The #1 New York Times bestselling memoir of U.S. Navy Seal Chris Kyle, and the source for Clint Eastwood's blockbuster movie which was nominated for six academy awards, including best picture.
From 1999 to 2009, U.S. Navy SEAL Chris Kyle recorded the most career sniper kills in United States military history. His fellow American warriors, whom he protected with deadly precision from rooftops and stealth positions during the Iraq War, called him "The Legend"; meanwhile, the enemy feared him so much they named him al-Shaitan ("the devil") and placed a bounty on his head. Kyle, who was tragically killed in 2013, writes honestly about the pain of war-including the deaths of two close SEAL teammates-and in moving first-person passages throughout, his wife, Taya, speaks openly about the strains of war on their family, as well as on Chris. Gripping and unforgettable, Kyle's masterful account of his extraordinary battlefield experiences ranks as one of the great war memoirs of all time.
From 1999 to 2009, U.S. Navy SEAL Chris Kyle recorded the most career sniper kills in United States military history. His fellow American warriors, whom he protected with deadly precision from rooftops and stealth positions during the Iraq War, called him "The Legend"; meanwhile, the enemy feared him so much they named him al-Shaitan ("the devil") and placed a bounty on his head. Kyle, who was tragically killed in 2013, writes honestly about the pain of war-including the deaths of two close SEAL teammates-and in moving first-person passages throughout, his wife, Taya, speaks openly about the strains of war on their family, as well as on Chris. Gripping and unforgettable, Kyle's masterful account of his extraordinary battlefield experiences ranks as one of the great war memoirs of all time.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2015Wenn man dauernd gewinnt, macht's viel mehr Spaß
"American Sniper" erzählt die Geschichte eines Scharfschützen, den es tatsächlich gab: Wer war dieser Mann?
NEW YORK, 24. Februar
"American Sniper" ist der beim amerikanischen Publikum erfolgreichste Kriegsfilm aller Zeiten. Schon zwei Wochen nach dem Kinostart am 16. Januar hatte der neue Film von Clint Eastwood mehr eingespielt als Steven Spielbergs "Saving Private Ryan". Ursprünglich hatte Spielberg das Erinnerungsbuch von Chris Kyle verfilmen sollen, einem Veteranen der Navy Seals, einer Eliteeinheit der Kriegsmarine. Wie das Akronym der Einheit sagt, erledigen diese Sea-Air-Land-Teams Sonderaufträge zu Wasser, zu Lande und in der Luft; am bekanntesten wurde die Tötung von Usama Bin Ladin.
Kyle, geboren 1974, durchlief die Ausbildung zum Scharfschützen und wurde zwischen 2003 und 2009 viermal im Irak eingesetzt. Das Buch "American Sniper", veröffentlicht im Januar 2012, stand dreizehn Wochen lang an der Spitze der Bestsellerliste der "New York Times". Im Untertitel präsentiert es den Autor als den "tödlichsten Scharfschützen der amerikanischen Militärgeschichte". Kyle, der nach seinem Abschied von der Truppe ein Sicherheitsunternehmen in Dallas gegründet hatte, wurde am 2. Februar 2013 von einem Veteranen des Marine Corps erschossen, den er auf einen Schießplatz mitgenommen hatte. Der Täter, dessen Mutter Kyle gebeten hatte, sich um ihren verstörten Sohn zu kümmern, steht derzeit vor Gericht. Kyles Heimatstaat Texas wird den 2. Februar künftig als Chris-Kyle-Tag begehen.
Als Spielberg im August 2013 einen Rückzieher machte, gewann der Schauspieler Bradley Cooper, der die Filmrechte erworben hatte, Clint Eastwood für das Projekt. Bevor der Film seinen von Kulturkriegsgeschrei begleiteten Siegeszug an den Kinokassen antrat (der sich bei der Oscar-Verleihung vom vergangenen Wochenende nicht fortsetzte; "American Sniper" gewann nur einmal, in der Kategorie Bester Tonschnitt), soll einem Gerücht zufolge schon einmal ein Film mit Chris Kyle als Hauptfigur überall in den Vereinigten Staaten begeisterte Zuschauer gefunden haben. In diesem Video, das nur wenige Minuten lang sein kann, spielt Kyle sich selbst, und er selbst ist es auch, der erzählt hat, dass dieser Kurzfilm existiert.
Worum geht es darin? Marcus Luttrell, ein Veteran der Seals, dessen Erinnerungsbuch "Lone Survivor" von 2007 mit Mark Wahlberg in der Hauptrolle verfilmt wurde, gibt in seinem zweiten Memoirenband "Service" von 2012 eine Geschichte weiter, die er aus dem Mund von Kyle gehört hatte. Demnach erschoss Kyle an einem Januarmorgen 2010 an einer Tankstelle südlich von Dallas zwei Männer, die von ihm die Schlüssel zu seinem Wagen verlangten. Sie fielen tot zu Boden, er rief die Polizei.
Gegenüber Michael J. Mooney, einem Reporter des "D Magazine" aus Dallas, bestätigte Kyle, dass die Begebenheit sich so zugetragen hatte. Mooney erkundigte sich bei den Polizeidienststellen der Umgebung und musste feststellen, dass die spektakuläre Notwehrtat nirgendwo aktenkundig war. Mehrere Polizeichefs gaben allerdings an, von der Geschichte gehört zu haben. Einer sagte, er wisse, dass mehrere seiner Leute sich das Überwachungsvideo der Tankstelle angesehen hätten. Kyle schrieb Mooney, er bekomme E-Mails von Polizisten aus dem ganzen Land; sie wollten sich dafür bedanken, dass er die Straßen sauber halte.
Wenn wirklich Kopien dieses Films auf den Polizeirevieren kursieren, erfüllt er eine ähnliche Funktion wie die Propagandafilme des sogenannten "Islamischen Staates": Die authentischen Bilder blutiger Rechtswahrung sollen berufene Nachahmer inspirieren - mit dem Unterschied, dass der texanische Lehrfilm nur für den Dienstgebrauch gedacht ist.
Die Geschichte enthält selbst eine Erklärung dafür, dass ihre amtliche Verifikation unmöglich ist. Als die Polizisten Kyles Führerschein überprüften, so heißt es, warf die elektronische Abfrage eine Telefonnummer aus. Unter der Nummer nahm ein Beamter des Verteidigungsministeriums ab, der die Ordnungshüter darüber aufklärte, mit wem sie es zu tun hatten. Muss, wer gerade als amerikanischer Patriot so etwas dann doch nicht glauben möchte, Kyle für einen Lügner halten? Anthony Swofford, ein Berufsgenosse und Autorenkollege von Kyle, hat als E-Book eine knappe Biographie Kyles herausgebracht. Er skizziert eine hypothetische Geschichte der Tankstellengeschichte und stellt sich vor, Kyle und Luttrell hätten mit Kumpels in einer Kneipe zusammengesessen, und Kyle sei wieder einmal aufgefordert worden, die alten Geschichten aus Falludscha zu erzählen. Ihm sei das langweilig geworden, und so habe er vielleicht gesagt: Denkt euch, was mir heute passiert ist ...
Swofford ist Kyle nie begegnet, sondern lernte ihn in Veteranenkreisen als mythische Figur kennen, als Helden von Heldengeschichten. 160 ist die Zahl der von Kyle abgegebenen Todesschüsse, für die sich Augenzeugen verbürgt haben. Je länger die Liste seiner Erfolge wurde, desto häufiger wurden ihm wohl auch rettende Schüsse zugeschrieben, die ein Kollege abgefeuert hatte. Der Kampfname "Legend", den ihm die Kameraden verliehen, war zunächst als Frotzelei gemeint.
Nach der totalen Desillusionierung in Sachen der Gründe und Zwecke des Irak-Unternehmens taugt Kyle zum letzten Helden dieses Krieges: Der unüberwindliche Spezialist durfte, ja musste alles ausblenden, um seine Arbeit zu machen. Als Könner, dem regelmäßig Unglaubliches gelingt, gehört der Scharfschütze freilich zugleich einer Sphäre des Unscharfen an, dem Reich der Sage. Einer von Kyles Kommandeuren sagte auf der Trauerfeier im Footballstadion der Dallas Cowboys: "Er ist der Stoff der Freiheit, mit der das Volk dieser großen Nation gesegnet ist."
Als er das Rekrutierungsbüro verließ, wollte Kyle um jeden Preis, "in the worst way", ein Seal werden. Die Geschichten waren "bad-ass stuff". Mit diesem Ausdruck umschreibt Kyle die drastische Abweichung des soldatischen Ethos von der bürgerlichen Moral. Dasselbe Wort verwendet er, wenn er die Vorstellung zurückweist, die Amerikaner hätten mit gutem Willen Verbündete unter den Irakern gewonnen. "Wir haben die Bösewichter umgebracht und dadurch die Anführer an den Verhandlungstisch gezwungen. So funktioniert die Welt." Die Stammesführer hatten ein charakterologisches Aha-Erlebnis: Sie sahen, dass sie es mit "bad-asses" zu tun hatten. Kyle legte Wert auf die Feststellung, dass er nicht das Bedürfnis gehabt habe, sich seiner Taten zu brüsten. Er habe sich erst einen Ghostwriter gesucht, als ihm klargemacht worden sei, dass sonst ein anderer Autor seine Geschichte erzählen würde. Beflissen vermeidet Kyle im Protokoll der Meisterschüsse den angeberischen Ton. Die Freude am Fabulieren muss sich anderweitig Bahn brechen. Ein seltsames Leitmotiv der Memoiren sind die Kneipenschlägereien, die Kyle im Heimaturlaub provoziert.
Es gibt Verteidiger des Films, die darüber hinwegsehen, dass das Buch die Misserfolge im Irak mit der von Politikern fern vom Schlachtfeld verfügten Selbstbindung an das Kriegsvölkerrecht erklärt - und das heißt umgekehrt den kriegerischen Erfolg mit der Enthemmung des Kriegers. In der wohlwollenden liberalen Lesart, wie sie etwa die Gattin von Präsident Obama angedeutet hat, sind das Thema von Kyles Geschichte die Kosten des Kriegsdienstes für die Familien der Veteranen. Darunter mag auch in Stücke geschlagenes Kneipenmobiliar fallen.
Aber Kyle hat darüber gescherzt, dass er sich diese Energieabfuhr abgewöhnen musste. Es prügele sich viel leichter, sagte er in einem langen Interview mit einer Reporterin vom "Time Magazine", wenn die Marine einen immer heraushaue: "Wenn die eigenen Handlungen keine Folgen haben, kann man viel mehr machen." Anders gesagt: Wenn man dauernd gewinnt, macht's viel mehr Spaß. Im Irak konnte davon nur auf dem Papier von Abschusslisten die Rede sein.
Der Dokumentarfilmer Michael Moore zettelte eine virtuelle Wirtshausprügelei an, als er über Twitter Kyle und dessen Kampfgefährten die Befähigung zum Heldentum absprach. "Mein Onkel wurde im Zweiten Weltkrieg von einem Scharfschützen getötet. Uns wurde beigebracht, dass Scharfschützen Feiglinge seien. Sie schießen dich in den Rücken. Scharfschützen sind keine Helden." In dreifacher Gestalt hat der einsame Schütze im Versteck einen Platz im historischen Gedächtnis der Amerikaner: als Indianer, als Guerrillakämpfer im Bürgerkrieg und als Terrorist.
Postum erschien 2013 ein zweites Buch von Chris Kyle: "American Gun", eine Geschichte Amerikas anhand von zehn Schusswaffen. Kyles Koautor berichtet, mit besonderer Leidenschaft habe Kyle die Geschichten aus dem Wilden Westen nacherzählt. Um seine Ziele auszumachen, muss der Scharfschütze nach Kyles Aussage das Gelände überblicken, "die Kultur kennen" und auf jede Regung achten. Er praktiziert also eine Kunst der überscharfen Beobachtung, die die Trapper den Indianern abgeschaut haben. Hier zeichnet sich ein Geheimnis der Menschenjagd ab, die der Lebensinhalt des Scharfschützen ist. Der Jäger gleicht sich dem Gejagten an.
Kyle spricht von seinen Feinden durchgehend als Wilden ("savages"). Dass er seinen Opfern demonstrativ die Menschlichkeit abspricht, ist ein Akt der Verwilderung, den man kaum als unbewussten einstufen kann. Auszusprechen, dass er selbst zum Wilden geworden ist, bringt Kyle allerdings nicht fertig. Der "bad-ass" ist die Chiffre dafür; weiter kommt er nicht. Da ist Swofford, ein Scharfschütze ohne einen einzigen Treffer, in seinem von Sam Mendes verfilmten Memoirenbuch "Jarhead" ehrlicher. Er zitiert seinen Ausbilder: Als Angehöriger des Marine Corps sei er "das wildeste, gemeinste, primitivste, mitleidloseste Geschöpf in Gottes grausamem Königreich - ein Killer".
Der erste von Chris Kyles 160 Todesschüssen traf eine Frau, die auf eine Gruppe von Marines zugeht und unter ihrer Kleidung eine Granate versteckt hat. Sie verkörperte für Kyle alles, wogegen er im Irak zu kämpfen hatte: "Savage, despicable evil." Die Firma, die der zurückgekehrte Kyle in Dallas gründete, bietet Schulungen für Polizisten an. Sie wirbt mit einem Motto, das Kyle von einem gefallenen Kameraden übernahm: "Deine Mama hatte unrecht - Gewalt löst Probleme."
An der Front tankte Kyle Kraft, indem er sich Filme auf DVD ansah, Raubkopien, die es in Bagdad auf der Straße zu kaufen gab. Er besorgte sich eine James-Bond-Box und einige Filme von Clint Eastwood. Sein Lieblingsschauspieler war John Wayne. "Am meisten mag ich seine Cowboyfilme. Das passt wahrscheinlich."
PATRICK BAHNERS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"American Sniper" erzählt die Geschichte eines Scharfschützen, den es tatsächlich gab: Wer war dieser Mann?
NEW YORK, 24. Februar
"American Sniper" ist der beim amerikanischen Publikum erfolgreichste Kriegsfilm aller Zeiten. Schon zwei Wochen nach dem Kinostart am 16. Januar hatte der neue Film von Clint Eastwood mehr eingespielt als Steven Spielbergs "Saving Private Ryan". Ursprünglich hatte Spielberg das Erinnerungsbuch von Chris Kyle verfilmen sollen, einem Veteranen der Navy Seals, einer Eliteeinheit der Kriegsmarine. Wie das Akronym der Einheit sagt, erledigen diese Sea-Air-Land-Teams Sonderaufträge zu Wasser, zu Lande und in der Luft; am bekanntesten wurde die Tötung von Usama Bin Ladin.
Kyle, geboren 1974, durchlief die Ausbildung zum Scharfschützen und wurde zwischen 2003 und 2009 viermal im Irak eingesetzt. Das Buch "American Sniper", veröffentlicht im Januar 2012, stand dreizehn Wochen lang an der Spitze der Bestsellerliste der "New York Times". Im Untertitel präsentiert es den Autor als den "tödlichsten Scharfschützen der amerikanischen Militärgeschichte". Kyle, der nach seinem Abschied von der Truppe ein Sicherheitsunternehmen in Dallas gegründet hatte, wurde am 2. Februar 2013 von einem Veteranen des Marine Corps erschossen, den er auf einen Schießplatz mitgenommen hatte. Der Täter, dessen Mutter Kyle gebeten hatte, sich um ihren verstörten Sohn zu kümmern, steht derzeit vor Gericht. Kyles Heimatstaat Texas wird den 2. Februar künftig als Chris-Kyle-Tag begehen.
Als Spielberg im August 2013 einen Rückzieher machte, gewann der Schauspieler Bradley Cooper, der die Filmrechte erworben hatte, Clint Eastwood für das Projekt. Bevor der Film seinen von Kulturkriegsgeschrei begleiteten Siegeszug an den Kinokassen antrat (der sich bei der Oscar-Verleihung vom vergangenen Wochenende nicht fortsetzte; "American Sniper" gewann nur einmal, in der Kategorie Bester Tonschnitt), soll einem Gerücht zufolge schon einmal ein Film mit Chris Kyle als Hauptfigur überall in den Vereinigten Staaten begeisterte Zuschauer gefunden haben. In diesem Video, das nur wenige Minuten lang sein kann, spielt Kyle sich selbst, und er selbst ist es auch, der erzählt hat, dass dieser Kurzfilm existiert.
Worum geht es darin? Marcus Luttrell, ein Veteran der Seals, dessen Erinnerungsbuch "Lone Survivor" von 2007 mit Mark Wahlberg in der Hauptrolle verfilmt wurde, gibt in seinem zweiten Memoirenband "Service" von 2012 eine Geschichte weiter, die er aus dem Mund von Kyle gehört hatte. Demnach erschoss Kyle an einem Januarmorgen 2010 an einer Tankstelle südlich von Dallas zwei Männer, die von ihm die Schlüssel zu seinem Wagen verlangten. Sie fielen tot zu Boden, er rief die Polizei.
Gegenüber Michael J. Mooney, einem Reporter des "D Magazine" aus Dallas, bestätigte Kyle, dass die Begebenheit sich so zugetragen hatte. Mooney erkundigte sich bei den Polizeidienststellen der Umgebung und musste feststellen, dass die spektakuläre Notwehrtat nirgendwo aktenkundig war. Mehrere Polizeichefs gaben allerdings an, von der Geschichte gehört zu haben. Einer sagte, er wisse, dass mehrere seiner Leute sich das Überwachungsvideo der Tankstelle angesehen hätten. Kyle schrieb Mooney, er bekomme E-Mails von Polizisten aus dem ganzen Land; sie wollten sich dafür bedanken, dass er die Straßen sauber halte.
Wenn wirklich Kopien dieses Films auf den Polizeirevieren kursieren, erfüllt er eine ähnliche Funktion wie die Propagandafilme des sogenannten "Islamischen Staates": Die authentischen Bilder blutiger Rechtswahrung sollen berufene Nachahmer inspirieren - mit dem Unterschied, dass der texanische Lehrfilm nur für den Dienstgebrauch gedacht ist.
Die Geschichte enthält selbst eine Erklärung dafür, dass ihre amtliche Verifikation unmöglich ist. Als die Polizisten Kyles Führerschein überprüften, so heißt es, warf die elektronische Abfrage eine Telefonnummer aus. Unter der Nummer nahm ein Beamter des Verteidigungsministeriums ab, der die Ordnungshüter darüber aufklärte, mit wem sie es zu tun hatten. Muss, wer gerade als amerikanischer Patriot so etwas dann doch nicht glauben möchte, Kyle für einen Lügner halten? Anthony Swofford, ein Berufsgenosse und Autorenkollege von Kyle, hat als E-Book eine knappe Biographie Kyles herausgebracht. Er skizziert eine hypothetische Geschichte der Tankstellengeschichte und stellt sich vor, Kyle und Luttrell hätten mit Kumpels in einer Kneipe zusammengesessen, und Kyle sei wieder einmal aufgefordert worden, die alten Geschichten aus Falludscha zu erzählen. Ihm sei das langweilig geworden, und so habe er vielleicht gesagt: Denkt euch, was mir heute passiert ist ...
Swofford ist Kyle nie begegnet, sondern lernte ihn in Veteranenkreisen als mythische Figur kennen, als Helden von Heldengeschichten. 160 ist die Zahl der von Kyle abgegebenen Todesschüsse, für die sich Augenzeugen verbürgt haben. Je länger die Liste seiner Erfolge wurde, desto häufiger wurden ihm wohl auch rettende Schüsse zugeschrieben, die ein Kollege abgefeuert hatte. Der Kampfname "Legend", den ihm die Kameraden verliehen, war zunächst als Frotzelei gemeint.
Nach der totalen Desillusionierung in Sachen der Gründe und Zwecke des Irak-Unternehmens taugt Kyle zum letzten Helden dieses Krieges: Der unüberwindliche Spezialist durfte, ja musste alles ausblenden, um seine Arbeit zu machen. Als Könner, dem regelmäßig Unglaubliches gelingt, gehört der Scharfschütze freilich zugleich einer Sphäre des Unscharfen an, dem Reich der Sage. Einer von Kyles Kommandeuren sagte auf der Trauerfeier im Footballstadion der Dallas Cowboys: "Er ist der Stoff der Freiheit, mit der das Volk dieser großen Nation gesegnet ist."
Als er das Rekrutierungsbüro verließ, wollte Kyle um jeden Preis, "in the worst way", ein Seal werden. Die Geschichten waren "bad-ass stuff". Mit diesem Ausdruck umschreibt Kyle die drastische Abweichung des soldatischen Ethos von der bürgerlichen Moral. Dasselbe Wort verwendet er, wenn er die Vorstellung zurückweist, die Amerikaner hätten mit gutem Willen Verbündete unter den Irakern gewonnen. "Wir haben die Bösewichter umgebracht und dadurch die Anführer an den Verhandlungstisch gezwungen. So funktioniert die Welt." Die Stammesführer hatten ein charakterologisches Aha-Erlebnis: Sie sahen, dass sie es mit "bad-asses" zu tun hatten. Kyle legte Wert auf die Feststellung, dass er nicht das Bedürfnis gehabt habe, sich seiner Taten zu brüsten. Er habe sich erst einen Ghostwriter gesucht, als ihm klargemacht worden sei, dass sonst ein anderer Autor seine Geschichte erzählen würde. Beflissen vermeidet Kyle im Protokoll der Meisterschüsse den angeberischen Ton. Die Freude am Fabulieren muss sich anderweitig Bahn brechen. Ein seltsames Leitmotiv der Memoiren sind die Kneipenschlägereien, die Kyle im Heimaturlaub provoziert.
Es gibt Verteidiger des Films, die darüber hinwegsehen, dass das Buch die Misserfolge im Irak mit der von Politikern fern vom Schlachtfeld verfügten Selbstbindung an das Kriegsvölkerrecht erklärt - und das heißt umgekehrt den kriegerischen Erfolg mit der Enthemmung des Kriegers. In der wohlwollenden liberalen Lesart, wie sie etwa die Gattin von Präsident Obama angedeutet hat, sind das Thema von Kyles Geschichte die Kosten des Kriegsdienstes für die Familien der Veteranen. Darunter mag auch in Stücke geschlagenes Kneipenmobiliar fallen.
Aber Kyle hat darüber gescherzt, dass er sich diese Energieabfuhr abgewöhnen musste. Es prügele sich viel leichter, sagte er in einem langen Interview mit einer Reporterin vom "Time Magazine", wenn die Marine einen immer heraushaue: "Wenn die eigenen Handlungen keine Folgen haben, kann man viel mehr machen." Anders gesagt: Wenn man dauernd gewinnt, macht's viel mehr Spaß. Im Irak konnte davon nur auf dem Papier von Abschusslisten die Rede sein.
Der Dokumentarfilmer Michael Moore zettelte eine virtuelle Wirtshausprügelei an, als er über Twitter Kyle und dessen Kampfgefährten die Befähigung zum Heldentum absprach. "Mein Onkel wurde im Zweiten Weltkrieg von einem Scharfschützen getötet. Uns wurde beigebracht, dass Scharfschützen Feiglinge seien. Sie schießen dich in den Rücken. Scharfschützen sind keine Helden." In dreifacher Gestalt hat der einsame Schütze im Versteck einen Platz im historischen Gedächtnis der Amerikaner: als Indianer, als Guerrillakämpfer im Bürgerkrieg und als Terrorist.
Postum erschien 2013 ein zweites Buch von Chris Kyle: "American Gun", eine Geschichte Amerikas anhand von zehn Schusswaffen. Kyles Koautor berichtet, mit besonderer Leidenschaft habe Kyle die Geschichten aus dem Wilden Westen nacherzählt. Um seine Ziele auszumachen, muss der Scharfschütze nach Kyles Aussage das Gelände überblicken, "die Kultur kennen" und auf jede Regung achten. Er praktiziert also eine Kunst der überscharfen Beobachtung, die die Trapper den Indianern abgeschaut haben. Hier zeichnet sich ein Geheimnis der Menschenjagd ab, die der Lebensinhalt des Scharfschützen ist. Der Jäger gleicht sich dem Gejagten an.
Kyle spricht von seinen Feinden durchgehend als Wilden ("savages"). Dass er seinen Opfern demonstrativ die Menschlichkeit abspricht, ist ein Akt der Verwilderung, den man kaum als unbewussten einstufen kann. Auszusprechen, dass er selbst zum Wilden geworden ist, bringt Kyle allerdings nicht fertig. Der "bad-ass" ist die Chiffre dafür; weiter kommt er nicht. Da ist Swofford, ein Scharfschütze ohne einen einzigen Treffer, in seinem von Sam Mendes verfilmten Memoirenbuch "Jarhead" ehrlicher. Er zitiert seinen Ausbilder: Als Angehöriger des Marine Corps sei er "das wildeste, gemeinste, primitivste, mitleidloseste Geschöpf in Gottes grausamem Königreich - ein Killer".
Der erste von Chris Kyles 160 Todesschüssen traf eine Frau, die auf eine Gruppe von Marines zugeht und unter ihrer Kleidung eine Granate versteckt hat. Sie verkörperte für Kyle alles, wogegen er im Irak zu kämpfen hatte: "Savage, despicable evil." Die Firma, die der zurückgekehrte Kyle in Dallas gründete, bietet Schulungen für Polizisten an. Sie wirbt mit einem Motto, das Kyle von einem gefallenen Kameraden übernahm: "Deine Mama hatte unrecht - Gewalt löst Probleme."
An der Front tankte Kyle Kraft, indem er sich Filme auf DVD ansah, Raubkopien, die es in Bagdad auf der Straße zu kaufen gab. Er besorgte sich eine James-Bond-Box und einige Filme von Clint Eastwood. Sein Lieblingsschauspieler war John Wayne. "Am meisten mag ich seine Cowboyfilme. Das passt wahrscheinlich."
PATRICK BAHNERS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main