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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Schirmer/Mosel
  • Seitenzahl: 48
  • Englisch
  • Abmessung: 240mm x 319mm x 5mm
  • Gewicht: 488g
  • ISBN-13: 9783888144233
  • Artikelnr.: 24238150
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2008

So schäbig war mein Bettchen, so armselig mein Mahl

Wie einen Forschungsreisenden muss man sich den Fotografen Stephen Shore vorstellen. Jahrelang war er unterwegs auf der Suche nach dem, was Amerika ausmacht. Sein Logbuch von 1973 gibt es nun als Faksimile.

Von Freddy Langer

Romantik! möchte man rufen. Ein bisschen mehr Romantik, bitte. Aber Stephen Shore, heute einundsechzig Jahre alt, der amerikanische Kunstfotograf, den man guten Gewissens auch einen Reisefotografen nennen darf, hatte dafür 1972 bei seiner Tour durch die Vereinigten Staaten keinen Sinn. Die schönsten Berge, die weitesten Wüsten, die längsten Straßen, die sich so schnurgerade bis zum Horizont erstrecken, als seien sie mit dem Skalpell in die Landschaft geschnitten - all diese Motive also, die, Ikonen gleich, vor dem geistigen Auge auftauchen, sobald von einer Reise durch Amerika die Rede ist und von dem berauschenden Gefühl, "on the road" zu sein, ließ Stephen Shore damals buchstäblich links liegen. Er hatte kein Interesse am Freiheitsgedanken, an den Visionen eines glorreichen Landes und seiner glorreichen Zukunft, die von jeher jede Tour durch Amerika begleitet haben, einerlei, ob sie mit dem Kanu den Missouri River hinaufführte oder im Schaufelraddampfer den Mississippi hinunter, mit dem Planwagen über den Oregon Trail ging oder im verrosteten Kleinlastwagen über die Route 66. Stets überstrahlte eine präzis formulierte Hoffnung die Strapazen unterwegs, die Entbehrungen und die Momente der Ungewissheit. Stephen Shore aber wollte von Metaphysik nichts wissen. Er blieb ganz dicht am Leben. Erschreckend dicht.

"American Surfaces" hieß die Ausstellung, für die er noch im selben Jahr mehrere hundert postkartengroße Fotos seiner Reise in engen Reihen an die Wand der Light Gallery in New York klebte. Das Konzept der Bilderschau hatte er am zweiten Tag der Reise formuliert: Er werde jeden Menschen fotografieren, mit dem er sprach, jede Tankstelle, an der er tankte, jedes Schaufenster, dessen Auslage er betrachtete, jedes Motelzimmer, in dem er schlief, jedes Essen, das man ihm servierte, und auch jede Toilette, die er benutzte. All jene Begegnungen und Eindrücke also, die man sonst mit gutem Grund rasch wieder vergisst. Die Konsequenz, mit der er den Plan ausführte, hatte etwas geradezu Grausames. Kein visuelles Tagebuch der Reise war da zusammengekommen, sondern ein nüchterner Katalog des Lebensnotwendigen, eine schnelle Dokumentation mit der Kleinbildkamera - bewusst beiläufig entstanden, so könnte man sagen. Selbst dort, wo angebrannte Spiegeleier auf Plastiktellern liegen oder Topfpflanzen die traurige Szenerie klinisch sauberer Korridore von Hotels eher verstärken, als dass sie davon ablenkten, enthielt sich Shore eines Kommentars. Eine seltsame Lakonie schwebt über den Bildern. Und man meint zu spüren, wie froh der Fotograf darüber sei, mit diesem Teil des Landes nichts zu tun zu haben. Mit seinen Aufnahmen hatte Stephen Shore den amerikanischen Mythos von der berauschenden Bewegung durch den Kontinent gründlich entzaubert.

Die Ausstellung war kein Erfolg, und die Bilder gerieten für lange Zeit in Vergessenheit. Als Shore gut zehn Jahre später mit seinem Buch "Uncommon Places" augenblicklich zu den wichtigsten Kunstfotografen der Gegenwart gezählt wurde, war "American Surfaces" nur noch einigen Spezialisten bekannt. Hingewiesen wurde jetzt eher auf seinen Kontakt zu Andy Warhol, in dessen "Factory" er als Teenager jahrelang ein und aus gegangen war, auf seine frühe Ausstellung im Metropolitan Museum of Art im Jahr 1971 und darauf, dass es ihm gelungen war, im Alter von nur vierzehn Jahren Edward Steichen drei seiner Fotos für das Museum of Modern Art zu verkaufen. Es war ein insgesamt eher unauffälliges Werk am Schnittpunkt von Pop Art, Konzeptkunst und Reportage. Mit "Uncommon Places" aber gab er der Fotografie ein neues Gesicht.

Es waren keineswegs ungewöhnliche Orte, die er dafür aufgenommen hatte. Ungewöhnlich war vielmehr, dass sich ihnen ein Künstler mit solcher Leidenschaft widmete. Mit der Großbildkamera auf dem Beifahrersitz, das Stativ stets in Griffweite, war Shore dafür Jahr um Jahr durch die Vereinigten Staaten gereist und hatte Parkplätze vor Supermärkten fotografiert, Telefonzellen am Wegesrand, Straßenkreuzungen in großen Städten und halb zerfallene Häuser in kleinen Ortschaften, leere Swimmingpools der Motels und geschlossene Autokinos. Es waren stille Bilder, deren präzise Abbildung und strenge Komposition dem Alltag alles Lebendige entrissen und deren leuchtende Farben zugleich noch die unscheinbarste Szenerie mit einem Zauber überzog, wie man ihn sonst nur aus Träumen kennt. Mit "Uncommon Places" legte Stephen Shore eine bisher übersehene Schönheit des Banalen frei und veränderte für immer den Blick auf Amerikas Straßenrand.

Begonnen hat Shore die Serie während einer knapp achtwöchigen Reise im Sommer 1973 von New York an den Pazifik und zurück. Unterwegs klebte er fein säuberlich alle Tankbelege und Restaurantquittungen in ein Album, alle Motelrechnungen und einen Strafzettel für falsches Parken, auch Ansichtskarten und Prospekte, dazu notierte er, was er gegessen hat oder im Fernsehen sah. Wiederum ist es eine Bestandsaufnahme von geradezu buchhalterischer Mentalität, geradeso wie seine Fotoserie des Jahres zuvor, aber diesmal wird das Buch zu einer Art Konkordanz, denn Shore verzeichnet auch die Aufnahmen, die er gemacht hat. Es sind nur wenige Bilder pro Tag, manchmal nur eines oder gar keines. Und schon daran merkt man, wie ernst es ihm um die neue Arbeit mit der großen Kamera war.

Im Phaidon Verlag ist dieses großformatige "Road Journal" des Jahres 1973 nun als Faksimile erschienen. Es ist das Scharnier zwischen Shores beiden großen Werkgruppen, und vielleicht nie zuvor in der Geschichte der Fotografie ist das Entstehen eines OEuvres besser dokumentiert worden als hier. Denn im Anhang des prächtigen Bildbands werden alle während der Reise entstandenen Fotografien gezeigt - samt der technischen Pannen und der Varianten eines Motivs.

Wie einen Forschungsreisenden muss man sich Stephen Shore in jenen Tagen vorstellen - als einen Forscher, der sein Land neu entdeckt und der zugleich die Möglichkeiten der Fotografie auslotet, um schließlich auf eine ganz eigene Ästhetik zu stoßen, die in der Konzentration auf das Motiv so etwas erreicht wie eine Säuberung, eine kaum je zuvor erreichte Reinheit und Klarheit vom ersten Meter bis zum Horizont. Es ist, als habe er Ordnung schaffen wollen. Dadurch aber entfalten nicht nur weite Straßen und tiefe Landschaften eine gespenstische Sogkraft, sondern selbst die Fassaden einfachster Häuser. Diese Bilder saugen den Betrachter förmlich auf - geradeso wie Amerika den Reisenden.

"A Road Trip Journal" von Stephen Shore. Phaidon Verlag, London und Berlin 2008. 294 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 185 Euro. Ebenfalls bei Phaidon sind "Stephen Shore - American Surfaces" (26,90 Euro) sowie die Monographie

"Stephen Shore" in der Reihe "Contemporary Artists" (39,95 Euro) erschienen.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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