenden Deserteure. Waren die Geflüchteten im roten Lager gelandet - bei den Partisanen oder den Russen - , wurden sie "ohne Rücksicht auf persönliche Schuld oder Unschuld" erschossen, erschlagen oder zu Tode gefoltert. "Damit sollte der Unabhängigkeitsgeist in Kroatien ausgelöscht werden."
Es wäre unfair, die Leistungen der anderen "direkten Verbündeten" der Luftwaffe nicht zu erwähnen. Die Rumänen, die Bulgaren und die Slowaken haben sich brav geschlagen. Auch die Finnen sind Elite-Flieger gewesen. Insgesamt flogen an der Ostfront jeweils 980 bis 1000 nichtdeutsche Piloten, einzeln oder im Verband, Jagdflugzeuge, Bomber oder Transportmaschinen. Bedenkt man, daß die Wehrmacht achtzig Prozent ihrer Verluste an fliegendem Personal und Flugzeugen auf den östlichen Kriegsschauplätzen erlitt, haben diese Verbündeten die deutsche Luftwaffe erheblich entlastet.
Der Autor Hans Werner Neulen hat seinem Buch einen anspruchsvollen Titel gegeben: "Am Himmel Europas". Damit glaubte er sich verpflichtet zur absoluten Vollständigkeit. Also erwähnt er, daß auch einzelne Norweger, Dänen, Vichy-Franzosen und Belgier, Esten und die Russen der Wlassow-Armee für die deutsche Luftwaffe flogen. Er listet die erfolgreichen fremden Jagdflieger auf. Sie haben im Kampf gegen die Rote Luftarmee erstaunlich hohe Abschußziffern aufzuweisen. Auch über die Flugzeugproduktion der Verbündeten und die Ausbildung des ausländischen fliegenden Personals wird der Leser unterrichtet.
Und als "Buch im Buch" präsentiert der Verfasser noch einen Essay über die italienische Luftwaffe. Hier bricht er mit alten Klischeevorstellungen. Er stellt fest: Die Italiener waren gute Bundesgenossen. Ihre Flugzeugindustrie war nach Leistung und Qualität herausragend. Die Flugführer gehörten zu den besten der Welt. Italien hat einen erheblichen Anteil am fliegerischen Fortschritt der Menschheit. Was dem faschistischen Italien fehlte, war eine überzeugende strategische Konzeption für die Luftkriegführung. Es gab zwar strategische Denker, doch die Diktatur gab ihnen keine Chance. So endete das große Abenteuer des Fliegens im Chaos.
ADELBERT WEINSTEIN
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