»Welche Gnade, dass wir nicht wissen, was uns im Leben erwartet.« Der neue Erfolgsroman von SPIEGEL-Bestsellerautorin und Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Strout .
Elizabeth Strout schreibt die Geschichte von Lucy Barton weiter, ihrer feinsinnigen, von den Härten des Lebens nicht immer verschonten Heldin. Mit ihrem Ex-Mann William sucht sie während des Lockdowns Zuflucht in Maine, in einem alten Haus am Meer. Eine unvergessliche Geschichte über Familie und Freundschaft, die Zerbrechlichkeit unserer Existenz und die Hoffnung, die uns am Leben erhält, selbst wenn die Welt aus den Fugen gerät.
Sie hatte es so wenig kommen sehen wie die meisten. Lucy Barton, erfolgreiche Schriftstellerin und Mutter zweier erwachsener Töchter, erhält im März 2020 einen Anruf von ihrem Ex-Mann - und immer noch besten Freund - William. Er bittet sie, ihren Koffer zu packen und mit ihm New York zu verlassen. In Maine hat er für sie beide ein Küstenhaus gemietet, auf einer abgelegenen Landzunge, weit weg von allem. Nur für ein paar Wochen wollen sie anfangs dort sein. Doch aus Wochen werden Monate, in denen Lucy und William und ihre komplizierte Vergangenheit zusammen sind in dem einsamen Haus am Meer.
Elizabeth Strout schreibt die Geschichte von Lucy Barton weiter, ihrer feinsinnigen, von den Härten des Lebens nicht immer verschonten Heldin. Mit ihrem Ex-Mann William sucht sie während des Lockdowns Zuflucht in Maine, in einem alten Haus am Meer. Eine unvergessliche Geschichte über Familie und Freundschaft, die Zerbrechlichkeit unserer Existenz und die Hoffnung, die uns am Leben erhält, selbst wenn die Welt aus den Fugen gerät.
Sie hatte es so wenig kommen sehen wie die meisten. Lucy Barton, erfolgreiche Schriftstellerin und Mutter zweier erwachsener Töchter, erhält im März 2020 einen Anruf von ihrem Ex-Mann - und immer noch besten Freund - William. Er bittet sie, ihren Koffer zu packen und mit ihm New York zu verlassen. In Maine hat er für sie beide ein Küstenhaus gemietet, auf einer abgelegenen Landzunge, weit weg von allem. Nur für ein paar Wochen wollen sie anfangs dort sein. Doch aus Wochen werden Monate, in denen Lucy und William und ihre komplizierte Vergangenheit zusammen sind in dem einsamen Haus am Meer.
»Elizabeth Strout hat mit 'Am Meer' den zartesten Lockdown-Roman geschrieben, den man sich vorstellen kann.« Bettina Steiner / Die Presse
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Man darf sich nicht vom Plauderton der Ich-Erzählerin Lucy Barton, die man schon aus früheren Büchern kennt, täuschen lassen, warnt Rezensent Christoph Schröder: Unter dem so Dahingesagten lauern "Tod, Krankheit, Verlust und stilles Leid", versichert er. Sie und ihr Ex-Mann sind fast siebzig, als die Corona-Pandemie ausbricht und sie gemeinsam aus New York in ein Haus am Meer ziehen. Ein Corona-Roman ist es trotzdem nicht geworden, meint Schröder. Es geht um allgemeinere Themen - das Alter, den Tod, die Kinder, das von Meinungskämpfen zerrissene Land, in dem sie leben. Was vom Tage übrig blieb, gewissermaßen. Schröder scheint das gern gelesen zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.2024Gehirnnebel im Kopf
Nicht-Wissen als Einsicht: Elizabeth Strout lässt in "Am Meer" ihr vertrautes Personal an ebenso vertrautem Ort auftreten.
Aber in was für unvertrauten Zeiten!
Seit der Großen Pest im vierzehnten Jahrhundert sind wohlhabende Städter, die bei Ausbruch einer Pandemie aufs Land fliehen, literarische Figuren. Sie warten ab und erzählen sich Geschichten. Besonders dann, wenn sie gerne reden oder gar schreiben. So wie Lucy Barton. Sie ist eine der Hauptpersonen im neuen Roman "Am Meer" (im Original "Lucy by the Sea", 2022) der Pulitzer-Preisträgerin und vielfach ausgezeichneten US-Autorin Elizabeth Strout. In den Vereinigten Staaten wie hierzulande ist er gleich nach Erscheinen auf eine der ersten Bestsellerplätze katapultiert worden. Darin treten neben der erfolgreichen Schriftstellerin Barton deren Ex-Mann, der Parasitologe William Gerhardt, und beider Töchter Chrissy und Becka auf.
Im Vorgängerroman "Oh, William" fanden Lucy und William nach Jahrzehnten wieder zueinander, sie nach dem Tod ihres zweiten Mannes, eines Cellisten der New Yorker Philharmoniker, er nach zwei weiteren Scheidungen. Die Handlung von "Am Meer" beginnt im Jahr 2020: "Ich hatte es so wenig kommen sehen wie die meisten. Aber William ist Naturwissenschaftler, er sah es kommen." Und schon ist man in einem Corona-Roman und erliegt dem Sog der Erzählstimme Lucy Bartons, die im normalen Alltag und im Ausnahmezustand eine fabelhafte Menschenbeobachterin ist. Auf Drängen Williams lässt sie in Manhattan alles stehen und liegen und zieht mit ihm in ein Haus auf einem Felsvorsprung in Crosby, Maine, jener fiktionalen Kleinstadt, in der früher oder später fast alle Strout- Figuren aufeinandertreffen.
Hier im Norden ist noch Winter. Lucy findet sich "in einem fremden Land" wieder, ohne Strände, mit Straßen, die im Meer enden, braunen und grauen Klippen, kupferfarbenem Seetang und Tannen bis hinab in den großartigen Ozean. Während die Pandemie andauert, schwindet ihr Zeitgefühl, wird das Leben unwirklich, wabert "Gehirnnebel" durch ihren Kopf. Ist es der Lockdown? Das Alter? Oder die toxische Verfasstheit eines Landes, in dem die Bewohner von Crosby die zugereisten New Yorker beschimpfen, George Floyd von einem Polizisten erstickt wird und der Präsident bald den Sturm aufs Kapitol anordnet? Konfrontiert mit Fernsehbildern, mit Dämonen ihrer bettelarmen Kindheit und existenziellen Problemen der Töchter, sieht Lucy "voller Bangigkeit" Katastrophen heraufziehen. Während William nach einer Krebsoperation endlich seine Halbschwester kennenlernt und mit neuer Energie die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft beforscht.
Es sind die Dinge des Lebens, die Strout beiläufig, mal elliptisch, mal mäandernd, vorüberziehen lässt, gerade so, wie sie in Lucys Wahrnehmung koexistieren, sich herausbilden und wieder auflösen. Abgeschnitten von komfortablen Gewohnheiten, vertraut Lucy auf Williams Sachverstand und die Zuneigung ihres Nachbarn Bob Burgess, mit dem sie am liebsten allein spazieren geht. Erst nach langen Monaten des Corona-Wahnsinns schreibt sie wieder - nicht jedoch Memoirs einer "alten Frau, die mit ihrer ärmlichen Herkunft hausieren geht" oder Romane "über ältere Frauen für ältere Frauen", sondern Geschichten über sozial abgehängte Männer, die bei den Wahlen im November erneut Donald Trump wählen. Und immer deutlicher zeigt sich Lucys geradezu aufdringlich vorgetragenes Nicht-Wissen als eine Form des Skeptizismus, als Einsicht in die Brüchigkeit aller Gewissheiten und in sehr persönliche Wahrheiten, auch die falschen. Als der Impfstoff kommt, reist sie nach New York City, das nach einem Jahr ohne Flugverkehr unter einem makellos blauen Himmel merkwürdig fremd und leer erscheint. Wie früher kauft sie bei Bloomingdale's ein, findet aber den Ausgang nicht mehr, während die Empörung ihrer Töchter über all das Zeug aus Kinderarbeit nachhallt.
Strout setzt den umgangssprachlichen, in der Übersetzung gut getroffenen Tonfall einer Erzählerin ein, die unaufhörlich mit sich selbst und mit anderen redet, "sie redeten und redeten und redeten". Die geteilten Bekenntnisse, Erinnerungen und Anekdoten verbinden Paare, Familien, Freunde und Zufallsbekannte, die "erzählten und erzählten", immer mit Maske natürlich. Den Romanen geben sie ihre verschachtelte, episodische oder serielle Form. Da am Ende alles Geschehen in Crosby zusammenläuft, verflechten sich auch die Lebensstränge von Figuren unterschiedlicher Romane. So wie in Lucy Bartons Quarantäne die ruppige Mathematiklehrerin Olive Kitteridge hineinfunkt, die in jüngeren Jahren ihre eigene Familie drangsalierte, über das Wohlergehen der anderen Bewohner von Crosby wachte und nun, da sie in der Maple-Tree-Residenz betreut wird, noch immer als gute Fee wirkt.
Elizabeth Strout, die in New York City und Maine lebt, muss sich lange in die Bewohner und Besucher von Crosby hineingedacht haben, denn sie weiß um ihre Stärken und Schwächen, Widersprüche und Geheimnisse. Lucy Barton ist schon zum vierten Mal dabei, als Gegenfigur zu Olive Kitteridge, die in einer von Tom Hanks mitproduzierten Kurzserie (2014, HBO) von der starken Frances McDormand verkörpert wird. Die Leserin aber und auch der Leser können hier oder dort andocken und dann mit Lucy das erste Bild eines Films anschauen: eine blaue Fläche, auf der viele Tischtennisbälle durcheinanderrollen, ab und zu einer der Bälle mit einem anderen zusammenstößt und wieder wegspringt. "Mehr geschah nicht, die Bälle rollten nur durcheinander, und manchmal berührten sie sich." Wie Lucy, William, Bob und die anderen. Wer Elizabeth Strout einmal gelesen hat, will weiterlesen. Im Sommer erscheint zuverlässig, wie es sich für Serien gehört, ihr nächster Roman: "Tell Me Everything". WALBURGA HÜLK
Elizabeth Strout: "Am Meer". Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Roth. Luchterhand Literaturverlag,
München 2024.
288 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht-Wissen als Einsicht: Elizabeth Strout lässt in "Am Meer" ihr vertrautes Personal an ebenso vertrautem Ort auftreten.
Aber in was für unvertrauten Zeiten!
Seit der Großen Pest im vierzehnten Jahrhundert sind wohlhabende Städter, die bei Ausbruch einer Pandemie aufs Land fliehen, literarische Figuren. Sie warten ab und erzählen sich Geschichten. Besonders dann, wenn sie gerne reden oder gar schreiben. So wie Lucy Barton. Sie ist eine der Hauptpersonen im neuen Roman "Am Meer" (im Original "Lucy by the Sea", 2022) der Pulitzer-Preisträgerin und vielfach ausgezeichneten US-Autorin Elizabeth Strout. In den Vereinigten Staaten wie hierzulande ist er gleich nach Erscheinen auf eine der ersten Bestsellerplätze katapultiert worden. Darin treten neben der erfolgreichen Schriftstellerin Barton deren Ex-Mann, der Parasitologe William Gerhardt, und beider Töchter Chrissy und Becka auf.
Im Vorgängerroman "Oh, William" fanden Lucy und William nach Jahrzehnten wieder zueinander, sie nach dem Tod ihres zweiten Mannes, eines Cellisten der New Yorker Philharmoniker, er nach zwei weiteren Scheidungen. Die Handlung von "Am Meer" beginnt im Jahr 2020: "Ich hatte es so wenig kommen sehen wie die meisten. Aber William ist Naturwissenschaftler, er sah es kommen." Und schon ist man in einem Corona-Roman und erliegt dem Sog der Erzählstimme Lucy Bartons, die im normalen Alltag und im Ausnahmezustand eine fabelhafte Menschenbeobachterin ist. Auf Drängen Williams lässt sie in Manhattan alles stehen und liegen und zieht mit ihm in ein Haus auf einem Felsvorsprung in Crosby, Maine, jener fiktionalen Kleinstadt, in der früher oder später fast alle Strout- Figuren aufeinandertreffen.
Hier im Norden ist noch Winter. Lucy findet sich "in einem fremden Land" wieder, ohne Strände, mit Straßen, die im Meer enden, braunen und grauen Klippen, kupferfarbenem Seetang und Tannen bis hinab in den großartigen Ozean. Während die Pandemie andauert, schwindet ihr Zeitgefühl, wird das Leben unwirklich, wabert "Gehirnnebel" durch ihren Kopf. Ist es der Lockdown? Das Alter? Oder die toxische Verfasstheit eines Landes, in dem die Bewohner von Crosby die zugereisten New Yorker beschimpfen, George Floyd von einem Polizisten erstickt wird und der Präsident bald den Sturm aufs Kapitol anordnet? Konfrontiert mit Fernsehbildern, mit Dämonen ihrer bettelarmen Kindheit und existenziellen Problemen der Töchter, sieht Lucy "voller Bangigkeit" Katastrophen heraufziehen. Während William nach einer Krebsoperation endlich seine Halbschwester kennenlernt und mit neuer Energie die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft beforscht.
Es sind die Dinge des Lebens, die Strout beiläufig, mal elliptisch, mal mäandernd, vorüberziehen lässt, gerade so, wie sie in Lucys Wahrnehmung koexistieren, sich herausbilden und wieder auflösen. Abgeschnitten von komfortablen Gewohnheiten, vertraut Lucy auf Williams Sachverstand und die Zuneigung ihres Nachbarn Bob Burgess, mit dem sie am liebsten allein spazieren geht. Erst nach langen Monaten des Corona-Wahnsinns schreibt sie wieder - nicht jedoch Memoirs einer "alten Frau, die mit ihrer ärmlichen Herkunft hausieren geht" oder Romane "über ältere Frauen für ältere Frauen", sondern Geschichten über sozial abgehängte Männer, die bei den Wahlen im November erneut Donald Trump wählen. Und immer deutlicher zeigt sich Lucys geradezu aufdringlich vorgetragenes Nicht-Wissen als eine Form des Skeptizismus, als Einsicht in die Brüchigkeit aller Gewissheiten und in sehr persönliche Wahrheiten, auch die falschen. Als der Impfstoff kommt, reist sie nach New York City, das nach einem Jahr ohne Flugverkehr unter einem makellos blauen Himmel merkwürdig fremd und leer erscheint. Wie früher kauft sie bei Bloomingdale's ein, findet aber den Ausgang nicht mehr, während die Empörung ihrer Töchter über all das Zeug aus Kinderarbeit nachhallt.
Strout setzt den umgangssprachlichen, in der Übersetzung gut getroffenen Tonfall einer Erzählerin ein, die unaufhörlich mit sich selbst und mit anderen redet, "sie redeten und redeten und redeten". Die geteilten Bekenntnisse, Erinnerungen und Anekdoten verbinden Paare, Familien, Freunde und Zufallsbekannte, die "erzählten und erzählten", immer mit Maske natürlich. Den Romanen geben sie ihre verschachtelte, episodische oder serielle Form. Da am Ende alles Geschehen in Crosby zusammenläuft, verflechten sich auch die Lebensstränge von Figuren unterschiedlicher Romane. So wie in Lucy Bartons Quarantäne die ruppige Mathematiklehrerin Olive Kitteridge hineinfunkt, die in jüngeren Jahren ihre eigene Familie drangsalierte, über das Wohlergehen der anderen Bewohner von Crosby wachte und nun, da sie in der Maple-Tree-Residenz betreut wird, noch immer als gute Fee wirkt.
Elizabeth Strout, die in New York City und Maine lebt, muss sich lange in die Bewohner und Besucher von Crosby hineingedacht haben, denn sie weiß um ihre Stärken und Schwächen, Widersprüche und Geheimnisse. Lucy Barton ist schon zum vierten Mal dabei, als Gegenfigur zu Olive Kitteridge, die in einer von Tom Hanks mitproduzierten Kurzserie (2014, HBO) von der starken Frances McDormand verkörpert wird. Die Leserin aber und auch der Leser können hier oder dort andocken und dann mit Lucy das erste Bild eines Films anschauen: eine blaue Fläche, auf der viele Tischtennisbälle durcheinanderrollen, ab und zu einer der Bälle mit einem anderen zusammenstößt und wieder wegspringt. "Mehr geschah nicht, die Bälle rollten nur durcheinander, und manchmal berührten sie sich." Wie Lucy, William, Bob und die anderen. Wer Elizabeth Strout einmal gelesen hat, will weiterlesen. Im Sommer erscheint zuverlässig, wie es sich für Serien gehört, ihr nächster Roman: "Tell Me Everything". WALBURGA HÜLK
Elizabeth Strout: "Am Meer". Roman.
Aus dem Englischen von Sabine Roth. Luchterhand Literaturverlag,
München 2024.
288 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main