Um es vorweg zu sagen: ich sah nach verschiedenen kleineren Signalen in der aus Ich-Perspektive erzählenden Person ziemlich schnell eine Frau und bin dabei geblieben.
Mit einem Abstand von sechzig Jahren berichtet also die Ich-Erzählerin, eine als Deutsch-Lehrerin tätige Französin, darüber, wie
sie im besetzten Frankreich des 2. Weltkrieges einen Juden im Keller versteckt hält und mit ihm ein…mehrUm es vorweg zu sagen: ich sah nach verschiedenen kleineren Signalen in der aus Ich-Perspektive erzählenden Person ziemlich schnell eine Frau und bin dabei geblieben.
Mit einem Abstand von sechzig Jahren berichtet also die Ich-Erzählerin, eine als Deutsch-Lehrerin tätige Französin, darüber, wie sie im besetzten Frankreich des 2. Weltkrieges einen Juden im Keller versteckt hält und mit ihm ein Verhältnis hat, während sich zwei Stockwerke höher ihre Schwester habituell und mit großer Inbrunst einem SS-Mann hingibt. Für die bisher ganz für die deutsche Sprache und Literatur lebende Erzählerin die wichtigste und intensivste Erfahrung ihres Lebens.
Die Erzählweise ist sachlich, direkt und bisweilen von unvermitteltem Zynismus. Doch der erste Eindruck trügt, das Buch besitzt eine emotionale Tiefe und Kraft, die erst allmählich sichtbar werden. So rückt nach und nach der Holocaust in den Blick und die Frage, wie verhält man sich. Selbst wenn man versucht, einen Juden zu retten, was sind die Motive, was ist mit den anderen Opfern, z.B. der von früher her bekannten Ladenbesitzerin, die man ihrem Tod entgegengehen sieht, darf man unbedeutende Aufträge der Besatzer annehmen, kurz: was für ein Mensch ist man wirklich? Zum anderen gewinnt die Ich-Erzählerin trotz des kurzen Textes und der scheinbar einfachen Erzählweise eine Stimme und eine Komplexität, die einem auch nach Ende der Lektüre noch nachgehen. Ihre Kälte stellt sie an mehreren Stellen unter Beweis, plötzlich aber kommen ein, zwei Sätze, und es öffnet sich eine andere, bislang verborgene Kammer ihrer Seele, die Sehnsucht nach einem niemals mehr gesehenen Jugendfreund, Haß auf die Besatzer, Schuldgefühle wegen ihres Versagens, doch all dies ohne daß hierdurch ihre Verachtung und Kälte deshalb aufgehoben wären.
Man könnte noch viel zu diesem Buch sagen, lesen sollte man es auf alle Fälle.