Der Band gibt einen Überblick über die amerikanische Literaturgeschichte von den Anfängen bis zur Postmoderne. Die gewachsene internationale Bedeutung der Literatur Nordamerikas wird an deren wichtigsten Entwicklungsphasen und Erscheinungsformen verdeutlicht und aus dem Blickwinkel ihrer multikulturellen Situation beleuchtet. Der Literatur Kanadas als "the other North American Literature" ist ein eigenes Kapitel gewidmet."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.1997Achtung, Diskurs schwenkt aus
Daher Abstand halten: Metzlers amerikanische Literaturgeschichte
Ginge es nach der zuletzt aktuellen Literaturtheorie, dann dürfte es heute keine Literaturgeschichten mehr geben, denn historisches Denken, so erklären uns die Dekonstruktivisten, ist im Grunde ein Selbstwiderspruch. Im normalen Leben und im Verlagswesen geht es aber meistens nach Angebot und Nachfrage, und da scheint derzeit das Bedürfnis nach historischen Überblicksdarstellungen besonders groß. Wer da glaubte, daß nach der Wende etwa die sozialgeschichtlich orientierten Literarhistoriker ein Hauch von Selbstzweifel umwehen müßte, sieht sich getäuscht; eine neue Literaturgeschichte nach der anderen erscheint auf dem Markt, und trotz des Mißtrauens gegenüber Ansprüchen auf Allgemeingültigkeit vermessen Einzelgänger und Kollektive das Terrain immer wieder neu und inventarisieren die Bestände.
Die erfolgreiche Reihe der Metzler-Literaturgeschichten ist um einen sechshundert Seiten starken Band zur "amerikanischen Literaturgeschichte" vermehrt worden, auf den die Autoren der englischen Literaturgeschichte in der gleichen Reihe neidische Blicke werfen werden - ihnen und damit der sehr viel älteren englischen Literatur hatte man nur bescheidene vierhundertfünfzig Seiten zugebilligt. Wird hier ein Zeichen für die Befreiung der deutschen Amerikanistik aus anglistischer Vormundschaft gesetzt? Der Herausgeber Hubertus Zapf stellt sein Unternehmen in den Zusammenhang jener "American Studies", die als Direktimport aus den Vereinigten Staaten gegenwärtig an den deutschen Universitäten Hochkonjunktur haben.
Zapf hat eine Mannschaft aus überwiegend jüngeren, mehr oder weniger etablierten Fachleuten zusammengestellt, die sich als Kultur- und Literarhistoriker verstehen. Vom Teamchef darin bestärkt, daß "die momentanen Zweifel an der Rekonstruierbarkeit von Geschichte nicht das letzte Wort sein können", weben sie, ähnlich wie die Autoren der "Columbia Literary History of the United States" (1988), den Teppich einer Literaturgeschichte, die sich als Verflechtung von Texten und Kontexten darbietet. Bücher, so die (nicht ganz neue) Botschaft, reagieren eben nicht nur intensiv aufeinander, sondern auch auf ihre Umwelt. Durch die Aufnahme in dieses Sammelwerk werden die meisten von ihnen in den Rang kultureller Leistungen erhoben, "über deren Wert", so heißt es im Vorwort, "im Laufe einer langen Wirkungsgeschichte Übereinkunft erzielt worden ist".
Mit anderen Worten: Ohne Kanon geht es nicht, aber er muß, weil ästhetische Rangunterschiede relativ sind, ständig revidiert werden. Die Auswirkungen dieser Selbstverpflichtung treten besonders im zweiten Teil des Bandes zutage, wo die multikulturelle Vielfalt der amerikanischen Gegenwartsliteratur katalogartig (und mit bisweilen verbissener "political correctness") aufgeblättert, ein lohnender Blick nach Kanada geworfen und eine nützliche Skizze der theoretischen Prämissen und Präferenzen nachgereicht wird.
Die Metzlersche amerikanische Literaturgeschichte bestätigt die alte Erkenntnis, daß Begriff, Programm und Geschichte einer Nationalliteratur unvermeidlich ideologiegeprägt sind - in diesem Fall unübersehbar von den Konzepten und dem Vokabular der Weberschen Kultursoziologie, die nach langem Amerika-Aufenthalt wieder in ihre Heimat zurückgekehrt scheint (und die man sofort an ihren alten Unarten, anscheinender Beliebigkeit der Textauswahl und ermüdender Vorhersagbarkeit der Urteile, zu erkennen meint). Wer sich in diesem Buch zum Beispiel über Herman Melvilles "Billy Budd" informieren will, erfährt lediglich, daß es sich bei der Geschichte um eine "politische Parabel über das Verhältnis von Disziplin und Willkür, von Rebellion und Konformität in einer Zeit des Imperialismus" handelt. Wenig später wird dem proletarischen Roman "Yonnondio" von Tillie Olson, den hierzulande keiner kennt, eine ganze Seite gewidmet - seine Verfasserin gerät nämlich, wie es heißt, in einen "signifikanten Konflikt mit dem dominanten Diskurs des Realen und Authentischen".
"Den Deutschen", sagte Goethe, "ist im ganzen die philosophische Spekulation hinderlich, die in ihren Stil oft ein unsinnliches, unfaßliches, breites und aufdröselndes Wesen hineinbringt. Je näher sie sich gewissen philosophischen Schulen hingeben, desto schlechter schreiben sie." Die Nähe dieser Literaturgeschichte zu den "Cultural Studies" hat ihr nicht nur gelegentlich den freien Blick verstellt, diese Nähe ist auch Stil und Lesbarkeit einiger Beiträge nicht gut bekommen.
Das ist bedauerlich, denn trotz allem handelt es sich hier um eine beachtliche Gemeinschaftsleistung; in ähnlichem Umfang hat es Vergleichbares in deutscher Sprache bisher nicht gegeben, und namentlich der zweite Teil stellt fraglos eine Pionierarbeit dar. Von gewichtigen Bänden wie diesem, selbst wenn sie sich nicht mehr als Instrumente der Wahrheitsfindung ausgeben, pflegen auf lange Sicht normative Wirkungen auszugehen, denn die Leser werden über lang oder kurz die ausgewählten Namen und Werke nicht nur als einführenden Überblick und Lektüreanregung für Laien, sondern als repräsentativ akzeptieren. Daß ein solches Werk eher ein Spiegelbild seiner Verfasser als der dargestellten historischen Zusammenhänge ist, sollte man darüber nicht vergessen. HELMUT WINTER
Hubertus Zapf (Hrsg.): "Amerikanische Literaturgeschichte". Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 1996. 596 S., 424 Abb., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Daher Abstand halten: Metzlers amerikanische Literaturgeschichte
Ginge es nach der zuletzt aktuellen Literaturtheorie, dann dürfte es heute keine Literaturgeschichten mehr geben, denn historisches Denken, so erklären uns die Dekonstruktivisten, ist im Grunde ein Selbstwiderspruch. Im normalen Leben und im Verlagswesen geht es aber meistens nach Angebot und Nachfrage, und da scheint derzeit das Bedürfnis nach historischen Überblicksdarstellungen besonders groß. Wer da glaubte, daß nach der Wende etwa die sozialgeschichtlich orientierten Literarhistoriker ein Hauch von Selbstzweifel umwehen müßte, sieht sich getäuscht; eine neue Literaturgeschichte nach der anderen erscheint auf dem Markt, und trotz des Mißtrauens gegenüber Ansprüchen auf Allgemeingültigkeit vermessen Einzelgänger und Kollektive das Terrain immer wieder neu und inventarisieren die Bestände.
Die erfolgreiche Reihe der Metzler-Literaturgeschichten ist um einen sechshundert Seiten starken Band zur "amerikanischen Literaturgeschichte" vermehrt worden, auf den die Autoren der englischen Literaturgeschichte in der gleichen Reihe neidische Blicke werfen werden - ihnen und damit der sehr viel älteren englischen Literatur hatte man nur bescheidene vierhundertfünfzig Seiten zugebilligt. Wird hier ein Zeichen für die Befreiung der deutschen Amerikanistik aus anglistischer Vormundschaft gesetzt? Der Herausgeber Hubertus Zapf stellt sein Unternehmen in den Zusammenhang jener "American Studies", die als Direktimport aus den Vereinigten Staaten gegenwärtig an den deutschen Universitäten Hochkonjunktur haben.
Zapf hat eine Mannschaft aus überwiegend jüngeren, mehr oder weniger etablierten Fachleuten zusammengestellt, die sich als Kultur- und Literarhistoriker verstehen. Vom Teamchef darin bestärkt, daß "die momentanen Zweifel an der Rekonstruierbarkeit von Geschichte nicht das letzte Wort sein können", weben sie, ähnlich wie die Autoren der "Columbia Literary History of the United States" (1988), den Teppich einer Literaturgeschichte, die sich als Verflechtung von Texten und Kontexten darbietet. Bücher, so die (nicht ganz neue) Botschaft, reagieren eben nicht nur intensiv aufeinander, sondern auch auf ihre Umwelt. Durch die Aufnahme in dieses Sammelwerk werden die meisten von ihnen in den Rang kultureller Leistungen erhoben, "über deren Wert", so heißt es im Vorwort, "im Laufe einer langen Wirkungsgeschichte Übereinkunft erzielt worden ist".
Mit anderen Worten: Ohne Kanon geht es nicht, aber er muß, weil ästhetische Rangunterschiede relativ sind, ständig revidiert werden. Die Auswirkungen dieser Selbstverpflichtung treten besonders im zweiten Teil des Bandes zutage, wo die multikulturelle Vielfalt der amerikanischen Gegenwartsliteratur katalogartig (und mit bisweilen verbissener "political correctness") aufgeblättert, ein lohnender Blick nach Kanada geworfen und eine nützliche Skizze der theoretischen Prämissen und Präferenzen nachgereicht wird.
Die Metzlersche amerikanische Literaturgeschichte bestätigt die alte Erkenntnis, daß Begriff, Programm und Geschichte einer Nationalliteratur unvermeidlich ideologiegeprägt sind - in diesem Fall unübersehbar von den Konzepten und dem Vokabular der Weberschen Kultursoziologie, die nach langem Amerika-Aufenthalt wieder in ihre Heimat zurückgekehrt scheint (und die man sofort an ihren alten Unarten, anscheinender Beliebigkeit der Textauswahl und ermüdender Vorhersagbarkeit der Urteile, zu erkennen meint). Wer sich in diesem Buch zum Beispiel über Herman Melvilles "Billy Budd" informieren will, erfährt lediglich, daß es sich bei der Geschichte um eine "politische Parabel über das Verhältnis von Disziplin und Willkür, von Rebellion und Konformität in einer Zeit des Imperialismus" handelt. Wenig später wird dem proletarischen Roman "Yonnondio" von Tillie Olson, den hierzulande keiner kennt, eine ganze Seite gewidmet - seine Verfasserin gerät nämlich, wie es heißt, in einen "signifikanten Konflikt mit dem dominanten Diskurs des Realen und Authentischen".
"Den Deutschen", sagte Goethe, "ist im ganzen die philosophische Spekulation hinderlich, die in ihren Stil oft ein unsinnliches, unfaßliches, breites und aufdröselndes Wesen hineinbringt. Je näher sie sich gewissen philosophischen Schulen hingeben, desto schlechter schreiben sie." Die Nähe dieser Literaturgeschichte zu den "Cultural Studies" hat ihr nicht nur gelegentlich den freien Blick verstellt, diese Nähe ist auch Stil und Lesbarkeit einiger Beiträge nicht gut bekommen.
Das ist bedauerlich, denn trotz allem handelt es sich hier um eine beachtliche Gemeinschaftsleistung; in ähnlichem Umfang hat es Vergleichbares in deutscher Sprache bisher nicht gegeben, und namentlich der zweite Teil stellt fraglos eine Pionierarbeit dar. Von gewichtigen Bänden wie diesem, selbst wenn sie sich nicht mehr als Instrumente der Wahrheitsfindung ausgeben, pflegen auf lange Sicht normative Wirkungen auszugehen, denn die Leser werden über lang oder kurz die ausgewählten Namen und Werke nicht nur als einführenden Überblick und Lektüreanregung für Laien, sondern als repräsentativ akzeptieren. Daß ein solches Werk eher ein Spiegelbild seiner Verfasser als der dargestellten historischen Zusammenhänge ist, sollte man darüber nicht vergessen. HELMUT WINTER
Hubertus Zapf (Hrsg.): "Amerikanische Literaturgeschichte". Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 1996. 596 S., 424 Abb., geb., 49,80 DM.
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