Es ist Winter, als Saída ankommt. Sie kommt mit ihrem Koffer und ohne ein Wort. Das Mädchen, das ihre Freundin werden will, beginnt zu suchen. Überall forscht sie nach Saídas Wörtern, sie sucht unter Tischen und zwischen Buntstiften, in Manteltaschen und Heften. Erst als sie versteht, dass Saída ihre Sprache nicht verloren hat, sondern mit ihren Wörtern in diesem frenden Land nichts anfangen kann, beginnen die Mädchen mit dem Tauschen: fremde Wörter gegen eigene, neue Laute gegen vertraute, Schriftzeichen, die wie Blumen aussehen, gegen Buchstaben aus Balken und Kreisen. Über diesem Hin und Her vergeht der Winter und als die Mandelbäume blühen, sind sie Freundinnen, jede reicher durch die Welt der anderen.Dieses Bilderbuch erzählt poetisch und mit Bildern wie aus einer Traumwelt von der Begegnung zweier Kinder aus verschiedenen Kulturen, die forschend und spielend Fremdes zu Eigenem machen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.04.2016Buchstaben wie
Schmetterlinge
Die magische Suche nach
der Sprache als wunderschöne
Freundschaftsgeschichte
VON REGINA RIEPE
Kulturelle Grenzen überwinden, das können im Moment wohl am besten die Kinder. Wie beglückend es sein kann, mit jemandem auf eine Entdeckungsreise in die unterschiedlichen Kulturen zu gehen, davon erzählt dieses poetische Bilderbuch. Auf der ersten Seite begegnen die jungen Leser Saída, einem dunkelhaarigen, unendlich traurigen Mädchen, das mitten im Winter bei uns angekommen ist und scheinbar die Sprache verloren hat. So sieht es jedenfalls die Ich-Erzählerin des Buches, die gerne Saídas Freundin sein möchte. Deshalb macht sie sich auf die Suche nach den Wörtern. Sie schaut in der Manteltasche des Lehrers nach, im Maul des großen Wasserspeiers im Park oder unter den Bänken. Auf stimmungsvollen Illustrationen sehen wir, wie sie sucht und nichts findet. Also behelfen sich die beiden mit Gesten der Freundschaft und zarten Bildern im Schnee.
Zauberhafte Gestalten bevölkern diese Geschichte: eine Mutter, die gerne im Nebel träumt, einen schnauzbärtigen Lehrer, Flusspferd und Kamel, als Schattenbild an die Wand geworfen oder als Reittier für die beiden Mädchen. Die Lösung des Rätsels von Saídas Sprachlosigkeit ist ganz einfach: Sie kommt aus Marokko, dort spricht man Arabisch. „In Marokko könntest du mit deiner Sprache auch nichts anfangen!“, erklärt der Vater. So machen sich die beiden Mädchen daran, die Wörter der anderen zu lernen. Probieren, wie das arabische CH ausgesprochen wird oder das deutsche F. Brot heißt „chubz“ und die dazugehörigen arabischen Buchstaben sehen aus wie Schmetterlinge. Wörter in allen Formen, Klängen und Größen, Zungen, die sich verhaken und Buchstaben, die zwischen den Zähnen stecken bleiben – das alles können die jungen Leser mit Saída und ihrer Freundin miterleben.
Die Illustrationen sind voller Wörter – auf Deutsch, Arabisch und in einer Lautsprache geschrieben, damit jeder auch Flusspferd oder Nebel, Regenbogen oder Pelikan in Arabisch nachsprechen kann. Auf einer Wäscheleine flattern Wörter herum, auf einer Blumenwiese wachsen sie, begleitet vom Lachen der beiden Freundinnen, die sich zu Hause bei Couscous oder einer Linsensuppe treffen. Und irgendwann einmal auf einem fliegenden Teppich in Saídas Heimat reisen wollen, zu Palmen, Kamelen und Wüsten. Die Menschen zum Sprechen und zum Lachen bringen, Freundschaften schließen und andere Kulturen neugierig kennenlernen, darum geht es in diesem wundervollen Bilderbuch. Mit leichter Hand geschrieben und fantasievoll – magisch illustriert, baut es Brücken zu all den Kindern, die fremd in die Klasse und den Kindergarten kommen. Es macht Spaß, darin zu lesen, die Bilder anzuschauen, Wörter nachzusprechen und sich kaputtzulachen, wenn es nicht sofort gelingt. Wie wohltuend zwischen all den Diskussionen über Fluchtursachen und Integrationsproblemen! (ab 5 Jahre)
Susana Gómez Redondo: Am Tag, als Saída zu uns kam. Mit Illustrationen von Sonja Wimmer. Aus dem Spanischen von Catalina Rojas Hauser. Hammer 2016. 32 Seiten, 15,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Schmetterlinge
Die magische Suche nach
der Sprache als wunderschöne
Freundschaftsgeschichte
VON REGINA RIEPE
Kulturelle Grenzen überwinden, das können im Moment wohl am besten die Kinder. Wie beglückend es sein kann, mit jemandem auf eine Entdeckungsreise in die unterschiedlichen Kulturen zu gehen, davon erzählt dieses poetische Bilderbuch. Auf der ersten Seite begegnen die jungen Leser Saída, einem dunkelhaarigen, unendlich traurigen Mädchen, das mitten im Winter bei uns angekommen ist und scheinbar die Sprache verloren hat. So sieht es jedenfalls die Ich-Erzählerin des Buches, die gerne Saídas Freundin sein möchte. Deshalb macht sie sich auf die Suche nach den Wörtern. Sie schaut in der Manteltasche des Lehrers nach, im Maul des großen Wasserspeiers im Park oder unter den Bänken. Auf stimmungsvollen Illustrationen sehen wir, wie sie sucht und nichts findet. Also behelfen sich die beiden mit Gesten der Freundschaft und zarten Bildern im Schnee.
Zauberhafte Gestalten bevölkern diese Geschichte: eine Mutter, die gerne im Nebel träumt, einen schnauzbärtigen Lehrer, Flusspferd und Kamel, als Schattenbild an die Wand geworfen oder als Reittier für die beiden Mädchen. Die Lösung des Rätsels von Saídas Sprachlosigkeit ist ganz einfach: Sie kommt aus Marokko, dort spricht man Arabisch. „In Marokko könntest du mit deiner Sprache auch nichts anfangen!“, erklärt der Vater. So machen sich die beiden Mädchen daran, die Wörter der anderen zu lernen. Probieren, wie das arabische CH ausgesprochen wird oder das deutsche F. Brot heißt „chubz“ und die dazugehörigen arabischen Buchstaben sehen aus wie Schmetterlinge. Wörter in allen Formen, Klängen und Größen, Zungen, die sich verhaken und Buchstaben, die zwischen den Zähnen stecken bleiben – das alles können die jungen Leser mit Saída und ihrer Freundin miterleben.
Die Illustrationen sind voller Wörter – auf Deutsch, Arabisch und in einer Lautsprache geschrieben, damit jeder auch Flusspferd oder Nebel, Regenbogen oder Pelikan in Arabisch nachsprechen kann. Auf einer Wäscheleine flattern Wörter herum, auf einer Blumenwiese wachsen sie, begleitet vom Lachen der beiden Freundinnen, die sich zu Hause bei Couscous oder einer Linsensuppe treffen. Und irgendwann einmal auf einem fliegenden Teppich in Saídas Heimat reisen wollen, zu Palmen, Kamelen und Wüsten. Die Menschen zum Sprechen und zum Lachen bringen, Freundschaften schließen und andere Kulturen neugierig kennenlernen, darum geht es in diesem wundervollen Bilderbuch. Mit leichter Hand geschrieben und fantasievoll – magisch illustriert, baut es Brücken zu all den Kindern, die fremd in die Klasse und den Kindergarten kommen. Es macht Spaß, darin zu lesen, die Bilder anzuschauen, Wörter nachzusprechen und sich kaputtzulachen, wenn es nicht sofort gelingt. Wie wohltuend zwischen all den Diskussionen über Fluchtursachen und Integrationsproblemen! (ab 5 Jahre)
Susana Gómez Redondo: Am Tag, als Saída zu uns kam. Mit Illustrationen von Sonja Wimmer. Aus dem Spanischen von Catalina Rojas Hauser. Hammer 2016. 32 Seiten, 15,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Susana Gómez Redondo erinnert mit ihrem Bilderbuch "Am Tag, als Saída zu uns kam" daran, dass es auch im eigenen Land eine Freude sein kann, andere Kulturen kennen zu lernen, erklärt Regina Riepe. Anfangs kann sich die Ich-Erzählerin kaum mit Saída verständigen, weil diese aus Marokko kommt und Arabisch spricht, aber mit Bildern, Händen und Füßen bringen die beiden einander schnell Wörter aus ihrer jeweiligen Sprache bei, die immer auch in arabischer Schrift und Lautschrift abgedruckt sind, fasst die Rezensentin zusammen. Angesichts all der gegenwärtigen Debatten ist dieses Buch eine echte Wohltat, findet Riepe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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