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Noch immer - über 50 Jahre nach dem Ende des 'Dritten Reiches' - müssen die Zeugen Jehovas, ähnlich wie Sinti und Roma oder Homosexuelle, im Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit als 'vergessene Opfergruppe' gelten. Erst in jüngster Zeit wenden sich vermehrt Historiker und KZ-Gedenkstätten dem Thema und dieser Häftlingsgruppe zu, die in den Konzentrationslagern mit einem eigenen, dem 'lila Winkel', gekennnzeichnet und stigmatisiert wurden. Der Sammelband faßt in 22 Beiträgen von 19 Autoren das facettenreiche Bild der Verfolgung und des Widerstandes der Zeugen Jehovas zusammen. Zugleich…mehr

Produktbeschreibung
Noch immer - über 50 Jahre nach dem Ende des 'Dritten Reiches' - müssen die Zeugen Jehovas, ähnlich wie Sinti und Roma oder Homosexuelle, im Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit als 'vergessene Opfergruppe' gelten. Erst in jüngster Zeit wenden sich vermehrt Historiker und KZ-Gedenkstätten dem Thema und dieser Häftlingsgruppe zu, die in den Konzentrationslagern mit einem eigenen, dem 'lila Winkel', gekennnzeichnet und stigmatisiert wurden.
Der Sammelband faßt in 22 Beiträgen von 19 Autoren das facettenreiche Bild der Verfolgung und des Widerstandes der Zeugen Jehovas zusammen. Zugleich werden die neuesten Forschungsergebnisse über diese Häftlingsgruppe in den KZ Wewelsburg, Sachsenhausen und Moringen vorgelegt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Verfolgung der weiblichen Mitglieder der Zeugen Jehovas, die unter den Insassinnen der Frauenkonzentrationslager bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs mitunter die größte Häftlingsgruppe stellten. Zwei zusätzliche Beiträge befassen sich erstmals mit der bislang weitestgehend unbekannten Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas in der DDR. Etwa 120 - zum überwiegenden Teil erstmals veröffentlichte - Dokumente und Fotos runden den umfangreichen Band ab.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.1999

Opfer-Randgruppe
Die Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus

Hans Hesse (Herausgeber): "Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas". Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Edition Temmen, Bremen 1998. 448 Seiten, 120 Fotos und Dokumente, 48,- Mark.

Die Zeugen Jehovas, die als KZ-Häftlinge einen lila Winkel an der Kleidung tragen mussten, waren die Einzigen, die "das Ende ihrer Haft mit Bestimmtheit durch eigenes Handeln" hätten herbeiführen können, wie Hans Marsálek 1995 in seiner Dokumentation über Mauthausen schrieb. Es genügte, ein Revers zu unterschreiben, in dem sie ihrem Glauben abschworen. Auch der neunundzwanzigjährige August Dickmann, der 1937 ins KZ Sachsenhausen eingeliefert worden war, hatte die Wahl. Zwei Jahre später legte man ihm den Wehrpass vor: eine zweite "Chance". Vor den Augen der angetretenen Häftlinge wurde Dickmann am 15. September 1939 erschossen.

Viele ähnliche Schicksale beschreibt der jetzt von Hans Hesse herausgegebene Sammelband über Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bereits weil sie den Hitlergruß nicht erwiderten, gerieten sie in die Mühlen der Gestapo. Sie verweigerten den Eid auf "Führer und Staat", den Wehr- und Arbeitsdienst. Ihr Glaube verpflichtete sie zur Missionierung. Doch die Gespräche an der Haustür und das Verteilen ihrer Erbauungsliteratur galt seit dem 1933 erlassenen Verbot der Bibelforschervereinigung als staatsfeindliche Untergrundarbeit. Zehntausend der 25 000 Anhänger der Glaubensgemeinschaft wurden für kurze oder längere Zeit eingesperrt, 1200 kamen in den Konzentrationslagern um.

Als sich die Historiker endlich auch ihrer Geschichte zuwandten, stießen sie bei der Wachturm-Gesellschaft, der Organisation der Bibelforscher, auf unzugängliche Archive. Erst als die Watch Tower Society 1996 mit der Videodokumentation "Standhaft trotz Verfolgung" an die Öffentlichkeit ging, wurde auf Ausstellungen und Tagungen das Schicksal der Zeugen Jehovas im "Dritten Reich" umfassend thematisiert. Die meisten der im ersten Teil des Sammelbandes veröffentlichten 16 Beiträge entstanden als Referate in dieser Zeit. Doch wurden für das Buch weitere Forschungen in Auftrag gegeben, unter anderem auch zur Verfolgung der Zeugen Jehovas in der DDR. 1950 war ihre Organisation dort wieder verboten worden. Mindestens fünfzig von fünftausend zeitweilig Festgenommenen, die als "Spione" einer "aufbaufeindlichen Sekte" galten, starben in Ulbrichts Gefängnissen. Alle waren bereits unter Hitler eingesperrt gewesen.

So informativ der erste Teil des Bandes ist, so interessant ist die im zweiten Teil dokumentierte Kontroverse um die Geschichtsschreibung, wie sie der von der Wachturm-Gesellschaft produzierte Film auslöste. Umstritten war besonders der Berliner Kongress vom Juni 1933, auf dem die versammelten 5000 Zeugen Jehovas einen Brief an Hitler sowie eine Resolution verabschiedet hatten, in der es hieß: "Anstatt dass unsere Schriften und unsere Tätigkeit die Grundsätze der nationalen Regierung gefährden, werden in ihnen diese hohen Ideale sehr unterstützt." Das Wirken der "Handelsjuden des Britisch-Amerikanischen Weltreiches" und die gegen Deutschland gerichtete "Greuelpropaganda" amerikanischer "Geschäftsjuden" hatten sie öffentlich beklagt. Johannes Wrobel, Mitarbeiter der Wachturm-Gesellschaft, versucht in seiner Textanalyse zu erklären, dass die Verwendung dieser Begriffe weder "ein Anzeichen für Antisemitismus" war, noch sei damit "dem NS-Sprachgebrauch Rechnung getragen worden". Dietrich Hellmund sieht in ihr einen Kompromissversuch "mit dem Ziel, Koexistenz zu ermöglichen".

SIEGFRIED STADLER

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