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Die Studie untersucht das suizidale Denken aus kulturwissenschaftlicher Perspektive und mündet in der heutigen Kontroverse um Beihilfe zur Selbsttötung.Um das humane Privileg der Selbsttötung entbrennt in jüngster Zeit erneut eine vielstimmige Diskussion. Die ethische Kernfrage, ob das suizidale Denken wirklich autonom erfolgen kann und ob die Mediziner in Grenzsituationen des Lebens Beihilfe zur Selbsttötung leisten dürfen, verfolgt die transdisziplinär angelegte Studie: zuerst an klassischen Texten der Philosophie, anschließend anhand der soziologischen und psychiatrischen Suizidforschung,…mehr

Produktbeschreibung
Die Studie untersucht das suizidale Denken aus kulturwissenschaftlicher Perspektive und mündet in der heutigen Kontroverse um Beihilfe zur Selbsttötung.Um das humane Privileg der Selbsttötung entbrennt in jüngster Zeit erneut eine vielstimmige Diskussion. Die ethische Kernfrage, ob das suizidale Denken wirklich autonom erfolgen kann und ob die Mediziner in Grenzsituationen des Lebens Beihilfe zur Selbsttötung leisten dürfen, verfolgt die transdisziplinär angelegte Studie: zuerst an klassischen Texten der Philosophie, anschließend anhand der soziologischen und psychiatrischen Suizidforschung, wie sie um 1900 vor allem von Emile Durkheim initiiert und Karl Jaspers philosophisch diskutiert wurde. Außergewöhnliche Einblicke in die innere Einstellung suizidaler Menschen ermöglichen die fiktionalen und autobiografischen Texte Ingeborg Bachmanns, Uwe Johnsons, Wilhelm Kamlahs und besonders Jean Amérys. Sein 'Diskurs über den Freitod' eröffnete die medizinethische Kontroverse um das humane Privileg der Selbsttötung. Sie mündet heute in eine internationale Diskussion, die in exemplarischer Brisanz auch in Deutschland und der Schweiz geführt wird.
Autorenporträt
Der AutorMatthias Bormuth, geb. 1963, nach Medizinstudium und psychiatrischer Tätigkeit Promotion über Karl Jaspers und die Psychoanalyse. Seit 1998 Mitarbeiter am Tübinger Institut für Ethik und Geschichte in der Medizin mit geistesgeschichtlichen Arbeiten zu Psychiatrie, Philosophie und Literatur.Im Wallstein Verlag erschienenKritik aus Passion. Studien zu Jean Améry, hg. von Matthias Bormuth und Susan Nurmi-Schomers (2005); Kunst und Krankheit. Studien zur Pathographie, hg. von Matthias Bormuth, Klaus Podoll und Carsten Spitzer (2007).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2009

Auf das Absurde lässt sich nicht bauen

Die Freiheit zu sterben wird schnell zum blassen Schlagwort. Matthias Bormuth hält ihm die Realität des Lebens entgegen.

Der letzte Essay, den Jean Améry schrieb, bevor er sich 1978 das Leben nahm, galt Simone Weil. Améry ließ kein gutes Haar an der verhinderten Revolutionärin und religiösen Mystikerin, die 1943 an Hunger und Lungentuberkulose verstorben war. Sie sei weder eine Heldin noch eine Heilige gewesen, sondern ein klinischer Fall, und die Diagnose über sie müsse lauten: "Freitod infolge religiöser Zwangsneurose". Zwei Jahre zuvor hatte Améry die Pathologisierung des Suizids noch als eine Verunglimpfung menschlicher Freiheit, ja als eine Fortsetzung der nationalsozialistischen Instrumentalisierung des Lebens mit anderen Mitteln gegeißelt. Aber die Bereitschaft zum religiös motivierten Selbstopfer erschien ihm so unerträglich, dass er Simone Weil nicht einmal die Genugtuung zu gönnen bereit war, ihren eigenen Tod gestorben zu sein.

Das Beispiel Amérys bildet einen drastischen Beleg für die Erkenntnis der neueren Medizintheorie, dass der Grenzverlauf zwischen Gesundheit und Krankheit, zumal im Bereich psychischer Auffälligkeiten, nicht mit naturwissenschaftlicher Exaktheit bestimmt werden kann, sondern auf außermedizinischen Werturteilen beruht. Ob ein bestimmtes Verhalten der Umwelt des Handelnden als so extravagant erscheint, dass sie es als pathologisch einstuft, hängt von deren jeweiligen Normalitätsstandards ab, und diese Standards verändern sich im Laufe der Zeit.

Wie der Mediziner und Kulturwissenschaftler Matthias Bormuth in seiner eindrucksvollen Studie über suizidales Denken ausführt, erfährt die grundsätzliche Wertabhängigkeit des Krankheitsbegriffs "im psychiatrischen Kontext um den Zusammenhang von Persönlichkeitsstörung und Suizidalität eine besondere Zuspitzung". Wer sich zur Selbsttötung entschließt, befindet sich in einer seelischen Ausnahmesituation, die im "Übergangsbereich von gesundem und krankheitswertigem Erleben" angesiedelt ist. In dem niemals vollständig aufzuhellenden Dämmerlicht dieses Zwischenreichs nehmen sich die steilen Thesen und grandiosen Schlagworte, die die Diskussion über den assistierten Suizid und die aktive Sterbehilfe beherrschen, grau, ungeschlacht und irritierend substanzlos aus. Die Frage "Bleiben oder gehen?" taugt nicht als Selbstverwirklichungsinstrument autonomiestolzer Ich-AGs. "So berechtigt der Hinweis auf die Freiheit als ethische Maxime ist: Man muss sie kritisch lesen und nicht einer hermetischen Lesart huldigen, die sie von allen Abhängigkeiten entledigt. Die Freiheit ist immer eine relative. Deshalb ist es äußerst heikel, die Selbsttötung als exemplarischen Ausdruck der Freiheit zu stilisieren."

Angesichts des hohen Leidensdrucks, der auf Suizidenten zu lasten pflegt, machen Ärzte, die sich wie die Gutachter der Sterbehilfeorganisation "Dignitas" darauf beschränken zu klären, ob der Sterbewillige dazu imstande ist, sein Leben frei zu bilanzieren, sich nach Bormuths Überzeugung die Dinge bei weitem zu einfach. Wie es um die Freiheit des Suizidenten tatsächlich stehe, ergebe sich "nur im detaillierten Blick auf die konkrete Wirklichkeit". Es wäre fahrlässig, sich auf das subjektive Empfinden des Betroffenen, der sich entschieden hat, aus dem Leben zu gehen, prinzipiell zu verlassen: "Es mag sein, dass die Entscheidung zum Freitod in einzelnen Fällen wohl erwogen ist, in jedem Fall ist das ärztliche Angebot, sie zu überprüfen und zu fragen, ob nicht doch neue Räume der lebensweltlichen Freiheit zu öffnen sind, eine Möglichkeit, die als vorläufige Bevormundung sinnvoll sein könnte. Niemand weiß, ob jenseits der nächsten Lebenswende nicht doch ein Horizont aufscheint, der der eigenen Existenz einen lebenstragenden Sinn zu verleihen vermag."

Dass diese Hoffnung sich erfüllen wird, steht freilich nicht fest. Die Möglichkeit einer solchen Sinngebung von vornherein in Abrede zu stellen wäre aber doktrinär und praktisch verhängnisvoll. Es sagt sich zwar leicht, das Leben sei generell absurd und die Entscheidung, ihm beizeiten den Rücken zu kehren, sei mutig und bewunderungswürdig. Ethisch betrachtet, ist eine solche Einstellung aber desaströs, denn in ihrer Fixiertheit auf die Exit-Option hat sie kein Wort des Trostes gegenüber den Leidenden, die sich darum mühen, die Dunkelheit ihres Lebens zu ertragen. Ohne Lebensbejahung keine Moral. Zu Recht betont Bormuth deshalb, dass die Gesellschaft dazu verpflichtet sei, für die unvollkommene Einrichtung der provisorischen Welt zu werben. "Der Mediziner hat als menschlicher Schicksalsgefährte immer Teil an dieser Aufgabe."

Die Möglichkeit einer Lebenswende und eines neuen Sinnhorizonts darf nach Bormuths Überzeugung freilich nicht nur auf dem Papier stehen, sondern muss eine reale lebensweltliche Basis besitzen. Wo es daran fehlt, namentlich in den Fällen terminaler Krankheit und anderen Grenzsituationen, deren entwürdigender Charakter nachzuvollziehen sei, bejaht er deshalb konsequenterweise die Zulässigkeit ärztlicher Suizidbegleitung. Aber auch im Übrigen sei es letztlich Sache des Adressaten, ob er der Werbung für das Leben Gehör schenke oder nicht. Der Psychiatrie stehe es nicht zu, die Freiheit des potentiellen Suizidenten über die akute Notlage hinaus zu unterbinden. "Jenseits solcher Intervention erlischt im Übergangsbereich der Fälle, die als Persönlichkeitsstörung zu bezeichnen sind, die medizinethische und strafrechtliche Pflicht, den Suizidenten vor seinen Handlungsimpulsen zu schützen und alternative Sichtweisen mit ihm zu besprechen. Allein ihm ist es im privaten Raum vorbehalten, den hohen Preis für den exemplarischen Ausdruck seiner inneren Einstellung und Gesinnung zu zahlen."

Angesichts des hohen Ideologisierungsgrades der gegenwärtigen Debatte über Suizid und Sterbehilfe kommt Bormuths sorgsam abgewogener Lösungsvorschlag zur rechten Zeit. Die Attitüde des Rechthabenwollens und die Politisierung der Diskussion nach Maßgabe des üblichen Schemas von links und rechts, Fortschritt und Reaktion sind denkbar fehl am Platz. Gefragt sind stattdessen die von Bormuth in den Vordergrund gerückten Tugenden: Takt, unaufdringliche Hilfsbereitschaft und, als Schwerstes von allem, äußerstenfalls auch die Bereitschaft, jemanden, der ernsthaft zum Gehen entschlossen ist, nicht zurückzuhalten. Ob Bormuth damit Gehör finden wird?

MICHAEL PAWLIK

Matthias Bormuth: "Ambivalenz der Freiheit". Suizidales Denken im 20. Jahrhundert. Wallstein Verlag, Göttingen 2008. 478 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beeindruckt zeigt sich Michael Pawlik von Matthias Bormuths Studie über suizidales Denken. In seiner Besprechung geht er vor allem auf die Ausführungen des Autors zu den Themen Suizid und Sterbehilfe ein, die kontrovers diskutiert werden. Er konstatiert bei diesen Diskussionen einen "hohen Ideologisierungsgrad", von dem bei Bormuth glücklicherweise nichts zu spüren sei. Vielmehr schätzt Pawlik die differenzierte und umsichtige Argumentation des Autors sowie seine Kritik einer Stilisierung der Selbststötung als Ausdruck von Freiheit. Und er lobt die von Bormuth in den Vordergrund gerückten Tugenden wie Takt, Hilfsbereitschaft, aber auch die Bereitschaft, "jemanden, der ernsthaft zum Gehen entschlossen ist, nicht zurückzuhalten".

© Perlentaucher Medien GmbH
'Damit plädiert B. für einen situations- und verantwortungsethischen Umgang mit Suizidalität. Das ist nicht neu, herausragend aber ist das Reflexionsniveau, auf dem diese Überlegung durchgeführt wird, und die Methode mittels derer diese ethische Haltung