Mit Frank Kelleters Buch liegt die bislang gründlichste Einzeluntersuchung zur nordamerikanischen Aufklärung und die erste Diskursanalyse des aufgeklärten Vernunftbegriffes insgesamt vor. Auf der Grundlage einer umfassenden Definition des rationalen Projektes der Aufklärung zeigt Kelleter, welche Sprach- und Handlungspraktiken im 18. Jahrhundert zur Ausbildung eines spezifisch amerikanischen Rationalitätsverständnisses beitrugen.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungGanz schön rational damals
Frank Kelleters Neuinterpretation der amerikanischen Aufklärung
Wer an die politische Sprache Amerikas denkt, dem wird das Merkmal der "Rationalität" gegenwärtig wohl nicht zuerst einfallen. Nicht erst seit Bush junior und nicht erst seit dem "11. September" ist der offizielle politische Diskurs der Vereinigten Staaten, zumal die Rhetorik der Präsidenten, aus europäischer Sicht alles andere als nüchtern-vernunftorientiert, vielmehr manichäisch und missionarisch, zivilreligiös und pathetisch. Mit Links-rechts-Schemata hat das nur sehr bedingt etwas zu tun; Reagan und Bush unterscheiden sich darin nicht grundsätzlich von Kennedy und Carter.
Doch zum Glück gibt es das achtzehnte Jahrhundert und die "Founding Fathers" - zum Glück für Amerika wie für die an Amerika zu verzweifeln drohenden Europäer. Die politische Literatur der amerikanischen Revolutionszeit, vom kolonialen Protest über die Unabhängigkeitsbewegung bis zur Begründung der nationalen Republik, stellt noch immer eine schier unerschöpfliche Ressource für heutige Forscher, für heutiges Nachdenken über Amerika dar: Idealismus, Pathos und religiöse Fundierung waren dieser Generation wahrlich nicht fremd, aber vor allem beeindruckt die kühle, oft geradezu szientifische Rationalität, mit der diese Politiker und Intellektuellen um John Adams und Thomas Jefferson, Thomas Paine und Patrick Henry, Alexander Hamilton und James Madison eine neue Staatsordnung entwarfen und begründeten - eine Staatsordnung, die mehr sein sollte als ein neues Institutionengeflecht, die deshalb eine neue Gesellschaft und neue Anthropologie mit einschloß.
Das alles ist bis in die jüngste Zeit ebenso häufig beschrieben worden - gelehrt oder unterhaltsam, theoretisch oder anschaulich -, wie über die ideologischen Wurzeln des revolutionären Denkens und der amerikanischen "new science of politics" (Gordon Wood) gestritten wurde. Es liegt freilich einige Zeit zurück, daß die Forschung dabei zum letzten Mal wirklich neue Horizonte erschlossen hat: nämlich mit dem Streit zwischen der "republikanischen" und der "liberalen" Deutung der Revolution in den siebziger und achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Im Moment herrscht eine Phase vor, die der Wissenschaftsphilosoph Thomas Kuhn als "Normalwissenschaft" kennzeichnen würde. Man wartet gespannt darauf, welchem Autor, welchem Buch es gelingt, diese Innovationsschwelle zu überschreiten und eine neue Deutung der revolutionären Politik und Ideologie im späten achtzehnten Jahrhundert vorzulegen, die produktiv und spannungsreich auf die Krise und die Neudefinition Amerikas am Beginn unseres Jahrhunderts bezogen ist.
Vielleicht als eine Rekonstruktion der kulturellen Rationalität Amerikas im Zeichen der gegenwärtigen Verunsicherung? Frank Kelleter jedenfalls hat sich für seine Untersuchung der amerikanischen Aufklärung ein anspruchsvolles Ziel gesetzt. In seiner Mainzer Habilitationsschrift versucht der Literaturwissenschaftler und Amerikanist eine umfassende Neuinterpretation politischer Diskurse im neunzehnten Jahrhundert, die um die Leitidee einer "amerikanischen Aufklärung" herum organisiert ist. Damit ist nicht nur eine spezifische Ausprägung der Aufklärung als einer von Europa übernommenen kulturell-politischen Bewegung gemeint, sondern zugleich die systematische Frage nach der Entfaltung von Vernunftpotentialen in der politischen Rede, in der kommunikativen Praxis der britischen Kolonien und der jungen Vereinigten Staaten. Kelleter verknüpft historische, textkritische und systematische Erklärungsansprüche; auf ungewöhnlich breite Weise legt er seine Studie als interdisziplinäre Synthese im Schnittfeld von Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte an. Er will das achtzehnte Jahrhundert erklären und daraus Material für eine Theorie der Rationalität ebenso wie für eine "Theorie der Moderne" gewinnen.
In vier Teilen nähert sich Kelleter seiner großen Aufgabe an. Die ersten Kapitel, knapp zweihundert Seiten, entwickeln einen systematischen Vorgriff auf das "Projekt der Aufklärung" und auf philosophische Theorien der Vernunft zwischen Locke und Hume einerseits, Habermas und Foucault andererseits. Die sensualistische Begründung der Vernunft in der angelsächsischen Tradition wird dabei hervorgehoben; Aufklärung rehabilitiert die Sinnlichkeit und rationalisiert das Wunderbare, schafft es aber nicht ab. Dieser Begriff einer sinnlich-religiösen Aufklärung wird mit der Habermasschen Kommunikationstheorie der Vernunft zu amalgamieren versucht: Die amerikanische Aufklärung im achtzehnten Jahrhundert zeichnete sich demnach durch spezifische Sprachpraktiken aus, die einer diskursiven Entfaltung von Rationalitäten im Vollzug von Politik, Religion oder Literatur Raum gaben.
Die sinnliche Dimension der Aufklärung greift der zweite, in vieler Hinsicht originellste Teil des Buches auf, der die protestantische Erweckungstheologie des frühen und mittleren achtzehnten Jahrhunderts in den britischen Kolonien analysiert. Dieses "Great Awakening" war zugleich eine dynamische soziale Bewegung, die den erstarrten neuenglischen Calvinismus ebenso wie (etwas später) die anglikanische Kirche in den südlichen Kolonien durcheinanderwirbelte und dabei Hierarchien aufbrach, so daß die neue Frömmigkeitskultur zugleich zur Vorbotin revolutionärer Mobilisierung werden konnte.
Jonathan Edwards, den berühmten theologischen Protagonisten dieser Bewegung in Neuengland, rückt Kelleter in den Mittelpunkt; er wird gewissermaßen zum Ur-Helden der amerikanischen Aufklärung, was wiederum nur unter der Prämisse funktioniert, daß die Aufklärung (mit Panajotis Kondylis) als Abkehr vom "cartesianischen Rationalismus" zu verstehen sei. Mystik und Pietismus, der Appell der Erwecker an sinnliche Erfahrung, werden dann zu Wurzeln einer neuen Rationalität. Diese These freilich scheint überzogen, auch wenn sich Elemente des "Great Awakening" ein Jahrhundert später im amerikanischen Transzendentalismus eines Emerson oder Thoreau durchaus wiederfanden. Unbestreitbar dagegen ist, daß das "Great Awakening" neue Kommunikationsräume eröffnete und weitere soziale Schichten in eine Sphäre der praktischen Öffentlichkeit einbezog.
Der dritte und umfangreichste Teil ist weitaus konventioneller geraten. Hier arbeitet sich Kelleter noch einmal durch die Stufen der Amerikanischen Revolution und ihrer politischen Debatten zwischen den sechziger und neunziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts hindurch: Locke und die "Commonwealthmen", Föderalisten und Antiföderalisten, schließlich die frühe Republik zwischen Französischer Revolution und neuem amerikanischen Nationalismus. Zu ausgedehnt sind die "Forschungsberichte" und Selbstvergewisserungen des Autors, zu unscharf ist die Richtung der Argumentation. Der Zusammenhalt mit den beiden ersten Teilen geht über weite Strecken verloren.
Im Zeitalter "postkolonialer" Historiographie konnte das Buch mit der Untersuchung jener herrschenden Diskurse nicht enden, die im Laufe von drei Jahrzehnten von der kolonialen Peripherie Britanniens in das nationale Zentrum Amerikas gerückt waren. Im vierten und letzten Teil des Buches widmet sich Kelleter daher den "differenten Rationalitäten" im Diskurs jener Gruppen, denen von den Verfassungsvätern höchstens ein marginaler Platz in der Republik zuerkannt worden war: der Indianer, der afroamerikanischen Sklaven und der Frauen. Der identitätspolitische Widerstand dieser Gruppen, so Kelleter, wurde jedoch erfolgreich "amerikanisiert", indem sich auch die Ausgegrenzten auf den versprochenen Universalismus Amerikas berufen konnten. So führt Kelleter am Ende die Vielheit der Stimmen wieder auf die Einheit der Vernunft zurück.
Nicht erst am Ende des Buches findet sich der Rezensent ein wenig ratlos wieder. Kaum vermeidbar ist das Fazit: Der Autor ist an der übergroßen Bürde des Stoffes und der Erklärungsansprüche, die er sich aufgeladen hat, gescheitert. Er wollte zuviel auf einmal, und auf eine fatale Weise wollte er sich nicht festlegen: Die Position Kelleters nämlich in der Debatte um Aufklärung und Vernunft bleibt bis zum Schluß rätselhaft. Wenn amerikanische Aufklärung - so die Bilanz des letzten Teils - "vor allem (!) in den Lebenserzählungen von Sklaven oder den romantischen Fiktionen bürgerlicher Hausfrauen" stattfand, wozu dann sechshundert Seiten über Jonathan Edwards und die "Founding Fathers"? Und wie paßt dazu die These vom antiintellektualistischen, pietistisch-religiösen Charakter amerikanischer Rationalität?
Eine zweite Brücke, die sich als nicht tragfähig erweist, ist die vom achtzehnten Jahrhundert in die Gegenwart. Solche Brücken sind nicht prinzipiell unmöglich, aber anders als Habermas oder Foucault, die Kelleter mit seiner eigenen "Theorie der Moderne" noch überbieten will, gelingt es ihm nicht, historisches Material in systematische Erkenntnisse zu übersetzen. Die Gegenwartsanalyse bleibt bestenfalls blaß, zum gegenwärtigen Amerika hat sie nichts zu sagen. Auf eine innovative und zeitgemäße Deutung der Revolution müssen wir deshalb weiter warten.
PAUL NOLTE
Frank Kelleter: "Amerikanische Aufklärung". Sprachen der Rationalität im Zeitalter der Revolution. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2002. 852 S., geb., 116,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frank Kelleters Neuinterpretation der amerikanischen Aufklärung
Wer an die politische Sprache Amerikas denkt, dem wird das Merkmal der "Rationalität" gegenwärtig wohl nicht zuerst einfallen. Nicht erst seit Bush junior und nicht erst seit dem "11. September" ist der offizielle politische Diskurs der Vereinigten Staaten, zumal die Rhetorik der Präsidenten, aus europäischer Sicht alles andere als nüchtern-vernunftorientiert, vielmehr manichäisch und missionarisch, zivilreligiös und pathetisch. Mit Links-rechts-Schemata hat das nur sehr bedingt etwas zu tun; Reagan und Bush unterscheiden sich darin nicht grundsätzlich von Kennedy und Carter.
Doch zum Glück gibt es das achtzehnte Jahrhundert und die "Founding Fathers" - zum Glück für Amerika wie für die an Amerika zu verzweifeln drohenden Europäer. Die politische Literatur der amerikanischen Revolutionszeit, vom kolonialen Protest über die Unabhängigkeitsbewegung bis zur Begründung der nationalen Republik, stellt noch immer eine schier unerschöpfliche Ressource für heutige Forscher, für heutiges Nachdenken über Amerika dar: Idealismus, Pathos und religiöse Fundierung waren dieser Generation wahrlich nicht fremd, aber vor allem beeindruckt die kühle, oft geradezu szientifische Rationalität, mit der diese Politiker und Intellektuellen um John Adams und Thomas Jefferson, Thomas Paine und Patrick Henry, Alexander Hamilton und James Madison eine neue Staatsordnung entwarfen und begründeten - eine Staatsordnung, die mehr sein sollte als ein neues Institutionengeflecht, die deshalb eine neue Gesellschaft und neue Anthropologie mit einschloß.
Das alles ist bis in die jüngste Zeit ebenso häufig beschrieben worden - gelehrt oder unterhaltsam, theoretisch oder anschaulich -, wie über die ideologischen Wurzeln des revolutionären Denkens und der amerikanischen "new science of politics" (Gordon Wood) gestritten wurde. Es liegt freilich einige Zeit zurück, daß die Forschung dabei zum letzten Mal wirklich neue Horizonte erschlossen hat: nämlich mit dem Streit zwischen der "republikanischen" und der "liberalen" Deutung der Revolution in den siebziger und achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Im Moment herrscht eine Phase vor, die der Wissenschaftsphilosoph Thomas Kuhn als "Normalwissenschaft" kennzeichnen würde. Man wartet gespannt darauf, welchem Autor, welchem Buch es gelingt, diese Innovationsschwelle zu überschreiten und eine neue Deutung der revolutionären Politik und Ideologie im späten achtzehnten Jahrhundert vorzulegen, die produktiv und spannungsreich auf die Krise und die Neudefinition Amerikas am Beginn unseres Jahrhunderts bezogen ist.
Vielleicht als eine Rekonstruktion der kulturellen Rationalität Amerikas im Zeichen der gegenwärtigen Verunsicherung? Frank Kelleter jedenfalls hat sich für seine Untersuchung der amerikanischen Aufklärung ein anspruchsvolles Ziel gesetzt. In seiner Mainzer Habilitationsschrift versucht der Literaturwissenschaftler und Amerikanist eine umfassende Neuinterpretation politischer Diskurse im neunzehnten Jahrhundert, die um die Leitidee einer "amerikanischen Aufklärung" herum organisiert ist. Damit ist nicht nur eine spezifische Ausprägung der Aufklärung als einer von Europa übernommenen kulturell-politischen Bewegung gemeint, sondern zugleich die systematische Frage nach der Entfaltung von Vernunftpotentialen in der politischen Rede, in der kommunikativen Praxis der britischen Kolonien und der jungen Vereinigten Staaten. Kelleter verknüpft historische, textkritische und systematische Erklärungsansprüche; auf ungewöhnlich breite Weise legt er seine Studie als interdisziplinäre Synthese im Schnittfeld von Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte an. Er will das achtzehnte Jahrhundert erklären und daraus Material für eine Theorie der Rationalität ebenso wie für eine "Theorie der Moderne" gewinnen.
In vier Teilen nähert sich Kelleter seiner großen Aufgabe an. Die ersten Kapitel, knapp zweihundert Seiten, entwickeln einen systematischen Vorgriff auf das "Projekt der Aufklärung" und auf philosophische Theorien der Vernunft zwischen Locke und Hume einerseits, Habermas und Foucault andererseits. Die sensualistische Begründung der Vernunft in der angelsächsischen Tradition wird dabei hervorgehoben; Aufklärung rehabilitiert die Sinnlichkeit und rationalisiert das Wunderbare, schafft es aber nicht ab. Dieser Begriff einer sinnlich-religiösen Aufklärung wird mit der Habermasschen Kommunikationstheorie der Vernunft zu amalgamieren versucht: Die amerikanische Aufklärung im achtzehnten Jahrhundert zeichnete sich demnach durch spezifische Sprachpraktiken aus, die einer diskursiven Entfaltung von Rationalitäten im Vollzug von Politik, Religion oder Literatur Raum gaben.
Die sinnliche Dimension der Aufklärung greift der zweite, in vieler Hinsicht originellste Teil des Buches auf, der die protestantische Erweckungstheologie des frühen und mittleren achtzehnten Jahrhunderts in den britischen Kolonien analysiert. Dieses "Great Awakening" war zugleich eine dynamische soziale Bewegung, die den erstarrten neuenglischen Calvinismus ebenso wie (etwas später) die anglikanische Kirche in den südlichen Kolonien durcheinanderwirbelte und dabei Hierarchien aufbrach, so daß die neue Frömmigkeitskultur zugleich zur Vorbotin revolutionärer Mobilisierung werden konnte.
Jonathan Edwards, den berühmten theologischen Protagonisten dieser Bewegung in Neuengland, rückt Kelleter in den Mittelpunkt; er wird gewissermaßen zum Ur-Helden der amerikanischen Aufklärung, was wiederum nur unter der Prämisse funktioniert, daß die Aufklärung (mit Panajotis Kondylis) als Abkehr vom "cartesianischen Rationalismus" zu verstehen sei. Mystik und Pietismus, der Appell der Erwecker an sinnliche Erfahrung, werden dann zu Wurzeln einer neuen Rationalität. Diese These freilich scheint überzogen, auch wenn sich Elemente des "Great Awakening" ein Jahrhundert später im amerikanischen Transzendentalismus eines Emerson oder Thoreau durchaus wiederfanden. Unbestreitbar dagegen ist, daß das "Great Awakening" neue Kommunikationsräume eröffnete und weitere soziale Schichten in eine Sphäre der praktischen Öffentlichkeit einbezog.
Der dritte und umfangreichste Teil ist weitaus konventioneller geraten. Hier arbeitet sich Kelleter noch einmal durch die Stufen der Amerikanischen Revolution und ihrer politischen Debatten zwischen den sechziger und neunziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts hindurch: Locke und die "Commonwealthmen", Föderalisten und Antiföderalisten, schließlich die frühe Republik zwischen Französischer Revolution und neuem amerikanischen Nationalismus. Zu ausgedehnt sind die "Forschungsberichte" und Selbstvergewisserungen des Autors, zu unscharf ist die Richtung der Argumentation. Der Zusammenhalt mit den beiden ersten Teilen geht über weite Strecken verloren.
Im Zeitalter "postkolonialer" Historiographie konnte das Buch mit der Untersuchung jener herrschenden Diskurse nicht enden, die im Laufe von drei Jahrzehnten von der kolonialen Peripherie Britanniens in das nationale Zentrum Amerikas gerückt waren. Im vierten und letzten Teil des Buches widmet sich Kelleter daher den "differenten Rationalitäten" im Diskurs jener Gruppen, denen von den Verfassungsvätern höchstens ein marginaler Platz in der Republik zuerkannt worden war: der Indianer, der afroamerikanischen Sklaven und der Frauen. Der identitätspolitische Widerstand dieser Gruppen, so Kelleter, wurde jedoch erfolgreich "amerikanisiert", indem sich auch die Ausgegrenzten auf den versprochenen Universalismus Amerikas berufen konnten. So führt Kelleter am Ende die Vielheit der Stimmen wieder auf die Einheit der Vernunft zurück.
Nicht erst am Ende des Buches findet sich der Rezensent ein wenig ratlos wieder. Kaum vermeidbar ist das Fazit: Der Autor ist an der übergroßen Bürde des Stoffes und der Erklärungsansprüche, die er sich aufgeladen hat, gescheitert. Er wollte zuviel auf einmal, und auf eine fatale Weise wollte er sich nicht festlegen: Die Position Kelleters nämlich in der Debatte um Aufklärung und Vernunft bleibt bis zum Schluß rätselhaft. Wenn amerikanische Aufklärung - so die Bilanz des letzten Teils - "vor allem (!) in den Lebenserzählungen von Sklaven oder den romantischen Fiktionen bürgerlicher Hausfrauen" stattfand, wozu dann sechshundert Seiten über Jonathan Edwards und die "Founding Fathers"? Und wie paßt dazu die These vom antiintellektualistischen, pietistisch-religiösen Charakter amerikanischer Rationalität?
Eine zweite Brücke, die sich als nicht tragfähig erweist, ist die vom achtzehnten Jahrhundert in die Gegenwart. Solche Brücken sind nicht prinzipiell unmöglich, aber anders als Habermas oder Foucault, die Kelleter mit seiner eigenen "Theorie der Moderne" noch überbieten will, gelingt es ihm nicht, historisches Material in systematische Erkenntnisse zu übersetzen. Die Gegenwartsanalyse bleibt bestenfalls blaß, zum gegenwärtigen Amerika hat sie nichts zu sagen. Auf eine innovative und zeitgemäße Deutung der Revolution müssen wir deshalb weiter warten.
PAUL NOLTE
Frank Kelleter: "Amerikanische Aufklärung". Sprachen der Rationalität im Zeitalter der Revolution. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2002. 852 S., geb., 116,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Einen etwas zwiespältigen Eindruck hat die mehr als 800 Seiten umfassende Habilschrift des Amerikanisten Frank Kelleter über die amerikanische Aufklärung bei Rezensent Gert Raeithel hinterlassen. Respekteinflößend findet er Kelleters Untersuchung der britischen und amerikanischen Quellen vor, während und nach der amerikanischen Revolution. So könne der Autor belegen, dass Thomas Jefferson, John Adams und andere Gründerväter jenseits republikanischer oder liberalistischer Etikettierungen eine "prozeduralistische Vernunftpolitik" anstrebten, wobei die U.S.-Verfassung die rationalen Prozeduren zur Wahrheitsfindung lieferte. Was dem Rezensenten indes mächtig auf den Geist geht, ist Kelleters Stil. "Der Autor will einen kleinen, erlesenen Kreis überzeugen und in ihn aufgenommen werden, nicht aber einen Vertrag mit der allgemeinen Leserschaft schließen, sich auf einer Verständnisebene zu treffen", tadelt Raeithel. Der Text wimmele nur so von akademisch-hässlichen Wortungetümen. Damit kann Kelleter den Rezensenten allerdings nun überhaupt nicht beeindrucken. Bisweilen wird der Inhalt zum Ärgernis des Rezensenten durch den unschönen, verqueren Stil Kelleters allerdings nahezu unverständlich, etwa wenn der Autor erklärt: 'Gegen transsubjektive und antiindividualistische Solidaritätsimperative gilt deshalb festzuhalten, dass die negative Bestätigung dominanter Zuschreibungen die (nun oppositionell inkorporierten) Subjekte nicht minder - und eher mehr - unterwirft als der prätendiert zwanglose Zwang der deliberativen Vernunft'. Inhaltlich stößt sich Raeithel am Hang des Autors, die Mächtigen reinzuwaschen. So leugne Kelleter die imperialen Gelüste der Vereinigten Staaten und bescheinige den Pionieren eine Eroberung ohne Eroberungsabsicht. "Das Schönrednerische", Raeithel abschließend, "schmälert seine in anderer Hinsicht vortreffliche wissenschaftliche Leistung."
© Perlentaucher Medien GmbH
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