Produktdetails
- Verlag: Belknap Press / GB Gardners Books
- Pr.
- Seitenzahl: 566
- Englisch
- Abmessung: 240mm
- Gewicht: 1036g
- ISBN-13: 9780674002258
- ISBN-10: 0674002253
- Artikelnr.: 09587140
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2000Kriegstreibende Bürokraten
Die Ursachen des Vietnam-Krieges
David Kaiser: American Tragedy. Kennedy, Johnson and the Origins of the Vietnam War. Harvard University Press, Cambridge und London 2000. 566 Seiten, Abbildungen, 19,95 Pfund.
Kriege haben viele Ursachen. Das wußte schon Thukydides. Nun war der Vietnam-Krieg für die Amerikaner weder so lang noch so verheerend wie der Peloponnesische Krieg für die Athener. Trotzdem hat David Kaiser eine Ursachenanalyse des Vietnam-Krieges vorgelegt, in der sich der Vergleich zwischen den beiden unterschiedlichen Kriegen aufdrängt. Zum einen, weil jene vermeintlich kleine Auseinandersetzung am anderen Ende der Welt wie kaum ein anderes in der amerikanischen Geschichte zu einem traumatischen Ereignis wurde. Zum anderen, weil noch immer über die Ursachen eines Entscheidungsprozesses gerätselt wird, den Kaiser die größte Fehlentscheidung in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten nennt.
Wer die Kriegsursachen verstehen will, sagt Kaiser, muß sich also an Thukydides orientieren und die langfristigen von den unmittelbaren Ursachen unterscheiden. Nun ist Kaiser nicht der erste Autor, der sich an einer Analyse der Politikprozesse vor dem eigentlichen Kriegsbeginn versucht. Aber niemand hat bisher nicht nur die zeitliche Perspektive, sondern auch die Verantwortung für den Krieg so pointiert verschoben. Nach seiner Ansicht wurden Mitte der fünfziger Jahre, während der Eisenhower-Administration, die politischen Grundlagen und langfristigen Voraussetzungen für den Krieg geschaffen.
Kaiser bietet eine minutiöse Rekonstruktion der Entscheidungsabläufe in Washington. Sie setzt mit der antikommunistischen Außen- und Sicherheitspolitik Eisenhowers ein und endet mit dem ersten Bodentruppeneinsatz 1965. Eine Flut von Gesprächsaufzeichnungen und deklassifizierten Pentagon-Dokumenten hat Kaiser in fast zehnjähriger Recherche ausgewertet, um die Genese eines Krieges freizulegen, der am Ende zum längsten in der amerikanischen Geschichte wurde und rund 60 000 GIs das Leben kostete.
Zwischen endlosen Fakten und Fußnoten entwickelt Kaiser zwei klare Thesen: Schon Eisenhower war es, und nicht erst Kennedy, der die Vorgaben für die Eskalation der militärischen Präsenz in Vietnam entwarf. Und Johnson war es, der jene Politik der fünfziger Jahre fortsetzte. Zweitens verschiebt Kaiser das Gewicht innerhalb der Entscheidungskette nach unten, zur Bürokratie und zu den Außen- und Sicherheitspolitik-Experten der amerikanischen Regierung. Diese waren seit Eisenhowers Regierungszeit darauf festgelegt, einer kommunistischen Aggression überall auf der Welt mit allen Mitteln entgegenzutreten, und sie überhäuften Johnson und Kennedy mit Plänen und Eingaben über ein baldiges militärisches Eingreifen.
Dabei entsteht ein Porträt von Kennedy, das folgender gängiger Lehrmeinung widerspricht: Kennedy als Falke in der Verkleidung einer Taube, als ein Präsident, der hinter der Fassade liberaler Innenpolitik stets ein aggressiver Außenpolitiker gewesen sein soll - von Anfang an dazu bereit, in Vietnam Krieg zu führen.
Kennedy ließ zwar das amerikanische Militärpersonal zwischen 1960 und 1963 kontinuierlich von 600 auf 17 500 Mann erhöhen. Jedoch stellt diese Entwicklung für Kaiser weniger den Beweis für Kennedys Kriegsintentionen dar, sondern vielmehr für einen "Kompromiß" zwischen dem zurückhaltenden, dem skeptischen Präsidenten und seiner kriegstreiberischen Bürokratie und einzelnen Kabinettsmitgliedern, die ganz im Sinne von Eisenhowers Politik vor 1961 eine direkte Intervention forderten.
Der Kennedy, den Kaiser präsentiert, ist kein Vertreter jener sich unbesiegbar glaubenden GI-Generation, die den Kampf um jeden Preis führen wollte. Statt dessen, so Kaiser, "werden wir wohl nie erfahren, was Kennedy getan hätte, wenn er eine zweite Amtszeit erlebt hätte, aber wir können sicher sein, daß der Vietnam-Krieg drei oder vier Jahre früher begonnen hätte, wäre Kennedy den Anweisungen seiner Untergebenen gefolgt".
Ganz anders erscheint dagegen der unerfahrene und wenig charismatische Johnson: Nie den kritischen Eingaben untergeordneter Berater folgend, hingegen auf den Spuren Eisenhowers dem Militär nahezu freien Lauf lassend, habe er sich ganz auf Kennedys langjährigen Weggefährten Robert McNamara verlassen.
So überzeugend Kaiser die Rolle der Bürokraten und neuen Eliten im politischen Entscheidungsprozeß darstellt und auch belegen kann, so sehr wird dennoch eine seiner Schlußfolgerungen zur großen Schwachstelle des Buches: daß nur Kennedy der richtige Mann war, um den Bürokraten und Kriegstreibern zu widerstehen. Denn nur selten gelingt es dem Autor, sein Kennedy-Bild mit Fakten zu unterlegen - statt dessen folgt er eher seinen persönlichen Ansichten. Denn allein der Wechsel im Weißen Haus änderte das Hauptziel der amerikanischen Politik nicht, den Süden Vietnams unbedingt gegen den kommunistischen Norden zu verteidigen. Nur die Mittel änderten sich mit der Zeit.
THOMAS SCHULZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Ursachen des Vietnam-Krieges
David Kaiser: American Tragedy. Kennedy, Johnson and the Origins of the Vietnam War. Harvard University Press, Cambridge und London 2000. 566 Seiten, Abbildungen, 19,95 Pfund.
Kriege haben viele Ursachen. Das wußte schon Thukydides. Nun war der Vietnam-Krieg für die Amerikaner weder so lang noch so verheerend wie der Peloponnesische Krieg für die Athener. Trotzdem hat David Kaiser eine Ursachenanalyse des Vietnam-Krieges vorgelegt, in der sich der Vergleich zwischen den beiden unterschiedlichen Kriegen aufdrängt. Zum einen, weil jene vermeintlich kleine Auseinandersetzung am anderen Ende der Welt wie kaum ein anderes in der amerikanischen Geschichte zu einem traumatischen Ereignis wurde. Zum anderen, weil noch immer über die Ursachen eines Entscheidungsprozesses gerätselt wird, den Kaiser die größte Fehlentscheidung in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten nennt.
Wer die Kriegsursachen verstehen will, sagt Kaiser, muß sich also an Thukydides orientieren und die langfristigen von den unmittelbaren Ursachen unterscheiden. Nun ist Kaiser nicht der erste Autor, der sich an einer Analyse der Politikprozesse vor dem eigentlichen Kriegsbeginn versucht. Aber niemand hat bisher nicht nur die zeitliche Perspektive, sondern auch die Verantwortung für den Krieg so pointiert verschoben. Nach seiner Ansicht wurden Mitte der fünfziger Jahre, während der Eisenhower-Administration, die politischen Grundlagen und langfristigen Voraussetzungen für den Krieg geschaffen.
Kaiser bietet eine minutiöse Rekonstruktion der Entscheidungsabläufe in Washington. Sie setzt mit der antikommunistischen Außen- und Sicherheitspolitik Eisenhowers ein und endet mit dem ersten Bodentruppeneinsatz 1965. Eine Flut von Gesprächsaufzeichnungen und deklassifizierten Pentagon-Dokumenten hat Kaiser in fast zehnjähriger Recherche ausgewertet, um die Genese eines Krieges freizulegen, der am Ende zum längsten in der amerikanischen Geschichte wurde und rund 60 000 GIs das Leben kostete.
Zwischen endlosen Fakten und Fußnoten entwickelt Kaiser zwei klare Thesen: Schon Eisenhower war es, und nicht erst Kennedy, der die Vorgaben für die Eskalation der militärischen Präsenz in Vietnam entwarf. Und Johnson war es, der jene Politik der fünfziger Jahre fortsetzte. Zweitens verschiebt Kaiser das Gewicht innerhalb der Entscheidungskette nach unten, zur Bürokratie und zu den Außen- und Sicherheitspolitik-Experten der amerikanischen Regierung. Diese waren seit Eisenhowers Regierungszeit darauf festgelegt, einer kommunistischen Aggression überall auf der Welt mit allen Mitteln entgegenzutreten, und sie überhäuften Johnson und Kennedy mit Plänen und Eingaben über ein baldiges militärisches Eingreifen.
Dabei entsteht ein Porträt von Kennedy, das folgender gängiger Lehrmeinung widerspricht: Kennedy als Falke in der Verkleidung einer Taube, als ein Präsident, der hinter der Fassade liberaler Innenpolitik stets ein aggressiver Außenpolitiker gewesen sein soll - von Anfang an dazu bereit, in Vietnam Krieg zu führen.
Kennedy ließ zwar das amerikanische Militärpersonal zwischen 1960 und 1963 kontinuierlich von 600 auf 17 500 Mann erhöhen. Jedoch stellt diese Entwicklung für Kaiser weniger den Beweis für Kennedys Kriegsintentionen dar, sondern vielmehr für einen "Kompromiß" zwischen dem zurückhaltenden, dem skeptischen Präsidenten und seiner kriegstreiberischen Bürokratie und einzelnen Kabinettsmitgliedern, die ganz im Sinne von Eisenhowers Politik vor 1961 eine direkte Intervention forderten.
Der Kennedy, den Kaiser präsentiert, ist kein Vertreter jener sich unbesiegbar glaubenden GI-Generation, die den Kampf um jeden Preis führen wollte. Statt dessen, so Kaiser, "werden wir wohl nie erfahren, was Kennedy getan hätte, wenn er eine zweite Amtszeit erlebt hätte, aber wir können sicher sein, daß der Vietnam-Krieg drei oder vier Jahre früher begonnen hätte, wäre Kennedy den Anweisungen seiner Untergebenen gefolgt".
Ganz anders erscheint dagegen der unerfahrene und wenig charismatische Johnson: Nie den kritischen Eingaben untergeordneter Berater folgend, hingegen auf den Spuren Eisenhowers dem Militär nahezu freien Lauf lassend, habe er sich ganz auf Kennedys langjährigen Weggefährten Robert McNamara verlassen.
So überzeugend Kaiser die Rolle der Bürokraten und neuen Eliten im politischen Entscheidungsprozeß darstellt und auch belegen kann, so sehr wird dennoch eine seiner Schlußfolgerungen zur großen Schwachstelle des Buches: daß nur Kennedy der richtige Mann war, um den Bürokraten und Kriegstreibern zu widerstehen. Denn nur selten gelingt es dem Autor, sein Kennedy-Bild mit Fakten zu unterlegen - statt dessen folgt er eher seinen persönlichen Ansichten. Denn allein der Wechsel im Weißen Haus änderte das Hauptziel der amerikanischen Politik nicht, den Süden Vietnams unbedingt gegen den kommunistischen Norden zu verteidigen. Nur die Mittel änderten sich mit der Zeit.
THOMAS SCHULZ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main