Friedo Lampe: Am Rande der Nacht. RomanErstdruck: Berlin, Rowohlt, 1934. Neuauflage 1950 unter dem Titel »Ratten und Schwäne«, Hamburg, Claassen Verlag, 1950.Neuausgabe, herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2023.Der Text dieser Ausgabe wurde behutsam an die neue deutsche Rechtschreibung angepasst.Umschlagabbildung: Caspar David Friedrich, Schwäne im Schilf, um 1820Gesetzt aus der Minion Pro, 11 pt.Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag Henricus - Edition Deutsche Klassik GmbH, Berlin
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2000Die Magie des Dunkels
Friedo Lampes Erstling „Am Rande der Nacht” ohne Streichungen
Seine Geschichte ist vom Unglück gerahmt. Als Friedo Lampe 1933 mit dem Roman Am Ende der Nacht debütierte, geriet er sofort ins Verdachtsfeld der Nazis und nach vier Wochen war das Buch verboten. Wenige Tage vor der Kapitulation wurde der 46-Jährige, der in Folge Abmagerung seinem Passbild nicht mehr ähnlich sah, von Rotarmisten in Kleinmachnow erschossen. Sie haben in ihm absurderweise einen verkappten SS-Mann vermutet. Dazwischen ein bescheidenes Dasein im bürgerlichen Bezirk: Studium, Bibliothekar, Verlagslektor. Mit seinen Büchern hat er sich viel Zeit gelassen; zwei schmale Romane und ein Erzählungsband, das macht schon fast das Werk aus. So einer bringt alles mit, um vergessen zu werden, wozu man sich vielleicht ebenso eignen muss wie zum Rampenlicht: eine gewisse Unverwendbarkeit gehört dazu. Entdeckt und wieder vergessen in der Nachkriegszeit – das hat sich in gleichmütigem Wechsel mehrmals wiederholt.
Lampes Unbrauchbarkeit nennt sich, wenn man sie auf einen Begriff spannen will: magischer Realismus. Er war nach 1945 mit Ernst Kreuder, Elisabeth Langgässer und Hermann Kasack zum Beispiel kurze Zeit auf dem Tapet, wurde jedoch zu Gunsten der Pathos- und Ausnüchterungsformel vom „Kahlschlag” (Wolfgang Weyrauch) abgedrängt, bliebe eine ungenutzte Möglichkeit. Friedo Lampes Erstling ist gewiss eines der herausragenden Beispiele dafür.
Eine Hafenstadt (unschwer als Bremen zu erkennen) ist die Drehbühne des Romans: rund 30 Figuren, in Paaren auftretend und wieder verschwindend, bewegen sich zwischen Fluss und Häusern, Wall, Park, im Traum, im Varieté, auf einem Dampfer, treten vor und zurück wie einzelne Motive einer selbstvergessenen Musik. Vom Abenddämmer bis Mitternacht erstreckt sich das Panorama einer fließenden Zeit, das Dunkel hüllt die Figuren ein und treibt ihr Verborgenes nach außen. Die Nacht entwickelt geradezu die Figuren, belichtet sie grell und träumerisch, taucht sie in kindliche Romantik, fügt Pastelltöne der Melancholie hinzu, offenbart ihre lasziven Triebgewissheiten. Die Nacht ist der eigentliche Held in diesem Roman, der nichts auf einen Einzelnen konzentriert, der einem synchronoptischen Fächer gleicht.
Friedo Lampe setzt seine Figuren scheinbar auf die größtmögliche Oberfläche: Kinder, die Ratten beobachten, während Schwäne die Elegants spielen; ein Kapitän, der seinen Steward peinigt; ein Studentenpaar, das zu einer Schiffsreise aufbricht; zwei Ringer, die einander attackieren; ein Mann und eine Hure, ein alter und ein junger Mann, der Lehrer mit seinen Söhnen. Und so fort. Das treibt, verschiedene Leitmotive streifend, fast träumerisch unbewusst vor sich hin, mäandert durch das Dunkel und oft doch einem artifiziellen Programm. Selten hat ein Debütant sein formales Kalkül so sorgsam versteckt wie Friedo Lampe. Im Raunen des Dunkels, im Rauschen des Wassers, im Nirwana des Alltags, im Parlando der Gleichgültigkeit arbeitet ein hochbewusster Regisseur. Die Technik des Films macht sich bemerkbar in weich geblendeten Szenen, die Drastik einiger homosexueller Sadomasobilder ist von träumerischen Passagen gebrochen. Dieser Tanz um eine leere Mitte hat als Motto zwei Zeilen Hofmannsthals: „Viele Geschicke weben neben dem meinen, / Durcheinander spielt sie alle das Dasein. ”
Dieser Erstling war in seinem Sensualismus wie in seinem Kunstverstand eine miniaturhafte Ausgeburt der Moderne. Ein seiner Mittel höchst bewusster junger Zauberer trat hervor, ordnete seine Figuren zu einem artistischen Ballett, hat, was er als Goethes Programm ansah, die „Welt in einen Geheimniszustand gehoben”. Man muss Johannes Graf, dem Autor des sorgsamen Nachworts, nicht folgen, wenn er diesen magischen Realismus als „deutsche Spielart des Surrealismus” übertreibt. solche Dimension hat der kleine Roman gewiss nicht. Aber er ist doch ein Indiz, mit wie viel Talenten eine junge Generation in den dreißiger Jahren aufgebrochen, ins Abseits gedrängt, in die innere Emigration geraten und nach einer denkbar kurzen Nachkriegsspanne vollends ihrer Wirkung beraubt worden ist. Die Nazis verboten das Buch wegen seiner offen geäußerten Homosexualität und nach dem Krieg wurden die „Stellen” gestrichen. Die Prüderie der fünfziger Jahre hat die gleiche Zensur geübt. Erst mit dieser Neuausgabe hat der Roman Am Rande der Nacht wieder seine authentische Textgestalt erhalten. Die schmale Hinterlassenschaft von Friedo Lampe enthält eine kunstgewisse Sicherheit und Eleganz, die von keiner Vergänglichkeit bisher erodiert worden ist.
WILFRIED F. SCHOELLER
FRIEDO LAMPE: Am Rande der Nacht. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 1999. 198 Seiten, 36 Mark.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Friedo Lampes Erstling „Am Rande der Nacht” ohne Streichungen
Seine Geschichte ist vom Unglück gerahmt. Als Friedo Lampe 1933 mit dem Roman Am Ende der Nacht debütierte, geriet er sofort ins Verdachtsfeld der Nazis und nach vier Wochen war das Buch verboten. Wenige Tage vor der Kapitulation wurde der 46-Jährige, der in Folge Abmagerung seinem Passbild nicht mehr ähnlich sah, von Rotarmisten in Kleinmachnow erschossen. Sie haben in ihm absurderweise einen verkappten SS-Mann vermutet. Dazwischen ein bescheidenes Dasein im bürgerlichen Bezirk: Studium, Bibliothekar, Verlagslektor. Mit seinen Büchern hat er sich viel Zeit gelassen; zwei schmale Romane und ein Erzählungsband, das macht schon fast das Werk aus. So einer bringt alles mit, um vergessen zu werden, wozu man sich vielleicht ebenso eignen muss wie zum Rampenlicht: eine gewisse Unverwendbarkeit gehört dazu. Entdeckt und wieder vergessen in der Nachkriegszeit – das hat sich in gleichmütigem Wechsel mehrmals wiederholt.
Lampes Unbrauchbarkeit nennt sich, wenn man sie auf einen Begriff spannen will: magischer Realismus. Er war nach 1945 mit Ernst Kreuder, Elisabeth Langgässer und Hermann Kasack zum Beispiel kurze Zeit auf dem Tapet, wurde jedoch zu Gunsten der Pathos- und Ausnüchterungsformel vom „Kahlschlag” (Wolfgang Weyrauch) abgedrängt, bliebe eine ungenutzte Möglichkeit. Friedo Lampes Erstling ist gewiss eines der herausragenden Beispiele dafür.
Eine Hafenstadt (unschwer als Bremen zu erkennen) ist die Drehbühne des Romans: rund 30 Figuren, in Paaren auftretend und wieder verschwindend, bewegen sich zwischen Fluss und Häusern, Wall, Park, im Traum, im Varieté, auf einem Dampfer, treten vor und zurück wie einzelne Motive einer selbstvergessenen Musik. Vom Abenddämmer bis Mitternacht erstreckt sich das Panorama einer fließenden Zeit, das Dunkel hüllt die Figuren ein und treibt ihr Verborgenes nach außen. Die Nacht entwickelt geradezu die Figuren, belichtet sie grell und träumerisch, taucht sie in kindliche Romantik, fügt Pastelltöne der Melancholie hinzu, offenbart ihre lasziven Triebgewissheiten. Die Nacht ist der eigentliche Held in diesem Roman, der nichts auf einen Einzelnen konzentriert, der einem synchronoptischen Fächer gleicht.
Friedo Lampe setzt seine Figuren scheinbar auf die größtmögliche Oberfläche: Kinder, die Ratten beobachten, während Schwäne die Elegants spielen; ein Kapitän, der seinen Steward peinigt; ein Studentenpaar, das zu einer Schiffsreise aufbricht; zwei Ringer, die einander attackieren; ein Mann und eine Hure, ein alter und ein junger Mann, der Lehrer mit seinen Söhnen. Und so fort. Das treibt, verschiedene Leitmotive streifend, fast träumerisch unbewusst vor sich hin, mäandert durch das Dunkel und oft doch einem artifiziellen Programm. Selten hat ein Debütant sein formales Kalkül so sorgsam versteckt wie Friedo Lampe. Im Raunen des Dunkels, im Rauschen des Wassers, im Nirwana des Alltags, im Parlando der Gleichgültigkeit arbeitet ein hochbewusster Regisseur. Die Technik des Films macht sich bemerkbar in weich geblendeten Szenen, die Drastik einiger homosexueller Sadomasobilder ist von träumerischen Passagen gebrochen. Dieser Tanz um eine leere Mitte hat als Motto zwei Zeilen Hofmannsthals: „Viele Geschicke weben neben dem meinen, / Durcheinander spielt sie alle das Dasein. ”
Dieser Erstling war in seinem Sensualismus wie in seinem Kunstverstand eine miniaturhafte Ausgeburt der Moderne. Ein seiner Mittel höchst bewusster junger Zauberer trat hervor, ordnete seine Figuren zu einem artistischen Ballett, hat, was er als Goethes Programm ansah, die „Welt in einen Geheimniszustand gehoben”. Man muss Johannes Graf, dem Autor des sorgsamen Nachworts, nicht folgen, wenn er diesen magischen Realismus als „deutsche Spielart des Surrealismus” übertreibt. solche Dimension hat der kleine Roman gewiss nicht. Aber er ist doch ein Indiz, mit wie viel Talenten eine junge Generation in den dreißiger Jahren aufgebrochen, ins Abseits gedrängt, in die innere Emigration geraten und nach einer denkbar kurzen Nachkriegsspanne vollends ihrer Wirkung beraubt worden ist. Die Nazis verboten das Buch wegen seiner offen geäußerten Homosexualität und nach dem Krieg wurden die „Stellen” gestrichen. Die Prüderie der fünfziger Jahre hat die gleiche Zensur geübt. Erst mit dieser Neuausgabe hat der Roman Am Rande der Nacht wieder seine authentische Textgestalt erhalten. Die schmale Hinterlassenschaft von Friedo Lampe enthält eine kunstgewisse Sicherheit und Eleganz, die von keiner Vergänglichkeit bisher erodiert worden ist.
WILFRIED F. SCHOELLER
FRIEDO LAMPE: Am Rande der Nacht. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 1999. 198 Seiten, 36 Mark.
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"Friedo Lampe schrieb dichterische Prosa, Sätze voller Schwermut, zart und kräftig zugleich in Geschichten, die vom ersten Wort an die Spannung des Unheimlichen hatten, auch wenn sich Unheimliches in ihnen gar nicht ereignete. Sie waren bürgerliche Welt, diese Geschichten, aber auf magische Weise durchschaute bürgerliche Welt (...). Es ist kein umfangreiches, aber ein wichtiges, vollendetes, nobles, noch unausgeschöpftes Oeuvre, voll von Lesefreuden, ein Lehrbuch für junge Schriftsteller, und ich glaube, es zählt zum Bleibenden der deutschen Literatur." (Wolfgang Koeppen) "Hier soll, mit Worten, ein kleiner Gedenkstein errichtet werden für einen Erzähler, der ein dauerhafteres Monument verdient. Dieses freilich müßte ihm seine Vaterstadt Bremen setzen, doch darf man zweifeln, daß sie dergleichen im Sinne habe. Die hansischen Städte sind spröde, sie feiern ihre verlorenen Söhne nicht oder nur widerstrebend, und ein Künstler ist immer ein verlorener Sohn. Ihn, Friedo Lampe, halb zu vergessen, aber wäre eine Unachtsamkeit, die nicht statthaft ist, und eine Geschichte der neueren deutschen Literatur, die ihn mit drei Zeilen abtut, ermangelt der richtigen Wertsetzung." (Kurt Kusenberg) "Im Jahre 1933 erschien sein Roman "Am Rande der Nacht", ich las ihn damals mit großer Anteilnahme, denn es waren auch dann schon deutsche Prosadichtungen von solcher Qualität sehr selten (...). Und was damals (...) so schön und stark ansprach, ist nicht verblaßt und hat standgehalten, es bewährt sich aufs schönste und fesselt und entzückt wie einst, man ist dankbar für die Mehrzahl der hinzugekommenen kleineren Dichtungen, und einige davon, vor allem "Septembergewitter", ergänzen und verstärken den Eindruck (...). Ich werde diesen Band, für den der Verleger gepriesen sei, allen meinen Freunden empfehlen." (Hermann Hesse)