Produktdetails
- Verlag: Nan A. Talese
- ISBN-13: 9780385494236
- Artikelnr.: 67477612
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.1999Ganz schön vorlaut
Aber nicht ganz unangestrengt: Ian McEwan mag Onkelprosa
Molly ist tot. Sie wusste, wie man Porcini anbrät, posierte als nackte Eva auf Snookertischen und liebte Männer mit Chauffeur und Obsessionen. Vor der Kapelle des Krematoriums stehen ihr reicher Verlegergatte George Lane und drei ihrer Liebhaber: der Außenminister Julian Garmony und das Freundespaar Clive Linley und Vernon Halliday, renommierter Komponist der Erstere, Chefredakteur eines Qualitätsblattes auf dem Weg zum Boulevard Letzterer. Molly zerfällt zu Asche und mit ihr die feinen englischen Umgangsformen: Nach einer kurzen Betroffenheitsphase, in der in jedem der Hinterbliebenen ein Stück Organ abstirbt, die linke Herzkammer oder die rechte Hirnhälfte, spielen die vier Herzen zu einem Quartett des Terrors, Mobbings und der Palastintrige auf. Zum Schluss bleiben zwei der Liebhaber auf der Strecke, und der dritte ist ruiniert. Der gehörnte Ehemann hat endlich die Erinnerung an Molly für sich allein.
Ian McEwan bedient sich in seinem Roman großzügig aus der staubigen Genre-Trickkiste. Er schickt seinen Leser durchs wilde Kurdistan der Zufälligkeiten und unvermuteten Zusammenkünfte. In einem dämmrigen Zimmer warten kompromittierende Fotos auf ihre Veröffentlichung, ein Brief braucht exakt einen verhängnisvollen Tag zu lange, und in einem operettenhaften letzten Akt unterschreiben die beiden ehemals besten Freunde Vernon und Clive im Rausch ihr eigenes Todesurteil. In gleichem Maße wie die ehrwürdige Zeitung unter dem Chefredakteur Vernon Halliday vom Boulevardjournalismus bedroht ist, wird McEwans Roman von trivialen Erzählmustern unterlaufen. Das kann man als handwerklich perfektes Ineinandergreifen von Handlungssegmenten lesen - oder als antiquierte dramaturgische Albernheiten.
Gefühle tragen McEwans Personen nur oberhalb der Krawatte. Männer lassen ihre Gesichter zu "Masken der Langmut erstarren", im Eisbad ihres Willens werden ihre Blicke stahlhart. Jeder verfügt über ein bedienungsfreundliches Schaltpult zur Feinabstimmung seiner Ausdrucksformen: "Gleichzeitig knipste er seinen Charme an." Diese Männer haben ihr inneres Kind ermordet: "Einen Seufzer des Selbstmitleids versteckte er hinter einem lautstarken Erwachsenenhüsteln." So kennen wir sie, unsere autistischen Nieten in Nadelstreifen. Aber Politiker sind auch fies. Charakteristisch für sie ist ein "Huschen der Augen . . ., die rastlos Ausschau halten nach neuen Zuhörern oder Abtrünnigen, nach der Nähe einer Persönlichkeit von höherem Rang oder einer anderen wichtigen Gelegenheit, die womöglich ungenutzt verstrich". Sogar die Künstler gehen für ihren Elfenbeinturm über Elefantenleichen. Der Komponist Linley wird Zeuge eines Vergewaltigungsversuches, wendet sich aber schnell ab, da ihn just im selben Moment die Muse küsst. Schnell muss er die göttliche Melodie niederschreiben, während im Hintergrund die Frauenschreie verklingen.
Der Roman ist nach bewährter Rezeptur zusammengerührt. McEwan plaudert in altbackenem Parlando vor sich hin. Wirkungen sind "herzerquickend", Männer werden der Frauen "habhaft", Ansichten werden "feilgeboten", oftmals sieht sich jemand "genötigt" - Onkelprosa nach Gutsherrenart. Wer so schreibt, spielt auch Bridge. Der Textfluss wird nicht von einem einzigen originellen Bild gebremst. Stilistische Höchstleistung ist eine selbst geschossene Kirmesbuden-Metapher: "das bunte Drehorgelkarussell seiner durcheinander wirbelnden Gedanken". In dem Porträt des Komponisten Clive Linley spiegelt sich die Ästhetik des Textes wider: "Selbst seine Anhänger mussten, zumindest in den siebziger Jahren, einräumen, dass er ,erzkonservativ' war (seine Kritiker zogen den Ausdruck ,atavistisch' vor), aber alle Welt war sich einig, dass Linley so wie Schubert und McCartney eine Melodie komponieren konnte." Es geht McEwan ähnlich wie seinem Komponisten während einer Schaffenskrise: "Nichts stellte sich ein, das eine eigene Gestalt, ein eigenes Gewicht gehabt und ihm jenes Moment der Überraschung geboten hätte, an dem man Originalität erkennt."
Die langen Passagen über Linleys große Millenniums-Symphonie lesen sich wie Booklet-Prosa der Plattenindustrie. Ungebändigt wogt hier der Klang, brandet wild empor und zerschellt entweder an den Klippen der Stille oder Beethovens Gipsbüste, wer weiß. Insgesamt ist die Musik jedenfalls "von kaskadenhaft polyfoner Brillanz" und immer wieder ein Hörgenuss. Auf der theoretischen Ebene gilt jedoch: "Fürs erste war es Musik, die wundersame Verwandlung von Gedanken in Klänge." In der Mitte des Romans erklimmt der Komponist einen Bergkamm in den Highlands und findet in ätherischen Höhen, auf der Wasserscheide des Textes und des Berges, die coelestische Melodie: Ein Greif flötet sie ihm vor. Heureka! So hat man sich die Großsymphoniker immer vorgestellt: den klobigen Bergschuh verkantet im Gefels, das absolute Ohr ausgerichtet auf den Schrei des Steinadlers. Das Ringen des Künstlers um die reine Form mag ironisch gemeint sein, ist aber nur eine uninspirierte Aneinanderreihung von Klischees. Überhaupt sind McEwans satirische Anstrengungen unbeholfen: "Vernon überlegt, ob er sich nicht doch dazu durchringen sollte, Frank zu entlassen. Was bildete der sich eigentlich ein, einen Ohrring zu tragen?" Das alles ist so bissig wie die dritten Zähne in ihrem Kukident-Bad nachts um halb vier.
McEwan ist ein vorlauter Erzähler. Er lässt nichts offen. Für den Fall, dass der Leser etwas verschlafen hätte, zieht er vorsichtshalber Zwischenbilanz und unterstreicht, was genau komisch, tragisch und schicksalhaft sein soll: "Dies war das Komische an ihrem Schicksal; eine Eilzustellung wäre den beiden Männern zustatten gekommen. Andererseits gab es für sie vielleicht keinen anderen Ausweg, und darin bestand ihre Tragik." So adelt man noch den harmlosesten Klamauk zur Tragödie.
Von Ian McEwan gibt es zehn Bücher auf Deutsch. Drei davon sind verfilmt worden. Auch dieser Roman hat nichts zu bieten, was ein Film nicht ebenso gut oder besser könnte.
STEPHAN MAUS.
Ian McEwan: "Amsterdam". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Hans Ch. Oeser. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 224 S., geb., 36,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aber nicht ganz unangestrengt: Ian McEwan mag Onkelprosa
Molly ist tot. Sie wusste, wie man Porcini anbrät, posierte als nackte Eva auf Snookertischen und liebte Männer mit Chauffeur und Obsessionen. Vor der Kapelle des Krematoriums stehen ihr reicher Verlegergatte George Lane und drei ihrer Liebhaber: der Außenminister Julian Garmony und das Freundespaar Clive Linley und Vernon Halliday, renommierter Komponist der Erstere, Chefredakteur eines Qualitätsblattes auf dem Weg zum Boulevard Letzterer. Molly zerfällt zu Asche und mit ihr die feinen englischen Umgangsformen: Nach einer kurzen Betroffenheitsphase, in der in jedem der Hinterbliebenen ein Stück Organ abstirbt, die linke Herzkammer oder die rechte Hirnhälfte, spielen die vier Herzen zu einem Quartett des Terrors, Mobbings und der Palastintrige auf. Zum Schluss bleiben zwei der Liebhaber auf der Strecke, und der dritte ist ruiniert. Der gehörnte Ehemann hat endlich die Erinnerung an Molly für sich allein.
Ian McEwan bedient sich in seinem Roman großzügig aus der staubigen Genre-Trickkiste. Er schickt seinen Leser durchs wilde Kurdistan der Zufälligkeiten und unvermuteten Zusammenkünfte. In einem dämmrigen Zimmer warten kompromittierende Fotos auf ihre Veröffentlichung, ein Brief braucht exakt einen verhängnisvollen Tag zu lange, und in einem operettenhaften letzten Akt unterschreiben die beiden ehemals besten Freunde Vernon und Clive im Rausch ihr eigenes Todesurteil. In gleichem Maße wie die ehrwürdige Zeitung unter dem Chefredakteur Vernon Halliday vom Boulevardjournalismus bedroht ist, wird McEwans Roman von trivialen Erzählmustern unterlaufen. Das kann man als handwerklich perfektes Ineinandergreifen von Handlungssegmenten lesen - oder als antiquierte dramaturgische Albernheiten.
Gefühle tragen McEwans Personen nur oberhalb der Krawatte. Männer lassen ihre Gesichter zu "Masken der Langmut erstarren", im Eisbad ihres Willens werden ihre Blicke stahlhart. Jeder verfügt über ein bedienungsfreundliches Schaltpult zur Feinabstimmung seiner Ausdrucksformen: "Gleichzeitig knipste er seinen Charme an." Diese Männer haben ihr inneres Kind ermordet: "Einen Seufzer des Selbstmitleids versteckte er hinter einem lautstarken Erwachsenenhüsteln." So kennen wir sie, unsere autistischen Nieten in Nadelstreifen. Aber Politiker sind auch fies. Charakteristisch für sie ist ein "Huschen der Augen . . ., die rastlos Ausschau halten nach neuen Zuhörern oder Abtrünnigen, nach der Nähe einer Persönlichkeit von höherem Rang oder einer anderen wichtigen Gelegenheit, die womöglich ungenutzt verstrich". Sogar die Künstler gehen für ihren Elfenbeinturm über Elefantenleichen. Der Komponist Linley wird Zeuge eines Vergewaltigungsversuches, wendet sich aber schnell ab, da ihn just im selben Moment die Muse küsst. Schnell muss er die göttliche Melodie niederschreiben, während im Hintergrund die Frauenschreie verklingen.
Der Roman ist nach bewährter Rezeptur zusammengerührt. McEwan plaudert in altbackenem Parlando vor sich hin. Wirkungen sind "herzerquickend", Männer werden der Frauen "habhaft", Ansichten werden "feilgeboten", oftmals sieht sich jemand "genötigt" - Onkelprosa nach Gutsherrenart. Wer so schreibt, spielt auch Bridge. Der Textfluss wird nicht von einem einzigen originellen Bild gebremst. Stilistische Höchstleistung ist eine selbst geschossene Kirmesbuden-Metapher: "das bunte Drehorgelkarussell seiner durcheinander wirbelnden Gedanken". In dem Porträt des Komponisten Clive Linley spiegelt sich die Ästhetik des Textes wider: "Selbst seine Anhänger mussten, zumindest in den siebziger Jahren, einräumen, dass er ,erzkonservativ' war (seine Kritiker zogen den Ausdruck ,atavistisch' vor), aber alle Welt war sich einig, dass Linley so wie Schubert und McCartney eine Melodie komponieren konnte." Es geht McEwan ähnlich wie seinem Komponisten während einer Schaffenskrise: "Nichts stellte sich ein, das eine eigene Gestalt, ein eigenes Gewicht gehabt und ihm jenes Moment der Überraschung geboten hätte, an dem man Originalität erkennt."
Die langen Passagen über Linleys große Millenniums-Symphonie lesen sich wie Booklet-Prosa der Plattenindustrie. Ungebändigt wogt hier der Klang, brandet wild empor und zerschellt entweder an den Klippen der Stille oder Beethovens Gipsbüste, wer weiß. Insgesamt ist die Musik jedenfalls "von kaskadenhaft polyfoner Brillanz" und immer wieder ein Hörgenuss. Auf der theoretischen Ebene gilt jedoch: "Fürs erste war es Musik, die wundersame Verwandlung von Gedanken in Klänge." In der Mitte des Romans erklimmt der Komponist einen Bergkamm in den Highlands und findet in ätherischen Höhen, auf der Wasserscheide des Textes und des Berges, die coelestische Melodie: Ein Greif flötet sie ihm vor. Heureka! So hat man sich die Großsymphoniker immer vorgestellt: den klobigen Bergschuh verkantet im Gefels, das absolute Ohr ausgerichtet auf den Schrei des Steinadlers. Das Ringen des Künstlers um die reine Form mag ironisch gemeint sein, ist aber nur eine uninspirierte Aneinanderreihung von Klischees. Überhaupt sind McEwans satirische Anstrengungen unbeholfen: "Vernon überlegt, ob er sich nicht doch dazu durchringen sollte, Frank zu entlassen. Was bildete der sich eigentlich ein, einen Ohrring zu tragen?" Das alles ist so bissig wie die dritten Zähne in ihrem Kukident-Bad nachts um halb vier.
McEwan ist ein vorlauter Erzähler. Er lässt nichts offen. Für den Fall, dass der Leser etwas verschlafen hätte, zieht er vorsichtshalber Zwischenbilanz und unterstreicht, was genau komisch, tragisch und schicksalhaft sein soll: "Dies war das Komische an ihrem Schicksal; eine Eilzustellung wäre den beiden Männern zustatten gekommen. Andererseits gab es für sie vielleicht keinen anderen Ausweg, und darin bestand ihre Tragik." So adelt man noch den harmlosesten Klamauk zur Tragödie.
Von Ian McEwan gibt es zehn Bücher auf Deutsch. Drei davon sind verfilmt worden. Auch dieser Roman hat nichts zu bieten, was ein Film nicht ebenso gut oder besser könnte.
STEPHAN MAUS.
Ian McEwan: "Amsterdam". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Hans Ch. Oeser. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 224 S., geb., 36,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ian McEwan gilt als einer der besten britischen Autoren der Gegenwart.« Thomas David / Stern Stern