Ein Dorf am Rande der Wüste gerät durch eine aussergewöhnliche Trockeneriode in Bedrängnis. Die Vorräte erschöpft, die Menschen verzweifelt, bleibt nur noch eins: die Jagd. Obwohl der Tierbestand seit dem Aufkommen moderner Waffen bereits drastisch reduziert worden ist, fahren die Männer des Dorfes zur Jagd in die Wüste. Mehr noch: Sie veranstalten Jagdausflüge mit Gästen aus der Stadt. Nach langen Diskussionen erklärt sich der knorrige Aussenseiter Assâf, der erfahrenste und umsichtigste Jäger der Gegend, bereit, eine Gruppe zu begleiten. Die Safari endet in einer Katastrophe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2001Die lange Nacht der Rebhuhnjagd
Abdalrachman Munif redet uns freundlich ins Gewissen
Taiba ist ein Dorf am Rande der Wüste, über das sich die Dürre wie die Pest auszubreiten droht. Der arabische Schriftsteller Abdalrachman Munif hat es zum Zentrum eines Buches gemacht. Er schildert Menschen, die sich nicht mehr an die Hitze gewöhnen müssen und auch nicht an den Tod. Und er erzählt uns von Assâf, dem Sonderling, dem Jäger und tragischen Helden des Buches, das kein Roman ist, auch wenn der Verlag es noch so oft auf den Umschlag druckt.
Assâf ist die Hauptfigur der ersten, längeren Erzählung. Die folgenden vierzehn Geschichten, Fabeln, Anekdoten und Legenden werden dann ihm zu Ehren, in der "längsten Nacht in der Geschichte des Dorfes", während der Totenwache erzählt. Die angehängten Geschichten sind dabei ebenso Kommentar wie Zeugnis oraler Erzähltradition.
"Am Rande der Wüste" hat Munif schon im Jahr 1978 geschrieben. Daraus erklärt sich auch der mythisch-pathetische Tonfall des Buches, der das ökologische Ungleichgewicht der Welt in Worte faßt und einen Abgesang auf die Einheit von Mensch und Natur formuliert. Heute würde vermutlich auch Munif einen sarkastischeren Ton anschlagen. "Am Rande der Wüste" ist das dritte Buch von ihm, das ins Deutsche übersetzt wurde. Vorangegangen waren "Östlich des Mittelmeers", eine literarische Abrechnung mit arabischen Repressionsstaaten, und "Geschichte einer Stadt", Munifs autobiographische Schilderung einer Kindheit in der jordanischen Hauptstadt Amman.
In "Am Rande der Wüste" gilt Munifs Augenmerk einer einzigen Figur: Assâf. Ihn lernen wir als widerborstigen Außenseiter des Dorfes kennen. Ein undurchsichtiger, eigenbrötlerischer und geheimnisumwitterter Mann, von den Menschen im Dorf verlacht und verspottet, aber insgeheim gefürchtet und geachtet. Da Assâf nicht am Dorfleben teilnimmt und zudem nicht verheiratet ist, konnte er sich all die Jahre nur auf eines konzentrieren: auf die Jagd. Er perfektionierte den Umgang mit dem Gewehr wie kein anderer, und dies in merkwürdiger Übereinstimmung mit den Tieren selbst. Nun soll er den anderen helfen, sie auf die Rebhuhnjagd begleiten, um das Hungerleiden der Dorfbevölkerung wenigstens etwas zu lindern. Der Jagdausflug steht im Zentrum der ersten Erzählung, an deren Ende Assâf schon nicht mehr lebt. Ein Wüstensturm beendet die Jagd.
Leider zerfällt das Buch in disparate Teile. Während die erste, lange Geschichte durchaus noch als dicht erzählte Novelle durchgeht, verkümmern die angehängten Geschichten zu bloßem Zierat. Allesamt sind sie hübsch kurz geraten, aber was erzählt wird, ist hausbacken didaktisch. Doch ohnehin ist es nicht der Inhalt der Geschichten, der für das Buch einnehmen könnte. Bemerkenswert ist der Erzählton. Sehr konzentriert und eigentümlich leise vertraut uns der allwissende Erzähler die unerhörte Begebenheit in der Wüste an. Sanft und samten klingt dabei seine Stimme, ein freundlicher Tonfall zieht sich über die Seiten, und immer scheint es, als beruhige hier ein Erwachsener eine nervöse Kinderschar mit Geschichten.
An einen Lehrer erinnert auch der Gestus, in dem der Erzähler seinen Zuhörern so manches Mal ins Gewissen redet, sie in der Manier orientalischer Geschichtenerzähler belehrt - über das Leben, die Menschen, die Natur und die Tiere. "Was sich in Taiba ändern muß, ebenso wie an jedem anderen Ort der Welt, das ist der Mensch", heißt es in dem Buch. Was soll man dazu noch sagen?
SHIRIN SOJITRAWALLA
Abdalrachman Munif: "Am Rande der Wüste". Roman. Aus dem Arabischen von Petra Becker. Lenos Verlag, Basel 2000. 204 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Abdalrachman Munif redet uns freundlich ins Gewissen
Taiba ist ein Dorf am Rande der Wüste, über das sich die Dürre wie die Pest auszubreiten droht. Der arabische Schriftsteller Abdalrachman Munif hat es zum Zentrum eines Buches gemacht. Er schildert Menschen, die sich nicht mehr an die Hitze gewöhnen müssen und auch nicht an den Tod. Und er erzählt uns von Assâf, dem Sonderling, dem Jäger und tragischen Helden des Buches, das kein Roman ist, auch wenn der Verlag es noch so oft auf den Umschlag druckt.
Assâf ist die Hauptfigur der ersten, längeren Erzählung. Die folgenden vierzehn Geschichten, Fabeln, Anekdoten und Legenden werden dann ihm zu Ehren, in der "längsten Nacht in der Geschichte des Dorfes", während der Totenwache erzählt. Die angehängten Geschichten sind dabei ebenso Kommentar wie Zeugnis oraler Erzähltradition.
"Am Rande der Wüste" hat Munif schon im Jahr 1978 geschrieben. Daraus erklärt sich auch der mythisch-pathetische Tonfall des Buches, der das ökologische Ungleichgewicht der Welt in Worte faßt und einen Abgesang auf die Einheit von Mensch und Natur formuliert. Heute würde vermutlich auch Munif einen sarkastischeren Ton anschlagen. "Am Rande der Wüste" ist das dritte Buch von ihm, das ins Deutsche übersetzt wurde. Vorangegangen waren "Östlich des Mittelmeers", eine literarische Abrechnung mit arabischen Repressionsstaaten, und "Geschichte einer Stadt", Munifs autobiographische Schilderung einer Kindheit in der jordanischen Hauptstadt Amman.
In "Am Rande der Wüste" gilt Munifs Augenmerk einer einzigen Figur: Assâf. Ihn lernen wir als widerborstigen Außenseiter des Dorfes kennen. Ein undurchsichtiger, eigenbrötlerischer und geheimnisumwitterter Mann, von den Menschen im Dorf verlacht und verspottet, aber insgeheim gefürchtet und geachtet. Da Assâf nicht am Dorfleben teilnimmt und zudem nicht verheiratet ist, konnte er sich all die Jahre nur auf eines konzentrieren: auf die Jagd. Er perfektionierte den Umgang mit dem Gewehr wie kein anderer, und dies in merkwürdiger Übereinstimmung mit den Tieren selbst. Nun soll er den anderen helfen, sie auf die Rebhuhnjagd begleiten, um das Hungerleiden der Dorfbevölkerung wenigstens etwas zu lindern. Der Jagdausflug steht im Zentrum der ersten Erzählung, an deren Ende Assâf schon nicht mehr lebt. Ein Wüstensturm beendet die Jagd.
Leider zerfällt das Buch in disparate Teile. Während die erste, lange Geschichte durchaus noch als dicht erzählte Novelle durchgeht, verkümmern die angehängten Geschichten zu bloßem Zierat. Allesamt sind sie hübsch kurz geraten, aber was erzählt wird, ist hausbacken didaktisch. Doch ohnehin ist es nicht der Inhalt der Geschichten, der für das Buch einnehmen könnte. Bemerkenswert ist der Erzählton. Sehr konzentriert und eigentümlich leise vertraut uns der allwissende Erzähler die unerhörte Begebenheit in der Wüste an. Sanft und samten klingt dabei seine Stimme, ein freundlicher Tonfall zieht sich über die Seiten, und immer scheint es, als beruhige hier ein Erwachsener eine nervöse Kinderschar mit Geschichten.
An einen Lehrer erinnert auch der Gestus, in dem der Erzähler seinen Zuhörern so manches Mal ins Gewissen redet, sie in der Manier orientalischer Geschichtenerzähler belehrt - über das Leben, die Menschen, die Natur und die Tiere. "Was sich in Taiba ändern muß, ebenso wie an jedem anderen Ort der Welt, das ist der Mensch", heißt es in dem Buch. Was soll man dazu noch sagen?
SHIRIN SOJITRAWALLA
Abdalrachman Munif: "Am Rande der Wüste". Roman. Aus dem Arabischen von Petra Becker. Lenos Verlag, Basel 2000. 204 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
So ganz rund findet Shirin Sojitrawalla den Roman von Abdalrachman Munif nicht. Das Buch funktioniert ihrer Meinung nach nicht als Ganzes, sondern zerfällt "in disparate Teile", und die Geschichten, die der Autor erzählt, sind auch noch "hausbacken didaktisch". Das erklärt die Rezensentin teilweise mit dem Umstand, dass das Buch schon 1978 erschien und Munif darin beklagt, dass Mensch und Natur aus dem Lot geraten sind, dass sich ein Ungleichgewicht eingeschlichen hat. Diesem Thema würde sich der Autor heute rhetorisch anders nähern, vermutet die Rezensentin, aber damals wählte er einen "mythisch-pathetischen Tonfall". Trotzdem kann sie seinem Erzählton einiges abgewinnen, ihr gefällt der vertraute, "freundliche Tonfall", mit dem er über die Wüste erzählt. Es kommt ihr vor, "als beruhige hier ein Erwachsener eine nervöse Kinderschar mit Geschichten".
© Perlentaucher Medien GmbH
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'Die Geschichte ist nicht nur kritisch gegenüber zerstörerischem Eingreifen in die Natur, sie ist auch zivilisations- und herrschaftskritisch.' (Neue Luzerner Zeitung)