Der erste, bahnbrechende Roman von Don DeLillo - jetzt neu aufgelegtMit achtundzwanzig Jahren hat der gut aussehende David Bell bereits Karriere in einer New Yorker Fernsehproduktionsfirma gemacht. Alle Skandale und Intrigen hat er zu seinen Gunsten zu nutzen verstanden. Bell wechselt sowohl Prinzipien als auch die eigene Identität, wie es die jeweilige Situation erfordert, und schützt sich selbst mit seinem ausgeprägten Zynismus. Doch eines Tages wird ihm klar, dass ihm die Wirklichkeit immer weiter entrückt. Der Versuch, sie wieder »einzufangen« - mit einer Kamera in der Hand auf der Reise durch Amerikas Mittleren Westen, auf der Suche nach dem Herzen des Landes -, gerät zu einem Fiasko, das ihn gnadenlos an seine Grenzen führt.Don DeLillos erster Roman, »Americana«, erschien 1971.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.11.2016NEUE TASCHENBÜCHER
Durch ein Land wie Literatur -
Don DeLillos Erstling „Americana“
1971 erschien dieser erste Roman von Don DeLillo. Noch tobte der Vietnamkrieg, Richard Nixon war Präsident. Trotz der zeitlichen Distanz und aller Veränderungen in den USA seither wirkt das Buch in seinen vier Teilen frisch, frech und immer bitter. Mit unermüdlicher Intensität häuft DeLillos Ich-Erzähler, der gut aussehende David Bell, seine Wahrnehmungen aufeinander, von offenen Schuhen, den verschieden farbigen Sofas in den Büros des TV-Senders, in dem Bell angestellt ist, bis zum leeren Ausdruck in den Augen von Kollegen oder Sekretärinnen. Es herrscht ein banaler Sexismus, und die Gespräche drehen sich um Ehenöte, Miniaffären, Aufstieg und Abstieg der Angestellten. Der lässige Ton, in dem David seine Beobachtungen scheinbar wahllos nebeneinander reiht, das leicht zynische Kommentieren, all das lässt unmerklich aber zwingend ein immer dichteres, schärferes Bild jener New-York-Welt entstehen, aus der es manchmal so gefühlskalt weht, dass es aufregend wird. Kino spielt immer hinein mit Helden wie Kirk Douglas oder Burt Lancaster. Also fährt David los, um sein „Navajo-Projekt“ durchzuziehen. Er schaut einer Heckenschneiderin in Maine zu: „ …sie hatte mich auf den seltsamsten, dunkelsten, entsetzlichsten Gedanken meines Lebens gebracht. Es war die Idee zu einem Film, den ich irgendwo da draußen zwischen den verlorenen Städten Amerikas machen würde.“ Es wird ein Roadmovie daraus, hinunter bis nach Texas. Der Weg führt auch in Davids Erinnerung, zurück zu Eltern und Großeltern, zu den Freunden der Jugend, zum Baseballspiel. Am Ende, in einer Kommune mitten in Texas, spielt er wieder Baseball mit einem Indianerjungen, glücklich. Noch eine Garagenorgie, dann zurück nach New York. Die Typen auf dieser Fahrt durchs weite Land glaubt man, alle aus amerikanischen Filmen der letzten fünfzig Jahre zu kennen. In der Sprachmixtur aus Verknappung, Obszönität und tieferer Bedeutung tauchen Sätze auf, die immer treffen: „Wir sind das einzige Land der Welt, wo Gewalt komisch sein kann.“ HARALD EGGEBRECHT
Don DeLillo: Americana. Roman.
Aus dem Englischen von Matthias Müller. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016.
490 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Durch ein Land wie Literatur -
Don DeLillos Erstling „Americana“
1971 erschien dieser erste Roman von Don DeLillo. Noch tobte der Vietnamkrieg, Richard Nixon war Präsident. Trotz der zeitlichen Distanz und aller Veränderungen in den USA seither wirkt das Buch in seinen vier Teilen frisch, frech und immer bitter. Mit unermüdlicher Intensität häuft DeLillos Ich-Erzähler, der gut aussehende David Bell, seine Wahrnehmungen aufeinander, von offenen Schuhen, den verschieden farbigen Sofas in den Büros des TV-Senders, in dem Bell angestellt ist, bis zum leeren Ausdruck in den Augen von Kollegen oder Sekretärinnen. Es herrscht ein banaler Sexismus, und die Gespräche drehen sich um Ehenöte, Miniaffären, Aufstieg und Abstieg der Angestellten. Der lässige Ton, in dem David seine Beobachtungen scheinbar wahllos nebeneinander reiht, das leicht zynische Kommentieren, all das lässt unmerklich aber zwingend ein immer dichteres, schärferes Bild jener New-York-Welt entstehen, aus der es manchmal so gefühlskalt weht, dass es aufregend wird. Kino spielt immer hinein mit Helden wie Kirk Douglas oder Burt Lancaster. Also fährt David los, um sein „Navajo-Projekt“ durchzuziehen. Er schaut einer Heckenschneiderin in Maine zu: „ …sie hatte mich auf den seltsamsten, dunkelsten, entsetzlichsten Gedanken meines Lebens gebracht. Es war die Idee zu einem Film, den ich irgendwo da draußen zwischen den verlorenen Städten Amerikas machen würde.“ Es wird ein Roadmovie daraus, hinunter bis nach Texas. Der Weg führt auch in Davids Erinnerung, zurück zu Eltern und Großeltern, zu den Freunden der Jugend, zum Baseballspiel. Am Ende, in einer Kommune mitten in Texas, spielt er wieder Baseball mit einem Indianerjungen, glücklich. Noch eine Garagenorgie, dann zurück nach New York. Die Typen auf dieser Fahrt durchs weite Land glaubt man, alle aus amerikanischen Filmen der letzten fünfzig Jahre zu kennen. In der Sprachmixtur aus Verknappung, Obszönität und tieferer Bedeutung tauchen Sätze auf, die immer treffen: „Wir sind das einzige Land der Welt, wo Gewalt komisch sein kann.“ HARALD EGGEBRECHT
Don DeLillo: Americana. Roman.
Aus dem Englischen von Matthias Müller. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016.
490 Seiten, 12 Euro.
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