Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 7,00 €
  • Broschiertes Buch

Das Thema Amnestie wird kontrovers diskutiert. Zum einen bewegen sich Amnestien auf nationaler wie auf internationaler Ebene in einem rechtlichten Vakuum und werden so vornehmlich zum Gegenstand der Politik. Zum anderen wird und wurde in den unterschiedlichsten politischen und historischen Kontexten amnestiert. Stets jedoch verweist die Amnestiedebatte in Staaten, die den Weg von der Diktatur zur Demokratie zurückgelegt haben, auf ein zentrales Problem: die Neubildung einer kulturellen und nationalen Identität. Die Autoren untersuchen u. a. die Wurzeln des Amnestieproblems im antiken Athen,…mehr

Produktbeschreibung
Das Thema Amnestie wird kontrovers diskutiert. Zum einen bewegen sich Amnestien auf nationaler wie auf internationaler Ebene in einem rechtlichten Vakuum und werden so vornehmlich zum Gegenstand der Politik. Zum anderen wird und wurde in den unterschiedlichsten politischen und historischen Kontexten amnestiert. Stets jedoch verweist die Amnestiedebatte in Staaten, die den Weg von der Diktatur zur Demokratie zurückgelegt haben, auf ein zentrales Problem: die Neubildung einer kulturellen und nationalen Identität.
Die Autoren untersuchen u. a. die Wurzeln des Amnestieproblems im antiken Athen, die Amnestierungen in der frühen Bundesrepublik und die Arbeit der Wahrheitskommissionen in Lateinamerika und Südafrika.
Autorenporträt
Avishai Margalit ist emeritierter Professor für Philosophie an der Hebräischen Universität in Jerusalem und George F. Kennan Professor am Institute for Advanced Study in Princeton. Er lehrte unter anderem in Oxford, Harvard sowie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet. Avishai Margalit ist Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung Peace Now. Im Jahr 2012 wurde er mit dem Ernst-Bloch-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.1998

Urwort des Friedens
Eine Debatte über Nutz und Nachteil des Vergessens

Gary Smith, Avishai Margalit: Amnestie oder die Politik der Erinnerung in der Demokratie. edition suhrkamp 2016. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 239 Seiten, 19,80 Mark.

Ob die Gegenwart über die Vergangenheit richten dürfe, ist auch nach 2500 Jahren eine Frage, die Historiker zu Heißblütern machen kann. Experten aus aller Welt versuchten sich im Sommer 1996 auf einer Potsdamer Konferenz am Thema, fanden aber auch nach langem Streit keine Antwort auf die Frage des Vergebens und Vergessens in einer offenen Gesellschaft. In dem Sammelband, den Gary Smith und Avishai Margalit unter dem Titel "Amnestie oder die Politik der Erinnerung in der Demokratie" herausgegeben haben, kann man nun nachlesen, wie das weite Feld des Verstehens und Verzeihens beackert wurde.

Gary Smith vermaß als erster das "normative Niemandsland", das sich vor allem in Mittel- und Osteuropa nach dem Fall der Mauer aufgetan hat. Zwischen der "Skylla des Schlußstrichs und der Charybdis der Durchleuchtung" laviere man in den früheren Staaten des Ostblocks mehr schlecht als recht in den Strömen der Zeit. Immerhin aber ist es auf diese Weise gelungen, den inneren Frieden zu bewahren, ganz im Sinne des Satzes von Carl Schmitt, der Amnestie einmal als "Urwort des Friedens" bezeichnet hat.

Das gewollte Vergessen hat im alten Griechenland, später auch in Frankreich und England nach Religions- und Bürgerkriegen eine große Rolle gespielt. Als "oublie de passé" oder als "act of oblivion" hat die Idee des Schlußstrichs einiges für das friedliche Zusammenleben getan. Den Herausgeber indes mögen solche Beispiele nicht zu überzeugen: "Wo die Erinnerung mißachtet wird", schließt Smith seinen Essay, "ist Versöhnung nicht möglich."

Doch wer verfügt eigentlich über die Erinnerung, wer bestimmt das historische Bewußtsein? Sind es die Richter, die Politiker oder die Historiker? In der Demokratie gibt es in der Regel mehr Fragen als verbindliche Antworten. Und nach dem Potsdamer Gespräch steht man nicht viel klüger da. Zwar werden die vielen Facetten des Themas deutlich. Darunter sind freilich so absonderliche wie in dem Beitrag Dieter Simons über verordnetes Vergessen, der völlig den Boden unter den Füßen verliert, als er der Gegenwart zu nahe tritt, Politik betreibt, wo er besser seines Amtes als Rechtshistoriker hätte walten sollen: Der Senat von Berlin hatte selbstverständlich das Recht, Straßen um- oder sogar rückzubenennen. Die Legitimität dieser Entscheidungen in Frage zu stellen zeugt von einem gestörten Verständnis von Demokratie. Die Propheten der ewigen Erinnerung sollten gelegentlich zur Kenntnis nehmen, daß es neben dem Nutzen auch einen Nachteil der Historie gibt, auf den vor hundert Jahren nicht ganz zu Unrecht hingewiesen wurde.

Von den Beiträgen dieses Bandes ragt bezeichnenderweise jener heraus, der am weitesten von der Gegenwart entfernt ist. Wilfried Nippel verdeutlicht in seinem Aufsatz über Bürgerkrieg und Amnestie in Athen am Ende des fünften Jahrhunderts die Dimensionen des Themas. Nach der sizilischen Katastrophe, die das Ende des Peleponnesischen Krieges und letztlich den Fall Athens bewirkte, kam es zweimal zu einem Staatsstreich, der die Demokratie in der Stadt für einige Zeit abschaffte. Nachdem die Demokraten beim ersten Mal versuchten, die Oligarchen zu bestrafen, stand nach dem Scheitern des zweiten Putsches das Bemühen im Vordergrund, die rebellischen Bürger zu integrieren.

"Nicht an Übles erinnern und nicht Böses nachtragen" war die Maxime der attischen Demokraten. Wenn man dieses Verhalten mit den vielen anderen in dem Band behandelten Fallbeispielen in Argentinien, Ruanda und Südafrika vergleicht, lernt man die Vorzüge einer Selbstbeschränkung eher kennen als den Wert vorschnellen Urteilens. Man sollte sich davor hüten, klüger sein zu wollen als die alten Griechen. Von allen Fragen, die sie uns gestellt haben, gehört die Politik zu den schwierigsten Rätseln. Man sollte deshalb seine Worte wägen - was in diesem Buch nicht in jedem der Beiträge der Fall ist.

Dieser Sammelband läßt einen auf höherer Ebene verwirrt zurück. Das liegt vor allem an der spannenden Diskussion, die sich an die Vorträge anschloß, wo die vornehme Zurückhaltung der Redner bald einer lebendigen Streitkultur wich. Joachim Gauck, Regina Ogorek, Richard Schröder, Gesine Schwan, Wolfgang Ullmann und Rudolf Wassermann stritten erbittert wie in einer mittelalterlichen Disputation und mit guten Argumenten für ihre Thesen und zeigen, daß die Geschichte noch nicht vergangen ist. FLORIAN SCHMIDT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr