Wie der längst zum Kultbuch gewordene Roman Kitchen ist Amrita die Geschichte einer ungewöhnlichen Wahl-Familie, die von der Trauer um einen geliebten Menschen zusammengehalten wird. Amrita ist eine Odyssee durch die heftigsten Turbulenzen des Seelenlebens zu Selbstfindung und neuem Glück, und es ist vor allem eines: eine wunderschöne Hommage an das Leben. Es ist Yoshimotos hellsichtigstes und ernsthaftestes Buch, auch flapsig und skurril, vor allem aber von ungewöhnlicher Zartheit und Poesie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2001Im Schatten junger Bananenblüte
Astrale Familientherapie: Banana Yoshimotos Roman "Amrita"
Banana Yoshimoto - ein Name, ein Programm. Ihr Pseudonym Banana hat Mahoko Yoshimoto aus Bewunderung für die Schönheit blühender Bananenstauden gewählt. In Japan ist Banana ein Superstar. Wenn junge Japanerinnen nicht in Manga-Comics blättern, lesen sie Banana.
Die Erzählerin Sakumi hat eine Familie. Vierzig Prozent der Familie sind tot. Der Rest versteht sich ausgezeichnet und wird ergänzt durch eine entfernte Cousine und die beste Freundin der Mutter. Sie allesamt "stehen sich gefühlsmäßig außerordentlich nahe". Sakumi ist auf den Kopf gefallen, und so erzählt sie auch. Infolge ihres Unfalls hat sie ihr Gedächtnis verloren. Aber nach dem zu urteilen, was ihr zur ihrer Gegenwart einfällt, kann einen der Verlust ihrer Vergangenheit nicht besonders traurig stimmen. Im Laufe des Romans findet Sakumi leider ihr Gedächtnis wieder und belästigt den entnervten Leser von da an auch noch mit ihren Erinnerungen.
Sakumis Schwester ist ebenfalls ein Unfallopfer. Mayu ist mit dem Auto verunglückt, tödlich. Glücklicherweise erweist sich der kleine Bruder Yoshio als parapsychologisches Genie, der Sakumi für spiritistische Familientreffen und telepathische Unfallopferrückführung sensibilisiert. Eigentlich recht einfach, denn ein bißchen hat auch Sakumi das zweite Gesicht, nicht so ganz, vielleicht eher so ein eindreisiebtel Gesicht. Zum Gedankenlesen reicht es gerade noch. In Tages- und Nachtgesichtern macht sich das gesamte Romanpersonal regelmäßig auf Astralreisen zum Familientarif, um den verstorbenen Verwandten einen ätherischen Besuch abzustatten, einen Hauch Zukunft zu erschnuppern und gemeinsam die sehenswerten Lichtverhältnisse der vierten Dimension zu bewundern. Mesmerismus im Pyjama ist an der Tagesordnung, und das dritte Auge wird vererbt von Vater zu Sohn, von Mutter zu Tochter.
Neben ihrem dritten Auge hat die Heldin noch ein recht metaphysisches Näschen: Mal riecht das Universum in ihrer Body-Shop-Prosa penetrant nach Verzweiflung, mal duftet es herb nach Einsamkeit. Existentialiste Nr. 2, von Chanel. Und wie schmeckt das Licht, das Geister des Nachts aussenden? "Ein süßes, kaltes, zartes Licht, wie das von Leuchtkäfern, wollte man es visuell beschreiben - geschmacklich wäre es am ehesten mit Birnensorbet zu vergleichen gewesen."
Yoshimoto krönt ihr Bananensorbet mit Ufos. Kurz verharren sie über dem Nachthimmel von Tokio, doch ihre Flugpläne kennt nur der kleine Bruder, und wie ihr Fernlicht schmeckt, weiß keiner. Und das, obwohl Sakumi ein karmisches Superweib ist: "Du bist wiedergeboren, weißt du, das heißt, du hast schon erreicht, wofür Yoga-Leute ihr ganzes Leben brauchen. Das ist einzigartig."
Bei all dem New-Age-Hokuspokus lernt Sakumi, das Leben bedingungslos zu schätzen. Mantrahaft lullt sie einen mit der seligen Lebensfreude jener ein, die rechtzeitig auf den Kopf Gefallene sind, so daß man stehenden Fußes zum radikalen No-future-Punk konvertieren möchte. Lesern, die ausschließlich ihre fünf Sinne beieinander haben, wird all diese geistverlassene Geisterseherei albern erscheinen.
An dramatischer Handlung hat Yoshimotos esoterisches Bananarama nicht mehr zu bieten als das übliche Geplätscher einer Familien-Soap. Eine Busenfreundin schreibt einen irre lieben Brief, man diskutiert ganz toll in der nächtlichen Küche und hat einen Wahnsinnsspaß in Strandbars. Alle zwanzig Seiten ertönt der penetrante Refrain aller Verständigungstexte: "Ich glaube, ich weiß, was du meinst." Man meint, den Erfolgsbericht einer therapeutischen Familienaufstellung zu lesen. Nur läßt sich nicht ausmachen, welches Leid kuriert werden soll: Die Sonntagnachmittag-Depression? Metaphysischer Silberblick? Als heilsam erweist sich in jedem Falle das unbeteiligte Tierreich: "Den Mondfischen war das egal, sie gaben mir Trost."
Yoshimoto erhebt das psychische Wiederkäuen zum Erzählprinzip. Nach zwanzig Seiten Lektüre tobt einem das Schlafsaal-Geschnatter eines überfüllten Mädchenpensionats unter der Schädeldecke. Oder ist Amrita eine Zen-Übung, die einem die absolute Leere zugänglich machen soll? Wäre Banana nicht solch ein Starlet, hätte ein gewissenhafter Lektor diesen orientierungslos vor sich hinbrabbelnden Text auf Haiku-Länge gekürzt: Vier Verse, siebzehn Silben. Banana Yoshimotos Vater ist ein einflußreicher japanischer Literaturkritiker, heißt es. Leider scheint er auch ein Anhänger antiautoritärer Erziehungsprinzipien zu sein.
Banana Yoshimoto muß die Weltsicht der populären japanischen Comics zutiefst verinnerlicht haben. Den Rätseln des Weltenlaufes rückt sie mit den wolkigen Mitteln des klassischen Poesiealbums auf den Leib und freut sich ungehemmt ihres Berufes: "Schriftsteller zu sein ist ein toller Beruf." Leser zu sein nicht immer. Die beschreibenden Passagen flattern aus einem ausgeleierten Drehständer voller Asien-Postkarten: Strand-Sand-Sonne-Neonreklame, alles in Fujicolor. Yoshimoto schichtet ihren Kitsch zu mehrstöckigen Absurditäten: "Die Schicht von Traurigkeit, die ihn umgab, war so dick wie die Menschheitsgeschichte, und der Wind, der darin wehte, ließ einen frösteln wie der eisige Hauch, der über Grabsteine strich, nach denen sich schon lange niemand mehr umschaute."
Ein spielerischer Umgang mit den Erzähl-Codes und der Bilderwelt der Shôjo-Mangas für Mädchen hätte durchaus amüsant sein können. Doch einem einfältigen Gemüt über 500 Seiten folgen zu müssen ist kein Vergnügen. Amrita hat nichts anderes zu bieten als landläufige Ärzte-, Heimat- und Erbauungsliteratur.
Muß man kurze, lustig-lollipopbunte Comic-Strips zum Rückwärts-Lesen in unermeßlich öde Bleiwüsten zum Vorwärts-Lesen verwandeln? Kommt bald eine sechshundertseitige Pokémon-Saga in bibliophiler Dünndruck-Ausgabe? Ein langatmig angelegter Entwicklungsroman, collagiert einzig aus Britney Spears Songtexten? Wer wird das amüsante deutsche Panzer-Quartett-Kartenspiel in eine adäquate Romanform gießen? Was heißt Panzer-Quartett auf japanisch? Vor allem aber: Wer soll all diesen Trash lesen?
STEPHAN MAUS
Banana Yoshimoto: "Amrita." Roman. Aus dem Japanischen übersetzt von Annelie Ortmanns. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 510 S., geb., 42,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Astrale Familientherapie: Banana Yoshimotos Roman "Amrita"
Banana Yoshimoto - ein Name, ein Programm. Ihr Pseudonym Banana hat Mahoko Yoshimoto aus Bewunderung für die Schönheit blühender Bananenstauden gewählt. In Japan ist Banana ein Superstar. Wenn junge Japanerinnen nicht in Manga-Comics blättern, lesen sie Banana.
Die Erzählerin Sakumi hat eine Familie. Vierzig Prozent der Familie sind tot. Der Rest versteht sich ausgezeichnet und wird ergänzt durch eine entfernte Cousine und die beste Freundin der Mutter. Sie allesamt "stehen sich gefühlsmäßig außerordentlich nahe". Sakumi ist auf den Kopf gefallen, und so erzählt sie auch. Infolge ihres Unfalls hat sie ihr Gedächtnis verloren. Aber nach dem zu urteilen, was ihr zur ihrer Gegenwart einfällt, kann einen der Verlust ihrer Vergangenheit nicht besonders traurig stimmen. Im Laufe des Romans findet Sakumi leider ihr Gedächtnis wieder und belästigt den entnervten Leser von da an auch noch mit ihren Erinnerungen.
Sakumis Schwester ist ebenfalls ein Unfallopfer. Mayu ist mit dem Auto verunglückt, tödlich. Glücklicherweise erweist sich der kleine Bruder Yoshio als parapsychologisches Genie, der Sakumi für spiritistische Familientreffen und telepathische Unfallopferrückführung sensibilisiert. Eigentlich recht einfach, denn ein bißchen hat auch Sakumi das zweite Gesicht, nicht so ganz, vielleicht eher so ein eindreisiebtel Gesicht. Zum Gedankenlesen reicht es gerade noch. In Tages- und Nachtgesichtern macht sich das gesamte Romanpersonal regelmäßig auf Astralreisen zum Familientarif, um den verstorbenen Verwandten einen ätherischen Besuch abzustatten, einen Hauch Zukunft zu erschnuppern und gemeinsam die sehenswerten Lichtverhältnisse der vierten Dimension zu bewundern. Mesmerismus im Pyjama ist an der Tagesordnung, und das dritte Auge wird vererbt von Vater zu Sohn, von Mutter zu Tochter.
Neben ihrem dritten Auge hat die Heldin noch ein recht metaphysisches Näschen: Mal riecht das Universum in ihrer Body-Shop-Prosa penetrant nach Verzweiflung, mal duftet es herb nach Einsamkeit. Existentialiste Nr. 2, von Chanel. Und wie schmeckt das Licht, das Geister des Nachts aussenden? "Ein süßes, kaltes, zartes Licht, wie das von Leuchtkäfern, wollte man es visuell beschreiben - geschmacklich wäre es am ehesten mit Birnensorbet zu vergleichen gewesen."
Yoshimoto krönt ihr Bananensorbet mit Ufos. Kurz verharren sie über dem Nachthimmel von Tokio, doch ihre Flugpläne kennt nur der kleine Bruder, und wie ihr Fernlicht schmeckt, weiß keiner. Und das, obwohl Sakumi ein karmisches Superweib ist: "Du bist wiedergeboren, weißt du, das heißt, du hast schon erreicht, wofür Yoga-Leute ihr ganzes Leben brauchen. Das ist einzigartig."
Bei all dem New-Age-Hokuspokus lernt Sakumi, das Leben bedingungslos zu schätzen. Mantrahaft lullt sie einen mit der seligen Lebensfreude jener ein, die rechtzeitig auf den Kopf Gefallene sind, so daß man stehenden Fußes zum radikalen No-future-Punk konvertieren möchte. Lesern, die ausschließlich ihre fünf Sinne beieinander haben, wird all diese geistverlassene Geisterseherei albern erscheinen.
An dramatischer Handlung hat Yoshimotos esoterisches Bananarama nicht mehr zu bieten als das übliche Geplätscher einer Familien-Soap. Eine Busenfreundin schreibt einen irre lieben Brief, man diskutiert ganz toll in der nächtlichen Küche und hat einen Wahnsinnsspaß in Strandbars. Alle zwanzig Seiten ertönt der penetrante Refrain aller Verständigungstexte: "Ich glaube, ich weiß, was du meinst." Man meint, den Erfolgsbericht einer therapeutischen Familienaufstellung zu lesen. Nur läßt sich nicht ausmachen, welches Leid kuriert werden soll: Die Sonntagnachmittag-Depression? Metaphysischer Silberblick? Als heilsam erweist sich in jedem Falle das unbeteiligte Tierreich: "Den Mondfischen war das egal, sie gaben mir Trost."
Yoshimoto erhebt das psychische Wiederkäuen zum Erzählprinzip. Nach zwanzig Seiten Lektüre tobt einem das Schlafsaal-Geschnatter eines überfüllten Mädchenpensionats unter der Schädeldecke. Oder ist Amrita eine Zen-Übung, die einem die absolute Leere zugänglich machen soll? Wäre Banana nicht solch ein Starlet, hätte ein gewissenhafter Lektor diesen orientierungslos vor sich hinbrabbelnden Text auf Haiku-Länge gekürzt: Vier Verse, siebzehn Silben. Banana Yoshimotos Vater ist ein einflußreicher japanischer Literaturkritiker, heißt es. Leider scheint er auch ein Anhänger antiautoritärer Erziehungsprinzipien zu sein.
Banana Yoshimoto muß die Weltsicht der populären japanischen Comics zutiefst verinnerlicht haben. Den Rätseln des Weltenlaufes rückt sie mit den wolkigen Mitteln des klassischen Poesiealbums auf den Leib und freut sich ungehemmt ihres Berufes: "Schriftsteller zu sein ist ein toller Beruf." Leser zu sein nicht immer. Die beschreibenden Passagen flattern aus einem ausgeleierten Drehständer voller Asien-Postkarten: Strand-Sand-Sonne-Neonreklame, alles in Fujicolor. Yoshimoto schichtet ihren Kitsch zu mehrstöckigen Absurditäten: "Die Schicht von Traurigkeit, die ihn umgab, war so dick wie die Menschheitsgeschichte, und der Wind, der darin wehte, ließ einen frösteln wie der eisige Hauch, der über Grabsteine strich, nach denen sich schon lange niemand mehr umschaute."
Ein spielerischer Umgang mit den Erzähl-Codes und der Bilderwelt der Shôjo-Mangas für Mädchen hätte durchaus amüsant sein können. Doch einem einfältigen Gemüt über 500 Seiten folgen zu müssen ist kein Vergnügen. Amrita hat nichts anderes zu bieten als landläufige Ärzte-, Heimat- und Erbauungsliteratur.
Muß man kurze, lustig-lollipopbunte Comic-Strips zum Rückwärts-Lesen in unermeßlich öde Bleiwüsten zum Vorwärts-Lesen verwandeln? Kommt bald eine sechshundertseitige Pokémon-Saga in bibliophiler Dünndruck-Ausgabe? Ein langatmig angelegter Entwicklungsroman, collagiert einzig aus Britney Spears Songtexten? Wer wird das amüsante deutsche Panzer-Quartett-Kartenspiel in eine adäquate Romanform gießen? Was heißt Panzer-Quartett auf japanisch? Vor allem aber: Wer soll all diesen Trash lesen?
STEPHAN MAUS
Banana Yoshimoto: "Amrita." Roman. Aus dem Japanischen übersetzt von Annelie Ortmanns. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 510 S., geb., 42,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Was für ein Talent! Banana Yoshimoto schreibt wunderbar subtile, wundersam verstörende Bücher, in denen Japans Jugend endlich Stimme bekommt.« Stern Stern