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Medikamententests ohne Rücksicht auf Verluste. Die amerikanische Journalistin Sonia Shah deckt die skrupellosen Machenschaften der weltweiten Pharmaindustrie auf. Hervorragend recherchiert und ohne zu polemisieren, beleuchtet die Autorin die dunkle Seite des Gesundheitsmarktes. Um Geld zu sparen, werden die erforderlichen Testreihen in Ländern der Dritten Welt durchgeführt. Die Testpatienten sind ahnungslos oder werden nur unzureichend informiert, und die Behörden vor Ort drücken für Zuwendungen der Pharmafirmen beide Augen zu. Jeder Tag zählt bei der Einführung von neuen Medikamenten und nur…mehr

Produktbeschreibung
Medikamententests ohne Rücksicht auf Verluste. Die amerikanische Journalistin Sonia Shah deckt die skrupellosen Machenschaften der weltweiten Pharmaindustrie auf. Hervorragend recherchiert und ohne zu polemisieren, beleuchtet die Autorin die dunkle Seite des Gesundheitsmarktes. Um Geld zu sparen, werden die erforderlichen Testreihen in Ländern der Dritten Welt durchgeführt. Die Testpatienten sind ahnungslos oder werden nur unzureichend informiert, und die Behörden vor Ort drücken für Zuwendungen der Pharmafirmen beide Augen zu. Jeder Tag zählt bei der Einführung von neuen Medikamenten und nur wer schnell seine Zulassung bekommt, kann sich auf dem Markt behaupten. Am Menschen getestet! nimmt auch die Aktivitäten der deutschen Pharmaunternehmen in Dritte-Welt-Staaten kritisch unter die Lupe.
Autorenporträt
Sonia Shah verkörpert den Prototyp der investigativen Journalistin. Sie ist Autorin des Erfolgstitels »Crude: The Story of Oil«. Sie lebt in Boston, Massachusetts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2008

An den Pranger gestellt
Altbekannte Fälle: Die Pharmaindustrie testet ihre neuen Medikamente an den Ärmsten der Welt

John Le Carré ist kein schlechter Fürsprecher. Schon gar nicht, wenn er die Autorin in seinem Vorwort dafür rühmt, sich wie zuvor kein anderer auf "eine Konfrontation mit den Pharmariesen" eingelassen zu haben. Doch wirklich neu ist so gut wie nichts an Sonia Shahs Buch. Und das war auch schon bei der "amerikanischen" Erstveröffentlichung 2006 so. Die Fälle, die sie anführt, um zu belegen, "wie die Pharmaindustrie die Ärmsten der Welt für Medikamententests missbraucht", sind altbekannt. Sie hat sie überwiegend aus anderen Veröffentlichungen zusammengetragen. Außerdem wäre anlässlich der Übersetzung jetzt eine Aktualisierung vonnöten gewesen.

Was die Journalistin Shah eigentlich will, ist beim ersten Blick ins Buch klar: Sie möchte die Pharmaindustrie an den Pranger stellen. Dabei verurteilt sie sogar einige Grundprinzipien der Forschung. Jedes neue Medikament muss nach internationalem Standard eine mehrstufige Prüfung bestehen, die klinische Tests miteinschließt. Die Wirksamkeit eines Mittels wird dabei durch Placebos überprüft, was man durchaus ethisch hinterfragen kann: Einem schwerkranken Kind einen neuen Impfstoff zu verabreichen, einem anderen Kind ihn jedoch vorzuenthalten, nur um sicherzugehen, dass die Vakzine die gewünschte Wirkung zeigt, scheint unmenschlich. Doch wenn die Vakzine nicht wirkt? Es kann ja auch sein, dass das geimpfte Kind an der Behandlung mit dem unbekannten, bislang kaum am Menschen getesteten Impfstoff stirbt. Placebokontrollierte Studien müssen darum stets ethisch vertretbar sein, was sie leider nicht immer sind. Doch gibt es Alternativen? Die Autorin zeigt keine auf, schreibt aber zugleich über Medikamente wie Contergan, die auf den Markt gebracht wurden, ohne genügend getestet worden zu sein, und das, wie sie unterstellt, aus Profitgier.

Frau Shah verurteilt die Praxis der Pharmaindustrie, neue Medikamente zunehmend in der Dritten Welt zu testen. Dort also, wo man Kosten sparen kann und - angeblich - so gut wie niemand Fragen über Sinn oder Unsinn einer wissenschaftlichen Studie stellt. Dass es noch einen wichtigen Grund gibt, die Mittel an den Ärmsten der Welt zu testen, unterschlägt die Autorin immerhin nicht in ihrem Buch, auch wenn sie die Begründung nicht recht gelten lassen will: Man müsse "skifahren, wo es Schnee gibt", zitiert Frau Shah aus der Broschüre eines Pharmaunternehmens. Es meint nichts anderes, als dass nur dort klinisch geforscht werden kann, wo es genügend Patienten gibt.

Wie verwerflich placebokontrollierte Studien nach Meinung von Sonia Shah sein können, versucht sie anhand des Wirkstoffs Nitazoxanid zu zeigen. Er hilft gegen Kryptosporidiose, eine parasitäre Darmerkrankung, von der immungeschwächte Patienten betroffen sein können. Um den Nutzen des Wirkstoffs gegen die weitverbreiteten Durchfallkeime zu testen, ging das amerikanische Unternehmen Romark Laboratories auch nach Lusaka in Sambia. An der Studie nahmen 100 HIV-infizierte Kinder freiwillig teil. Ein Teil bekam Nitazoxanid, der Wirkstoff rettete vielen von ihnen das Leben. Ein anderer Teil erhielt nur ein Placebo, mehrere Kinder starben. Und das, schreibt Sonia Shah, obwohl es zu diesem Zeitpunkt schon antiretrovirale Medikamente zur Behandlung von Aids gab. Sie helfen der Immunabwehr des Körpers, der somit die Kryptosporidien selbst bekämpfen kann. Ein weiteres Medikament für Aidspatienten sei demnach so unnötig wie die Studie in Lusaka gewesen, schreibt die Autorin und verschweigt, dass auch mehr als ein Jahrzehnt nach Entwicklung der antiretroviralen Medikamente noch immer nur etwa jeder dritte Aidskranke auf der Welt mit ihnen behandelt wird.

PETER-PHILIPP SCHMITT

Sonia Shah: Am Menschen getestet! Wie die Pharmaindustrie die Ärmsten der Welt für Medikamententests missbraucht. Verlag Redline Wirtschaft, München 2008. 304 S., 24,90 [Euro].

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