Kritiker des Staates Israel und seiner Siedlungspolitik geraten schnell unter den Verdacht des Antisemitismus - so auch die prominente jüdische Philosophin Judith Butler. In ihrem erstmals 2012 erschienenen Buch geht Butler der Frage nach, wie eine Kritik am Zionismus aus dem Judentum selbst heraus möglich, ja ethisch sogar zwingend ist. In einer eindringlichen Auseinandersetzung mit Hannah Arendt, Emmanuel Lévinas, Walter Benjamin, Primo Levi und den Palästinensern Edward Said und Mahmoud Darwish entwickelt sie eine jüdische Ethik, die sich gegen die von Israel ausgeübte und vom Zionismus legitimierte staatliche Gewalt sowie Israels Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen wendet. Diese Ethik steht ein für die Rechte der Unterdrückten, für die Anerkennung des Anderen und die Infragestellung der jüdischen Souveränität als alleinigem Bezugsrahmen der israelischen Staatsraison. Aus der Erfahrung von Diaspora und Pluralität heraus plädiert Butler für einen Staat, in dem Israelis und Palästinenser, Juden und Nichtjuden gleichberechtigt zusammenleben.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Gewinnbringendes Potenzial hat dieses im Original bereits 2012 erschienene Buch von Judith Butler laut Katrin Meyer genug. Hier und da hätte sich die Rezensentin zwar eine Zuspitzung der Überlegungen gewünscht. Im Ganzen aber scheint ihr Butlers Versuch einer ethischen Perspektive auf den israelisch-palästinensischen Konflikt gelungen. Streitbar bleibt laut Rezensentin zwar Butlers Stellungnahme gegen den Zionismus und Israels Siedlungspolitik, die die Autorin im Buch mit Stimmen von Hannah Arendt oder Edward Said untermauert, doch scheint Meyer Butlers Ansatz immer vor allem als einer der Logik der Gerechtigkeit verpflichteter. Das ist allerdings auch der Grund, warum die Rezensentin Butlers Argumentation für wenig praktikabel hält. Allzu radikal hebe sie auf die Schwächung jüdischer Souveränität ab. Dass und wie die Autorin in ihrem Buch auf die Kritik an dieser Haltung eingeht, hält Meyer für bemerkenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.02.2014Identität und
Zerrissenheit
Judith Butlers antizionistische
Definition des Jüdischen
Mit diesem Buch wird die Kritik an der Verleihung des Adorno-Preises 2013 an Judith Butler wohl endgültig ins Leere laufen. Das heiße Eisen, das die neben Martha Nussbaum prominenteste Philosophin für globale Gerechtigkeit hier anrührt, besteht in dem Nachweis, dass man aus Solidarität mit den Wurzeln des Judentums zu einer Kritik am Zionismus kommen kann – und muss. Das Terrain, auf dem dabei zu operieren ist, ist ein Minenfeld, da mit einem harten Kern zu rechnen ist, der den Zionismus noch immer für eine hinreichende Legitimation für die Vertreibung der Palästinenser vom Boden des israelischen Staates hält und die hinter jeder Kritik an dieser Legitimation eine antisemitische Haltung vermutet.
Butler eröffnet dagegen einen Diskurs, der nicht polemisch gehalten ist und für dessen Durchführung sie weit ausholt. Unter Einsatz von – ausdrücklich zu Zwecken der politischen Philosophie „umformulierten“ – jüdischen Quellen wie auch unter Berufung auf einige ihrer eminenten Ausleger wie Walter Benjamin oder Emanuel Lèvinas, trägt sie Argumente dafür zusammen, dass eine Opposition gegen den Zionismus nicht allein „den Bruch mit einem exklusiv jüdischen Denkrahmen der Ethik sowie der Politik“ verlangt, sondern dass solche Opposition überhaupt erst plausibel ist, wenn sich der aggressive Zionismus de facto als unjüdisch erweist.
Jüdische Werte, erklärt sie, könnten als solche nur Geltung bewahren, „wenn sie nicht ausschließlich jüdische Werte sind“. Butler sucht deshalb nach einer jüdischen Identität außerhalb des Exklusivitätsdogmas, auf dessen Geltungsanspruch die Politik des Staates Israel ungebrochen beruht. Ihre hegelianische Schulung erleichtert es ihr, Schlüsselbegriffe wie „Zerstreuung“ oder „Alterität“ bewusst doppeldeutig einzusetzen: Zerstreuung sei verstanden als Widerspruch zum Ideal einer homogenen Identität – Zerstreuung, wie sie nicht nur im Faktum der Diaspora ihren Niederschlag gefunden hat, sondern wie sie bekanntlich sowohl historisch als auch definitorisch den Anfang der Geschichte Israels ausmacht. Faktum est Fatum. „Jüdischsein“ gilt Butler als „anti-identitäres Projekt“: „Jude sein impliziert die Aufnahme einer ethischen Beziehung zum Nicht-Juden“ heißt es in erkennbarer Anlehnung an den Sprachgebrauch von Lèvinas.
Die historisch belegte Spannung zwischen Identität und Zerrissenheit habe dem Judentum eine Dynamik verliehen, die Exklusivitätsansprüche von Grund auf dementiert und „Identitätsverschiebungen“ positiv zu bewerten nötigt. Koexistenz, auch in der paradoxen Gestalt von „Binationalität“, sei ein Postulat, dem sich „das Jüdischsein“ nicht entziehen darf: „Daher muss am Anfang jedes Koexistenzprojektes die Demontage des politischen Zionismus stehen.“ Diese Schlussfolgerung betrifft natürlich unmittelbar die Frage nach der Rolle der Religion, für deren Definition sich die Autorin auf den marxistischen Philosophen Étienne Balibar als Gewährsmann beruft: Religion sei das „Unübersetzbare“. In eigenwilliger Auslegung dieser These deutet Butler Religion als das kulturelle Element, das durch permanente Nötigung zu interkultureller Übersetzung „fortgeschrieben, disseminiert und verwandelt“ wird.
Was liegt da näher, als – mit Edward Said – daran zu erinnern, dass der eigentliche Gründer der jüdischen Religion ein Ägypter war, dass also „eines der zentralen Gründungsmomente des Judentums, die Übergabe des Gesetzes an das Volk, sich um eine Figur zentriert, die gar keinen gelebten Unterschied zwischen Araber und Jude kennt.“ So weit, so klar – eine antizionistische Definition des Jüdischen wird auf diese Weise unmittelbar mit einer Historisierung der religiösen Grundlagen politischer Identität verknüpft. Am Ende deuten sich dem Leser sogar die Konturen eines inklusiven „Jüdischseins“ an, in dem – in Gestalt einer zeitgemäßen „Republique des Lettres“ – so unterschiedliche Autoren wie Lévinas, Said und Balibar zu einer Bewegung vereint werden.
Dass ein solches Buch, das die Betroffenheit der Autorin nie verhehlt, in prophetisch anmutenden Andeutungen endet, überrascht deswegen nicht. Wem das zu vage ist, der sei auf die bewegende Würdigung verwiesen, die Butler den Erfahrungen des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi im Umgang mit dem real existierenden Israel zukommen lässt. Die Würdigung kulminiert in dem Zitat aus einem Artikel, den Levi 1982 als Protest gegen die Besetzung des Libanon durch israelische Truppen veröffentlichte: „Jeder ist der Jude von irgendjemandem. Und heute sind die Palästinenser die Juden der Israelis“. Niemand wagte es, dem Autor 1987 die Verleihung des Antonio-Feltrinelli-Preises wegen dieser Worte streitig zu machen.
ENNO RUDOLPH
„Jude sein impliziert die
Aufnahme einer ethischen
Beziehung zum Nicht-Juden.“
Judith Butler:
Am Scheideweg. Judentum und die Kritik am Zionismus. Aus dem Englischen von Reiner Ansén. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2013. 278 Seiten, 29,80 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zerrissenheit
Judith Butlers antizionistische
Definition des Jüdischen
Mit diesem Buch wird die Kritik an der Verleihung des Adorno-Preises 2013 an Judith Butler wohl endgültig ins Leere laufen. Das heiße Eisen, das die neben Martha Nussbaum prominenteste Philosophin für globale Gerechtigkeit hier anrührt, besteht in dem Nachweis, dass man aus Solidarität mit den Wurzeln des Judentums zu einer Kritik am Zionismus kommen kann – und muss. Das Terrain, auf dem dabei zu operieren ist, ist ein Minenfeld, da mit einem harten Kern zu rechnen ist, der den Zionismus noch immer für eine hinreichende Legitimation für die Vertreibung der Palästinenser vom Boden des israelischen Staates hält und die hinter jeder Kritik an dieser Legitimation eine antisemitische Haltung vermutet.
Butler eröffnet dagegen einen Diskurs, der nicht polemisch gehalten ist und für dessen Durchführung sie weit ausholt. Unter Einsatz von – ausdrücklich zu Zwecken der politischen Philosophie „umformulierten“ – jüdischen Quellen wie auch unter Berufung auf einige ihrer eminenten Ausleger wie Walter Benjamin oder Emanuel Lèvinas, trägt sie Argumente dafür zusammen, dass eine Opposition gegen den Zionismus nicht allein „den Bruch mit einem exklusiv jüdischen Denkrahmen der Ethik sowie der Politik“ verlangt, sondern dass solche Opposition überhaupt erst plausibel ist, wenn sich der aggressive Zionismus de facto als unjüdisch erweist.
Jüdische Werte, erklärt sie, könnten als solche nur Geltung bewahren, „wenn sie nicht ausschließlich jüdische Werte sind“. Butler sucht deshalb nach einer jüdischen Identität außerhalb des Exklusivitätsdogmas, auf dessen Geltungsanspruch die Politik des Staates Israel ungebrochen beruht. Ihre hegelianische Schulung erleichtert es ihr, Schlüsselbegriffe wie „Zerstreuung“ oder „Alterität“ bewusst doppeldeutig einzusetzen: Zerstreuung sei verstanden als Widerspruch zum Ideal einer homogenen Identität – Zerstreuung, wie sie nicht nur im Faktum der Diaspora ihren Niederschlag gefunden hat, sondern wie sie bekanntlich sowohl historisch als auch definitorisch den Anfang der Geschichte Israels ausmacht. Faktum est Fatum. „Jüdischsein“ gilt Butler als „anti-identitäres Projekt“: „Jude sein impliziert die Aufnahme einer ethischen Beziehung zum Nicht-Juden“ heißt es in erkennbarer Anlehnung an den Sprachgebrauch von Lèvinas.
Die historisch belegte Spannung zwischen Identität und Zerrissenheit habe dem Judentum eine Dynamik verliehen, die Exklusivitätsansprüche von Grund auf dementiert und „Identitätsverschiebungen“ positiv zu bewerten nötigt. Koexistenz, auch in der paradoxen Gestalt von „Binationalität“, sei ein Postulat, dem sich „das Jüdischsein“ nicht entziehen darf: „Daher muss am Anfang jedes Koexistenzprojektes die Demontage des politischen Zionismus stehen.“ Diese Schlussfolgerung betrifft natürlich unmittelbar die Frage nach der Rolle der Religion, für deren Definition sich die Autorin auf den marxistischen Philosophen Étienne Balibar als Gewährsmann beruft: Religion sei das „Unübersetzbare“. In eigenwilliger Auslegung dieser These deutet Butler Religion als das kulturelle Element, das durch permanente Nötigung zu interkultureller Übersetzung „fortgeschrieben, disseminiert und verwandelt“ wird.
Was liegt da näher, als – mit Edward Said – daran zu erinnern, dass der eigentliche Gründer der jüdischen Religion ein Ägypter war, dass also „eines der zentralen Gründungsmomente des Judentums, die Übergabe des Gesetzes an das Volk, sich um eine Figur zentriert, die gar keinen gelebten Unterschied zwischen Araber und Jude kennt.“ So weit, so klar – eine antizionistische Definition des Jüdischen wird auf diese Weise unmittelbar mit einer Historisierung der religiösen Grundlagen politischer Identität verknüpft. Am Ende deuten sich dem Leser sogar die Konturen eines inklusiven „Jüdischseins“ an, in dem – in Gestalt einer zeitgemäßen „Republique des Lettres“ – so unterschiedliche Autoren wie Lévinas, Said und Balibar zu einer Bewegung vereint werden.
Dass ein solches Buch, das die Betroffenheit der Autorin nie verhehlt, in prophetisch anmutenden Andeutungen endet, überrascht deswegen nicht. Wem das zu vage ist, der sei auf die bewegende Würdigung verwiesen, die Butler den Erfahrungen des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi im Umgang mit dem real existierenden Israel zukommen lässt. Die Würdigung kulminiert in dem Zitat aus einem Artikel, den Levi 1982 als Protest gegen die Besetzung des Libanon durch israelische Truppen veröffentlichte: „Jeder ist der Jude von irgendjemandem. Und heute sind die Palästinenser die Juden der Israelis“. Niemand wagte es, dem Autor 1987 die Verleihung des Antonio-Feltrinelli-Preises wegen dieser Worte streitig zu machen.
ENNO RUDOLPH
„Jude sein impliziert die
Aufnahme einer ethischen
Beziehung zum Nicht-Juden.“
Judith Butler:
Am Scheideweg. Judentum und die Kritik am Zionismus. Aus dem Englischen von Reiner Ansén. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2013. 278 Seiten, 29,80 Euro.
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"Mit diesem Buch wird die Kritik an der Verleihung des Adorno-Preises 2013 an Judith Butler wohl endgültig ins Leere laufen.", Süddeutsche Zeitung, 12.02.2014